Ramos, Luis (2021), »Solmisationssysteme in El cantor instruido von Manuel Cavaza. Ein Fallbeispiel zur Methodenvielfalt im 18. Jahrhundert« [Solmization Systems in El cantor instruido by Manuel Cavaza: A Case Study for Methodological Diversity in the Eighteenth Century], Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 18/1, 127–140. https://doi.org/10.31751/1108
eingereicht / submitted: 21/09/2020
angenommen / accepted: 25/10/2020
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 28/06/2021
zuletzt geändert / last updated: 12/07/2021

Solmisationssysteme in El cantor instruido von Manuel Cavaza

Ein Fallbeispiel zur Methodenvielfalt im 18. Jahrhundert

Luis Ramos

In der Gesangsschule El cantor instruido o Maestro aliviado (Madrid 1754) stellt Manuel Cavaza verschiedene Systeme zur Handhabung von Solmisationssilben einander gegenüber. Neben der guidonischen Solmisation mit Hexachorden und Mutationen stellt er zwei Methoden ohne Mutation sowie eine Art ›Tonika-Do-System‹ mittels Schlüsselsimulation vor. Cavazas Manuskript ist ein hervorragendes Zeugnis der Vielfalt von Solfège-Traditionen an der europäischen Peripherie in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Allen Anzeichen nach sollte ein gut informierter Gesangslehrer damals ein musikalischer Polyglott sein.

In his singing treatise El cantor instruido o Maestro aliviado (Madrid 1754) Manuel Cavaza contrasts different systems for handling solmization syllables. In addition to Guidonian solmization with hexachords and mutations, he presents two methods without mutation as well as a kind of “moveable do” system using key simulation. Cavaza’s manuscript is an excellent testimony to the diversity of solfège traditions on the European periphery in the mid-eighteenth century. According to this source, a well-informed singing teacher at that time had to be a musical polyglot.

Schlagworte/Keywords: 18. Jahrhundert; 18th century; accidentals; Akzidenzien; key simulation; Manuel Cavaza; Real Capilla de Madrid; Schlüsselsimulation; Solmisation; solmization

Anfang der 2000er Jahre tauchte in der Biblioteca Histórica Marqués de Valdecilla der Universidad Complutense de Madrid ein bis dahin verschollen geglaubtes Manuskript von Manuel Cavaza, langjähriger Oboist der spanischen Königlichen Musikkapelle, auf.[1] Der Autor hatte es in seinen Elementos de música o prontuario de reglas aus dem Jahr 1773 erwähnt, doch sein Standort blieb lange Zeit unbekannt.[2] Die Handschrift trägt den Titel El cantor instruido o maestro aliviado así en los difíciles principios de esta nobilísima profesión como en todo lo que un cantor debe saber según el moderno y último estilo dispuesto con exemplos prácticos: »Der ausgebildete Sänger oder der erleichterte Lehrer, in den schwierigsten Prinzipien dieses edlen Berufes, ebenso in allem, was ein Sänger nach dem modernen und neuesten Stil wissen muss, mit praktischen Beispielen«. Dem Titelblatt zufolge werden im ersten Teil die Grundlagen des canto llano abgehandelt,[3] im zweiten Teil geht es um den modernen Gesang nach italienischer Art.

Dieser Traktat ist ein interessantes Dokument zur spanischen Gesangs- und Solfège-Pädagogik in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Er stellt verschiedene Solmisationsmethoden einander gegenüber und bildet auf diese Weise einen gewissen Methodenpluralismus in der damaligen Gesangsdidaktik ab: die klassische guidonische Solmisation mit Mutationen, eine Methode mit einer siebten Silbe bi oder ba sowie ein »französisches« System mit einer siebten Silbe si. Darüber hinaus beschreibt Cavaza ausführlich die Handhabung von Akzidenzien, Tonarten und transponierten Schlüsseln.

Obwohl für den praktischen Musik- bzw. Gesangsunterricht bestimmt, zeichnet sich die Quelle durch umfangreiche und teilweise sperrige Textabschnitte aus. Der erste Teil ist mit seinen durchnummerierten 90 Seiten vermutlich vollständig.[4] Vom zweiten Teil fehlen die ersten 23 Seiten. Manche Inhalte werden hier fast wörtlich wiederholt, als handele es sich zum Teil um Skizzen für den ersten Teil. Das Schriftbild und die Handschrift, die unzweifelhaft Cavaza zuzuordnen ist, wirken im zweiten Teil weniger gepflegt.[5]

Die Instruktionen zum canto llano im ersten Teil werden nach einleitenden Texten in Kapitel untergliedert. In jedem Kapitel wird ein Thema behandelt, das anschließend in Dialogform zwischen Meister und Lehrling zusammengefasst wird – so, als würde Cavaza einen Schüler die Lektion abfragen. Die bekannten Prinzipien der aretinischen Solmisation mit Mutationen werden anhand ausführlicher Erklärungen und informativer Grafiken vermittelt.

