Zoltán Kodálys Harmonielehre – ein Rekonstruktionsversuch[1]
Anna Dalos
Im Jahr 1907 begann Zoltán Kodály im Alter von 25 Jahren an der Budapester Musikakademie Musiktheorie und Komposition zu unterrichten. Bis zu seiner Pensionierung 1942 führte er mehrere Generationen ungarischer Komponist*innen, Musiktheoretiker*innen und Musikwissenschaftler*innen in die Fächer Formenlehre, Kontrapunkt und Harmonielehre ein. Der vorliegende Beitrag versucht, unter Hinzuziehung aktuell verfügbarer Quellen zu Kodálys Harmonik, die Prinzipien seiner harmonischen Theorie und einige Grundzüge seines Denkens neu zu beleuchten und zu rekonstruieren. Die Quelleninterpretation leitet der Grundsatz, dass die Unterrichtskonzepte von Komponistinnen und Komponisten, die das Fach Komposition lehren, nicht nur ihre Didaktik, sondern ihre Vorstellungen von Komposition repräsentieren. Beide Annäherungen – die praktisch-pädagogische und die ideologisch-kompositorische – sind kaum zu trennen. Wenn es gelingt aufzudecken, welche theoretischen Konzepte das harmonische Denken Kodálys bestimmt haben – und zwar auf Basis der unmittelbaren Dokumente seiner Lehre wie seiner Harmonielehre-Vorlesungen und der Mitschriften und Dokumentationen seiner Studierenden –, kann dies weitere Zugänge zu Kodálys Komponieren eröffnen. Trotz der Vielfalt der verwendeten Quellen – Unterrichtsnotizen, theoretische Arbeiten seiner Schüler, Schriften, die sich in Kodálys Privatbibliothek befanden und die die Spuren von intensiver Beschäftigung tragen – muss hier allerdings hervorgehoben werden, dass Kodálys Harmonielehre nur bruchstückhaft explizit gemacht werden kann, da er, anders als Arnold Schönberg, seine Theorie nie in Buchform festhielt. Dieser Aufsatz stellt daher den Versuch einer fragmentarischen Rekonstruktion dar und gewährt zudem Einblicke in die Geschichte des harmonischen Denkens in der ungarischen Musiktheorie des frühen 20. Jahrhunderts. Der Beitrag spart die Harmonik in Kodálys Kompositionen bewusst aus, da dies einen eigenständigen Aufsatz erfordern würde.[2]
In 1907, at the age of 25, Zoltán Kodály began teaching music theory and composition at the Budapest Academy of Music. Until his retirement in 1942, he introduced several generations of Hungarian composers, music theorists and musicologists to the subjects of musical form, counterpoint and harmony. The present article attempts, with the help of currently available sources on Kodályʼs harmony, to shed new light on and reconstruct the principles of his harmonic theory and some basic features of his thought. The source interpretation is guided by the idea that the teaching concepts of composers represent not only their didactics, but also their conceptions of composition. Both approaches – the practical pedagogical and the ideological compositional – can hardly be separated. If it is possible to uncover which theoretical concepts determined Kodályʼs harmonic thinking – based on the original documents of his teaching such as his harmony lectures and the transcripts and papers of his students – this can open up further approaches to Kodályʼs composing. Despite the variety of sources used – teaching notes, theoretical works by his students, writings that were in Kodályʼs private library and bear the traces of intensive study – it must be emphasized here, however, that Kodályʼs harmony theory can only be made explicit in a fragmentary way, since, unlike Arnold Schoenberg, he never recorded his theory in book form. This paper therefore represents an attempt at a fragmentary reconstruction and also provides insight into the history of harmonic thought in early 20th century Hungarian music theory. The paper deliberately omits harmony in Kodályʼs compositions, as this would require a separate essay.
Zoltán Kodály im Kontext der Diskurse über eine Erneuerung harmonischen Denkens
In seinem 1987 erschienenen Aufsatz zur Analyse der späten experimentellen Kompositionen Franz Liszts äußerte sich Allen Forte abschätzig über die Arbeiten der ungarischen Schule der Liszt-Analyse.[3] Er charakterisierte die Schriften der ehemaligen Kodály-Schüler Lajos Bárdos (1899–1986) und Zoltán Gárdonyi (1906–1986)[4] als impressionistische (»impressionistic«), zusammenhanglose Analysen und hielt die darin aufgeworfenen Forschungsaspekte für ungeeignet, um sinnvolle Analyseergebnissen zu erzielen, da sie nur auf leicht wahrzunehmende, oberflächliche Phänomene Bezug nähmen – erweiterte Dreiklänge, verminderte Septakkorde, Ganztonleiter, Ungarische Skala (die sogenannte »Zigeunertonleiter« oder »Ungarische Moll-Tonleiter«) –, die, einmal registriert, der wissenschaftlichen Mühe nicht weiter wert seien. Aus Sicht der Pitch-Class Set Theory ist seine Kritik sicherlich nachvollziehbar. Forte berücksichtigte allerdings nicht den musikgeschichtlichen Kontext der ungarischen Musikhistorie, die aus den Analysen derartiger »Oberflächenphänomene« überhaupt erst entwickelt wurde. Die aufgeführten Elemente fungierten als Basisausstattung für den harmonischen Werkzeugkasten der neuen ungarischen Musik, die mit den Namen Kodály und Bartók verbunden wurde. Als Kodálys Kompositionsstudenten – besonders Bárdos und Gárdonyi – diese stilistischen Marker retrospektiv auch in Liszts Werken erkannten, wiesen sie damit die Existenz einer ungarischen Tradition nach. In seinem Buch Franz Liszt, Musiker der Zukunft arbeitet Lajos Bárdos die harmonischen Charakteristika der ungarischen Musik des 20. Jahrhunderts in Liszts Werken heraus.[5] Ein weiterer Kodály-Schüler, István Szelényi (1904–1972), betonte, dass Liszt mit seinem Spätwerk die Musik des 20. Jahrhunderts antizipiert habe.[6] Zoltán Gárdonyi sah sogar in Liszts Werken der Weimarer Periode erste Schritte in Richtung der Atonalität des 20. Jahrhunderts.[7] Der Kodály-Schüler Ferenc Szabó (1902–1969) wandte sich im Vorwort von Szelényis Buch Die Harmoniewelt der romantischen Musik gegen die allgemeine Tendenz, spätromantische Harmonik und somit Liszts Kompositionen als Abstieg gegenüber der Hochromantik einzuschätzen, indem er die These verteidigte, dass Bartók, Kodály und die folgenden Generationen ungarischer Komponisten auf Liszts Stil aufbauen konnten.[8]
Die nach 1956 veröffentlichten Liszt-Analysen von Kodály-Schülern konzentrieren sich vor allem auf verschiedene Tonleitern und modale Tonarten. Bárdos schrieb einen Aufsatz über Liszts »volkstümliche« Tonleitern und über die modale »Elftönigkeit« seines Komponierens,[9] Szelényi machte auf die Tetrachord-Hälften der Skalen und die verschiedenen Arten von »Zigeuner-Tonleitern« in Liszt Kompositionen aufmerksam.[10] Die einheitliche Nennung der äquidistanten Teilung der Oktave in Liszts Musik lässt vermuten, dass das Denken von Bárdos, Gárdonyi und Szelényi grundlegend von der Theorie Ernő Lendvais beeinflusst wurde, obwohl der Letztere einer wesentlich jüngeren Generation ungarischer Musiktheoretiker angehörte. Dass wir von einer bewussten Lendvai-Rezeption sprechen müssen, legen u. a. Szelényis theoretische Arbeiten nahe, die vor und während des Zweiten Weltkriegs entstanden und die eine ganz andere Methodik verfolgen. In seinem Aufsatz Neue harmonische Systeme (1942)[11] beschäftigte er sich beispielsweise mit der »Physiologie« des harmonischen Denkens – so bezeichnete er seine Methode zur Unterscheidung des Akkordaufbaus – und richtete seine Aufmerksamkeit nur auf harmonische Phänomene und nicht auf eine Systematik des Tonartensystems.
Kodálys Schüler passten sich deshalb so mühelos an Lendvais strukturalistische Analyse-Methodik an,[12] weil hinter seinen (Lendvais) Analysen eine distinkte und ideologisch vorteilhafte Idee stand, die den Überlegungen der Kodály-Schüler sehr entgegenkam: Anhand der Bartók- und Kodály-Analysen konnte Lendvai veranschaulichen, dass die Werke der beiden avanciertesten ungarischen Komponisten, hauptsächlich diejenigen Bartóks, in einem harmonischen System formuliert waren, das zu Schönbergs Dodekaphonie und dem Serialismus der 1950er Jahre analog gesetzt werden konnte. So schienen seine Analysen zu belegen, dass die Vertreter der neuen ungarischen Musik moderne Musik im westlichen Sinne komponierten. Die Skalenanalysen entsprangen daher einem Bedürfnis nach Legitimität und dienten zugleich als Evidenz für all diejenigen, die aus ungarischer Perspektive für die Aktualität von Bartóks und Kodálys Musik plädierten, und nicht zuletzt boten diese Analysen die Möglichkeit für eine ungarische Lesart des Begriffs »musikalische Moderne«.[13]
In seiner Harmonielehre von 1911 stellte Arnold Schönberg die Gültigkeit der Skalenanalyse in Frage, gerade weil er glaubte, dass die Ableitung von Skalen aus bereits existierenden Akkorden die Einsicht in Akkordbeziehungen erschwere.[14] Es besteht kein Zweifel, dass das Interesse an einer Theorie der Akkordbeziehungen im harmonischen Denken der Jahrhundertwende überaus präsent war. Im Zusammenhang mit Akkordbeziehungen werden in der musiktheoretischen Literatur folgende Phänomene hervorgehoben: die dialektische Beziehung zwischen linearen und vertikalen Elementen, die durch Vorhalts-, Übergangs- und Wechselnoten sowie den Leittoncharakter aller Töne im Akkord entsteht.[15] Andererseits steht jedoch auch die Emanzipation dissonanter Akkorde im Zentrum des Untersuchungsinteresses, welche sich unter anderem darin zeigt, dass dissonante Akkorde oft unaufgelöst bleiben. Die Emanzipation der Dissonanz manifestiert sich zudem in alterierten und erweiterten Akkorden, Ganztonakkorden, Fünf-, Sechs- oder Siebenklängen im Terzabstand und in Akkorden mit übermäßiger Sexte. In der Auflösung der traditionellen Funktionsbestimmungen spielen Akkordmixturen, Sequenzen, Orgelpunkte und Mischungen von dominantischen und subdominantischen Eigenschaften eine entscheidende Rolle. Ein zusätzliches Merkmal von Akkorden mit mehr als vier Tönen – Akkorden aus den Tönen der Ganztonleiter oder symmetrischen Akkorden im Terzabstand – ist, dass jeder der Töne die Funktion der Tonika einnehmen kann, wodurch die klassische Dominant-Tonika-Beziehung aufgehoben wird.
