Heffter, Moritz (2022), »Andrea Horz, Heinrich Glareans Dodekachordon. Zu den textuellen Bezügen des Musiktraktats (= Wiener Forum für ältere Musikgeschichte, Bd. 8), Wien: Hollitzer 2017«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 19/2, 163–168. https://doi.org/10.31751/1177
eingereicht / submitted: 14/11/2022
angenommen / accepted: 14/11/2022
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 21/12/2022
zuletzt geändert / last updated: 20/12/2022

Andrea Horz, Heinrich Glareans Dodekachordon. Zu den textuellen Bezügen des Musiktraktats (= Wiener Forum für ältere Musikgeschichte, Bd. 8), Wien: Hollitzer 2017

Moritz Heffter

Schlagworte/Keywords: Dodekachordon; Heinrich Glarean; Intertextualität; intertextuality; Renaissance

[…] hac accendebantur illi magis, quod inter diversas opiniones priorum et quasdam etiam inter se contrarias difficilis esset electio; ut mihi si non inveniendi nova at certe iudicandi de veteribus iniungere laborem non iniuste viderentur.[1]

Andrea Horz gelingt es in ihrer 2017 veröffentlichten Studie[2] zu Heinrich Glareans Dodekachordon vorzüglich einen neuen Blick auf diesen berühmten Traktat zu werfen. Ihre Methode und die damit eingenommene Perspektive sind bisher noch wenig auf musiktheoretische Texte angewendet worden und das, wie die Autorin zeigt, zu Unrecht.

Horz wählt keinen herkömmlichen oder »klassischen« (12) Zugang zum Traktat und zur Musiktheorie Glareans. Eine genuin musiktheoretische Perspektive, wie sie in der historisch informierten Musiktheorie, der historischen Satzlehre oder im Kontext einer musikgeschichtlichen Betrachtungsweise etabliert ist, wird in der Studie gar nicht explizit eingenommen. Horz grenzt ihre Methode sogar zu Anfang an einigen Stellen von den gängigen Methoden dieser Fachbereiche ab, um eine eigene Methode für die Studie zu entwickeln (10). Jedoch überzeugt die Studie mit Einblicken auch für die historisch informierte Satzlehre und die Geschichte der Musiktheorie, gerade weil sie von verschiedenen Perspektiven mit nicht unbedingt nur facheigenen Methoden und einer bestimmten Erkenntnisabsicht auf den Traktat blickt. So wird auch für Leser*innen, die musiktheoretisch an Glareans Traktat interessiert sind, die Lektüre gewinnbringend sein.

Schon beim ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis wird ein wesentliches methodisches Merkmal deutlich: Die Überschriften in einem Mix aus lateinischen Titeln und deutschen Untertiteln führen in ein literaturwissenschaftliches Konzept der Intertextualität ein, das im gesamten Buch konsequent durchgehalten wird. Dabei wird, überspitzt gesagt, auch die Intertextualität der Studie selbst immer wieder aufgegriffen: Es entsteht über das Aufgreifen von Ausdrücken auf sprachlicher Ebene eine wohl intendierte und inszenierte Beziehung zwischen dem Kommentar und dem Studienobjekt selbst. So werden beispielsweise die einzelnen Kapitel stets mit Zitaten aus Gérard Genettes Paratexte oder Palimpseste eingeleitet,[3] die den Kapiteln jeweils als Motto dienen. Auch die humanistische lateinische Gelehrtensprache wird zuweilen in Überschriften genutzt und erzeugt eine Nähe zum Gegenstand der Untersuchung.