Ein weiterer Traktat von Cavaza, Rudimentos y elementos de la música práctica (1786), der die Ausbildung am Real Colegio de Niños Cantores (der Schule für Sängerknaben, die der Königlichen Musikkapelle angegliedert war) dokumentiert, widmet sich ausschließlich der Solmisation mit Mutationen. In El cantor instruido hingegen wird der Leser auf engem Raum mit verschiedenen Solmisationssystemen konfrontiert.

Biografisches

Cavazas Lebenslauf ist weitgehend unbekannt. Er trat die Stelle als Solo-Oboist an der Real Capilla de Madrid am 16. Juli 1744 an und stand im königlichen Dienst bis zu seinem Tod im Jahr 1790, also fast ein halbes Jahrhundert lang. Cavaza war der erste Oboist spanischer Nationalität, der dieses Amt bekleidete.[6] Seine Nationalität ist keine Nebensächlichkeit, denn die einflussreichen Diccionarios von Baltasar Saldoni und Felipe Pedrell widersprechen sich bezüglich Cavazas Herkunft. Nach Saldoni wurde er in Madrid geboren, während Pedrell ohne weitere Belege annimmt, Cavaza zähle zu den italienischen Musikern, die nach Spanien kamen, um in der königlichen Kammer und Kapelle zu dienen,[7] was aber chronologisch nicht stimmen kann.[8]

Eine Äußerung Cavazas im zweiten Teil des El cantor instruido ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert. Dort notierte Cavaza einen vierstimmigen Vokalsatz mit Begleitstimme (Violon) zum Hymnus Tantum ergo, mit dem Vermerk »von meinem Meister Dn. Leonardo Leo komponiert«.[9] Ein weiteres Beispiel von Leo, eine Reduktion von Ma l’aere intanto sul destriero alato aus der Kantate L’Andromada, findet sich unter den Notenbeispielen zur Darstellung des Rezitativstils.[10] Da Leo nie in Spanien gewesen ist, schließt María Rodríguez López nicht aus, dass Cavaza zumindest Teile seiner Ausbildung in Neapel absolviert haben könnte.[11] Mangels aussagekräftiger Belege erscheint es aber viel wahrscheinlicher, dass Cavaza Werke von Leo gründlich studiert und als Vorbilder genutzt hat. Exemplare von Leos Solfeggi sind in Madrid ohnehin belegt.

Cavazas Herkunftsdaten wurden u. a. anhand seines Testaments endgültig geklärt.[12] Als Sohn von Juan Baptista Cavazza (sic) und Juana Ansalda, beide aus der Genuesischen Republik, wurde er in den 1720er Jahren in Toledo geboren. Sein Vater diente zu dieser Zeit als Oboist an der dortigen Kathedrale. Vermutlich hat Manuel seinen ersten musikalischen Unterricht vom Vater erhalten. Bis zu seiner Aufnahme in die Königliche Kapelle ist kaum Näheres über seinen Werdegang bekannt. Von 1747 bis 1758 wurde er für das Orchester am Real Coliseo del Buen Retiro, unter der Leitung des berühmten Sängers Carlo Broschi, genannt Farinelli, verpflichtet, was sein hohes instrumentales Können belegt. Außerdem komponierte er Pflichtstücke für Probespiele der Königlichen Kapelle, an denen er mehrmals als Juror teilnahm.[13]

Eine autografe Kopie von Cavazas Rudimentos y elementos de la música práctica enthält ein loses Blatt, unterschrieben von Fray Pedro Carrera, Organist am Real Convento del Carmen in Madrid.[14] Das zweiseitige Schreiben ist eines der wichtigsten Dokumente zu Cavazas Leben und Persönlichkeit. Darin hält Carrera fest, dass Cavaza am Prüfungsausschuss für die Solfeo-Lehrstelle an der Königlichen Schule für Sängerknaben im Jahr 1781 teilnahm. Dort habe Cavaza die guidonische Solmisation als unabdingbar verteidigt.[15] Zugleich belegt seine Teilnahme an dieser Kommission, dass er auch auf diesem Gebiet eine gewisse Autorität genoss.