Solche Annäherungen an eine moderne Harmonielehre waren in Ungarn auch vor Ernő Lendvai nicht völlig unbekannt: 1944 widmete Tibor Kazacsay (1892–1977) der Harmonik der neuen Musik ein ganzes Buch, in dem die soeben aufgeführten Elemente der zeitgenössischen Harmoniesprache systematisch vorgestellt wurden.[16] István Kardos (1891–1975) warb in seinem 1949 erschienenen Manifest für eine neue Musiktheorie ebenfalls für die Akzeptanz dieser harmonischen Phänomene.[17] Diese waren aber auch Kodálys Schülern vertraut, wie z. B. der oben erwähnte 1942 veröffentlichte Aufsatz von István Szelényi belegt. Besonderen Wert legte Szelényi in seinem Beitrag auf die Diskussion des Systems der frei eintretenden Wechseltöne (Kurths »Alterationsspannungen«)[18] und auf die daraus gebildeten Wechselakkorde,[19] und er betonte in diesem Zusammenhang die außergewöhnliche Bedeutung des Tristan-Akkords – der in seiner Vorstellung ein paradigmatisches Beispiel für den Wechselakkord darstellte – in der Herausbildung der neuen, durch Chromatik dominierten »Harmoniewelt«. In seiner späten Schrift Die Harmoniewelt der romantischen Musik bezog er sich unter anderem auf die Familie der sogenannten Tristan-Akkorde, um das Phänomen der Wechselakkorde vorzustellen, da Wagner, so argumentierte Szelényi, die harmonische Konzeption seiner Musikdramen auf diesem Prinzip aufgebaut habe.[20] Er wies auch darauf hin, dass die Emanzipation der Stimmführung neue Akkordgestalten generiere[21] und die Anwendung der Wechselakkorde letztendlich die funktionale Ordnung grundsätzlich auflöse und eliminiere, indem sie das musikalische Gefüge gänzlich durchchromatisiere.[22]
Indem Szelényi den Tristan-Akkord als eine symbolische und schicksalhafte Erscheinung für die Entwicklung der Harmonik in der Neuen Musik hervorhob, bezog er sich auf eine der einschlägigsten Publikationen der Zwischenkriegszeit, auf Ernst Kurths Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners »Tristan« von 1920.[23] Er konnte das System der Wechselakkorde mit Kurth als das vorherrschende Prinzip in der Harmonik von Tristan und Isolde ausweisen. In seiner ausführlichen Untersuchung von Kurths analytischen Ansätzen und ihrer Anwendbarkeit hat Patrick McCreless hervorgehoben, dass Analysen nach Kurth vor allem für die Musik des 19. Jahrhunderts geeignet seien.[24] Aber zum Zeitpunkt seiner Entstehung war Romantische Harmonik für diejenigen, die auf experimentellem Weg adäquate Analysekriterien für neue Musik zu entwickeln versuchten, mehr als lebendig. Nicht zuletzt darauf lässt sich seine außerordentliche Popularität zurückführen.[25] Daher wies Carl Dahlhaus darauf hin, dass Kurths Werk eben kein gewöhnliches Lehrbuch der Harmonie ist: Es zeichne sich durch den Versuch aus, die gesamte Geschichte der tonalen Harmonik in einer Zeit zu fassen, in der die Harmonik als wichtigster Bereich der musikalischen Entwicklung angesehen wurde.[26] Kurths Buch ist ein Reflex auf die kompositorischen Entwicklungen der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Diese Abhandlung wurde nicht allein im Hinblick auf die Erklärung harmonischer Entwicklungen nach Tristan geschrieben, sondern es spielte bei ihrer Konzeption auch die Notwendigkeit, Tendenzen zeitgenössischer Musik aus Tristan und Isolde abzuleiten und damit zu legitimieren, eine entscheidende Rolle. Ernst Kurth untersuchte systematisch Phänomene, die seiner Einschätzung nach zum Zerfall der Tonalität beitragen würden. Die Komponist*innen partizipierten um die Jahrhundertwende an einem weitgehend definierbaren »harmonischen Diskurs«, sodass die Frage, ob die Harmonik von Tristan und Isolde nun tatsächlich den Weg zu einer Erweiterung der Tonalität ebnete, unter diesem Gesichtspunkt von untergeordneter Bedeutung ist.
Dokumente der Kurth-Rezeption Zoltán Kodálys
Die Erinnerungen des Kodály-Schülers György Kerényi (1902–1986) legen dar, dass auch für den jungen Kodály Wagner und insbesondere die Harmonik des Tristan ein prägendes Erlebnis war. Kerényi erinnert sich, wie Kodály in einer eigenen Kompositionsklasse einen der Akkorde des Musikdramas – vermutlich den Tristan-Akkord – diskutierte und wie überrascht er war, als er bemerkte, dass seine Schüler diesen Akkord nicht kannten. »Zu meiner Zeit – sagte er mit großem Erstaunen – kannten wir alle das ganze Werk.«[27] Kerényi legt die eher ›lehrerhafte‹ Bemerkung seines Professors nicht unbedingt positiv aus: Die Anekdote wird berichtet, um zu demonstrieren, dass Kodály, ausgehend von der von Chromatik gesättigten harmonischen Welt der Jahrhundertwende, einen weiten Weg zurücklegen musste, um endlich das ungarische Volk zu erreichen. Kerényis Sicht bestätigen viele schriftliche Zeugnisse Kodálys, der oft genau dieselbe Formel verwendete.[28] Der junge Kodály begann – wie viele in seiner Generation, darunter auch Ernst Kurth – seine Karriere als Komponist und Theoretiker mit der Rezeption von Wagners Harmonik, was historische Zeugnisse im Detail belegen.
In Kodálys von Lajos Vargyas herausgegebenen Privatnotizen begegnen wir mehrfach der Aussage, Budapest sei um 1900 eines der bedeutendsten Zentren der Wagner-Verehrung gewesen.[29] Deshalb verspürte Kodály das Bedürfnis, Wagners poetische und musikalische Welt in seinem programmatischen Aufsatz »Musikalische innere Mission« von 1934 eigens hervorzuheben: Er betonte zugleich, dass Wagners Welt der ungarischen Seele völlig fremd sei.[30] Fast zwei Jahrzehnte später jedoch, in einigen Erinnerungen an seine Studienreise nach Paris zwischen 1905 und 1906, bezog er sich in eindeutig affirmativer Weise auf Wagners Aufsatz Über das Dirigieren, als er versuchte, die deutschen und französischen Standards musiktheoretischer Ausbildung in Niveau und Methode miteinander zu vergleichen. Laut Kodály vertrat Wagner die Ansicht, die deutsche Auffassung von Musiklehre sei eine Mischung aus Mathematik, Philosophie und Gymnastik, während die Franzosen vornehmlich von der Melodie ausgingen.[31] Auch in den Skizzen aus seiner Studienzeit an der Budapester Musikakademie (1900–1905) finden sich zahlreiche Bemerkungen über Wagners Werke: Ein Skizzenblatt enthält die Überschrift »Siegfr[ied] Idyll«,[32] ein weiteres Manuskript die Kopie einer Partiturseite von Das Rheingold.[33] Drei weitere Skizzen legen die Vermutung nahe, dass er plante, Wagner-Zitate in seine Kompositionen einzubeziehen. Eine Seite des Skizzenbuchs »Skizzek« enthält in der untersten Zeile die folgende Anmerkung Kodálys: »Sequentia (aus ihr heraus das Parsifal-Motiv)«.[34] Zwei Skizzenblätter belegen darüber hinaus, dass er einige Takte des Tristan-Vorspiels in ein Streichtrio einbauen wollte.[35]
In seiner Bibliothek befand sich auch die Romantische Harmonik von Ernst Kurth.[36] Seine Eintragungen bestätigen, dass er aufmerksam las: Meist kennzeichnete er Ungenauigkeiten im Wortlaut oder Widersprüche, aber er markierte auch inhaltlich wichtige Stellen mit Bleistiftstrichen. So gibt es beispielsweise im Inhaltsverzeichnis eine Bleistiftmarkierung bei Abschnitt VII.1, ebenjenem Kapitel, das die dominierende Rolle der Melodie in Tristans Harmoniewelt untersucht und sie mit der klassischen Harmonik und vorklassischen Polyphonie vergleicht.[37] Kodály beschäftigte sich offenbar besonders mit dem chromatischen Prinzip der Akkordbeziehungen, wie die Markierung des Abschnitts über die Emanzipation der Akkorde und deren Auswirkung auf die Abkehr von der Tonalität dokumentiert:[38] Er zog zwei Linien neben dem Abschnitt, in dem Kurth die Verselbständigung der Sextakkorde gegenüber dem Grunddreiklang diskutiert.[39] Er fügte noch ein Pluszeichen zu der Passage hinzu, in der die Bedeutung der Beziehung zwischen Musik und Wort im Genre des Liedes und des Musikdramas für die symbolische Anwendung von Harmonie demonstriert wird (wie z. B. die dominantischen und subdominantischen Regionen als Symbole für Licht und Dunkelheit).[40]
Kodálys ausführliche Lektüre des Buchs belegt auch sein Aufsatz über Béla Bartók, den er 1921, vermutlich unter dem frischen Einfluss der Lektüre verfasste. Er versucht in diesem Text die Technik der Dissonanzbehandlung seines Freundes zu erklären:
Nun kehren wir zu den Dissonanzen zurück! Bartók, der die Entwicklung der modernen Harmoniewelt seit dem Tristan begleitete, ist der Erbe von Bachs harmonischem Denken. In Bartóks Augen propagierte ebenfalls Reger, dass uns Bach auch nach Wagner noch etwas zu sagen habe. Der Wandel seines Melodiestils beeinflusste unweigerlich seine Harmoniewelt. Einige Verbindungen, die bisher ›nacheinander‹ hergestellt wurden, gelten nun auch im ›Einklang‹. Wir finden als Ruheklänge auch solche Akkorde, die früher ohne Auflösung unverständlich waren.