Exemplarisch für den so gesetzten methodischen Rahmen ist sicherlich die Praefatio – Ad lectorem. Horz reflektiert und ordnet die Stellung, die dem Dodekachordon in der wissenschaftlichen Beschäftigung bisher zukam, ein und liefert einen ausführlichen Literaturbericht, der im Laufe der Untersuchung immer wieder erweitert wird. Sie beschreibt den Traktat dort auf Grund seiner Inhalte als »innerhalb der musikhistorischen Forschung dazu prädestiniert, […] um hieraus Hilfestellungen für den Umgang mit […] Stücken zu destillieren« (9). Der Traktat sei oft als »Steinbruch« für »Analysekriterien« (ebd.) genutzt worden, natürlich vor allem vor dem Hintergrund der Moduslehre und der Tonartenbestimmung polyphoner Stücke. Gleichzeitig sei er aber auch »Anekdotenpool« (10) für die heutige Forschung, da Glarean zahlreiche biographische Bemerkungen zu den Musikern seiner Zeit in den Text einfließen lässt. Horz unternimmt zudem einen Streifzug durch neuere Forschungsliteratur, von Claude Paliscas Darstellung, Glarean sei bei der Rekonstruktion antiker Tonarten nicht an die »antike Wirklichkeit« (9) herangekommen,[4] über Rob C. Wegmans einschlägige Beiträge, bis zu einem Forschungsprojekt der LMU München unter der Leitung von Inga Mai Groote, das einen Schwerpunkt auf Glarean legte.[5] Insbesondere weist sie auf Bernhard Kölbls Dissertation Autorität der Autorschaft hin, welche ihre eigene Studie quasi ergänze.[6] Horz leitet aus ihrer Literaturübersicht zwei methodische Leitlinien ab. Erstens will sie das Dodekachordon nicht erneut als »Steinbruch« nutzen, die musiktheoretischen Inhalte herauslösen und sie in ein »vermeintlich richtigeres Licht« (10) rücken, sondern sie betrachtet den Traktat als einen Punkt auf der Landkarte, von dem aus verschiedene musikgeschichtliche Themen angegangen werden können. Das Dodekachordon wird zu einem Angelpunkt und Ausgangspunkt, um sich einem Thema zu nähern. Dazu kommt zweitens eine eigene Art auf Quellen zuzugreifen. Horz beschreibt die Quellen als Netzwerk von Texten, das Glareans Arbeit als Philologe nachzeichnet. Quellenmaterial wird von ihr konsequent in Bezug auf das Dodekachordon gelesen und soll so Aussagen über den Traktat ermöglichen. Horz sieht in dieser Anlage einen fundamentalen Unterschied zu einer »klassischen« musiktheoretischen Behandlung des Traktats (12) und warnt gleichzeitig, dass damit auch weniger das »Erkunden einer kompositorischen, historischen oder ästhetischen musikalischen Idee« auf Basis eines Corpus »im Mittelpunkt [stehe]«. Stattdessen möchte sie umgekehrt vom Traktat ausgehend bestimmte Phänomene angehen bzw. »eruieren« (ebd.). Als Ergebnis dieser Leitlinien strebt sie eine »mehrdimensionale intertextuelle Lesart« des Traktats an (13).

Nach der Schilderung der Methodik greife ich zur Verdeutlichung drei Teile des Buches heraus, die exemplarisch für diese Art der Perspektiven auf den Traktat stehen sollen.

