3. Bundeskongress Musikunterricht

Bundesverband Musikunterricht/Koblenz

21.–25.9.2016

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Tagungsprogramm


Helmut Schmidinger, Kilian Sprau, Verena Weidner, Judith Winter


Der im vergangenen Jahr neu gegründete Bundesverband Musikunterricht (BMU) richtete seinen dritten Bundeskongress dieses Jahr unter dem Motto »Musik erleben. Musik reflektieren« in Koblenz aus. Den Kongress im Jahr 2014 hatten der Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) und der Verband Deutscher Schulmusiker (VdS) bereits gemeinsam veranstaltet. Aus diesen Verbänden ist ein Jahr später der BMU hervorgegangen. Wie auch schon in den vergangenen Jahren zeichnete sich der Kongress durch eine große Vielfalt sowohl der bearbeiteten Themen als auch der Veranstaltungsformate aus. Bei zum Teil bis zu 15 Parallelveranstaltungen konnte das Publikum, das zum überwiegenden Teil aus MusiklehrerInnen allgemein bildender Schulen bestand, zwischen praktisch ausgerichteten Workshops, Podiumsdiskussionen, Seminaren und Vorträgen wählen. Ein Novum bestand dieses Jahr in der Kooperation des BMU mit der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH). Im Zuge dieser Kooperation boten fünf MusiktheoretikerInnen verschiedene schulbezogene Fortbildungsveranstaltungen an oder beteiligten sich an Podiumsdiskussionen.

Judith Winter führte in einem Seminar in das den meisten TeilnehmerInnen unbekannte Thema ›Oktavregel‹ ein. Dabei ging es um die historische und aktuelle Bedeutung des Themas sowie um didaktische Fragestellungen. Hauptanliegen war nicht, schulunterrichtskompatible Ansätze zu vermitteln, sondern vorerst mit dem Prinzip der Oktavregel bekannt zu machen. Im Hochschulunterricht erprobte Unterrichtseinheiten wurden genutzt, um mit den TeilnehmerInnen empirische, analytische, sängerisch-improvisatorische und kompositorische Zugänge zu erkunden. Ergänzt wurden diese interaktiven Phasen durch historische und musiktheoretische Hintergrundinformationen. Schwierigkeiten und Möglichkeiten im Spannungsfeld von Generalbass und Partimento sowie Funktions- und Stufentheorie und die Verortung der Methode zwischen Theorie und Praxis wurden angesprochen und gaben Anlass zu Diskussion. Auch wenn die Frage, in welcher Form die Oktavregel in den Schulalltag übertragbar ist, letztlich den LehrerInnen überlassen bleiben muss, zeigten die Reaktionen, dass neue Perspektiven im Umgang mit Musik gewonnen werden konnten und Interesse an einer weiteren Vertiefung des Themas mindestens für den persönlichen Gebrauch besteht.

An einer von Verena Weidner moderierten Podiumsdiskussion mit dem Titel »Musikpädagogik und Musiktheorie« nahmen Annette Ziegenmeyer, Ulrich Kaiser und Matthias Schlothfeldt teil. Nach einer kurzen Einführung in das Thema durch die Moderatorin hatten die Podiumsgäste die Gelegenheit ihre Idealvorstellungen in Bezug auf schulischen Musikunterricht offenzulegen. Ausgehend von diesen Positionierungen entspann sich eine vielschichtige Diskussion um schulisch relevante Theorieformen, eine gewinnbringende musiktheoretische Hochschulausbildung für künftige MusiklehrerInnen und notwendige zwischenfachliche Kooperationen. Die rege Beteiligung des Publikums über weite Strecken der Diskussion wies auf Interesse sowohl an der Thematik als auch am zwischenfachlichen Austausch hin. Dass es sich bei der Beziehung Musikpädagogik – Musiktheorie nach wie vor um eine »problematische Beziehung« handelt, wie es der Untertitel der Veranstaltung fragend andeutete, konnte die Koblenzer Podiumsdiskussion zwar nicht widerlegen, Hoffnung auf punktuelle Verständigung zwischen einzelnen FachvertreterInnen machte sie jedoch allemal.

Ulrich Kaisers Vortrag mit Praxisbeispielen »Tonleitermodelle als Idealtypen zum Hören und Erleben tonaler Musik« motivierte die zahlreich erschienenen HörerInnen von Anfang an zum Mitmachen: Hören im Musikunterricht ist ein Themengebiet, auf dem praktikable Impulse der Musiktheorie offenkundig gefragt sind. Die Skalierbarkeit der von Kaiser präsentierten Spiele und Übungen für nahezu jeden Schwierigkeitsgrad war dazu geeignet, spätestens beim Singen der eigenen Telefonnummern auch das Fachpublikum zu fordern und das Auditorium aus der gespielten ›Schülerrolle‹ herauszuholen. Die Anordnung der beiden 90-minütigen Module – zuerst die Praxis, dann die Reflexion – bewährte sich sehr. Spürbar erfrischend wirkte der ›funktionsfreie‹ Zugang und als eindrucksvoll wurden die ausgewählten Hörbeispiele zum Erleben und Singen über die Grenzen von E und U hinweg empfunden: Corelli, Beethoven und Brahms kamen ebenso zu Gehör wie die Beatles und die Rolling Stones. Auf besonders großes Interesse stieß auch Kaisers Vorgehensweise, seine Unterrichtsmaterialien auf seiner Website kostenlos zur Verfügung zu stellen.