Aber die meisten lizenziösen Dissonanzen kommen aus Melodien. Sie entstehen durch Reibung, rauere Effekte, oder aus Kombination zweier oder mehrerer Melodien. Es wurde von Bachs Stil gesagt, dass nicht nur Durchgangstöne, sondern komplette Durchgangsmelodien auftreten und dass nicht nur die Vorhaltsdissonanzen eines einzelnen Tons oder Akkords für Bach charakteristisch sind, sondern Vorhalte ganzer Melodiefolgen.
Darin liegt auch das Geheimnis von Bartóks Dissonanzen.
Seit Bach haben wir es uns abgewöhnt, zwei kontrapunktisch eigenständigen Stimmen zu folgen; die »Nebenordnung« [mellérendelés] wurde durch »Unterordnung« [alárendelés] ersetzt. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die vertikal erklingenden Töne und suchen in den gleichzeitig erklingenden Klanggruppen sofort nach einem Dreiklang. Aber man sollte wesentlich melodische Musik nicht auf diese Weise anhören. Schaffen wir es, mit unserem Blick mehr Raum einzufangen, also horizontal zu hören, erlöscht die offensive Dissonanz sofort. Mitunter explodieren die plötzlichen Dissonanzen wie Kanonenschüsse, aber sobald sie in Melodien integriert werden, bewegen sie sich entschieden auf ihr Ziel zu. Treffen zwei Melodien aufeinander, so entsteht ein Akzent, der die kinetische Energie verdoppelt und eine oder sogar beide Melodien stärker betont. Das macht Bartóks Stil so prägnant, so schonungslos logisch, was das Gefühl der absoluten Notwendigkeit erzeugt.[41]
Allein die Erwähnung von Bachs und Wagners Namen im selben Zuge deutet darauf hin, dass hinter Kodálys Erklärung Kurths Tristan-Buch sowie seine frühere Bach-Monographie stehen.[42] Kodály gibt Ernst Kurths Thesen deutlich wieder, wenn er auf die zentrale Rolle des Melodischen, die durch Vorhalte entstandenen Akkorde, die unaufgelösten Dissonanzen und die Durchgangsmelodien aufmerksam macht und sogar den Begriff der »kinetischen Energie« aufgreift. Die Idee, dass wir zwei gleichzeitigen Melodien nicht mehr folgen können, stammt jedoch nicht aus Kurths Werk, sondern aus der Harmonielehre von August Halm, der die später in Kurths Schriften entwickelten Prinzipien bereits detailliert und aufschlussreich formulierte.[43] Wenn Kurth darüber spricht, dass sich die Harmonik in Richtung eines immer üppigeren Gebrauchs von Dissonanzen oder Akkordformen, die aus Durchgangsnoten aufgebaut sind, entwickele, wenn er die essentielle Rolle des Leittons unterstreicht, Akkorde als Kombination verschiedener Stimmen auffasst und wenn er schließlich den Begriff »Tendenz« verwendet, bezieht er sich auch auf Halms Lehrbuch. Wie der ebenfalls mit Anmerkungen versehene Band von Halms Harmonielehre in Kodálys Privatbibliothek beweist, las der Letztere auch dieses Buch sehr gründlich und markierte diejenige Stelle, die diese vertikale ›Zurückbildung‹ [csökevényesedés] des Gehörs beschreibt.[44]
Es muss überdies hinzugefügt werden, dass Kodály Kurths 1920 veröffentlichtes Tristan-Buch in erster Linie als Rechtfertigung für seinen eigenen kompositorischen Weg las, den er 1906 mit der Rezeption von Claude Debussys Musik begann. Eigene Erfahrungen erkannte er in Kurths Arbeit wieder. Folglich trat er, als er sich dem ›harmonischen Diskurs‹ der Protagonist*innen neuer Musik anschloss, wie viele seiner Zeitgenossen als Nachfolger Wagners auf, und nicht als Erbe Liszts. Bedeutsamer ist jedoch die Tatsache, dass sich Kodály, wie seine Notizen in Halms und Kurths Büchern ebenso belegen wie sein Aufsatz über Bartók, in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ernsthaft mit der Sprache moderner Harmonik beschäftigte und dass er sich der paradigmatischen, über die Einzelwerke hinausweisenden Elemente dieser Sprache bewusst war.
Die Idee einer »tendenziellen« Harmonielehre
Die wichtigste Quelle für Zoltán Kodálys harmonische Theorie ist das 432 Seiten starke Manuskript seiner Privatschülerin Irma Bors, das sie zwischen 1935 und 1938 verfasste. Obwohl das Manuskript nie Gegenstand einer detaillierten Analyse wurde, ist es in der Kodály-Forschung nicht unbekannt. In dem Memoirenband von Ferenc Bónis So sahen wir Kodály berichtete Bors selbst über das Manuskript.[45] Das Manuskript ist eine Reinschrift, da Bors die im Unterricht erstellte und von Kodály korrigierte Erstfassung sorgfältig umschrieb und das Original anschließend vernichtete. Wir erfahren aus dem Manuskript über Kodálys Lehrplan von den Anfängen der Harmonielehre bis hin zu alterierten Akkorden. Nur für die Diskussion der Vierklänge mit übermäßiger Quinte wird die Systematik des Curriculums unterbrochen. Vergleicht man Kodálys Lehrplan mit der Struktur des Harmonielehrbuchs von Lőrinc Kesztler (1892–1978), das seit seiner Erstpublikation im Jahre 1928 am häufigsten in Ungarn eingesetzt wird,[46] so fallen beachtliche methodische Unterschiede auf. Kesztler folgt der Tradition, wenn er sein Buch nach dem Vorbild von Ludwig Busslers Praktischer Harmonielehre[47] in drei Hauptkapitel – Diatonik, Chromatik und Figuration – unterteilt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Kapitel über die Diatonik, in dem Drei- und Vierklänge sowie ihre Umkehrungen und ihre praktische, aus Sequenzen ableitbare Anwendung behandelt werden. Kesztler legt besonderen Wert auf individuelle, unregelmäßige Lösungen. Das viel kürzere Chromatik-Kapitel befasst sich mit Alterationen, Trugschlüssen, Auflösungen von Nebendominanten, der Harmonisierung von Sopranmelodien und Techniken der Modulation. Das kürzeste Kapitel schließlich über Figuration stellt Vorhalte und den Orgelpunkt ins Zentrum sowie die figurative Ausarbeitung von Beispielen mit dem Ziel, in die Praxis der freien Komposition überzuleiten. Diese drei Kapitel gliedert Kesztler in Lektionen, die in der Regel eine Beschreibung und Erläuterung der Prinzipien, eine Liste von Ausnahmen und endlich zu bearbeitende Exempla enthalten.
Im Unterschied zu Kesztlers Lehrbuch bezieht Kodály in seinen Unterricht Vorhaltsbildungen und Techniken der Modulation schon bei der Erörterung der drei Hauptfunktionen ein, und er führt Sequenzen frühzeitig ein, sobald dies nach der Abhandlung der Nebendreiklänge didaktisch sinnvoll möglich ist. Vorhalte und Durchgangstöne werden meist nur verwendet, um die Beispiele abwechslungsreicher zu gestalten: ihre Bedeutung wird erst in einer späteren Lernphase, bei der Diskussion von Trugschlüssen, deutlich. Kodály widmet dem Trugschluss ein eigenes Kapitel, weil er – in Übereinstimmung mit Kurths Theorie – der Ansicht ist, dass es sich bei den meisten Akkordbeziehungen tatsächlich um Trugschlüsse handele.[48] Trotzdem unterscheidet er bewusst zwischen »echtem« [»igazi«] und »unechtem« [»nem igazi«] Trugschluss. Beim unechten ist, so Kodály, »der sich auflösende Vierklang meistens zwischen einem Septakkord und dem tatsächlichen Auflösungsakkord als Wechsel- oder Durchgangsakkord eingekeilt, sodass der Trugschluss nur an der Oberfläche stattfindet. Im letzteren Fall verbindet der ›Zwischenakkord‹ [közbevetett akkord], der den Trugschluss bildet, entweder gleiche Funktionen, oder er verbindet den Vierklang mit einer kadenziellen Auflösung.«[49] An dieser Stelle wird die Rolle des Vorhalts als Teil eines organischen Prozesses dargestellt: Neue Akkordformationen erwachsen aus Vorhalten, Wechsel- und Durchgangsakkorden. Die Wechsel- und Durchgangakkorde können Dreiklänge sogar in Vierklänge verwandeln,[50] genauso wie die meisten Fünf- und Mehrklänge potentiell aus Vorhaltsbildungen abgeleitet sein können, auch wenn sie unabhängig voneinander auftreten.[51] In späteren Beispielen wird das Prinzip der aus Vorhalten erzeugten »Zwischenakkorde« zu einem konstanten Element der zunehmend komplexer gestalteten Übungen.
