Vierter Analysetreff für Studierende und junge Lehrende
Hochschule für Musik Freiburg
14. und 15. August 2025
Henrik Schuld
Mit dem vierten Analysetreff für Studierende und junge Lehrbeauftragte, der am 14. und 15. August 2025 an der Hochschule für Musik Freiburg stattfand, setzte sich die Veranstaltungsreihe der Analysetreffs fort, die Studierenden und jungen Forschenden im geschützten Rahmen die Möglichkeit bietet, unterschiedliche Ansätze zur musikalischen Analyse ins Gespräch zu bringen und sich über sie auszutauschen. Zehn Teilnehmende aus dem deutschsprachigen Gebiet arbeiteten in konzentrierter und zugleich offener Atmosphäre zusammen, diskutierten methodische Fragen und verglichen ihre analytischen Ansätze. Neben den fachlichen Diskussionen bot auch das gesellige Beisammensein Gelegenheit, persönliche Kontakte zu knüpfen.
Zum Einstieg diskutierten alle Teilnehmenden unter Moderation von Henrik Schuld (HfM Mainz, UdK Berlin) und Hye Min Lee (HfM Mainz, HfM Freiburg) die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Analyseansätze und theoretischer Modelle. Dabei wurden Werke verschiedener Stilrichtungen aus unterschiedlichen Epochen jeweils mehreren Analyseverfahren unterzogen, die Ergebnisse in ihrer Aussagekraft verglichen und kritisch reflektiert. Den Abschluss bildete eine exemplarisch zur Symphonischen Dichtung Le Rouet d’Omphale von Camille Saint-Saëns gemeinsam erarbeitete Synthese höranalytischer und satztechnischer Zugänge.
Sodann gab Luis Jäckel (HfM Freiburg) eine Einführung in das von Johann David Heinichen in dessen Hauptwerk Der General-Bass in der Composition (1728) entfaltete Konzept der theatralischen Dissonanzen. Jäckel veranschaulichte die nach Heinichen für die Rechtfertigung solcher Dissonanzen nötigen besonderen Regeln anhand von Literaturbeispielen aus dem Kantatenwerk J. S. Bachs und zeigte dabei auch Wege auf, wie man sich selbst dissonanzreicheren harmonischen Verbindungen in Bachs Rezitativen mittels der ›Resolutionsregeln‹ Heinichens annähern und die Satztechnik dieser Klangfolgen auf diese Weise nachvollziehbar machen kann.
Im Mittelpunkt des Vortrags von Sebina Weich (Mozarteum Salzburg) stand die nur in wenigen Abhandlungen des 18. und 19. Jahrhunderts erwähnte bzw. näher beschriebene Figur ›Transgressio‹, eine 2–3-Konsekutive aufwärts, bei der durch eine bestimmte Stimmführung die Dissonanzregeln eingehalten werden. Ausgehend von den historischen Grundlagen wurden Varianten dieser Figur in Kompositionen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert gezeigt und erläutert. Abschließend wurden die Vorteile der Verwendung von Literaturbeispielen mit Transgressio in verschiedenen musiktheoretischen Lehrkonzepten beispielhaft dargestellt.
David Müller (HMDK Stuttgart) befasste sich mit Georg Friedrich Haas’ 8. Streichquartett (2014) und untersuchte, in welcher Weise der Komponist auf historische Modelle, Techniken oder Genres wie Fuge, Cantus Firmus, Chanson oder antike Strophenformen zurückgreift. Dabei zeigte er, wie Haas diese Vorbilder durch mikrotonale Verfahren oder den Einsatz von Obertonakkorden in seine eigene Klangsprache überführt und integriert.
Unter dem Titel »Frei und schwerelos« suchte Jan Thürmer (HfM Freiburg) in seinem Vortrag auf satztechnischer Ebene nach einer Verortung des besonderen Klangs sowie der luftig-leichten Grundstimmung von Maria Schneiders Hang Gliding. Dabei wurden diverse musikalische Parameter betrachtet und jeweils auch die Besonderheiten der Big-Band-Komposition herausgearbeitet: Hang Gliding zeigt minimalistische Tendenzen durch schwebende Metrik, sparsame Instrumentation und weichen Klang. Die Eleganz entsteht durch Einfachheit und stufenlose Übergänge.
Auch dieser vierte Analysetreff erwies sich als gewinnbringendes Forum für die methodische Erprobung und den fachlichen Austausch. Die Vielfalt der vorgestellten Themen – von Generalbassregeln über historisch wenig beachtete Figurenlehren bis hin zu mikrotonaler Streichquartett-Avantgarde und zeitgenössischer Big-Band-Komposition – zeigte eindrücklich, wie breit der Gegenstandsbereich musikalischer Analysen an den Hochschulen im deutschsprachigen Gebiet gefasst wird. Hervorzuheben ist die konstruktive Arbeitsatmosphäre, die es den Teilnehmenden ermöglichte, eigene Fragestellungen zur Diskussion zu stellen und auch abseits der Vorträge im gegenseitigen Austausch voneinander zu lernen. Die Tagung hat sich damit erneut als wertvolle Plattform für den wissenschaftlichen Nachwuchs erwiesen und lieferte den Teilnehmenden zahlreiche neue Impulse für die musiktheoretische Arbeit an den eigenen Hochschulen.
Zum Autor
HENRIK SCHULD studierte Kirchenmusik und Musiktheorie an der HfM Mainz sowie Physik an der JGU Mainz. Aktuell arbeitet er an der HfM Mainz bei Immanuel Ott an einem Promotionsprojekt zu den Symphonischen Dichtungen Franz Liszts und ist Lehrbeauftragter für Musiktheorie und Gehörbildung an der UdK Berlin, der HfM Mainz und dem Peter-Cornelius-Konservatorium Mainz. Darüber hinaus ist er als Kirchenmusiker tätig, leitet Chöre und Orchester und konzertiert regelmäßig als Dirigent, Organist und Pianist.