Dritter Analysetreff für Studierende und junge Lehrbeauftragte

Robert Schumann Hochschule Düsseldorf

25. und 26. Januar 2025

Henrik Schuld


Nachdem die ersten beiden Treffen in Würzburg und Mainz schon auf gesteigerte Resonanz gestoßen waren, konnte bei dem Ende Januar und diesmal an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf durchgeführten Analysetreff ein Anstieg der Teilnehmendenzahl auf nunmehr 18 verzeichnet werden. Das zeigt das wachsende Interesse an einem Austauschformat, bei dem Musiktheorie-Studierende und junge Lehrbeauftragte in einem geschützten Rahmen über institutionelle Grenzen hinweg in einen gemeinsamen wissenschaftlichen Diskurs treten können.

Wie bereits bei den vorherigen Analysetreffs war das Programm methodisch wie thematisch breit gefächert: Die behandelten Werke reichten von der Musik des 15. Jahrhunderts bis zur zeitgenössischen Komposition, und die methodischen Zugänge umspannten Aspekte der harmonischen, formalen, rhythmischen und transkulturellen Analyse sowie innovative Ansätze der musikalischen Wahrnehmungsforschung. Besonders bemerkenswert war in diesem Jahr die intensive Auseinandersetzung mit interdisziplinären Fragestellungen und die Verbindung klassischer Analyseverfahren mit neuen methodischen Perspektiven.

Cajus Grabmeier (HfM Karlsruhe) befasste sich in seinem Vortrag mit den Harmonien und Modulationen im Scherzo von Aleksandr Borodins zwischen 1862 und 1867 komponierter erster Sinfonie und kam zu dem Ergebnis, dass sich der A-Teil des Scherzos formal als Sonatenhauptsatzform beschreiben lässt, wobei an allen formalen Schnittstellen der übermäßige Terzquartsextakkord (French Sixth) steht. Zwar beginnen die Sequenzen bei Borodin mehrmals gleich, doch münden sie jeweils in andere Wendungen, wodurch unerwartete Modulationen entstehen.

Im Zusammenhang mit einem Science Slam der Hochschule für Musik Würzburg, an dem Paula Kaiser (HfM Würzburg) im Januar 2025 teilnahm, stellten sie und Sebina Weich (Mozarteum Salzburg, HfM Würzburg) die Frage danach, wie praktikabel und wie gut umsetzbar dieses Format für die Vermittlung spezifisch musiktheoretischer Inhalte sein könnte. Ein Science Slam ist ein Vortragsformat, bei dem Forschende ihre Forschung einem breiten Publikum auf verständliche und unterhaltsame Weise näherbringen – meist in Form eines zeitlich begrenzten Beitrags innerhalb eines moderierten Wettbewerbs. Nach der Vorstellung eines entsprechenden Konzepts durch Weich präsentierte Kaiser ihren eigenen Science Slam über die Practica musicae von Franchinus Gaffurius.

Im Rahmen des Vortrags »Gedanken zur Anwendbarkeit – und Vorzüge einer kombinatorischen Anwendung – unterschiedlicher ›Analysetools‹ … und wie sie uns dabei helfen können, bessere Musik zu schreiben.« von Enrique Carlsson (RSH Düsseldorf) wurden am Beispiel eines kurzen Werkausschnitts aus Wagners Vorspiel zu Tannhäuser Vorzüge unterschiedlicher Analysemethoden eruiert. Dabei spielte das Spannungsverhältnis zwischen dem Partiturbild und höranalytischen Annahmen, die mal divergierten, mal aber korrelierten, eine zentrale Rolle. Es wurde gezeigt, wie ›klassische‹ Analysetools (so etwa Funktions- und Stufentheorie) durch Hinzunahme ›neuerer‹ Analysekonzepte (etwa nach Ernő Lendvai und Albert Simon) bereichert, ergänzt und gestützt werden und inwieweit diese Konzepte zur Erstellung von Stilkopien und Kompositionen dienlich sein könnten.

Hye Min Lee (HfM Freiburg, HfM Mainz) widmete sich in ihrem Vortrag »Camille Saint-Saëns’ Symphonische Dichtungen: Form und Thementransformation zwischen französischer Prägung und Liszt’schem Einfluss« der Danse Macabre op. 40 (1874) des Komponisten. Diese wurde unter Einbezug des von Carl Dahlhaus an Liszts Symphonischen Dichtungen exemplarisch aufgezeigten Prinzips der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit sowie der Thementransformation beleuchtet. Zu Beginn stellte Lee den im 19. Jahrhundert geführten Diskurs über die ästhetische Vermittlung außermusikalischer Inhalte dar und erläuterte die in Frankreich verbreiteten musiktheoretischen Lehransätze anhand des zum Modell gewordenen Unterrichts am Pariser Conservatoire, ehe sie die thematisch-motivischen Besonderheiten der Danse Macabre sowie die Möglichkeiten von deren formaler Strukturierung analysierte und anschließend eine Diskussion zu formanalytischen Ansätzen und Perspektiven eröffnete.