Cavazas Übersetzungen und Schriften zur Musik haben ihm, wohl zu Unrecht, den Ruf eines sehr konservativen Musikers eingebracht.[16] Zweifelsohne verfügte er über breite Kenntnisse von musikalischen Traditionen weit über die Grenzen Spaniens hinaus, darunter insbesondere auch von dem modernen italienischen Stil.

Solmisationssysteme ohne Mutationen

Am Ende des 19. Kapitels des ersten Teils von El cantor instruido, nachdem die Mutationen ausführlich erklärt worden sind, stellt Cavaza eine erste Solmisationsmethode ohne Mutationen vor. Nach dem üblichen Dialog zwischen Meister und Lehrling und vor Beginn des 20. Kapitels widmet er sich kurz dem System des »berühmten Bischofs Cramuel«:

Um ohne Mutationen zu singen, hat der berühmte Bischof Cramuel [sic] die Solmisationssilbe Bi erfunden, die nach den ersten sechs Silben der ersten Deducción [= Hexachord] gesungen wird. Anschließend wird das erste Hexachord eine Oktave höher wiederholt. So wird immer por Natura [= im cantus durus] gesungen, wobei jene Silbe Bi dem Signo Befabemi zugewiesen wird. Auf diesem Signo kann auch die Silbe Ba stehen, um por Bemol [= im cantus mollis] zu singen. Dies geschieht in Propiedad de Bemol [= im cantus mollis], aber ohne Deducción [= ohne Einbeziehung der Silben aus dem hexachordum molle], denn es beginnt stets mit der Silbe ut in Cesolfaut, also: C.ut D.re E.mi F.fa G.sol A.la Bi. oder por Bemol Ba. C.ut D.re E.mi usw.[17]

»Bischof Cramuel« verweist hier auf den Zisterzienser Juan Caramuel y Lobkowitz (1606–1682). Dieser hatte grundsätzliche Kritik an der Komplexität der Mutationen im guidonischen System geübt, denn ihm zufolge unterschieden sich »der cantus mollis und der cantus durus […] nicht in der Stimme, sondern nur in der Feder«.[18] Stattdessen schlug er in einer einseitigen Veröffentlichung mit dem Titel Ut, Re, Mi, Fa, Sol, La, Bi Nova Musica ein Solmisationssystem vor, welches die Hexachordmutationen durch die Hinzufügung einer siebten Silbe bi oder ba gänzlich vermeidet. Eine lateinische Fassung dieser Schrift wurde 1646 in Wien gedruckt, eine auf Spanisch 1666 in Rom.[19] Daniel Sabaino geht davon aus, dass ein Kapitel in Caramuels umfangreichem Traktat Arquitectura civil recta y obliqua die spanische Fassung, die als verschollen gilt, wörtlich wiedergibt.[20] Dort heißt es sinngemäß, die Unterscheidung zwischen cantus durus und cantus mollis sei gegenstandslos und somit die ganze Doktrin um die Guidonische Hand bloß überflüssig und mühsam.[21] Caramuels Vorschlag einer siebten Silbe lautet dort:

Die Stufen zum Hinauf- und Heruntergehen in der Oktave sind sieben an der Zahl, genauso die Silben: ut, re, mi, fa, sol, la, bi. Es gibt nur einen Gesang, in dem Naturale, Durum und Molle zusammenkommen. Wenn der Ton Bi mit b geschrieben wird, so wird Ba gesungen und es handelt sich um einen Halbton. Ba ist also nötig, wenn auf- oder absteigend Fa gesungen wird, denn FA, BI wäre ein Tritonus und BI, FA wäre eine falsche Quinte. Stattdessen werden FA, BA, Quarte, bzw. BA, FA, reine Quinte, gesungen.[22]

Dieses System kommt ohne Mutationen und ohne Transpositionen aus. Ein Tonbuchstabe entspricht einer einzigen Tonsilbe, z. B. a ist immer la. Dieses zu jener Zeit nicht sehr verbreitete System entspricht fast den heute in den romanischen Ländern üblichen Notennamen: Man müsste lediglich ut gegen do sowie bi gegen si tauschen. Die Silben bi und ba lassen sich leicht als Zusammenführung des Tonbuchstabens b und der Vokale aus den Solmisationssilben fa und mi ableiten, wobei b-fa zu ba bzw. b-mi zu bi wird. Das dazugehörige Notenbeispiel zeigt einen praktischen Vorteil dieser Methode, denn die Korrespondenz der Vokale, also faba oder mibi, entspricht stets reinen (statt ›unharmonischen‹ übermäßigen oder verminderten) Quarten und Quinten.

