Bericht über das 21. Arbeitstreffen der FHG in

Hochschule für Würzburg

5. und 6. Mai 2023

Die Hochschule für Musik in Würzburg war Gastgeberin des 21. Arbeitstreffen der FHG. Kontakte bahnten sich über Maximilian Nickel an, verantwortlich vor Ort war Prof. Almut Gatz, die mit ihrer – momentan einzigen – Hauptfachstudentin Paula Organisation, Technik und „Pausenverpflegung“ bestens im Griff hatte! Dafür herzlichen Dank!!

Der Ablauf war wie vorgesehen, nur die „Jazz-GH“ fiel aus, da Lukas Voith kurzfristig erkrankt war. Leider fiel die gesamte Tagung für Dr. Christine Klein ebenfalls aus, da sie sich eine Woche zuvor die Kniescheibe gebrochen hatte und an das heimische Sofa gefesselt war...

Nach dem Ankommen und der Begrüßung (Almut Gatz und Holger Best) konnten wir dem ersten Unterricht („GH mit relativer Solmisation in den künstl.-pädag. Studiengängen“) beiwohnen. Martine Streib arbeitete mit 4 Stud. und fügte immer wieder Infos für uns Auswärtige ein (z. B. über die räumliche Situation, die Aufteilung der Semester). Anfangs ging es um 4-st. und alterierte Akkorde im Klassikbereich und klass. Pendel I-V und I-VII. Sie spielte Akkorde, die Stud. waren aufgefordert, auf Solm'silben nachzusingen. Stud. singen nach Ansage der Akkorde ohne Klavier, die Stud. spielen die Akk. auf den Keyboards (je eins pro Stud.).

In der zweiten Phase ging es um Blattsingen (auf Solmisationssilben) anhand eines Menuetts von Anna Magd. Bach (BWV Anh. 115). Als Übeaufgabe: eine Stimme spielen, eine auf Solmisationssilben singen (auch vice versa im Stimmentausch).

In der dritten Phase ging es um den Weg zum komplexeren Hördiktat am Beispiel des Mittelsatzes des Conc. g-Moll für 2 Vc und B.c. von Vivaldi (RV 531). Zunächst den geklopften Rhythmus aufnehmen, als Schema notieren; dann die Tonhöhen aufnehmen (la-do-mi-la-mi-fa-mi etc.); miteinander verbinden; die 2. Vc-stimme notieren; in ein 3-Akkoladen-System (das nur den B.c. enthält, auch keine Vorzeichen und Schlüssel), die Stimmen eintragen. Zuhause vervollständigen, singen und spielen; Umdeutung des „do“ [von g-Moll nach d-Moll] besprechen. Zum Schluss der Stunde 3-st. singen.

Danach unterrichtete Maximilian Nickel („GH für Grund-/Mittel-/Realschullehramt“) zwei Stud. In diesem Studiengang haben die Stud. 6 Semester je 45' Unterricht in Tonsatz und GH (nicht 90', wie in anderen Studiengängen). Der Unterricht begann mit Tonleitersingen auf Solm'silben und Partimentobegleitung am Klav. Dies führte zum Inhalt dieser Unterrichtseinheit, dem Lied „Wenn der Abendstern die Rosen“ op. 7,3 von Emilie Mayer (nebenbei: Max wählte dieses Lied wegen des Wunschs seiner Stud., einmal etwas von einer Komponistin kennenzulernen!). Arbeitsblatt: Klav'begleitung ohne Liedtext. Aufgabe: Silben notieren, auf Silben singen. T 9 den Rhythmus mit Stift auf Triolenschlägen klopfen; erarbeiten und üben von 2:3 mit beiden Händen resp. Fuß/Hand. Schreibübungen ab T. 16: Bass singen (auf Solm'silben) und notieren; Bassziffern [E-E-a-F6-G64-F6-E]; phrygische Klausel. Sehr pfiffig war am Schluss die Aufforderung an die Stud., in 1' Ruhe sich drei Punkte zu überlegen, die sie als Hausaufgabe zur nächsten Stunde bearbeiten wollten!