Beispiel 1: ›Zwischenakkord‹ (Rekonstruktion der Autorin)
Die Bedeutung von Sequenzen in Kodálys Lehrgang spiegelt sich darin wider, dass entsprechende Übungen schon in den Anfangskapiteln einen relevanten Teil des Stimmführungstrainings ausmachen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der sequenzierenden Verkettung von wechselweise unvollständigen und vollständigen Septakkorden im vierstimmigen Satz.[52] Die konsonante Stimmführung resultiert anfangs vor allem aus dem Prinzip der kleinsten Bewegung. Deshalb und aus didaktischen Gründen arbeitet Kodály bei Seitenbewegung mit Bindebögen, was einerseits die Einhaltung des Prinzips der kleinsten Bewegung visuell unterstützt, andererseits das Erlernen von Orgelpunkttechniken und den Umgang mit harmonischen Wechsel- und Durchgangsphänomenen vorbereitet. Stimmführung interessiert Kodály jedoch auch über Sequenzen hinaus. Er erörtert, wie man sich anstelle der Vorstellung einer Gesamtharmonie von einer Einzelstimme leiten lassen kann, sofern diese auf außergewöhnliche Weise springt oder sich auf andere Weise widerständig verhält. Außerdem analysiert er Sonderfälle der Stimmführung bei Leittönen[53] sowie spezielle Auflösungsvarianten, die aus dem Bestreben hervorgehen, nicht den kürzesten Weg zu gehen, sondern eine schöne Melodie zu entwickeln.[54]
Der Modulationslehrgang, der – obwohl Kodály der traditionell dreigliedrigen Modulationstypologie (diatonische, chromatische, enharmonische Modulation) nicht folgt – zunächst nur Regeln und Übungen für die diatonische Modulation beinhaltet, kreist vor allem um die Problemstellung, dass derselbe Akkord in unterschiedlichen Tonarten jeweils eine andere Rolle spielt und gerade durch diese Eigenschaft besondere Bedeutung für das Modulieren gewinnt. Kodály weist auf diese Mehrdeutigkeit sogar mit der Schreibart hin. Er notiert die verschiedenen Stufenbedeutungen eines jeden Akkords in verschiedenen Tonarten, was die Interpretation erleichtert. Eine ähnliche Rolle spielen Nebendreiklänge in Kodálys Denken: Diese Akkorde können verwendet werden, um andere funktionsgleiche Klänge zu ersetzen, und die ihnen auf diese Weise zuwachsenden Eigenschaften tragen umgekehrt dazu bei, die jeweilige Funktion auszubauen und zu verstärken sowie eine Modulation durchzuführen. Einige Nebendreiklänge haben jedoch zwei Funktionen, die dritte Stufe kann beispielsweise zugleich Tonika und Dominante sein.[55]
Kodálys Harmonielehre – und darin unterscheidet sie sich grundlegend von traditionellen Harmonielehrbüchern wie zum Beispiel dem von Lőrinc Kesztler – zielt in erster Linie darauf ab, dass die Studierenden sich in jedem Fall damit auseinandersetzen müssen, worin der Sinn von Akkorden besteht, wie ein Akkord in einem gegebenen musikalischen Gewebe funktioniert, wie er mit verschiedenen anderen Akkorden und Akkordumkehrungen zusammenhängt, und wie Akkorde in Modulations- oder Sequenzprozessen verwendet werden können. Kodálys Harmonielehre ist somit sehr anwendungsorientiert: Beispielweise wird der Quartsextakkord auf der ersten Stufe früher als die Umkehrungen anderer Stufen eingeführt, da dieser Akkord in den Beispielen eine entscheidende Rolle spielt.[56] Und gerade deshalb geht er in seinen Beispielen Anwendungs- und Auflösungsmöglichkeiten für sämtliche besprochenen Akkorde durch.
Auch bei der Behandlung der Sextakkorde wird nach der musikalischen Wirkung und Anwendbarkeit ganz bestimmter Klänge gefragt: Kodály weist auf die Funktion von I., V. und VI. Stufe hin.[57] Er analysiert den Sextakkord auf der I. Stufe als unvollkommenen authentischen und plagalen Schluss sowie als Hinführung zu subdominanten Akkorden und als Stellvertreter der III. Stufe.[58] Er untersucht den Sextakkord auf der IV. und VI. Stufe in Kadenzen, besonders als prädominantische Harmonien vor dem kadenzierenden Quartsextvorhalt.[59] Er widmet den Nebendreiklängen und ihren Sextakkord-Umkehrungen separate Analysen, auch ihrer jeweiligen Rolle in Modulationsprozessen,[60] und er zeigt, wie sie sich als Ersatz für Hauptdreiklänge im Zusammenhang mit alterierten Akkorden und in Kadenzen verhalten.[61] Bei der Diskussion von Quartsext-Umkehrungen geht er denselben Weg,[62] und auch Vierklänge behandelt er in ähnlicher Weise. Die Aufmerksamkeit richtet sich sowohl auf »Vierklänge als Durchgangs- und Nebenharmonien« [»átmenő és beugratott négyeshangzatok«][63] als auch auf vorbereitete und unvorbereitete Septimen.[64] Für einen Lehrgang in Harmonielehre aus dieser Zeit eher ungewöhnlich sind die häufigen Hinweise auf besonders schöne Lösungen in Werken der Musikliteratur, auch wenn diese von den Regeln abweichen.
Beispiel 2: Behandlung des Quartsextakkords (Rekonstruktion der Autorin)
Auffallend an Kodálys Harmonielehre ist also, dass er nicht nur Akkorde isoliert behandelt, sondern vor allem daran interessiert ist, zu zeigen, womit der jeweilige Akkord verknüpft ist, wie er fortgeführt werden kann und wie und wovon er sich auflöst. Deshalb befasst er sich ausgiebig mit der Vorbereitung der Akkorde und ihren möglichen Auflösungsrichtungen. Die Anwendbarkeit eines jeden Akkords wird in konkreten Kontexten nachgewiesen, indem ebenso die seinem Eintreten vorausgehende Situation behandelt wird wie seine Auswirkung auf das nachfolgende musikalische Geschehen. In seinen Beispielen erörtert Kodály – genau wie Schönberg in seiner Harmonielehre[65] – denkbar viele Möglichkeiten der Akkordverbindung.[66] Seine Lehre erschöpft sich also nicht in der reinen Weitergabe von Regeln.[67] Vielmehr geht aus dem Manuskript von Irma Bors klar hervor, dass Kodály in erster Linie idiomatische Wendungen lehrte. Für ihn war Harmonik letztlich eine Sprache, deren Erlernen dem Erwerb von Fremdsprachen ähnelt, die also in erster Linie auf dem Üben und Einprägen typischer Wendungen basiert.
Für die Analyse von Werken der klassischen Moderne und natürlich auch Kodálys eigener Harmonik ist das bei Bors dokumentierte Kapitel über alterierte Akkorde von herausragender Bedeutung. Kodály diskutiert die Alterationen und die damit verbundenen Modulationsschemata viel detaillierter als Lőrinc Kesztler und trennt sechs Untergruppen von alterierten Akkorden: 1) verminderte Akkorde, 2) übermäßige Akkorde, 3) Nebendominanten, 4) Moll- und Dur-Subdominanten, 5) neapolitanische Akkorde und 6) übermäßige Sextakkorde. Von den alterierten Akkorden werden die Moll- und Dur-Subdominante,[68] die große Familie des neapolitanischen Akkords[69] und die Gruppe der übermäßigen Sextakkorde besonders ausführlich dargestellt.[70] Im Gegensatz zu späteren Schriften seiner Schülerinnen und Schüler, die eher die Distanzskalen und damit eng verbundenen verminderten und übermäßigen Akkordtypen in den Blick nahmen, konzentrierte sich Kodály – wie Schönberg – mehr auf jene alterierten Akkorde, die zum Subdominantbereich gehören.
Theoretische Werke der Kodály-Schule
Betrachtet man das überraschend reiche Feld von Publikationen zur Harmonielehre aus der Kodály-Schule, insbesondere im Vergleich zu deren Veröffentlichungen in den Bereichen Formenlehre und Kontrapunkt, so fällt auf, dass die im Manuskript von Irma Bors fixierten Prinzipien der Kodály’schen Harmonielehre nur bei bestimmten Aspekten in diesen Schriften auftauchen. Hierfür gibt es mehrere mögliche Erklärungen: Einerseits hatten sich die Studierenden, die an der Musikakademie Komposition studieren wollten, bereits mit Vorkenntnissen in klassischer Harmonielehre eingeschrieben. Beispielsweise mussten sie im ersten Studienjahr den Jahrbüchern zufolge nur Modulation und Choralharmonisierung studieren.[71] Also ist davon auszugehen, dass ihre Auffassungen von Harmonielehre bereits von früheren Studien und Lehrern geprägt waren, bevor sie später durch die Lehre Ernő Lendvais beeinflusst wurden.