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Abbildung 1: oben: Solmisation ohne Mutationen nach Caramuel; Skala in Anlehnung an Caramuels »Scala musica« (Caramuel 1678, Tratato V, 88); unten: mi contra fa (ebd., Tratato VII, 61)

Caramuel war kein professioneller Musiker, sondern gehört dem Typus des Universalgelehrten an. Da sein außergewöhnliches System fast ausschließlich in einem Traktat zur Geschichte der Architektur, also fernab vom Gebiet der musica prattica, überliefert worden ist, stellt sich die Frage, welche Wirkung davon ausgegangen ist. Cavazas El cantor instruido hingegen ist ein durch und durch praxisorientiertes Werk, worin Caramuels System dennoch kurz Erwähnung findet. Die Solmisation mit der siebten Silbe bi oder ba wurde vor allem von Fray Pedro de Ureña (* um 1580), Caramuels Lehrer, und von Fray Tomás Gómez († 1688) unter den Zisterziensern in Spanien verbreitet. Sanhuesa Fonseca geht außerdem davon aus, dass Caramuels Methode in Ut, Re, Mi, Fa, Sol, La, Bi Nova Musica eine interne Empfehlung an die Zisterzienser im deutschsprachigen Raum zur Vereinfachung des Kirchengesangs gewesen sei.[23]

Gleich nach dem Hinweis auf Caramuels System stellt Cavaza als »Musico-systema Francés para cantar sin Mutanzas« ein zweites System mit einer siebten Silbe vor.[24] Caramuels Reduktion auf eine einzige Skala geht ihm offensichtlich zu weit. Wenn man ohne Mutationen singen möchte (und diese Möglichkeit räumt er durchaus ein), hätten die Franzosen eine bessere Lösung:[25]

So viel zu der Erfindung [dem System Caramuels], die ein gewisser Geistlicher seine eigene nannte. Meiner bescheidenen Ansicht nach haben es die Franzosen allerdings viel besser gemacht, […] denn Caramuel bedient sich eines einzigen Hexachords für alle drei Propiedades. [Die Franzosen] hingegen ordnen die Silben in zwei Propiedades, de Natura und de Bemol.[26]

Nach dieser Methode soll eine Silbe si am oberen Ende des hexachordum naturale oder des hexachordum molle hinzugefügt werden, bevor die Skala erneut mit der Silbe ut weitergeht. Sie übernimmt also den Ort von B.mi im cantus durus und von E.mi im cantus mollis. Die beiden Grundskalen bzw. Transpositionen des Tonsystems bleiben somit erhalten.[27]

Ich kritisiere das französische System nicht, im Gegenteil. Wer es erfunden und eingeführt hat, verdient ein großes Lob, solange es um die Vereinfachung für die Anfänger geht. Sie sollten sich aber auch unser [spanisches] System aneignen, welches auch sonst überall praktiziert wird. Die Silbe si ist nicht diejenige, die meinen Ohren am besten gefällt. […] Diese Nation [Frankreich] zeichnet sich durch dieses System und den Gebrauch merkwürdiger Taktarten aus, die ich bereits darstellte. Auch von der Schlüsselsimulation machen die Franzosen Gebrauch. Ich gebe zu, dass diese Art des Singens ohne Mutationen einfacher ist: Wenn es dir gefällt, so nutze es; wenn nicht, soll diese Beschreibung unsere Neugier gestillt haben.[28]

Als wesentlichen Vorzug dieses französischen Systems hebt Cavaza dessen Einfachheit hervor. Zu seiner Verdeutlichung zeichnet er eine schematische Darstellung ohne Notenlinien, wie er sie zuvor bereits für das »Systema maximo Latino«, also das Tonsystem des Gamut, sowie für die Hexachordlehre im Sinne der Guidonischen Hand verwendete.[29] Die Grafiken zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Solmisationssystemen wirken stets integrativ, d. h. dem Autor gelingt die Darstellung eines absoluten, fixen Tonraumes, dessen Zusammenhang anhand von Tonbuchstaben, Tonsilben, Hexachorden sowie transponierten Tonsilben erklärt werden kann.