In der sich anschließenden Diskussion ergaben sich eine Reihe von Fragen: ob auch die Tonika-Do-Methode verwendet würde (nein); wie man mit neuer Musik umgehe (im 3. Jahr würden alle Skalen [Debussy] unterrichtet, als Hinführung zum 20. Jh. verwendet Martine Streib ein Bartók-Chorstück für 3-st. Frauenchor); wo ist der Anknüpfungspunkt, wenn keine Solmisation oder nur die absolute bekannt sei (ein ständiges Diskussionsthema); fördert Solmisation horizontales oder vertikales Hören (eine interessante Frage). Wie können Schwerpunkte gesetzt werden in kürzerer Unterrichts-zeit (künstl.-pädag. Studiengänge); wie ist in WZ der Kontakt zu den Schulen (relativ eng, es gibt in Bayern abgeordnete Lehrer); haben die Musikschulen einen „pre-college“-Bereich (eher nein); wie kann die MHS sich auf die MS „aufsetzen“ (mit Blick auf Solm'silben). Letzteres würde dadurch versucht, dass die Eignungsprüfungen sehr transparent gestaltet und umfänglich auf der Webseite zu finden sind.

Um 17 Uhr referierte Irina Gembitckaia über „GH im interkulturellen Bereich; östliche und westliche Stimmungssysteme“. Sie kann aus einer umfänglichen Praxis in Duisburg schöpfen, wo sie Gruppen betreut und leitet, in denen das Thema ist. Sie unterschied 2 Typen: Typ 1 („west“europäisch, Schwerpunkt Generalbass & Funktionstheorie), und Typ 2 („ost“europäisch einschl. GR und TR, Schwerpunkt Solmisation & Stufentheorie). Zu letzteren gehören auch die romanischen Länder. Sie umriss kurz die Probleme der Intonation, Problematik des absoluten Hörens etc. Unterschiede zw. orientalischen (Stimmungsvielfalt, Melodie, tutti) und der zentraleurop. Musiktheorie (Stimmungs-einheit, Harmonie, solo). Viel deutlicher wurde ihr Anliegen im folgenden „Melodischen Diktat: typische Probleme und Lösungen“. Anhand des türkischen Songs „Batuma Türküsü“, das von der östl. Schwarzmeerküste stammt (und das wir im Original hörten) ließ sie uns den Rhythmus (7/8) und melodische Patterns (4-Tongruppen mit kleinen und übermäßigen Sekunden) hören und singen. Auch wenn im anschl. Gespräch kritische Töne anklangen (zum möglicherweise missverständlichen Gebrauch von „Tetrachord“ oder der Genauigkeit des 7/8-Taktes), so fand ihr Ansatz auch Zustimmung: er sei in heutiger Zeit sehr wichtig! Wie allerdings Tonhöhen eines Systems sinnvoll notiert würden, das nicht auf der 12-stufigen Oktavteilung beruht, ist – für mich – eine offene Frage.

Im Anschluss bat uns Almut Gatz zu stehen für ihre „(Renaissance-) Vokalimprovisation“, die, ebenfalls auf Solm'silben basierend, durchaus als Herausforderung für die darin nicht Heimischen begriffen werden kann. Sie bat uns zu schnipsen, sang kurze Motive, die wir einen Schnipser später nachsingen sollten – d.h. während des Singens zuhören und sich merken! Das alles auf historischer Hexachordsolmisation (ut statt do), die im Tonraum verschiebbar ist; Kombination von hexach. naturale und hexach. molle. Kanonimproviastion in der Unterquinte oder Oberquarte. Wie kann man zu einem Ende kommen >Bassklausel. Dann 3-st. Kanonimprovisation und entsprechende Klauselbildungen. Der Quint-quart-Klang C-G-c wird aufgelöst, indem die Unterstimmen sich schrittweise aufeinander zubewegen (D-F), und das obere c als Sopranklausel weitergeführt wird. Diese Vokalimprovisationen beruhen einerseits auf dem Buch von Barnabé Janin, Chanter sur le livre. Manuel pratique d’improvisation polyphonique de la Renaissance, entstehen aber andererseits auch durch eigenes Probieren und Lektüre alter Quellen.

Der Tag klang dann für alle aus im Le Candele.