In Matthias Schlothfeldts Kombination aus Workshop und seminaristischer Arbeit wurde das »Komponieren im Musikunterricht« zum Thema. Ausgehend von kompositorischen Übungen und Anregungen zum Komponieren, die mit den Teilnehmenden des Kurses erprobt und als Möglichkeiten für das Musikerfinden in der Schule vorgestellt wurden, regte Schlothfeldt eine Diskussion zu Sinn, Chancen und Perspektiven des Komponierens im Unterricht auf verschiedenen Jahrgangsstufen an. Neben der Praxistauglichkeit der präsentierten Übungen stand dadurch besonders der reflektierte Umgang mit den jeweiligen Absichten, Zielen und Effekten kompositionspädagogischer Umgangsweisen im Zentrum – ein Themenfeld, das von den Teilnehmenden interessiert aufgegriffen und angeregt diskutiert wurde.

Kilian Sprau widmete sich in seinem Vortrags- und Workshop-Format kombinierenden Kurs »Musik – Sprache – Bedeutung« den vielfältigen Möglichkeiten, Zusammenhänge zwischen musikalischer Struktur und der Sphäre des ›Außermusikalischen‹ herzustellen. Hauptanliegen war ihm die unter didaktischem Gesichtspunkt wichtige Annahme, dass ›Bedeutung‹ musikalischen Werken, deren Struktur oder klanglicher Realisierung stets nur relativ zu einem gewählten Kontext zugewiesen werden kann. Die im Kursverlauf geäußerten Diskussionsbeiträge zeigten, dass dieses Thema bei aller Abstraktheit hohe Relevanz für den schulischen Musikunterricht besitzt und dass Angebote der musiktheoretischen Lehre zu diesem Thema gerade auch im Hinblick auf Musikunterricht in den unteren Jahrgangsstufen dankbare Abnehmer fänden.

Elke Reichel schließlich unterbreitete in ihrem Vortrag mit Praxis zur musikalischen Formenlehre eine Reihe anregender Vorschläge, ein keineswegs triviales Thema der Musiklehre durch spielerisch strukturierte Gruppenarbeit auf anschauliche und unterhaltsame Weise zu vermitteln. Sinnreich erstellte Notenpuzzles und ein Menuett-Würfelspiel des 18. Jahrhunderts wurden als Impulse für eigene Spielkonzeptionen und zur handlungsorientierten Vermittlung musikalischer Formenlehre präsentiert. Die engagierten Reaktionen der KursteilnehmerInnen zeigten, dass hier der Versuch gelang, ›Theorie‹ in ›praktischer‹ Form, unter steter Aktivierung des Ohrs, der Stimme und der Musizierlust der Teilnehmenden an den Mann/die Frau zu bringen.

Für MusiktheoretikerInnen, deren Lehrtätigkeit sich im Bereich der Lehrerausbildung abspielt, bot der 3. Bundeskongress für Musikunterricht zahlreiche Anregungen. Einmal mehr wurde deutlich, dass schulischer Musikunterricht in Deutschland auf so vielfältige Weise gegeben und genossen wird – abhängig u.a. von länderspezifischen Rahmenbedingungen wie Schulsystem, Lehrplangestaltung und Bildungspolitik –, dass von ›dem Musikunterricht‹, ›der Musikpädagogik‹, mithin auch von ›der Musiktheorie, wie sie an Schulen betrieben wird‹, niemals im Singular die Rede sein sollte. Lehrreich waren Einblicke in den beruflichen Alltag von LehrerInnen mit seinen spezifischen Herausforderungen, wie sie etwa in Vorträge zu den Themen »Inklusiver Musikunterricht« (Daniel M. Eberhardt, Eichstätt), »Lehrergesundheit« (Steven Töteberg, Berlin) oder »Motivation und Stressbewältigung von Musiklehrern« (Viola C. Hofbauer, Berlin) veranschaulichten. Offenkundig wurde dabei, dass musiktheoretische Inhalte zu bedeutenden, aber nicht unbedingt zu den brisantesten Aspekten des Berufsalltags von MusiklehrerInnen gehören. Andererseits machten Diskussionen, die sich im Anschluss an die Präsentationen von GMTH-Mitgliedern ergaben, deutlich, dass schulische Lehrkräfte einen großen Bedarf an Anregungen, Reflexionshilfen und methodischer Instruktion hinsichtlich der Vermittlung musiktheoretischer Inhalte spüren und dass geeignete Angebote auf große Resonanz stoßen. Für zukünftige Kooperationen zwischen BMU und GMTH wäre eine noch genauere Kommunikation und Abstimmung der jeweils geplanten Aktivitäten zu wünschen: Dass eine Gruppe von MusiktheoretikerInnen an der Mitgestaltung des Kongresses beteiligt war, hätte die gedruckte Kursübersicht deutlicher ausweisen können. Unbedingt wünschenswert erscheint die Fortsetzung des zwischenfachlichen Diskurses zu wechselseitigem Nutzen im Rahmen geeigneter Kommunikationsforen.