Sprau, Kilian / Verena Weidner (2014), »Editorial«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 11/2, 173–175. https://doi.org/10.31751/764
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 24/07/2015
zuletzt geändert / last updated: 19/02/2016

Editorial

Mit dieser Themenausgabe setzt die ZGMTH die Tradition fort, neben genuin fachwissenschaftlichen Texten auch Beiträge zu veröffentlichen, die sich primär mit der Vermittlung musiktheoretischer Inhalte beschäftigen. Damit wird der Besonderheit Rechnung getragen, dass die Musiktheorie, mehr als man das von einer reinen Fachwissenschaft erwarten müsste, sich auch als ein pädagogisch-didaktisches Fach begreift, das dem Aspekt der Vermittlung große Aufmerksamkeit schenkt – ihn mitunter sogar in den Mittelpunkt fachlichen Handelns stellt. So betonen etwa Felix Diergarten, Ludwig Holtmeier, John Leigh und Edith Metzner nicht nur generell die Bedeutung theoriedidaktischen Denkens im Sinne eines die wissenschaftlichen und künstlerischen Fachanteile ergänzenden musiktheoretischen Teilbereiches[1], sondern weisen den »Unterricht an den Musikhochschulen« als »Hauptaufgabe der Musiktheorie«[2] aus.

Noch einen Schritt weiter geht Clemens Kühn, wenn er anlässlich des zehnjährigen Bestehens der GMTH »acht Wünsche« für die »Zukunft« äußert und dabei neben »phantasievoll freie[n] Formen der Vermittlung« auf die potenzielle Reichweite des Faches anspielt:

Musiktheorie ist an Hochschulen zu Hause. Aber sie darf sich nicht darüber erhaben fühlen, für den Unterricht an Schulen etwas beizutragen. Und niemand sollte das gering schätzen: ›Schule‹ ist schwerer als ›Hochschule‹.[3]

Beiden institutionellen Kontexten hat die ZGMTH bereits in früheren Ausgaben besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Anführen lassen sich hier sowohl die beiden pädagogisch-didaktische Fragestellungen aufgreifenden Themenausgaben »Musiktheorie lehren« (7/1, 2010)[4] und »Musiktheorie in der Musikpädagogik« (8/1, 2011)[5] als auch die bereits seit 2006 gepflegte Rubrik »Musiktheorie in der Lehre«.

Das vorliegende Heft nimmt Didaktische Aspekte in der Musiktheorie aus einer betont weiten Perspektive in den Blick. Das Heftthema wird dabei in Form dreier thematisch sehr unterschiedlich ausgerichteter Fachartikel aufgegriffen (Birger Petersen / Stephan Zirwes, Ulrich Kaiser und Hans Jünger), einer Quellenedition (Stefan Eckert) sowie zweier ausführlicher, die Qualität musiktheoretischer Lehrwerke beurteilender Rezensionen (Lutz Felbick, Kilian Sprau).

Birger Petersen und Stephan Zirwes gehen in ihrem Beitrag zur hochschulischen Theoriedidaktik im 19. Jahrhundert Gründen für die Aufnahme des philosophisch fundierten Theoriesystems Moritz Hauptmanns in die Praxis der hochschulischen Lehre nach. Diskutiert wird dabei die Relevanz, die Hauptmanns Schrift Die Natur der Harmonik und der Metrik (1853) für den musiktheoretischen Unterricht an der Musikschule in München vor und um die Wende zum 20. Jahrhundert besessen hat.

Ulrich Kaiser lässt seine »Überlegungen zur Didaktik der Musiktheorie« bei der Beobachtung und Beschreibung dreier musiktheoretischer Lehrproben einsetzen. Ausgehend davon stellt er Bezüge zu aktuellen, innerhalb der Erziehungswissenschaften geführten Diskussionen her und problematisiert schließlich die dilemmatische Lage, die den Unterricht in Methodik/Didaktik des Hauptfachs Musiktheorie seiner Ansicht nach gegenwärtig prägt.

Der Bogen zum System der allgemeinbildenden Schule und dessen Bedingungen wird von Hans Jünger geschlagen. Auf Basis einer Analyse der Regelkreise, die zwischen Fachvertretern der Musiktheorie, der Musikpädagogik und dem Schulfach Musik jeweils zu beobachten seien, widmet er sich vor allem Desideraten an die musiktheoretische Forschung und Lehre aus Sicht der schulischen Praxis.