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Abbildung 2: Grafiken aus El cantor instruido (Cavaza 1754, 10, 14 und 80); links: »Systema máximo Latino«; Mitte: »Mano Introductoria de Guido Aretino«; rechts: »Músico-systema Francés para cantar sin Mutanzas«; Bildquelle: Biblioteca Histórica Marqués de Valdecilla, Universidad Complutense de Madrid

Akzidenzien, Schlüssel und ›Schlüsselsimulation‹

Die Bedeutung der Akzidenzien thematisiert Cavaza im 13. Kapitel des ersten Teils von El cantor instruido. Die beiden soeben besprochenen Solmisationssysteme ohne Mutation stellt er erst im 19. Kapitel vor. Alle seine Instruktionen zu den Akzidenzien geschehen somit im Kontext der Solmisation mit Hexachorden. Umso interessanter ist in diesem Zusammenhang die Handhabung der Solmisationssilben, denn ein Kreuz (im Original Sustenido oder Diesis) kann bewirken, dass eine Note, die sonst als fa solmisiert wird, zu einem mi gemacht wird. Ein Be (im Original Bemol) wiederum verwandelt eine mi- unter Umständen in eine fa-Silbe.

Jedes Alterationszeichen modifiziert die darauffolgende Note einerseits in der Note selbst, andererseits in ihrer Solmisationssilbe. Das Kreuz beispielsweise erhöht die Note um einen Halbton, das ist der erste Effekt. Der zweite Effekt ist, dass jene Note nun als mi solmisiert wird, obwohl sie naturgemäß fa heißen würde.[30]

Obwohl Kreuze und Bes prinzipiell auf jeder Skalenstufe denkbar sind, betont Cavaza die Wechselwirkung der Silben mi und fa, wodurch ein Wechsel in eine benachbarte Tonart als die Veränderung genau dieser Silben ausgedrückt werden kann. So stelle man sich in moderner Terminologie vor, dass in einem C-Dur-Kontext der Ton f (fa), durch ein Kreuz zu fis (mi) alteriert wird, um eine Ausweichung nach G-Dur zu signalisieren. Andererseits verwandelt die Tiefalteration eines h (b-mi) den betreffenden Ton zu einem b (b-fa) und deutet auf diese Weise eine Ausweichung nach F-Dur an.

Wenn es an späterer Stelle im Traktat um die praktische Solmisation geht, sagt Cavaza aber, man solle die Töne ohne Berücksichtigung der Akzidenzien solmisieren und nicht nach jedem Kreuz mi bzw. nach jedem Be fa singen.

Wenn du inmitten der Lektionen, die du gerade singst, ein Kreuz oder ein Be findest, solltest du nicht die Regel befolgen, wonach ein Kreuz als mi bzw. ein Be als fa solmisiert wird. Vielmehr müsstest du die Silbe singen, die zu der aktuellen Deducción [= Hexachord] gehört. D. h.: fa, obwohl es sich um ein Kreuz handelt, oder mi auf einem Bemol. […] Es reicht, wenn du den Ton im Sinne des Kreuzes oder Bes intonierst.[31]

Dieser scheinbare Widerspruch ist lösbar, wenn man bedenkt, dass Cavaza zwei unterschiedliche Ebenen anspricht. Der mi-fa- bzw. fa-mi-Wechsel ist eigentlichen Modulationsprozessen vorbehalten, und zwar auch solchen, die nur vorübergehend eintreten im Sinne einer kurzen Ausweichung. Alle anderen Akzidenzien gehören der Figurationsebene an und sollen keinen Einfluss auf die Solmisationssilben haben (siehe Abb. 6).

Solche Wechsel sind zweifelsohne ein mühsames Vorgehen, das nur in einem limitierten harmonischen Rahmen praktikabel ist. Sie erfordern einen ständigen analytischen Blick, um die jeweilige Funktion der Akzidenzien richtig einzuordnen – je ›chromatischer‹ die Musik, je unklarer die tonartlichen Verhältnisse, desto schwieriger und unübersichtlicher wird es.