Glarean, das Dodekachordon und dessen Umfeld

Zur besseren Orientierung auf der oben genannten Landkarte dienen die ersten beiden Kapitel. Das erste Kapitel behandelt kursorisch Glareans Verhältnis zur Scholastik und zum Humanismus. Methodisch werden dazu von den Paratexten des Dodekachordon aus größer angelegte Exkurse zum Umfeld, zu den Lehrern und zu den Kollegen Glareans unternommen. Das Dodekachordon bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, die genutzt werden, um Glareans Kölner Zeit und die Ernennung zum poeta laureatus im Jahr 1512 rückblickend einzuordnen. Dem im Hintergrund an der Kölner Universität ablaufenden Prozess um die Auseinandersetzung von Methoden der Scholastik und des Humanismus wird dabei viel Raum gegeben. Interessant ist, dass die Anerkennung der studia humanitatis an der Kölner Universität fast zeitgleich mit der Ernennung Glareans zum poeta laureatus erfolgte. Glareans eigene Positionierung wird im Spannungsfeld der wissenschaftlichen Strömungen der Zeit gesucht. Illustriert wird dieses Spannungsfeld anhand der prägenden Erfahrung der Ernennung zum poeta laureatus, die Glarean die Lehrerlaubnis in den studia humanitatis an jeder Reichsuniversität verlieh und mit der Verpflichtung einherging, für die Verbreitung und Vermehrung des Lobs des Kaisers zu sorgen. Politisch war die Ernennung eines Schweizers insofern klug, da Maximilian I. damit auch in dessen Heimat für sich werben konnte. Für Glarean bedeutete die Ernennung, dass er sich im Diskurs nicht mehr völlig neutral bewegen konnte. Das Spannungsfeld der wissenschaftlichen Methodik von älterer Scholastik und neueren studia humanitatis schlägt sich noch im Dodekachordon nieder. Glarean »betont [im Dodekachordon], dass er sein Panegyrikus [d. i. das Loblied auf den Kaiser] im dorischen Modus vorgetragen habe« und Horz folgert daraus, dass er damit seine »einzigartige Leistung auf wissenschaftlichem Gebiet, die Beschäftigung mit der Moduslehre«, mit dem »entscheidendsten Ereignis seiner Laufbahn« verknüpfe (35).

Auch die Beziehung zu Hermann von dem Busche[7] und Erasmus von Rotterdam wird anhand solcher Parallelen untersucht. Insbesondere die Vorbildfunktion von Hermann von dem Busche wird dabei von der Autorin herausgestellt,[8] indem auch andere Texte Glareans außer dem Dodekachordon herangezogen werden (34, 36 f.). Außerdem wird Glareans Haltung zu Fragen der Reformation und zu kirchenmusikalischen Themen vor dem Hintergrund der Paratexte angerissen und später beispielsweise in den Kapiteln zu Ludwig Senfl oder Jacob Obrecht weiter vertieft. Zuletzt geht es noch um »autobiographische Momente« im Dodekachordon (44). Zahlreiche Verweise auf vorreformatorische Werke belegen, so Horz, dass Glarean seinen »eigenen Idealen – ungeachtet der Reformationswirren« treu bleibt (45). Mit dem Verweis auf kleinere Änderungen bei Neuausgaben zeigt die Autorin, dass diese Entscheidungen auch mit Blick auf Glareans Biographie gedeutet werden können. Die Ergebnisse sind im Detail spannend und sollen Glareans Haltung stärker akzentuieren, als dies bisher in der Forschung geschah. Als Fazit des Kapitels, das von der prominenten Nennung der Autoren im Index zu Beginn des Dodekachordon ausgeht, steht das Bild von Glareans Traktat als einem Werk mit »humanistischem Referenzrahmen«. Glarean »[akzentuiere] einen Humanismus, der gegenüber der scholastischen Lehre nicht vermittelt, aber auch keine sozialpolitisch motivierten Umstürze anstrebt, sondern über die Beschäftigung und Lehre der bonae litterae zur Erneuerung innerhalb der gegebenen Ordnung führen möchte« (47).

Das dritte Kapitel geht nicht vom Index, sondern von der nomenclatura authorum direkt zu Beginn des Dodekachordon aus und unternimmt ähnliche Spurensuchen zu den Quellen, wobei diesmal Glareans philologische Arbeit, die sich auch im Traktat niederschlägt, im Zentrum steht.

Die Humanistenode

Ein gutes Beispiel, wie ein Gegenstand ›durch die Brille‹ des Traktats gelesen wird, stellt das Kapitel zur Humanistenode dar. Der umfangreiche Forschungsüberblick – die ausführliche Zusammenfassung des Forschungsstandes und die pointierte Darstellung verschiedener Positionen ist übrigens ein sehr positives Merkmal der gesamten Studie, die sie auch als Überblickslektüre brauchbar macht – führt in die Thematik quasi ›a priori‹ ein, um dann die Befunde anhand des Traktats näher zu beleuchten und zu beurteilen.

