Weimarer Tagung (XVI. Mitteldeutsche Tagung für Musiktheorie und Hörerziehung)

Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar

24.–25.2.2023

Tagungsprogramm

Roman Engelhardt und Georg-Friedrich Wesarg

Am letzten Februarwochenende fand zum 16. Mal die Mitteldeutsche Tagung für Musiktheorie und Hörerziehung statt, jetzt wieder in Weimar. Das diesjährige Thema »›Im Stile von…‹. Wege zum Musikerfinden« umfasste verschiedene ästhetische, didaktische sowie analytische Aspekte von Stilkopien als Ansätzen zum Erfinden von Musik. Inhaltlich konzipiert und organisiert wurde die Tagung von den drei Vertretern der bei den Mitteldeutschen Tagungen kooperierenden Hochschulen: Jörn Arnecke aus Weimar, Jens Marggraf aus Halle sowie Gesine Schröder aus Leipzig.

Nach einer gedankenreichen und herzlichen Begrüßung durch Anne-Kathrin Lindig, die Präsidentin der Hochschule für Musik Franz Liszt, eröffnete Gesine Schröder das Programm mit einem Impulsvortrag über mögliche Zwecke der Erschaffung von Stilkopien. Ihre Ausführungen konzentrierten sich auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Stilkopien, erörtert anhand von Kunstfälschungen in Bildender Kunst, Literatur und Musik: Haben diese Nachahmungen ein moralisches Manko? Soll man sie überhaupt öffentlich darbieten? Einen detailreichen Einblick in Maurice Ravels kreativen Umgang mit Modellen der Kompositionsgeschichte gab Sigrun Heinzelmann (Salzburg). Anhand ausgewählter Beispiele aus dem Œuvre Ravels kategorisierte sie verschiedene Möglichkeiten, ein Modell zu übernehmen, zu modifizieren oder aufzubrechen. Peter Gülke (Weimar) gab einen Überblick über Sinfoniefragmente Franz Schuberts, die sich aus der Zeit zwischen 1818 und Schuberts letztem Lebensjahr erhalten haben, und stellte Erklärungsversuche für das Hadern des Komponisten mit der Gattung Sinfonie vor, insbesondere in Bezug auf das Schaffen Beethovens.

Einen Einblick in die Praxis des Schreibens von Stilkopien in der aktuellen Unterrichtspraxis an der Weimarer Hochschule gab Marcus Aydintan (Weimar). Er erläuterte die Methodik und praktische Vorgehensweise beim Schreiben von Walzern im Stil von Johannes Brahms. Einige Ergebnisse dieses Unterrichts wurden direkt im Anschluss von den Kursteilnehmern Nicolas Absalom und Gergö Bauer vierhändig am Klavier präsentiert. Thematisch daran anknüpfend hielt Juliane Brandes (Salzburg) einen Vortrag über stilgebundenes Komponieren als eigenständige künstlerische Disziplin. Sie erörterte die Herausforderungen und Chancen, die Stilkopien als Unterrichts- und Studienobjekt bieten können, veranschaulicht anhand von Werken Studierender der Universität Mozarteum Salzburg. Die Vortragsreihe des ersten Tages beschlossen Georg Biegholdt (Leipzig), Almut Gatz (Würzburg) sowie Arne Lüthke (Leipzig): Gemeinsam stellten sie Ansätze zur Vermittlung von Musiktheorie in der Grundschule vor und zogen dafür auch Beispiele aus ihrer musikdidaktischen Praxis heran. So wurde beispielsweise anhand einer Videosequenz deutlich, wie im Grundschulalter die Kompetenzen der musikalischen Kreativität sowie des analytischen Hörens bei Kindern spielerisch gefördert werden können. Den letzten Programmpunkt des Tages bildete eine Kurzvorstellung der Rolle von Stilkopien im musiktheoretischen Unterricht an den Hochschulen in Salzburg und Weimar durch Studierende; behandelt wurde auch die Methodik des Anfertigens von Stilkopien. Erik Schroeder (Salzburg) führte hier Ausschnitte aus seiner im Stil Mozarts geschriebenen Oper La Locandiera vor, und Roman Engelhardt (Weimar) sprach über methodische Aspekte, unter anderem mit Einbezug musiktheoretischer Quellentexte. Im Anschluss wurden die Ergebnisse eines an der Weimarer Hochschule unter der Leitung von Jörn Arnecke und Marcus Aydintan durchgeführten Projekts dargeboten, welches sich mit der Komplettierung von Klavier-Fragmenten Franz Liszts befasste: Nach exemplarischen Erläuterungen ihres Vorgehens durch Johanna Koerrenz und Elias Wöllner, die sich neben weiteren Studierenden an dem Projekt beteiligt hatten, trugen Studierende der Hochschule vier Beispiele für die Fortschreibung von Liszt-Fragmenten am Klavier vor.