Ein Hilfsmittel in diesem Zusammenhang wird in der spanischen Literatur als fingimiento de clave, wörtlich übersetzt ›Schlüsselsimulation‹, vermittelt. Das Prinzip lässt sich anhand der Grafik in Abbildung 3 veranschaulichen. Im Zusammenhang mit den Schlüsseln erklärt Cavaza, dass ein und derselbe Punkt im Notensystem jedem Tonbuchstaben zugeordnet werden kann.[32] Die insgesamt sieben Schlüssel können das ganze System überall hin verschieben. Hierbei kritisiert Cavaza den französischen Violinschlüssel auf der ersten Linie. Dieser sei überflüssig, weil, abgesehen von der Oktavversetzung, die Notennamen denjenigen im Bassschlüssel auf der vierten Linie entsprechen:[33]

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Abbildung 3: Die sieben Schlüssel und der französische Violinschlüssel (Cavaza 1754, 24); Bildquelle: Biblioteca Histórica Marqués de Valdecilla, Universidad Complutense de Madrid

Die Versetzung der Notennamen anhand der Schlüssel macht es möglich, dass Tonarten und Schlüssel zusammengedacht werden können. Außerhalb des spanischen Raumes wird dieses System z. B. von Francesco Galeazzi 1796 als »solfeggio alla francese« bezeichnet.[34] Unter dem Namen »Setticlavio« erläutert Galeazzi eine Möglichkeit der Anwendung aller Schlüssel, wobei in jeder Tonart die erste Stufe do genannt werden kann, die zweite re, die dritte mi usw.

Wenn der Sänger eine Sopran-Stimme hat, befolgt er diese Instruktion: Wenn das Solfeggio in A oder As steht, kann der Sänger im Violinschlüssel solmisieren; in H oder B, im Tenorschlüssel; in C im Diskant-; in D im Bariton-; in E oder Es im Mezzosopran-, in F im Bass- und in G im Altschlüssel. In einem Wort: Der Ton wird immer naturale sein, und die erste Skalenstufe wird immer do genannt.[35]

Um diese Anweisungen nachzuvollziehen, muss man annehmen, dass das Solfeggio im Diskantschlüssel notiert ist. So ergibt sich für jede Tonart ein Schlüssel, mit dessen Hilfe der/die Sänger*in gleichsam im Sinne einer Tonika-Do-Methode solmisieren kann. Auf diese Weise wird auch eine Lektüre in allen Schlüsseln trainiert. Jede Übung in jeder beliebigen Tonart kann mit dem fiktiven Schlüssel aus dem Stegreif solmisiert werden, ohne dass dazu neue Übungen nur für diesen Zweck komponiert oder besondere Übungshefte gedruckt werden müssten.[36]

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Abbildung 4: Galeazzis »Setticlavio« (Galeazzi 1796, 44 f.)

Bei jedem Tonartwechsel soll in einem neuen Schlüssel gedacht werden, was Galeazzi als große Schwierigkeit betrachtet.[37] Die guidonische Solmisation lehnt Galeazzi im Übrigen für moderne Musik ab, denn »wie will man sieben Noten mit sechs Silben solmisieren?«[38] Vom »Solfeggio alla Francese« will er die sieben Silben behalten, allerdings ohne darauf zu beharren, alle kleinen Sekundschritte mit den Silben mi-fa oder si-do zu solmisieren. Stattdessen solle der Lehrer dem Schüler erklären, dass in G-Dur die Halbtöne zwischen si-do und fa#-sol stehen, in D-Dur zwischen fa#-sol und do#-re usw. In Galeazzis Plädoyer für eine absolute Solmisation ist also für die Probleme, die durch die Schlüsselsimulation entstehen, kein Platz.[39]

Cavaza nennt das System der Schlüsselsimulation nicht ›französisch‹, denn diese Bezeichnung ist bei ihm schon belegt; allerdings hält er fest, dass auch die Franzosen es praktizieren.[40] Tatsächlich wird die Methode 1696 von Étienne Loulié und 1736 von Michel Pignolet de Montéclair erwähnt.[41] Pietro Cerone berichtet aber bereits 1613 über diese Praxis. Außerdem wird sie in einem anonymen katalanischen Manuskript aus den 1730er Jahren, in einem Traktat von Cavazas Zeitgenossen Gerónimo Romero de Ávila sowie in mehreren spanischen Quellen des 19. Jahrhunderts beschrieben.[42]

Cavaza thematisiert die Schlüsselsimulation im 23. Kapitel und orientiert sich für die Bestimmung des ›simulierten Schlüssels‹[43] nicht wie Galeazzi an der Solmisationssilbe do, sondern an den mi- und fa-Silben. Dies liegt daran, dass Cavaza die Schlüssel als Hilfsmittel zur richtigen Einordnung der Halbtöne, also der mi- und fa-Stufen innerhalb der Skala, versteht, insbesondere wenn ein alterierter Ton eine Ausweichung initiiert.[44] Weil Cavaza in diesem Zusammenhang mit Hexachordmutationen operiert, heißt die siebte Skalenstufe bei ihm mi und nicht si, wie bei Galeazzi, Loulié oder Montéclair.