Huifang Wu (RSH Düsseldorf) analysierte Debussys Werk Pagodes, das unter dem Einfluss der Gamelan-Musik entstanden ist, aus einer transkulturellen Perspektive: Sie verband die Analyse orientalisierender Elemente im Werk mit Aspekten der chinesischen Musiktheorie wie traditionellen Tonleitern, dem Wechsel zwischen statischen und dynamischen Elementen, Klangfarbe und Atmosphäre sowie kulturellen Symbolen aus chinesischer Malerei und Musik. Debussys Integration von Klängen aus fernen Ländern in westliche Musik kann dabei als spezifische Eröffnung des interkulturellen Dialogs zwischen Ost und West zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden werden.

Fabian Mayer (Göttingen) stellte die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit ›Tongestalten‹ in Hans Pfitzners Palestrina vor. Pfitzner selbst beschrieb das Konzept der ›Tongestalt‹ als Inbegriff seines Komponierens. Darunter verstand er die über die Inspiration vollzogene Synthese von Linie, Harmonie, Rhythmus, Bewegung und Ausdruck. In der Partitur des Palestrina lassen sich tatsächlich ›Tongestalten‹ identifizieren, die als Ausgangspunkt für die Analyse musikalischer Entwicklung dienen können. Der Begriff kann somit als vielversprechend auch für die Verortung des Werks auf der Ebene übergreifender Stilbegriffe angesehen werden, etwa der Gegenüberstellung von ›Malerischem‹ und ›Linearem‹ in der Kunsttheorie Heinrich Wölfflins.

Christian Schlegel (HfM Detmold, HMTM Hannover, Mozarteum Salzburg) präsentierte eine Untersuchung der zeitlichen Wahrnehmung von Phrasenlängen im ersten Abschnitt von Gérard Griseys Vortex temporum. Dabei demonstrierte er, wie subtile Manipulationen unterhalb der Tactus-Ebene eine regelmäßige metrische Wahrnehmung zunehmend untergraben und so einen Verzerrungseffekt erzeugen – ähnlich den Verzerrungsverfahren, die auf spektraler Ebene angewendet werden.

Im Vortrag von Benjamin Janisch (HfM Mainz), »Eine höranalytische Annäherung an aktuelle Musik am Beispiel Dieter Ammann«, wurden die häufig negativen Vorurteile gegenüber aktueller Musik thematisiert. Janisch sieht diese unter anderem durch mangelhafte Vermittlungsarten und Zugangsmöglichkeiten begründet. Er plädierte für eine Hörschulung, die regelmäßig Musik lebender Komponist*innen integriert, um so das Ohr für die Musik der Gegenwart zu sensibilisieren. Anhand des Anfangs aus Ammanns Klavierkonzert Gran Toccata (2016–2019) führte er mit den Teilnehmenden eine angeleitete Höranalyse durch.

Auch der dritte Analysetreff erwies sich als wertvoller Raum für fachlichen Austausch und methodische Reflexion. Durch die Vielfalt der Beiträge konnten die Teilnehmenden nicht nur Einblicke in die musiktheoretische Praxis an verschiedenen Hochschulen im deutschsprachigen Gebiet gewinnen, sondern auch ihre eigenen analytischen Schwerpunktsetzungen im Dialog mit anderen reflektieren. Diskussionen und kritische Auseinandersetzungen ergaben sich insbesondere aus den Gegenüberstellungen etablierter und neuartiger Analysemethoden. Das Interesse an einer Fortsetzung dieser Reihe ist weiterhin groß. So laufen bereits Planungen für den nächsten Analysetreff, der im Sommer 2025 stattfinden wird. Ein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle der GMTH für ihre aktive Unterstützung, der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf für die Gastfreundschaft sowie allen Beteiligten und deren Hauptfachdozent:innen, die mit ihren Beiträgen und Diskussionen zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben.


Zum Autor

HENRIK SCHULD studierte Kirchenmusik und Musiktheorie an der HfM Mainz sowie Physik an der JGU Mainz. Aktuell promoviert er an der HfM Mainz bei Immanuel Ott mit einer Arbeit zu den Symphonischen Dichtungen Franz Liszts und ist Lehrbeauftragter für Musiktheorie und Gehörbildung an der UdK Berlin und der HfM Mainz. Darüber hinaus ist er als Kirchenmusiker tätig, leitet mehrere Chöre und Orchester und konzertiert regelmäßig als Dirigent, Organist und Sänger.