Wie erfindet man Kanons nach historischem, konkret nach Mozarts Vorbild? Mit dieser Frage eröffnete Elke Reichel (Weimar) den zweiten Tag der Mitteldeutschen Tagung. Reichel gelang es mit einer Mischung aus Vortrag und Musikpraxis, dass die Zuhörenden durch die Umfunktionierung einer Tabelle von Stefan Prey in Gruppen eigene zweistimmige Engführungskanons zu Papier bringen konnten, die anschließend gesungen wurden. Die musikalische Praxis zog sich auch durch die weiteren Programmpunkte des Tages: So stellte Ulrich Kaiser (München) drei Möglichkeiten vor, Pop-Songs auf Basis klassischer Liedvorlagen zu erstellen und zu arrangieren, wobei er für die Nachbereitung der Methodik auf seine Open Music Academy verwies (https://openmusic.academy/). Eine interessante Einführung in die Möglichkeiten, mikrotonal zu komponieren, gab Jan Esra Kuhl (Leipzig): Einem mathematischen Prinzip folgend waren drei Töne eines Vierklanges minimal stets so zu verschieben, dass den Ohren der Zuhörer*innen ein fließender Übergang zwischen den Vierklängen vorgetäuscht wurde. Dieses Prinzip hatte Kuhl Enno Poppes Orchesterwerk FETT (2018) entnommen. Jens Marggraf machte in seinem Vortrag über die 6 Canzone von E. T. A. Hoffmann deutlich, dass Versuche zum historisch zurückblickenden und zugleich stilreinen Komponieren bereits in den Jahren nach 1800 auftauchten. Dass das Schaffen von Musik, die eine historisch entfernte Situation des Komponierens imitiere, nachfolgenden Generationen indes prinzipiell verwehrt sei und eine Einfühlung in den kulturellen Kontext einer früheren Zeit nie authentisch gelingen könne, steigere aber womöglich den ästhetischen Reiz des Imitats. Einen spannenden Einblick in seine Arbeit am Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels bot Maik Richter (Weißenfels). Schütz hatte in dem Haus die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens verbracht, und um diesen kulturellen Gedächtnisort lebendig und nah am Zeitgeist zu halten, werden Besucher*innen durch verschiedene musikalische Kombinationsspiele dazu animiert, mit originalem musikalischem Material Stücke im Stil des Meisters zu basteln. Markus Ritzels (Halle) Vortrag brachte dem Publikum Erik Saties nicht immer leicht nachvollziehbare Musikauffassung näher. Anhand von Saties Sports et divertissements (1914) stellte Ritzel dar, wie der Komponist ästhetische Haltungen der Romantik ironisch ins Gegenteil verkehrte.

Während der Mittagspause traf sich die Arbeitsgemeinschaft Musikunterricht der GMTH zur Vorbesprechung weiterer AG-Treffen. Zudem wurde darüber gesprochen, wie man enger mit dem Arbeitskreis Musiktheorie des Bundesverbandes Musikunterricht (BMU) zusammenarbeiten könne.

In der Nachmittagssektion führte Sven Daigger (Weimar) vor, wie die Instrumentationsarbeit der Studierenden mit großen medialen Projekten verbunden werden kann. In Kooperation mit der Kammerphilharmonie Bremen war Ravels Boléro (1928) zuerst von Studierenden für mehrere kleinere Besetzungen in differenzierten Schwierigkeitsgraden bearbeitet worden, um diese dann mithilfe von elektronischen Collagetechniken zu einem neuen, multimedialen online-Orchester zusammenzufügen. Das daraus resultierende Video ist einsehbar auf der Website https://musicswaplab.com/. Einen bunten und erfrischenden Kehraus der Tagung lieferte Stefan Garthoff (Naumburg). Er stellte mehrere Ansätze vor, wie aktuelle Pop-Musik im klassengebundenen Kontext arrangiert, instrumentiert und aufgeführt werden kann. Hierbei durften die Teilnehmenden der Tagung selbst Hand anlegen und in Kleingruppen verschiedene Arrangements eines britischen Ethno-Popsongs erarbeiten. Im Abschlussplenum wurde der Weimarer Hochschulleitung und der GMTH für ihre Unterstützung bei der Durchführung der Tagung gedankt sowie die Wichtigkeit der inter-universitären Zusammenarbeit betont. Die nächste Mitteldeutsche Tagung findet voraussichtlich am 23. und 24.2.2024 in Halle statt.