Andererseits gehörten Kodálys Schüler*innen, die sich mit Fragen der Harmonik beschäftigten – darunter Lajos Bárdos, Antal Molnár (1890–1983), István Szelényi – zur ersten Generation von Kodálys Studierenden, während das Manuskript von Irma Bors eine um anderthalb Jahrzehnte spätere Phase seiner Lehre dokumentiert. Nach 1923 durchlief Kodály einen bedeutenden stilistisch-kompositorischen Wandel, und wenn es legitim ist, die Erfahrung aus der Schönberg-Forschung, dass Komponist*innen ihre eigenen Kompositionsprinzipien zurück in ihre Lehre projizieren,[72] auch für Kodály in Anspruch zu nehmen, ist davon auszugehen, dass sich parallel zu den stilistischen Veränderungen eines Œuvres auch die Schwerpunkte in der Lehre verschoben. Jedenfalls deutet Kodálys Vorliebe für idiomatische Wendungen in der Lehre darauf hin, dass er in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Harmonik als Sprache wahrnahm, während die Tatsache, dass sich diese sprachliche Natur vor allem in den idiomatischen Wendungen selbst manifestierte, auf die starke Formalisierung dieser Sprache hinweist.
In jedem Falle lässt sich aus der reichen Tradition von Harmonielehren der Kodály-Schule schließen, dass die Schülergeneration als bedeutendstes innovatives Feld der Musik im 20. Jahrhundert die Harmonik und ihre Theorie ansah.[73] Aus Kodálys Lehre der frühen zwanziger Jahre, die vermutlich noch nicht streng reglementiert war, rezipierten seine Schüler*innen vor allem diejenigen Momente, die ihnen für die Analyse neuer Musik wichtig erschienen und die sie für ihre eigenen theoretischen Systeme nutzen konnten.
Eines der frühen Dokumente für eine solche Übernahme ist die Systematische Modulationslehre des jungen István Szelényi aus dem Jahr 1927, die sich zwar nicht direkt auf Ernst Kurths Tristan-Buch bezieht, sich aber zweifellos darauf stützt. Das Hauptanliegen Szelényis besteht nämlich darin, »ein Verständnis der psychologischen Grundlagen und des Zwecks der Modulation« zu erlangen.[74] Über diesen musikpsychologischen Ansatz hinaus übernimmt er auch Kurths Ideen zur metrischen Organisation (Arsis und Thesis)[75] und verwendet häufig den Begriff »Tendenz«. Laut Szelényi – und die Formulierung wirkt fast wie ein Kurth-Zitat – warten die Töne »ungeduldig« darauf, die ihnen innewohnenden Tendenzen zu entfalten.[76] Kodály wird Szelényis Denken allerdings nicht nur dadurch beeinflusst haben, dass er ihn auf Ernst Kurths Werk aufmerksam machte, sondern auch im Hinblick auf bestimmte Aspekte der eigenen Lehre wie zum Beispiel seine Auffassung der diatonischen Modulation, wonach jeder Tonart etliche andere Tonarten innewohnen, und zwar alle, die auf den Stufen der zugrundeliegenden diatonischen Skala basieren.[77]
Auch in vielen Details aus Szelényis Theoriebüchern der 1960er Jahre lassen sich Elemente aus Kodálys Lehre wiederfinden.[78] Zum Beispiel besteht sein Buch über die »Harmoniewelt« der romantischen Musik aus einer Sammlung von Exempeln charakteristischer Akkordbildungen. Er sammelte Beispiele für nahezu alle harmonischen Erscheinungen, wie die Moll-Subdominante, die verminderten und neapolitanischen Akkorde, die Familie der übermäßigen Sextakkorde, die Dominant- und Tonika-Varianten, die Terzverwandtschaften, die Neben- und Wechselakkorde und die schwebende Tonalität so sorgfältig, als würde er Hausaufgaben für Kodály machen.[79] Eine ähnliche Sammlung von harmonischen Phänomenen der Romantik stellte Antal Molnár zusammen, darunter Sequenzen, Vorhalte, ungewöhnliche Trugschlüsse, Dur-Moll- und Moll-Dur-Akkorde und emanzipierte Dissonanzen.[80] Das Schubert- und Chopin-Kapitel der Publikation Romantische Harmonien von Lajos Bárdos dient ebenfalls als eine Beispielsammlung von Terzverwandtschaften, erweiterten Akkorden, Neapolitanern und Nebenakkorden, chromatischen Fortschreitungen und emanzipierten dissonanten Vorhalten.[81]
Die Themenwahl dieser Bücher weist darauf hin, dass Kodálys Schüler*innen nach charakteristischen harmonischen Beziehungen und Akkordtypen in der romantischen Musik suchten, also nach Wendungen, die man als idiomatisch und modellhaft bezeichnen kann. Bárdos’ Modale Harmonielehre und die erste, skizzenhafte Niederschrift dieses Lehrbuchs, Die Grundlagen der modalen Harmonielehre, sind ein Paradebeispiel für diesen Ansatz.[82] Am Ende der Vorstudie fasst Bárdos die Aspekte seiner analytischen Methode zusammen: Die zukünftige Erforschung der Harmonik der Renaissance, auf den Spuren Knud Jeppesens, muss vor allem beantworten, welcher Akkord oder welche Wendung in einer Tonart üblich ist, ob es einen Unterschied zwischen den Autoren dieser Epoche gibt und ob ein Zusammenhang zwischen Rhythmus, Melodie und Textbehandlung einerseits und einzelnen Klängen und Akkorden andererseits bestimmt werden kann.[83]
Bárdos begann sich gerade deshalb mit modaler Harmonik zu beschäftigen, weil es hier – anders als in der klassischen Harmonielehre, die vor allem aus der Perspektive der ungarischen Musiktheorie nur wenigen Grundregeln (wie der authentischen Akkordprogression oder dem Prinzip der kleinsten Bewegung) folgt und spezielle Akkordbeziehungen nur dann untersucht, wenn sie den Regeln widersprechen – im Wesentlichen um rein individuelle Akkordbeziehungen geht und hierarchischen Gewichtungen geringere Bedeutung zukommt. So befasst sich die modale Harmonielehre vor allem mit charakteristischen Schritt- und Bewegungsformeln und Akkordverbindungen. Denn den Stil selbst prägen fast ausschließlich bestimmte typische Klangprogressionen. Dadurch folgt Bárdos nicht dem traditionellen Aufbau, wie ihn Lőrinc Kesztlers Lehrbuch repräsentiert, sondern stellt einzelne Akkorde und deren Anwendung bei Orgelpunkten, modalen »Trugschlüssen« [»álzárlat«], »Halbschlüssen« [»félzárlat«], Akkordverbindungen ohne Leittöne, plagalen Schritten sowie modalen Modulationen und Sequenzen als idiomatische Wendungen in den Mittelpunkt. Charakteristisch für diese Denkweise ist jenes Kapitel, das 32 »Grundwendungen« [»alapfordulatok«] aus der Harmonik der Renaissancemusik präsentiert.[84] Gleichzeitig richtete sich Bárdos’ Interesse an modaler Musik darauf, dass dieser Stil der tonalen Ordnung vorausgegangen sei und somit wieder als Vorbild für harmonisches Denken nach der Auflösung der Tonalität dienen könne.
Dasselbe Interesse lenkte István Szelényis Aufmerksamkeit auf die romantische Harmonik. Das 19. Jahrhundert führte zu sogenannten »Gärungsprozessen« in der Harmonik,[85] wodurch Akkordbeziehungen und idiomatische Wendungen wieder an die Stelle klassischer Regeln traten. Darüber hinaus stand die Modulation in der 1960 veröffentlichten Praktischen Lehre der Modulation im Vordergrund seines Interesses: also das Verfahren, das neben Chromatik und Alteration die wichtigste Rolle bei der Erweiterung der Tonalität spielte und das Kodály – folgt man dem Manuskript von Irma Bors – als so wichtig erachtete, dass es zum Gegenstand der ersten Unterrichtslektionen wurde. Szelényi folgte Kodálys Ideen, obwohl er glaubte, dass die Modulation nur im Kontext eines bestimmten historischen Stils untersucht werden sollte, wenngleich alle Komponisten »die historisch begründeten Wendungen ihrer Individualität gemäß« verwendet hätten.[86] Deshalb bezog sich Szelényi im Untertitel seines Buches auf die Stilgeschichte.