Zur Einführung in das Thema gehört die Rekapitulation der »humanistischen Identität« (99) Glareans und sein Selbstverständnis als poeta laureatus. Als Gelehrter und Dichter ist er nicht nur Philologe, sondern eben auch ein ›Sänger‹. Horz’ These ist, dass der »Odengesang zu [Glareans] humanistische[r] Identität [gehöre]« (99) und er in seinem Musiktraktat die philologische Beschäftigung mit den antiken Oden mit dem Gesangsvortrag in Verbindung setze. Als Belege und Quellen für diese Nähe von Philologie, Musiktheorie und historischer wie aktueller Musikpraxis führt Horz mehrere Berichte von Schülern Glareans sowie ein Musikstück zu Beginn seines Suetonkommentars an. Außerdem geht sie auf die klassischen Definitionen der Humanistenode und die heute dafür paradigmatisch stehenden Sammlungen von Conrad Celtis und Petrus Tritonius ein.[9] Sie arbeitet heraus, dass die Humanistenode in der neueren Forschung nicht nur auf die metrische und homophone Setzweise und den Einsatz im schulischen Kontext reduziert wird. Horz schließt sich Birgit Lodes’ Argumentation an, die Drucke seien »für den Schulgebrauch ungeeignet«, da sie zu teuer und auch zu fehlerhaft seien (99).[10] Dass die Publikation eher repräsentativen Zwecken dient – eine pädagogische Nutzung ist damit nicht auszuschließen – und dabei einiges über die Autoren preisgibt, scheint auch für das Lesen des Dodekachordon ein interessanter Ansatzpunkt zu sein. Denn Horz findet bei Glarean einiges, womit sich dieser von den oben geschilderten Standpunkten und der üblichen Praxis abgegrenzt hat. Glarean favorisiert einerseits den einstimmigen Gesang, welcher der antiken Praxis seiner Überzeugung nach näher komme (104), andererseits interpretiert Horz den Index des Dodekachordons auch als eine Abgrenzung von Conrad Celtis. Glarean weist dort eindeutig auf seine Urheberschaft der Melodien zu Horaz’ Oden hin, Celtis hingegen geht es gewissermaßen um die Horaz-Nachfolge selbst. Der Vergleich der beiden Publikationen ist ergiebig und spannend zu lesen. Interessant ist ebenfalls, dass Horz die Melodiebildung für die einzelnen Metren im Dodekachordon genauer untersucht und dabei »Melodiekomponenten« (112) ausmacht, die Glarean in verschiedenen Metren wiederverwendet. Sie leitet daraus Hypothesen ab, wie sich Glarean die Praxis der Odenkomposition vorgestellt und unterrichtet haben mag. Auch die Erkenntnis, dass er mit der Favorisierung des einstimmigen Odengesangs nicht alleine steht, wird herausgestellt. Gerade der Aspekt der »wissenschaftlichen Leistung, [die] Modi als konstruktiven Bestandteil dieser Praxis neben das Wissen um die Metrik« (118) zu stellen, überzeugt sehr. Dass Glarean damit eine andere Position als Celtis einnimmt und sich als Kenner und Vermittler der Antike profiliert, ist für das Verständnis des Dodekachordon interessant.

