The Sound-Lab of Professor Bad Trip: Internationales Symposium zur Musik von Fausto Romitelli
Musikhochschule Lübeck (hybrid)
17.–18.04.2021
Tagungsprogramm
Link zur Dokumentation des Streamings
Robert Eisinger
Mitten in pandemischen Krisenzeiten widmete die Musikhochschule Lübeck dem italienischen Komponisten Fausto Romitelli (1963-2004) ein internationales Symposium, das dessen Musik als erstes seiner Art in Deutschland zum ausschließlichen Gegenstand machte. Die hybrid ausgerichtete Veranstaltung fand in Präsenz an der Musikhochschule Lübeck statt und wurde via Videoschalte und Live-Streaming mit dem digitalen Raum verschränkt: So gaben sich die Redner*innen am Podium und hinter Webcams in ganz Europa die Klinke in die Hand. Zwölf Vorträge, die jeweils im Doppel in sechs unbetitelte Sektionen aufgeteilt wurden, deckten ein breites Spektrum an Aspekten im Werk Romitellis ab. Eine Frage war nahezu omnipräsent: Verfolgte Fausto Romitelli eine moderne oder eine postmoderne Kompositionsästhetik? So viel sei an dieser Stelle vorweggenommen: Sie wurde in den zwei intensiven Tagen nicht abschließend beantwortet. Nichtsdestotrotz spannten die diskursiven Dimensionen eben dieser Frage den inhaltlichen Raum des gesamten Symposiums auf, das neben detaillierten Werkanalysen und begrifflich-ästhetischen Reflexionen zudem die Möglichkeit eröffnete, das neu gewonnene Wissen über Romitellis Musik in zwei gelungenen Abendkonzerten anzuwenden.
Romitelli selbst hatte die eingangs formulierte Frage so beantwortet: »My music is not a melting pot, nor is it post-modern music«. Mit diesem Zitat gab Alessandro Arbo (Strasbourg) in seinem Vortrag den inhaltlichen Initialimpuls des Symposiums. Gleichzeitig provoziert die charakteristische Intertextualität der Musik von Romitelli, in der Collagen, Zitate und die Integration musikalischer ›objets trouvés‹ in Form von Samples allgegenwärtig sind, dazu, der Aussage des Komponisten zu widersprechen. Anhand des ebenso charakteristischen »elektrischen Klanges« (»electric sound«) bei Romitelli, der stark vom ›Psychedelic Rock‹ der 1970er Jahre beeinflusst ist, erläuterte Arbo verschiedene allgemeine Aspekte des verstärkten Klangs (»amplified sound«) und damit zusammenhängende Parameter wie »Verzerrung« (»distortion«) oder »Sättigung« (»saturation«) – Phänomene, die Arbo als für Romitellis Musik wesentlich ansieht (»violently denatured and deeply embodied sound«). Ähnliches gilt für das ›Looping‹, eine Technik, wie sie etwa die von Romitelli geschätzte Band Pink Floyd (›Psychedelic Rock‹!) auf den Alben der frühen 1970er Jahre (Dark Side of the Moon) einsetzt. Ingrid Pustijanac (Pavia) vertiefte in ihrem Vortrag die grundlegende Funktion der Formbildung, welche dem Loop bei Romitelli zukommt, und veranschaulichte diese als Spielart von Wiederholungskonzepten (»concepts of repetition«) in Anlehnung an Denkfiguren aus einem bisher unpublizierten, im Vortrag in Auszügen vorgestellten Romitelli-Text mit dem Titel Pertinence du Timbre. Pascal Decroupet (Nizza) sah die Musik Romitellis hingegen weitwinkliger und im Kontext der europäischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. In seinem breit angelegten Überblick thematisierte er die kompositorische Fokussierung auf die Gestaltung von Klangfarbe und Timbre an sich: Ausgehend von den atonalen Konstruktionsprinzipien komplexer Klänge der Zweiten Wiener Schule und der Klangfarbenfokussierung bei Varèse und Cowell schlug er die Brücke bis zum Serialismus der 1950er, der Konzeptmusik der 1960er und dem Spektralismus der 1970er Jahre – und kam somit letztlich bei Gérard Grisey heraus, der ein Lehrer Romitellis war und auch in vielen anderen Vorträgen des Symposiums angeführt wurde.