Vier Jahrzehnte zuvor sprach sich Antal Molnár in seinem Aufsatz Eine neue Harmonielehre! gegen eine »Harmonielehre die sich zwischen Stilen ausfaltet«, aus.[87] Er glaubte, dass die Harmonielehre mit dem grundlegenden Wandel des harmonischen Denkens ab den 1890er Jahren nicht Schritt halten könnten. Die Autoren der zwischen 1890 und 1914 entstandenen Lehrbücher, so Molnár, versuchten verzweifelt an der Praxis der Harmonielehre des 19. Jahrhunderts festzuhalten. »Diese Werke«, so Molnár, »wie die Harmonielehrbücher von Capellen oder Schönberg, sind traurige Beispiele für die bisherige Auflösung der Theorie der Harmonik. Das Bemühen dieser Werke, ›normale‹ Akkordbeziehungen mit der Harmonik der neuen Musik in Einklang zu bringen, hat dazu geführt, dass weder die Grundlagen der Musik des 19. Jahrhunderts noch die Phänomene der neuen Musik ausreichend erörtert werden.«[88]
Molnárs Idee, die Wiener Klassik sei ein paradigmatischer Stil und daher ausschließlich in der Lehre zu verwenden, steht in engem Zusammenhang mit dem von ihm nach dem Ersten Weltkrieg formulierten Klassizismusideal.[89] Kodály reagierte mit vorsichtig-skeptischer Abgrenzung auf dieses Konzept seines Schülers, was eventuell erklärt, warum sich seine Harmonielehre näher an der von Molnár abgelehnten »Harmonielehre zwischen Stilen« bewegte, da er sich auf verschiedene Modelle aus der Musikgeschichte von Beethoven bis César Franck bezog. Nur Molnárs besondere ästhetische Vision kann der Grund dafür sein, warum sich seine sonst zu Unrecht vergessene Harmonielehre so grundlegend von Kodálys Lehrmethode unterscheidet. Das primäre Ziel von Molnárs für Instrumentalmusiker*innen zusammengestelltem Lehrbuch war die Entwicklung analytischer Fähigkeiten und des musikalischen Gehörs, weniger ein einheitliches Stilgefühl oder tonsetzerisch-technische Geschicklichkeit, die eher für Komponistinnen und Komponisten wichtig sind. Als Molnár die verschiedenen Zielgruppen seines Buchs vor Augen hatte, folgte er Johann Schreyers Harmonielehre, wie er selbst es in einer Anmerkung erwähnte.[90]
Kodálys Studium älterer Harmonielehren
Die theoretischen Arbeiten der Kodály-Schule scheinen nur teilweise von Kodály beeinflusst zu sein. Auf die Herkunft aus dessen Lehre verweist das Sammeln von idiomatischen Wendungen ebenso wie die Schwerpunktsetzung bei den Akkordbeziehungen und die stilgeschichtliche Differenzierung, aber keiner dieser Aspekte wird systematisch entwickelt oder kommt ausschließlich zur Anwendung. Wenn nun versucht wird, die Quellen und Modelle für Zoltán Kodálys Harmonielehre zu bestimmen, gelangt man zu ähnlichen Ergebnissen. Neben dem Handbuch von August Halm und Ernst Kurths Romantischer Harmonik enthält Kodálys Bibliothek die Lehrwerke von Ernst Friedrich Richter, Kaspar Jacob Bischoff, Arnold Schönberg und Georg Capellen.[91] Aus Kodálys Anmerkungen in August Halms Bibliographie geht hervor, dass er die in der Bibliothek der Budapester Musikakademie vorhandenen Lehrbücher von Johann Schreyer, Rudolf Louis und Ludwig Thuille gelesen hat.[92] Dank einer Kodály-Notiz wissen wir zudem, dass sein Professor an der Budapester Musikakademie, Hans Koessler, nach den, wie Kodály formulierte, »sehr dogmatischen« Ideen von Moritz Hauptmann unterrichtete.[93]
Bei der Interpretation von Kodálys Studium harmonischer Lehrwerke muss klar zwischen denjenigen Büchern unterschieden werden, die ihm als Studenten die eigene Bildung erleichtert haben, und jenen, die er später für den Unterricht an der Musikakademie verwendet hat. Daher ist es erforderlich, eine Chronologie seiner Lektüre zu erstellen. Seine frühen Lektüren können Ausgangspunkte seines Komponierens gewesen sein und sein harmonisches Denken direkt beeinflusst haben, während er die späteren bereits nach Erarbeitung gewisser Prinzipien zur Hand nahm, bewertete und gegebenenfalls entsprechend verwendete. Für seinen Unterricht bezog er daraus offensichtlich nur solche Elemente, die in sein eigenes künstlerisch-pädagogisches Konzept passten.
Sein erstes Buch über Harmonielehre, das Werk von Ernst Friedrich Richter, erhielt er zu seinem fünfzehnten Geburtstag als Geschenk. Auf dem Titelblatt steht der Eintrag »Kodály Z. XII./16. 1897«. Wie die handschriftlichen Daten und Doppellinien am Ende jedes Kapitels belegen, arbeitete er die Lektionen rasch durch. Dass er den Stoff des Buchs sogar zweimal durchnahm, indiziert nicht nur die häufige Doppeldatierung, sondern auch der gelegentliche »Rep«-Vermerk [Repetition]. Außerdem geht aus den Datierungen hervor, dass sich Kodály unmittelbar nach Erhalt des Lehrbuchs, also im Schuljahr 1897/1898, zwischen dem 20. Dezember und dem 27. September damit befasste. Zum zweiten Mal arbeitete er es im Schuljahr 1899/1900 – ab dem 30. Oktober – durch, um sich auf die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie vorzubereiten.[94]
Das Buch selbst half dem jungen Autodidakten bei der Aneignung von Grundlagen der Harmonielehre, denn es behandelt nach traditionellem Aufbau die wichtigsten Regeln und Phänomene auf diesem Gebiet. Gleichwohl fällt auf, wie kritisch der junge Kodály von Beginn an das Lehrwerk las und mit welch akribischer Sorgfalt er Richters Aussagen überprüfte, seien es Regeln der Stimmführung, das Verbot der Verdoppelung von Leittönen oder mögliche Fehlinterpretationen von Musikliteraturzitaten. Auf beredte Weise kommentierte er mit Einfügungen oder Ausrufezeichen, die er nicht mehr nur neben den Grundregeln anbrachte, sondern überhaupt bei Sätzen und Aussagen, die ihn zum Zeitpunkt der Lektüre besonders interessierten. Die meisten seiner Vermerke beziehen sich auf Richters seltene Bemerkungen über die harmonischen Eigenschaften neuer Musik, wie übermäßige Akkorde oder »spekulative« Akkordbeziehungen, die eine Schlüsselrolle bei der Modulation spielen.[95] Aus all dem wird klar ersichtlich, dass sich Kodály bereits beim Erlernen der Grundlagen der Harmonielehre für Phänomene neuer Musik interessierte.
Deshalb faszinierte ihn das Lehrbuch von Kaspar Jacob Bischoff, das er am 24. Januar 1898 als Geschenk erhielt, in besonderer Weise.[96] Dass er Bischoffs und Richters Bücher miteinander verglich, geht aus einer Notiz in Richters Abhandlung hervor, in der Kodály neben eine Passage zur Charakterisierung der Modulation den Namen von Bischoff notierte.[97] Bischoffs kontemplativ-analytisches Lehrbuch war zwar weniger systematisch aufgebaut als das von Richter, doch es erwies sich in Bezug auf die moderne Musik als wesentlich gegenwartsnäher. Beispiele aus der Musikliteratur zitiert Bischoff nicht, stellt dafür aber als Vorbild einen bestimmten Komponisten, Richard Wagner, vor, da er annimmt, dass jeder, der den Weg der neuen Musik beschreiten wolle, sich an Wagner orientieren solle. Kodálys frühzeitige Orientierung an zeitgenössischer Musik zeigt sich auch daran, dass er in Bischoffs Buch die drei zentralen Hinweise auf Wagner unterstrich.[98]
Die Thesen dieses Lehrbuchs haben Kodálys Denken auch in weiteren Punkten entscheidend beeinflusst. Beispielsweise diskutiert Bischoff Durchgangsnoten und Verzierungen bereits in der frühesten Unterrichtsphase und widmet ein komplettes Kapitel zu Beginn des Buchs den Vorhalten.[99] Diese Elemente bereiten laut Bischoff nicht primär die Harmonielehre vor, sondern den damit eng verwandten Kontrapunkt. Außerdem macht der Autor die Lernenden frühzeitig mit Modulationsverfahren vertraut. Er gibt einen Einstieg in die diatonische Modulation in der Form, in der sie im Manuskript von Irma Bors erscheint – d. h. bereits bei der Darstellung von Grundakkorden noch vor den Umkehrungen – und schließt umgehend mit den sequenzierenden Modulationen an. Bischoff empfiehlt dieses Modulationsverfahren gerade deshalb, weil es – im Gegensatz zur Modulation mit verminderten Septimen, die geringe Schwierigkeiten bereiten würden – die Lernenden zu anspruchsvoller intellektueller Arbeit zwinge.[100]
Kodály folgt Bischoffs Ideen auch insofern, als er Harmonik als ein System von Akkordbeziehungen begreift. Bischoff weist u. a. auf charakteristische harmonische Wendungen hin. So werden zum Beispiel im Zusammenhang mit enharmonischen Modulationen die verschiedenen Möglichkeiten der Auflösung von verminderten Septakkorden in 16 verschiedene Tonarten aufgeführt mit dem Hinweis, dass die Schreibweise in erster Linie die Auflösungsrichtungen bestimme.[101]
Bischoffs Harmonielehre ist daher überhaupt kein traditionelles Lehrbuch: Er führt die verschiedenen Akkordtypen nur sehr allmählich ein, spricht nicht über ihre Umkehrungen, und thematisiert erst in der Mitte des Buchs, auf Seite 272, die Vierklänge. Zugleich führt er Verzierungen und modulierende Sequenzen frühzeitig in den Lehrgang ein. Der Zweck dieser Übungen besteht vor allem darin, aus der Harmonielehre eine echte Kompositionslehre zu machen, zu der neben harmonischem Denken ebenso der Kontrapunkt wie die Figurationslehre gehören. Bischoff verzichtet auf Regeln zum Gebrauch von Akkorden oder Akkordbeziehungen, weil sie aus seiner Sicht die kompositorische Fantasie nicht befördern.[102] Er wirft eher Fragen und Probleme auf, um zu verstehen, wofür und wie ein Akkord verwendet werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt war sein Werk das wichtigste Modell für Kodálys »tendenzielle« Harmonielehre.
