Adolf Bernhard Marx. Seine Musik, seine Schriften und seine Zeit

Internationale Tagung

13.–15.5.2016

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Tagungsprogramm


Stefan Garthoff


Dilettant, Bürger, Feuilletonist, Sprachkünstler, Jude, konvertierter Protestant, Freund Mendelssohns, Komponist, Musiker, Musiktheoretiker, Musikwissenschaftler, Professor, politischer Denker – diese Attribuierungen geben Einblick in das weite Spektrum, mit dem sich die interdisziplinäre und internationale Tagung »Adolf Bernhard Marx. Seine Musik, seine Schriften und seine Zeit« vom 13. bis 15. Mai 2016 am Institut für Musik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zum 150. Todestag des in Halle geborenen Dilettanten, Bürgers,… auseinandersetzte und das gleich in der Begrüßung durch die Organisatoren Diana Matut (Seminar für Judaistik / Jüdische Studien), Tomi Mäkelä (Abteilung Musikwissenschaft) und Jens Marggraf (Abteilung Musikpädagogik / künstlerische Praxis), dem ›spiritus rector‹ der Veranstaltung, aufgezeigt wurde.

Im Eröffnungsvortrag und der ersten Sektion der Tagung, die Marx im musiktheoretischen Umfeld seiner Zeit verortete, erörterte Ludwig Holtmeier (Freiburg) die Veränderungen, die die bürgerliche Musiktheorie des 19. Jahrhunderts, in der er Marx als wirkungsmächtigsten Vertreter ansieht, mit sich brachte. In dem Moment, als in musikbezogenen Lehrsituationen – durch den neuen institutionellen Rahmen eines Konservatoriums begründet – das Instrument durch die Tafel abgelöst wurde, habe ein fundamentaler Wandel stattgefunden, der letztendlich eine neue Haltung gegenüber Musik insgesamt etablierte. Statt Musik aktiv zu gestalten sei nun das ›Meisterwerk‹ passiv beobachtet worden.

Die zweite Sektion beschäftigte sich mit den Wechselwirkungen von Gesellschaft und Judentum im Allgemeinen und den Einflüssen von und auf Marx im Speziellen. Diana Matut (Halle) spürte dazu der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Halle von ihren Anfängen über die vollkommene Assimilation der Familie Marx bis zur Distanzierung und Konvertierung Adolf Bernhards nach. Dabei zeigte sie, wie einerseits die Stadtgeschichte auf die Entwicklung der Familie einwirkte, andererseits aber auch die Familie das gesellschaftliche Leben in der Stadt beeinflussen konnte. Sie betonte auch, dass es bei der Beschäftigung mit Marx’ Biographie und seinen Schriften wichtig sei, immer wieder auf das Jüdische bei Marx einzugehen, da sein jüdischer Hintergrund in der Rezeptionsgeschichte häufig thematisiert worden sei. David Conway (London) beschäftigte sich anschließend mit den soziologischen Umwälzungen, die das Eingreifen der Juden in die Musikpraxis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei gleichzeitigen profunden Änderungen innerhalb der jüdischen Tradition mit sich brachte. Dies exemplifizierte er an Beispielen der beiden Musiker Marx und Mendelssohn: Während Marx zwar im Schoße der jüdischen Tradition aufgewachsen sei, selbst aber zum Beispiel nicht beschnitten wurde, sei Mendelssohn durch seinen lateinischen Vornamen von Geburt an bewusst aus der jüdischen Tradition herausgenommen worden.

Der Komponist Marx wurde in der dritten Sektion in den Mittelpunkt gestellt. Jens Marggraf (Halle) stellte den Liederzyklus Nahid und Omar op. 9 (1844) vor, der wie alle anderen Werke von Marx neben dessen Oratorium Mose (1841) ein Schattendasein friste und kaum bekannt sei. Hierbei ging Marggraf auf die Entstehungsgeschichte und verschiedene analytische Aspekte ein. Dabei sei zum einen bemerkenswert, dass Marx, der eigentlich sehr hohe Qualitätsansprüche an die Textgrundlagen für seine Vertonungen gestellt habe, für das Werk gerade auf Texte von Heinrich Wilhelm August Stieglitz zurückgriff, der als Dichter mit spürbarer Diskrepanz zwischen Anspruch und Talent von der Nachwelt vernichtend kritisiert worden sei. Auf der anderen Seite sei auffallend, dass die zwei dokumentierten Aufführungen von Nahid und Omar mit den besten Berliner Musikern besetzt waren. Anschließend verortete Jascha Nemtsov (Weimar) den Mose im Kontext der jüdischen Musikgeschichte. Er kam zu dem Schluss, dass im Werk keine Spuren einer jüdischen Sichtweise oder Tradition in Bezug auf die Geschichte des Exodus vorhanden seien, sondern vielmehr eine Tendenz der Entjudaisierung des Alten Testaments wirke. Im manipulativen »Steinbruchverfahren« der Kompilation verschiedener Bibelstellen zur Generierung einer Textgrundlage habe Marx weniger versucht, die Geschichte des Auszugs aus Ägypten im Sinne der jüdischen Tradition zu interpretieren, sondern vielmehr seine eigene Ideologie, die von christlichen Vorstellungen geprägt gewesen sei, durchgesetzt.