In einer Reihe von analytischen Studien wurden zudem zahlreiche Phänomene in späteren Werken Romitellis thematisiert, wie etwa der Einfluss seines bereits erwähnten Lehrers Grisey bzw. des Spektralismus in Amok Koma (Fabian Luchterhandt, Lübeck) oder Flowing Down Too Slow (Oliver Korte, Lübeck) und die ausgeprägte strukturelle Bedeutung von spektralen Konstruktionen wie beispielsweise einschlägigen Techniken der Verformung, Stauchung oder Streckung von Spektren und damit einhergehenden Zeitkonzeptionen. Ähnliches wird auch im Ensemblezyklus Domeniche alla periferia dell’impero (Sascha Lino Lemke, Lübeck) umgesetzt, wo allerdings eher Elemente, die konstituierend für tonale Systeme sind – etwa das Rahmenintervall der Quinte oder Klausel-Momente –, verfremdet werden, um halluzinationsartige Klänge zu erzeugen. Ebenso wurden die Beziehung zwischen La sabbia del tempo und dem gleichnamigen Gedicht von Gabriele d’Annunzio (Daniel Müller, Wiesbaden) sowie die knifflige Rekonstruktion von Golfi d’ombra für Percussion (Simone Beneventi, Reggio Emilia), das in einer kritischen Edition veröffentlicht wurde, thematisiert. Der Vortrag von Ya-Chuan Wu (Lübeck) war insofern ein besonderer, als er das unbekannte Frühwerk für Flöte untersuchte, worunter auch das Stück Canto Mediterraneo für sieben Flöten fiel, das im Rahmen des Symposiums eine posthume Uraufführung erlebte. Dem Tagungsflyer war zudem eine äußerst nützliche, von Oliver Korte erstellte Werkliste beigefügt, die auch das zu großen Teilen unpublizierte Frühwerk einschließt.
Romitelli war fasziniert von Hypnose- und Trancezuständen, Halluzinationen und der Auswirkung von psychoaktiven Substanzen auf den Menschen. Jürgen Tchorz (Lübeck) gab hierzu nicht nur einen allgemeinen Überblick der physiologischen Prozesse, die durch verschiedene Drogen, wie etwa Cannabis oder LSD, im Menschen ausgelöst werden, sondern erläuterte insbesondere die Auswirkungen auf Wahrnehmung von Zeit(-verläufen), Tonhöhen und -intensitäten beim Hören von Musik bzw. die Veränderung psychoakustischer Prozesse. Doch Drogenkonsum spielte ebenso in der Literatur eine Rolle, wie Gaja von Sychowksi (Lübeck) anhand verschiedener einschlägiger ›Konsumhistorien‹ in einem multimedialen Beitrag nachzeichnete: Gerade die unter Meskalineinfluss verfassten Texte von Henri Michaux oder die schrill-bunten Comics von Gianluca Lerici, dessen Pseudonym Professor Bad Trip Namensgeber des bekannten Triptychons ist, waren für Romitelli eine Inspirationsquelle. Dabei sensibilisiert von Sychowski dafür, dass sich Romitelli nicht für den Trip an sich interessierte, sondern viel mehr für dessen abstrakte Bedingungen und die kompositorische Interpretation und Adaption derselben: Verformung und Verzerrung der Wirklichkeit, existenzialistisches Auf-sich-selbst-geworfen-Sein, Fokussierung auf den gegenwärtigen Moment.
Die Intertextualität der Musik Romitellis speist sich jedoch nicht nur aus den Bezügen zur Popularmusik und den Künsten, sondern in besonderem Maße aus einem engmaschigen Netzwerk an impliziten und expliziten Referenzen zu Literatur sämtlicher Epochen, die in Teilen ihrerseits einander referenzieren: Jakob Rieke (Lübeck) zeigte die dahinterstehende »intertextuelle Landschaft« (»intertextual landscape«) auf: Diese Vernetzung ist gerade bei den Texten bzw. Autor*innen in hohem Maße ausgeprägt, mit welchen Romitelli nach 1990 in Berührung kam, und die den Fokus auf Themenkomplexe wie Zeit und Unendlichkeit, Rausch, Rituale oder Grenzüberschreitung richten.
Die Konzerte am Ende der beiden Symposiumstage waren auch ohne physische Präsenz ein Erlebnis: Nicht nur da die Studierenden und alle Beteiligten ein anspruchsvolles Programm (mitsamt der bereits erwähnten posthumen Uraufführung des Canto mediterraneo) erarbeitet hatten, sondern auch, weil die Konzipierung desselben klug war. Ein Nebeneinander von Neuer Musik und Pink Floyd im Konzert mag auf den ersten Blick unkonventionell erscheinen, ist aber aus zwei Gründen eigentlich nur konsequent: Zum einen bedeutete die Musik der britischen Rockband für Romitelli zweifellos eine enorme Inspirationsquelle; zum anderen kommt es so zu einer Herausstellung musikgeschichtlicher Zusammenhänge und Interdependenzen, wie sie im klassischen Konzertbetrieb zum größten Teil ausgeblendet oder ignoriert werden. Dank des dokumentierten Streamings sind die Konzerte immer noch im Internet verfügbar.