Auch wenn Kodály offenkundig zentrale Prinzipien seiner Harmonielehre aus Bischoffs Lehrbuch herausfilterte, konnte dieses in erster Linie theoretische Werk kein Beispiel dafür geben, wie der Unterricht Stunde um Stunde didaktisch gestaltet werden könnte. Zu Beginn seiner Unterrichtstätigkeit musste er sich nach Lehrbüchern umsehen, die ihm auch dafür als Vorbild dienen konnten. Das 1905 erschienene Lehrbuch von Johann Schreyer, zugleich das Vorbild für Antal Molnár, konnte Kodály mit pädagogischem Gewinn lesen. Schreyers Ansatz, die Lehre anhand von ausgewählten klassischen Musikbeispielen und einer auf diese ausgerichtete Noten- und Höranalyse aufzubauen, erschien ihm schlüssig und nachahmenswert. Allerdings konnte er wegen des völligen Fehlens didaktischer Struktur, genau wie im Falle von Bischoffs Lehrbuch, das Curriculum für seine Studierenden nicht allein auf Schreyers Buch aufbauen. Auch August Halms eher wissenschaftlich als pädagogisch orientierte Harmonielehre war für Kodály nicht als Modell verwendbar, da sich dieses Werk primär auf den ›harmonischen Diskurs‹ der damaligen Zeit konzentrierte und demnach für die Grundausbildung eher ungeeignet war.
Das modernste Lehrbuch aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, die Harmonielehre von Rudolf Louis und Ludwig Thuille, war das einzige, das aus Kodálys Sicht erfolgreich die Prinzipien des neuen harmonischen Denkens mit einer traditionellen Harmonielehre und einem intelligenten didaktischen Konzept verknüpfte. Kodály entnahm vieles aus diesem Buch, das – ganz traditionell – in zwei Hauptkapitel (Diatonik und Chromatik/Enharmonik) unterteilt ist und ausgehend von Hauptdreiklängen immer komplexer werdende Akkordbildungen behandelt. Es unterscheidet sich von der traditionellen Harmonielehre des frühen 20. Jahrhunderts dadurch, dass es Vorhalte und Nebentöne schon von Anfang an präsentiert. So etwas wie Kodálys Prinzip der musikalischen Anwendbarkeit spiegelt sich auch darin wider, dass sich die Autoren immer wieder die Frage stellen, welche Rolle die behandelten Akkorde in der gegebenen Akkordbeziehung spielen und in welchem musikalischen Zusammenhang sie auftreten. Im letzten Kapitel ist eine Reihe von Beispielen charakteristischer Akkordbeziehungen aufgeführt.[103]
Darüber hinaus untersucht das Lehrbuch von Rudolf Louis und Ludwig Thuille, wie alterierte Akkorde zur Erweiterung der Tonalität beitragen können. Deshalb behandelt der Lehrgang besondere Tonleitern wie die Dur-Moll- und Moll-Dur-Skala sowie die damals als ›Zigeuner-Tonleitern‹ bezeichneten, und werden Alterationen so ausführlich erörtert. Im Gegensatz zu Kodály teilt das Buch die Alterationen in nur vier Gruppen ein (Nebendominanten, übermäßige Sextakkorde, Neapolitanische Sextakkorde und spezielle Alterationen), aber es diskutiert, genau wie Kodály im Manuskript von Irma Bors, die Alterationen der Subdominantregion (übermäßige Sextakkorde, Neapolitanischer Sextakkord) am detailliertesten. Die Erklärungen und Beispiele des Buchs finden sich an vielen Stellen in Bors’ Manuskript wieder. Ein bestimmter Typus von alterierten Akkorden liefert die deutlichsten Indizien dafür, dass Kodály das Lehrwerk von Louis und Thuille als Vorbild für den eigenen Unterricht verwendete. In Bors’ Manuskript wird eine Akkordfamilie behandelt, die Kodály der Kategorie »Alterationen mit erniedrigtem Leitton« [»leszállított vezetőhangú alterációk«] zuordnet,[104] die aber eher Moll-Formen einiger Dur-Akkorde impliziert.
Kodálys Bibliothek enthält auch die Harmonielehrbücher zweier zeitgenössischer Autoren, nämlich die von Georg Capellen und Arnold Schönberg. Die beiden Schriften von Capellen (Fortschrittliche Harmonie- und Melodielehre und Ein neuer exotischer Musikstil)[105] dürften Kodály vor allem deshalb beschäftigt haben, weil sie neben der neuen harmonischen Terminologie, die Capellen einführen wollte, spezielle, von ihm als »exotisch« bezeichnete Skalen und ihre Harmonisierungsmethoden erforschte, die ebenfalls ein brennendes Problem für Kodály, der in seinen Werken ungarische ›Volkslieder‹ verwendete, darstellten. Deshalb unterstrich er auch Capellens Schlagwort: »Los vom Leitton!«[106] Dennoch hatte er offenbar eine ziemlich abschätzige Meinung über dieses Lehrbuch, was die häufigen Fragezeichen und solche Randanmerkungen wie »Ach! Ach!« nahelegen. Kodály hat sogar den Titel des Buches am Titelblatt mit Feder ergänzt: Fortschrittliche »und antikontrapunktische« Harmonie- und Melodielehre »für das Klavicimbel«. Und eine Notiz am Ende des Buches beweist, dass Kodály den Autor als Dilettanten rubrizierte. Hier erklärt Capellen zur Verteidigung seiner eigenen Theorie, wie oft Neuerern Dilettantismus vorgeworfen werde. Kodály macht an diesem Punkt eine ironische Bemerkung: »Vive Capell.[en] der wirk.[liche] Neuerer!«[107]
In Arnold Schönbergs Harmonielehre von 1911 findet sich eine entsprechende Kritik an Georg Capellens Schriften.[108] Und dies ist nicht die einzige Parallele, die sich zwischen Schönbergs und Kodálys Ideen ziehen lässt. Es kann jedoch nicht nachgewiesen werden, dass Kodály Schönbergs Lehrbuch, das er in seiner Bibliothek aufbewahrte, tatsächlich gelesen hat: Die Bleistiftunterstreichungen in diesem Exemplar reichen nicht aus, um festzustellen, von wem sie stammen, und das Exlibris verweist auf einen anderen Besitzer. Auffällig ist jedoch die Ähnlichkeit vieler Gedanken, die die beiden Komponisten über die Harmonielehre äußerten.
Kodály stimmte mit Schönberg darin überein, dass die Hauptaufgabe der Harmonielehre als Vorschule der Kompositionslehre darin bestehe, den Studierenden dabei zu helfen, die Anwendung der Akkordbeziehungen und überhaupt das harmonische Denken im Ganzen zu durchdringen. Aus diesem Grund legte Kodály viel Wert auf die Analyse und Darstellung von Akkordbeziehungen, beispielsweise von Klängen, die zwischen solchen Akkorden auftreten, die aus der Perspektive traditioneller Tonalität keine Beziehung zueinander haben. Kodály nannte einen derartigen Akkord und seine Verwendung nach dem Manuskript von Irma Bors »Zwischenakkord« oder »keinen echten Trugschluss« [»nem igazi álzárlat«]. Schönberg stellte wie Kodály die einzelnen Akkordbeziehungen detailliert und in tabellarischer Übersicht dar.[109] Mit seinen zahlreichen Beispielen für Akkordverbindungen und Sequenzen wollte Schönberg wie Kodály vor allem eine Handreichung zu differenzierten Modulationswegen und deren musikalischen Wirkungen geben. Er betonte auch das Prinzip, dass Akkorde oft aus dem unerwarteten Zusammentreffen verschiedener Stimmen resultieren,[110] und schließlich sah auch Schönberg alterierte Akkorde als prägende Elemente eines neuen harmonischen Denkens an.
Die Parallelen zwischen Schönbergs und Kodálys harmonischem Denken ergeben sich nur zum Teil aus der gemeinsamen österreich-ungarischen Tradition von Musiktheorie und Kompositionslehre, in der beide aufgewachsen waren. Als Grund für die Ähnlichkeiten kann der Diskurs über die harmonischen Prinzipien der neuen und neuesten Musik bezeichnet werden, in den sie beide als aktive Teilnehmer ihre Auffassungen einbrachten, um diese – bereichert um ihre Erfahrungen als Komponisten – in ihre Harmonielehren zu integrieren. Die wichtigsten Lehrbücher der Jahrhundertwende, die vor allem auf die Erneuerung der Harmonielehre abzielen – die Werke von Kaspar Jacob Bischoff, Georg Capellen, August Halm, Rudolf Louis und Ludwig Thuille sowie Johann Schreyer – ebneten in der Tat den Weg zu einer radikalen Wende bei der Behandlung der Harmonik nach Wagners Tristan im Musiktheorie- und Kompositionsunterricht. Damit bereiteten sie den Boden für die Innovationen Ernst Kurths wie auch für die theoretischen Werke von Komponistinnen und Komponisten, die diesen Diskurs aufgriffen und ihn dokumentierten, wie Arnold Schönbergs Harmonielehre oder Zoltán Kodálys »tendenzielle« Theorie der idiomatischen Wendungen, die nur fragmentarisch aus dem Manuskript von Irma Bors und Kodálys Lektüren der Musiktheorie seiner Zeit rekonstruiert werden kann.