Der Samstag, 6.5. begann mit dem Workshop „Intonation/Stimmungssysteme“ mit praktischen Übungen von Christian Lammel. Christian hatte eine beeindruckende Technik aufgebaut mit drei Keyboards, die über spezielle Computerprogramme unterschiedliche Stimmungssysteme im Cembaloklang erzeugen konnten (gleichstufig, mitteltönig ¼ syntonisches Komma und ein noch zu identifizierendes). Es begann gleich aktiv mit dem Satz „Parch' hai lasciato“ von Orlando di Lasso. Dessen erster Teil eignet sich deshalb so gut, weil er fast ausschließlich aus Dur- und Mollakkorden besteht. Wir übten Intonation mit Hilfe des „Cembalos“ in mitteltöniger und gleichstufiger Tempe-ratur; wie sind die Terzen?, wie weit/eng die Halbtöne? Wie unterscheiden sich der chromatische vom diatonischen Halbton? All dies war unmittelbar wahrzunehmen und zu erleben. Dazwischen gab es auch theoretische Erklärungen mit Schaubildern, die Christian erstellt hatte. In der zweiten Phase dann vergab er Arbeitsaufträge in Gruppenarbeit (es gab im Raum zwei „Intonationsstationen“ mit Kopfhörer, außerdem in seinem Seminarraum zwei weitere). Es ging darum, die dritte Temperatur (1/6 pythagoreisches Komma) zu beurteilen nach 1. der Größe der Terz und Quinte im Dur- und Molldreiklang, 2. dem Einfluss der „Wolfsquinte“ auf die Dreiklangsbildung im Vergleich zur anderen mitteltönigen Stimmung, und 3. den Unterschied des chrom. und diat. Halbtons im Vergleich der Stimmungen zu qualifizieren. Der Workshop war super exquisit, pädagogisch durchdacht, und äußerst überzeugend präsentiert! Christian ist allerdings auch absolut sattelfest in (computer-) technischen Belangen. Zur Frage nach den Programmen: „Logic“ und „Pianoteq“, beide vor allem für Apple, sie kosten je ca. € 250,-. Als Freeware nannte er „Scala“ von huygens-fokker.org. Der Zeitplan wurde geändert, weil noch so viele Fragen und Wünsche an Christian herangetragen wurden (und der folgende Vortrag ja entfiel). Inhalt und Anspruch waren so dicht, dass ein Da Capo sicher irgendwann und -wo folgt!

Nach einer kleinen Pause informierte Elke Hofmann dann über den neuen Post-Graduate-Studien-gang GH in Parma, den Fabio Ferrucci dort hat einrichten können. Trotz des Namens „Master of Pedagogical Ear Training“ setzt dieser Studiengang einen abgeschlossenen Master in GH voraus. Der Studiengang ist einmalig in Italien (also auch nicht in St. Cecilia in Rom zu haben!) und eine schöne Blüte des unglaublich tollen Engagements in Sachen Ear Training, das Fabio als Erfinder, Gestalter, Übersetzer und Organisator der „Sentiámoci a Parma“ an den Tag legt! Die europaweit offene (und Erasmus+-anerkannte) Gestaltung seiner GH-Tagung hat dazu geführt, dass viele Doyens der GH im weitesten Sinne, aus den nordischen Ländern, aus Ungarn, der Schweiz, Spanien und der Bundesrepublik dort schon waren, Vorträge gehalten und sich präsentiert haben. Der Studiengang setzt auch auf internationale Mitarbeit und wird in Englisch angeboten.

Mit organisatorischen Fragen der FHG schloss diese Tagung, die nicht nur ihrer Beiträge wegen, sondern auch der freundlichen Aufnahme und perfekter Organisation in Würzburg durch das Team um Almut Gatz wegen ein schöner Erfolg war!

Bericht: Holger Best

Organisatorisches der FHG:

  • Elke Hofmann hat leider ihren Rückzug als stellv. Sprecherin der FHG bekannt gegeben. Grund dafür ist, dass sie zum Ende Mai die Musikhochschule Basel verlässt, sich innerhalb der fhnw anderen Herausforderungen stellt und nicht mehr GH unterrichtet. Vielen Dank, Elke, für Deinen bis dato Einsatz!

  • Nächstes Treffen der FHG ist am Fr/Sa 3./4. Mai 2024 in der Hochschule für Musik Dresden. Ansprechpartner sind Robert Rabenalt, Rebekka Albrecht und Johannes Korndörfer.

  • Als generelles Thema ist angedacht: „Elementare GH“. Was sind Hörerziehung, GH und Musiklehre im Elementarbereich? Die MHS Dresden hat Stellenprofile, die 50% der Lehre im Landesgymnasium beinhalten (das gibt es auch z.B. für Violine). Idee ist, am Freitag im Landesgymnasium zu hospitieren und zu diskutieren, am Samstag dann in die MHS im Zentrum Dresdens zu wechseln und dort weiter zu arbeiten. Eine Idee (von Robert) ist das Thema Filmmusik. Was genau, wie, und wer als Referent in Frage käme, sollte zwischen Christine und Robert noch eruiert werden. Wichtig: das sind bisher nur Vorschläge!

  • Für die Tagung 2025 sind bisher keine Interessierte gesichtet worden. Mein Vorschlag: die Chronik zeigt, an welchen Hochschulen wir noch nicht waren (z.B. Karlsruhe, Hannover, Köln, Trossingen...), und wen wir persönlich ansprechen sollten. 2026 könnte die Tagung wegen des GMTh-Kongresses mit dem Schwerpunkt GH in Halle entfallen.

Holger Best