Glarean und die Nachwirkungen

Das Kapitel zu den infra annis (späteren Jahren) stellt das Dodekachordon, und besonders dessen drittes Buch, als Musikanthologie vor. Eine These, die als Ausgangspunkt des Kapitels dient, lautet: Glarean sammelt zahlreiche musikalische Werke und bereitet sie im Stil einer Anthologie auf. Horz beschreibt das dritte Buch des Dodekachordon als einen Text, der »zwischen Schulbuch zur Mensurallehre, Gelehrtenabhandlung und Musikanthologie [changiert]« (211). Diese Teile werden dann kontextualisiert, vor allem vor dem Hintergrund, wie sich Glarean in der Debatte um mehrstimmige und einstimmige Musik positioniert. Die Autorin geht auch diese Frage von unterschiedlichen Seiten an und beleuchtet aus verschiedenen Perspektiven den Text des Dodekachordon, der dadurch in den Diskursen an Profil gewinnt: Einerseits lässt es sich Glarean nicht nehmen, sich auf die Seite der Befürworter einstimmiger Musikpraxis zu schlagen, was andererseits – so Horz – auch die mehrstimmigen Beispiele, die in den Traktat aufgenommen wurden, nicht von kirchenpolitischen Debatten unabhängig macht. Sie liest sie hingegen eher als einen für den Humanisten Glarean typischen und ausdifferenzierten Beitrag. Glarean ist schon deshalb den einstimmigen Gesängen nicht abgeneigt, weil sie philologisch betrachtet die Grundlage für viele der mehrstimmigen Stücke bilden, die er in seiner Sammlung aufnimmt und nennt. Außerdem weist Horz darauf hin, dass die »Frage nach dem Nutzen der Gesänge […] bemerkenswerterweise verquickt [ist] mit der Frage nach dem Erfreulichen« (213). Sie konstatiert damit eine Verkehrung der gängigen Argumentation, wonach mehrstimmige Musik »bloßes Wohlgefallen erzeugt« (213). Für Glarean sei hingegen »nützlicher, was mehreren Hörern Vergnügen bereitet« (213). Gleichzeitig hat für ihn die Mehrstimmigkeit dann eine Grenze, wenn sie nur zur Zurschaustellung des ingenium eines Komponisten dient. Glarean betreibt, wie Horz anhand einiger Briefe dokumentiert, einen recht großen Aufwand, um geeignete Stücke mit verschiedenen Stimmenanzahlen zu finden (217 f.). Insgesamt zeichnet sich das Kapitel durch sehr viele Detailbeobachtungen aus, die ein Bild vom dritten Buch des Dodekachordon zeichnen, das vielschichtig und erhellend ist.

Auch die anschließenden Teile zu Ludwig Senfl (222) und Jacob Obrecht (254) geben einen quellenreichen Einblick in die Diskussionen der Zeit. Horz schlägt diese thematischen Bögen, indem sie das Dodekachordon auf stets verschiedene Arten als Angelpunkt heranzieht.

Auf das abschließende Kapitel zur Boethiusrezeption sei nur noch kurz eingegangen. Dieses Kapitel ist musiktheoretisch vor allem deshalb interessant, da es in großer Breite auf eine Rezeption der Institutio Musica eingeht und dabei die ›klassischen‹ Themen der Musiktraktate des 16. und teilweise auch noch des 17. Jahrhunderts behandelt. Stichworte sind unter anderem die Verwendung des Monochords, die sensus-ratio-Diskussion und die Boethianischen musica-Definitionen. Die literaturwissenschaftlichen und philologischen Herangehensweisen tun der Thematik gut. Als Ergebnis wird festgehalten, dass Glarean die antike Technik und das antike Wissen für seine Beschäftigung mit Musik nutzbar machen möchte. Er »adaptiert in einem gewissenhaften, die mittelalterliche monastische Tradition berücksichtigenden Quellenstudium die Lehrinhalte in humanistisch-philologischer Richtung« (314).

* * *

Andrea Horz’ Studie bietet einen außerordentlich breiten Zugang zu einem zentralen musikgeschichtlichen und musiktheoretischen Text sowie zu dessen Autor. Dank der Entscheidung, das Dodekachordon als Dreh- und Angelpunkt ihrer Untersuchungen zu setzen, wird dessen Position und Vernetzung in den Diskursen der Zeit eingehend dargestellt. Horz gelingt es immer wieder, ein Licht auf die sonst wenig beachteten Teile des Traktats zu werfen und ihnen auch im Hinblick auf musikgeschichtliche Fragestellungen manches zu entlocken.