Scott Burnham (Princeton) und Wolfgang Marggraf (Lörrach) beschäftigten sich in der vierten Sektion mit der Beethoven-Rezeption bei Marx. Burnham stellte dazu die Besprechungen der Sinfonien Beethovens von Marx vor. Dabei sei Marxʼ Ideal der Kritik gewesen, dass derjenige, der einen Dichter verstehen wolle, auch »in die Dichterlande gehen« müsse. Kritik sei also nicht im Verständnis einer ›ars poetica‹ zu schreiben. Aus den emphatischen Urteilen Marx’ über die Musik Beethovens schloss Burnham, dass Beethoven auch für den Komponisten Marx eine Mentor- und Lehrerfunktion eingenommen habe. Anschließend widmete sich Wolfgang Marggraf Marx’ Anleitung zum Vortrag Beethoven’scher Klavierwerke (1863) und interpretierte diese als eine sachkundige Einführung in das Sonatenwerk für ›Dilettanten‹, worunter die Jugend im Allgemeinen, »Unkennende« und die von der ›reinen Kunst‹ Abgekommenen verstanden worden seien. Auch betonte er Marx’ Ideal des Lehrers als Ehrenmann, der nicht zu stolz sei zu lernen.

Die fünfte Sektion stand im Zeichen des politischen Schreibers Marx. Christian Jansen (Trier) leitete dazu die Positionierung Marx’ aus dessen drei politischen Schriften ab und verortete sie innerhalb der Revolution von 1848. Dabei entstand das Bild eines Autors, der seine realpolitischen Ansätze in der euphorischen Phase der Revolution scheinbar im Rausch formulierte und dessen politische Maxime aus einem bürgerlichen Klassenstolz, egalitären demokratischen Idealen, Fortschrittsglauben und Anglophilie herrührten. Jansen stellte dar, dass Marx’ politisches Engagement, in dem er eine ›social-demokratische‹ Position vertreten habe, nur kurz währte, und formulierte die These, dass Marx vielleicht als Abgeordneter des 1848 neu einzuberufenden Vereinigten Landtags im Gespräch gewesen sein könnte.

Die sechste und letzte Sektion hub abschließend die Theorien Marx’ auf eine Metaebene. Jennifer J. Russel (Flagstaff) zeigte dazu ausgehend von Marx’ Gedanken, dass jede musikalische Phrase auf dem Modell »Ruhe – Bewegung – Ruhe« beruhe, wie binäre Oppositionen schon immer und in allen Kulturen zu finden seien. Mit Beispielen aus der chinesischer Philosophie (Yin und Yang), aus Physik (Kraft und Gegenkraft), Religion (Leben und Tod) bis schließlich wieder aus Marxʼ Schriften (steigend und fallend, Spannung und Entspannung, Theorie und Praxis, Gesetz und Freiheit) kam sie zu dem Schluss, dass das Fundament von Marxʼ Lehre in der Opposition läge. Danach stellte Annegret Huber (Wien) Marx’ Konzept der »dichterischen Pause« vor. Als Beispiel diente hierzu die Rezension von Beethovens Kantate Meeresstille und glückliche Fahrt op. 112, in der Marx den Antagonismus von Gedicht und Musik kritisierte. Indem Beethoven das im Gedicht Ungeschriebene vertonte, hätte er den Zuhörern die Möglichkeit genommen, die »dichterische Pause« selbst zu ergänzen. Huber bettete diese Kritik in die ästhetischen Theorien der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein und kam zu dem Fazit, dass es Marx innerhalb der Tonmalerei nicht darum ginge, äußere Dinge zu malen, sondern das Leben künstlerisch und mit Interpretationsraum für den Rezipienten darzustellen. Abschließend beschrieb Patrick Wood Uribe (Boston) die Marx’sche Transzendenz musikalischer Form im Sinne des Hegelʼschen Gedankens vom Satz und Gang über Liedform und Rondo bis zur Sonatensatzform. In der Fantasie – als einer von der Sonatensatzform emanzipierten Struktur – sehe Marx im letzten Schritt die Form zur Freiheit geführt – ein Schritt, der über das bloße Abhandeln von Formtypen, wie sie bei anderen Autoren der Zeit stattgefunden habe, weit hinausginge.

Unbedingt muss das Konzert mit Kammermusik von Marx am zweiten Tagungsabend erwähnt werden. Studierende des Instituts für Musik führten darin unter anderem die Werke Nahid und Omar und Um Mitternacht für Klavier zu vier Händen (1845) auf. Der Höhepunkt wurde aber durch die von Jens Marggraf inszenierte szenische Interpretation von Marxʼ Rezension zu Beethovens Sonate op. 111 gesetzt. In verschiedene Rollen aufgeteilt wurde dabei der innere Konflikt des Rezensenten verdeutlicht. Albrecht Hartmann (Halle) spielte dazu (im Prinzip dramaturgisch eingebunden) die durch die Rezension besprochenen Episoden aus dem Sonatenwerk Beethovens am Flügel.

Es waren aber auch die Nebenschauplätze zum wissenschaftlichen Diskurs, vom opulenten Abendessen zur Begrüßung am ersten Abend bis zur Stadtführung zu wichtigen Orten der Marx’schen Biographie, die zum hervorragenden Gelingen der Tagung und zur angenehmen Arbeitsatmosphäre beigetrugen. Die Zusammenfassung der Beiträge in einem Tagungsband ist geplant.