Stefan Eckert legt eine ausführlich kommentierte Edition von zwölf Manuskriptseiten vor, die dem Abschnitt zur ›Gesangleiter‹ aus dem ›Baßschlüssel‹-Kapitel von Joseph Riepels Anfangsgründen zur musikalischen Setzkunst zuzuordnen sind. Darin stellt Riepel seine Methodik zur Ausharmonisierung von Skalenstrukturen in Ober- bzw. Unterstimme eines musikalischen Satzgefüges dar.

Lutz Felbick diskutiert in seiner Rezension der Gehörbildungs-Software Earmaster 6 Möglichkeiten, die sich durch digitalisierte Lernarrangements für den Gehörbildungsunterricht ergeben. Bei aller begründeten Vorsicht gegenüber zu hohen Erwartungen an vermeintliche didaktische ›Wundermaschinen‹, macht er am Beispiel des rezensierten Produkts den hohen Gewinn deutlich, der durch reflektierte Anwendung entsprechender Programme erzielt werden kann.

Kilian Sprau stellt in seiner Rezension von Barnabé Janins Chanter sur le livre. Manuel pratique d’improvisation polyphonique de la Renaissance eine Lehrmethode zur Improvisation kontrapunktischer Sätze im Stil des 15. und 16. Jahrhunderts vor, die, von Jean-Yves Haymoz an der Haute École de Musique in Genf initiiert, auf der Basis historischer Traktate und deren wissenschaftlicher Erschließung einen ungewöhnlichen Zugang zur Vokalpolyphonie der Renaissance-Epoche erschließt.

Ergänzt werden diese auf das Heftthema bezogenen Beiträge durch drei weitere Rezensionen und zwei Kongressberichte:

Ariane Jeßulat hebt in ihrer Rezension von Richard Cohns Studie Audacious Euphony besonders dessen Systematisierungsleistung hervor. Anstelle einer an das ursprüngliche Verständnis möglichst dicht anschließenden Auseinandersetzung mit historischen Schriften biete Cohn mit Blick sowohl auf die Forschung als auch auf die Lehre Perspektiven für eine metadiskursive und integrative Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Theorierichtungen.

Peter Petersen steuert eine Besprechung von Danuta Mirkas Abhandlung Metric Manipulations in Haydn and Mozart bei, die er durch eigene analytische Beobachtungen an Originalwerken fundiert.

Oliver Wiener rezensiert die von Lutz Felbick verfasste Studie Lorenz Christoph Mizler de Kolof. Schüler Bachs und pythagoreischer »Apostel der Wolffischen Philosophie«. Sein Review-Essay ergänzt Ausführungen zu Inhalt und Struktur der besprochenen Publikation durch eine ausführliche Darstellung des forschungssystematischen Zusammenhangs, innerhalb dessen Felbicks Abhandlung ihr Profil gewinnt.

Einen Einblick in aktuelle Tagungsaktivitäten gewähren schließlich Hubertus Dreyer und Nathalie Meidhof, die über die VIII. European Music Analysis Conference (2014) in Leuven referieren, sowie Stephan Lewandowski und Arvid Ong mit ihrem Bericht über die IX. Weimarer Fachtagung Musiktheorie und Hörerziehung (2015).

Kilian Sprau, Verena Weidner

Anmerkungen

1

Vgl. z.B. Fladt 2002, 34.

2

Diergarten/Holtmeier/Leigh/Metzner 2010, 5.

3

Kühn 2011, 171 (Hervorhebung original).

4

http://www.gmth.de/zeitschrift/ausgabe-7-1-2010/inhalt.aspx

5

http://www.gmth.de/zeitschrift/ausgabe-8-1-2011/inhalt.aspx

Literatur

Diergarten, Felix / Ludwig Holtmeier / John Leigh / Edith Metzner (2010), »Vorwort«, in: dieselben (Hg.), Musik und ihre Theorien. Clemens Kühn zum 65. Geburtstag, Dresden: Sandstein.

Fladt, Hartmut (2002), »Musiktheorie zwischen Musikwissenschaft und Komposition. Bestandsaufnahmen und mögliche Neubestimmung«, Diskussion Musikpädagogik 13, 34–44.

Kühn, Clemens (2011), »Sieben Arten, das Jubiläum zu beschreiben«, ZGMTH 8/1, 169–171. http://www.gmth.de/zeitschrift/artikel/623.aspx

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