Wenn hier nur exemplarisch einige Passagen des 369 Seiten umfassenden Buchs besprochen werden konnten, zeigt dies auch die enorme inhaltliche Dichte, mit der Andrea Horz schreibt. Von Vorteil ist es deshalb auch, dass die einzelnen Kapitel weitgehend in sich abgeschlossene Einheiten darstellen und getrennt voneinander gut verständlich und absolut lesenswert sind.

Anmerkungen

1

»Das stachelte sie nur noch mehr an, da es unter den verschiedenen Meinungen der älteren Autoren auch einige gab, die sich widersprechen und die Wahl zwischen diesen nicht leicht sei. Es erschien ihnen daher legitim, mich mit der Aufgabe zu betrauen, wenn ich schon keine neuen Erkenntnisse aufschreibe, so doch die Erkenntnisse der Alten zu bewerten.« (Quintilian 1920, 4; Übersetzung d. Verf.)

2

Das Buch ist eine überarbeitete Fassung ihrer 2013 beim Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien eingereichten Dissertation mit dem Titel »Heinrich Glareans Dodekachordon. Text – Kontext«.

3

Genette 1989 und 1993.

4

Palisca 1985, 346.

5

Das Projekt an der LMU München trug den Titel »Humanistische Theorie der Musik im Wissenssystem ihrer Zeit. Pluralisierung eines Kunstdiskurses«. Ergebnisse mit Bezug zu Glarean sind die Dissertation von Bernhard Kölbl (2012) und der von Inga Mai Groote und Iain Fenlon herausgegebene Band Heinrich Glarean’s Books. The Intellectual World of a Sixteenth-Century Musical Humanist (2013).

6

Kölbl 2012.

7

Hermann von dem Busche ist eine wichtige Bezugsperson für Glarean in Köln und für einige Zeit sein Lehrer. Von dem Busches Gedicht auf die Universität Köln kann als Modell für Glareans Panegyrikus auf Kaiser Maximilian I. gelesen werden.

8

Glarean folgt von dem Busche z. B. in seiner Haltung »gegenüber einem zur scholastischen Tradition vermittelnden Humanismus« (44).

9

Celtis/Tritonius 1507.

10

Vgl. Lodes 2010, 56 f.

Literatur

Celtis, Conrad / Petrus Tritonius (1507), Melopoiae sive harmoniae tetracenticae, Augsburg: ohne Verlagsangabe.

Fenlon, Iain / Inga Mai Groote (Hg.) (2013), Heinrich Glarean’s Books. The Intellectual World of a Sixteenth-Century Musical Humanist, Cambridge: Cambridge University Press.

Genette, Gérard (1989), Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, übers. von Dieter Hornig, Frankfurt a. M.: Campus.

Genette, Gérard (1993), Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übers. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Kölbl, Bernhard (2012), Autorität der Autorschaft. Heinrich Glarean als Vermittler seiner Musiktheorie, Wiesbaden: Reichert.

Lodes, Birgit (2010), »Concentus, Melopoiae und Harmonie 1507: Zum Geburtsjahr des Typendrucks mehrstimmiger Musik nördlich der Alpen«, in: Niveau, Nische, Nimbus. Die Anfänge des Musikdrucks nördlich der Alpen, hg. von Birgit Lodes, Wien: Hollitzer, 33–66. https://doi.org/10.2307/j.ctvg8p2x9 (15.12.2022)

Palisca, Claude (1985): Humanism in Italian Renaissance Musical Thought, New Haven: Yale University Press.

Quintilian, M. Fabius (1920), Institutio Oratoria. Books I–III, hg. und übers. von Harold Butler, Cambridge: Harvard University Press.

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