Anmerkungen
Dieser Beitrag wurde von dem Ungarischen Nationalen Amt für Forschung, Entwicklung und Innovation gefördert (Projektnummer: K123819). | |
Vgl. dazu das Kapitel »Commentaries on Debussy: Kodály’s Turn toward Western Mondernity« meiner Kodály-Monographie (Dalos 2020, 56–64). | |
Forte 1987, 211. | |
Vgl. Bárdos 1975a und 1978, Gárdonyi 1969. | |
Vgl. Bárdos 1976. | |
Vgl. Szelényi 1956 und 1961. | |
Vgl. Gárdonyi 1969. | |
Vgl. Szabó 1965, 5. | |
Vgl. Bárdos 1969 und 1978. | |
Vgl. Szelényi 1961. | |
Szelényi 1942. | |
Lendvai 1969 und 1995. | |
Einige frühe Beispiele sind dafür: Járdányi 1955, Szelényi 1955, Ligeti 1955. | |
Vgl. Schönberg 1911, 440 f. | |
Vgl. Samson 1958, Nadeau 1979. | |
Vgl. Kazacsay 1944. | |
Vgl. Kardos 1949. | |
Kurth 1920, 42–60. | |
Vgl. Szelényi 1942, 910. | |
Vgl. Szelényi 1965, 166. | |
Vgl. ebd., 69. | |
Vgl. ebd., 176. | |
Kurth 1920. | |
Vgl. McCreless 1983. | |
Vgl. Federhofer 1981, 35. | |
Vgl. Dahlhaus 1984, 158. | |
Kerényi 1942, 41. Ein Beitrag in Béla Balázs’ Tagebuch beweist, dass Kodály sich intensiv mit Tristan und Isolde beschäftigte: Balázs 1981, 142. | |
Vargyas 1989, 402, Vargyas 1993, 20. | |
Vgl. Vargyas 1989, 390, Vargyas 1993, 80, 84, 129, 136. | |
Vgl. Kodály 1964 I/d, 48. | |
Vgl. Kodály 1964 I/a, 293, Kodály 1964 I/b, 278, Kodály 1964 I/c, 252 f., Kodály 1989a, 293, Kodály 1989b, 83, Kodály 1989c, 566. Kodály übertrieb an dieser Stelle die Interpretation von Wagners Schrift, in der nur dessen Enthusiasmus für die Aufführungen des Pariser Conservatoire-Orchesters beschrieben wird (vgl. Wagner 1914, 14–16). | |
Kodály Archiv, Ms. mus. Budapest 1900’, 3. | |
Kodály Archiv, Ms. mus. Budapest 1900’, 8r–v. | |
Kodály Archiv, Ms. mus. Budapest 147, 9v. | |
Kodály Archiv, Ms. mus. Budapest 1900’, 49 1v, 102/2v. | |
Kodály Archiv, Kkt. 2220. | |
Kurth 1920, XI. | |
Ebd., 198. | |
Ebd., 134. | |
Ebd., 137. | |
»Térjünk vissza a disszonanciákra. Bartók, aki végigkísérte a modern harmóniavilág Trisztán óta megtett fejlődését, Bach harmonikus gondolkodásának az örököse. Szemében Reger is annak hirdetője volt, hogy Bach még Wagner után is tartogat számunkra mondanivalót. A dallamstílus megváltozása elkerülhetetlenül befolyásolta a harmóniavilágot. Bizonyos hangok közötti új kapcsolatok, amelyek az »egymásutánban« létrejöttek, az együtthangzásban is érvényesülnek. Megnyugtatónak érzünk olyan hangzásokat is, amelyek régebben feloldás nélkül érthetetlenek voltak. Ám a kárhoztatott disszonanciák javarésze a dallamvilágból ered. A súrlódások, a nyersebb hatások, két vagy több dallam kombinációja folytán jönnek létre. Bach stílusáról tartják, hogy nála nemcsak átmenő hangok vannak, hanem teljes átmenő dallamok, s nemcsak egyetlen hang vagy hangzat késleltetése, hanem egész dallammeneteké. Ez a titka Bartók disszonanciáinak is. Bach óta elszoktunk attól, hogy két, egyaránt fontos szólamot kövessünk; a mellérendelést alárendelés váltotta fel. Figyelmünket az egymás alatt megszólaló hangokra összpontosítjuk, s az egyidőben hangzó hangcsoportokban mindjárt hármashangzatot keresünk. De a lényege szerint melodikus zenét nem így kell hallgatni. Ha sikerül nagyobb teret befognunk pillantásunkkal, azaz horizontálisan hallunk, nyomban megszűnik a bántó disszonancia. Olykor a hirtelenül felhangzó disszonanciák ágyúlövésként robbannak, de ha dallamokká oszolnak, határozottan haladnak céljük felé. Két dallam találkozásakor olyan hangsúly keletkezik, amely megkétszerezi a mozgásenergiát, és jobban kiemeli az egyik, vagy mindkét dallamot. Ez az, ami Bartók stílusát oly tömörré, oly kérlelhetetlenül logikussá teszi, ami az abszolút szükségszerűség érzését kelti.« (Kodály 1964 II/a, 430; Übers. von Anna Dalos) | |
Kurth 1917. | |
Vgl. Halm 1902, 22 f. | |
Kodály Archiv, KKt. 2413. »Es ist dies Kunst des Hörens früher gewiß allgemeiner und besser ausgebildet gewesen sei als jetzt.« (Halm 1902, 23) | |
Fotokopien des Manuskripts werden derzeit im Kodály Institut in Kecskemét und im Kodály Archiv in Budapest aufbewahrt. Bónis 1994, 204; Gábor 1986, 33–38. | |
Kesztler 1928. | |
Bussler 1867. | |
Vgl. Bors o. J., 114–137. | |
„Az oldó akkord legtöbbször mint váltóakkord vagy mint átfutó akkord ékelődik bea szeptimhangzat és az igazi oldó akkord közé, tehát az álzárlat csak látszólagos. Az utóbbi esetben az álzárlatot képező átfutóakkord vagy azonos funkciókat köt össze, vagy pedig a kadenciális oldáshoz kapcsolja a hetedhangzatot.“ Ebd., 127, 129, 133. | |
Vgl. ebd., 201. | |
Vgl. ebd., 235. | |
Vgl. ebd., 134–144. | |
Vgl. ebd., 4. | |
Vgl. ebd., 71. | |
Vgl. ebd., 11 f. | |
Vgl. ebd., 19–21. | |
Vgl. ebd., 22 f. | |
Vgl. ebd., 23–25. | |
Vgl. ebd., 26. | |
Vgl. ebd., 6, 10, 14, 52. | |
Vgl. ebd., 4, 7, 11, 70. | |
Vgl. ebd., 63–66. | |
Ebd., 98 f. | |
Vgl. ebd., 101–133. | |
Schönberg 1911, 84–87. | |
Vgl. Bors o. J., 89. | |
Kodálys Lehre steht auch in dieser Hinsicht Schönberg nahe: Vgl. Schönberg 1911, VI. | |
Vgl. Bors o. J., 326–343. | |
Vgl. ebd., 360–382. | |
Vgl. ebd., 377–425. | |
Vgl. Moravcsik 1908, 79 f. | |
Vgl. Dexroth 1971a und b. | |
Vgl. Dahlhaus 1984, 158. | |
Szelényi 1927, 3. | |
Vgl. ebd., 9. | |
Ebd., 11. | |
Vgl. ebd., 3. Kodály bewahrte ein Exemplar von Szelényis Buch auf: Kodály Archiv, Kkt. 2073. | |
Vgl. Szelényi 1960 und 1965. | |
Kodály erwartete von seinen Schülern, dass sie Beispiele sammeln. Vgl. Gárdonyi 1942, 328. | |
Molnár 1953. | |
Vgl. Bárdos 1975b, 29–35. | |
Bárdos 1961 und 1949. | |
Vgl. ebd., 160 f. | |
Bárdos 1961, 109 f. | |
Kurth 1920, 19. | |
»A történelmileg kialakult kapcsolatokat egyéniségének megfelelően használja fel.« (Szelényi 1960, 3) | |
Molnár 1922a, 82. | |
Ebd., 81. | |
Zu Molnárs Theorie des neuen Klassizismus vgl. Dalos 2002, 191 f. | |
Vgl. Molnár 1931, 63; Schreyer 1905. | |
Richter 1895 (Kodály Archiv Kkt. 2107), Bischoff 1890 (Kodály Archiv Kkt. 4392), Schönberg 1911 (Kodály Archiv Kkt. 2078), Capellen 1908 (Kodály Archiv 2563), Capellen o. J. (Kodály Archiv 2566). | |
Schreyer 1905 (Bibliothek der Franz Liszt Akademie K. 977), Louis/Thuille 1907. | |
Vargyas 1989, 119 f.; Hauptmann 1853. | |
Kodálys Marginalien: Richter 1895, 5, 8, 16, 21, 27, 34, 42, 47, 52, 59, 66, 98, 129, 132, 140, 158, 178, 216, 221. | |
Ebd., 32, 72. | |
Bischoff 1890. | |
Richter 1895, 140. | |
Bischoff 1890, 93, 181, 188. | |
Bischoff 1890, 48–52, 67–71. | |
Vgl. ebd., 159 f. | |
Vgl. ebd., 331. | |
Vgl. ebd., 272. | |
Louis/Thuille 1907, 320–343. | |
Bors o. J., 244–459. | |
Capellen 1908 und o. J. | |
Capellen 1908, 170 f. S. dazu außerdem Kodálys Aufsatz aus dem Jahre 1917: »Pentatonik in der ungarischen Volkmusik« (Kodály 1964 II/b, 75). | |
Capellen 1908, 189. | |
Schönberg 1911, 441. | |
Ebd., 9 f. und 44 f. | |
Vgl. ebd., 37. |
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