Cavazas umfangreiche Tabelle im Kapitel 24 stellt ein Koordinatensystem dar, mit dessen Hilfe der simulierte Schlüssel für alle möglichen Tonarten je nach Originalschlüssel herausgefunden werden kann. Galeazzis »Setticlavio« liefert die simulierten Schlüssel nur im Falle einer Vorlage im Diskantschlüssel. Cavaza dekliniert das Prinzip hingegen durch und schließt auch alle anderen Originalschlüssel mit ein. Außerdem betont er, dass z. B. G- und Ges-Dur mit demselben Schlüssel solmisiert werden können.

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Abbildung 5: »Tabla general de todas las claves fingidas«, Ausschnitt (Cavaza 1754, {41}); Bildquelle: Biblioteca Histórica Marqués de Valdecilla, Universidad Complutense de Madrid

Der simulierte Schlüssel kann auch ohne Tabelle herausgefunden werden, denn die Faustregel ist aus der Tabelle leicht ersichtlich und wird auch in dieser Form von anderen Autoren beschrieben:[45] In einer Kreuztonart wird der fiktive C-Schlüssel einen Punkt über der mi-Silbe platziert, die vom letzten Kreuz in der Generalvorzeichnung angezeigt wird. In einer Be-Tonart ist die fa-Silbe maßgeblich, denn der simulierte C-Schlüssel liegt vier Punkte unter der fa-Silbe, die vom letzten Be gekennzeichnet wird. Im Falle von G- und Ges-Dur führen beide Wege vom originalen Diskant- zum Altschlüssel, wie das erste Beispiel in Abbildung 5 zeigt. Da die Schlüssel bekanntermaßen nur auf den Systemlinien stehen dürfen, muss gelegentlich auch ein F-Schlüssel eingesetzt werden.

In Abbildung 6 zeigen die Systeme unter der Transkription des Originalbeispiels, in welchen Schlüsseln die Melodie zum Solmisieren gelesen werden soll. Da das Beispiel in D-Dur beginnt und endet, soll dort der Baritonschlüssel hinzugedacht werden. Bei der Ausweichung nach A-Dur ab der Mitte von T. 3 wird im Violinschlüssel weitergelesen. In T. 4 wird für knapp zwei Töne, die Cavaza offenbar in E-Dur verortet, der Mezzosopranschlüssel herangezogen (siehe Abb. 6, Buchstabe B). Die Akzidenzien in T. 1 f. (siehe Abb. 6, Buchstabe A) rechnet er hingegen der Figurationsebene hinzu, wie die dort notierten Solmisationssilben, die diese Akzidenzien nicht berücksichtigen, zeigen. Die Silben zeigen außerdem, dass das Beispiel ohne siebte Silbe, also mit Mutationen, solmisiert werden soll, was die Komplexität der Aufgabe erheblich erhöht.

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Abbildung 6: Simulierte Schlüssel mit Kreuzen, Ausschnitt (Cavaza 1754, 84); Bildquelle: Biblioteca Histórica Marqués de Valdecilla, Universidad Complutense de Madrid

Das System mit den simulierten Schlüsseln ist anspruchsvoll und lässt einen gewissen Interpretationsspielraum. Fast alle Autoren weisen auf seine Schwierigkeiten hin und empfehlen es, wenn überhaupt, nur für Sänger und nicht für Instrumentalisten.[46] Die Sänger müssen sich über die herrschende Tonart stets im Klaren sein und entsprechend den Schlüssel samt Solmisationssilben anpassen.

* * *

Hat Manuel Cavaza, der gefeierte Oboist, Komponist und Theoretiker, auch tatsächlich Gesangsschüler*innen unterrichtet? In den biografischen Daten zu Cavaza sind keine Anstellungen als Gesangs- oder Solfeo-Lehrer belegt, wiewohl seine Schriften dem elementaren Unterricht von Sängerknaben zuzuordnen sind. Mit großer Wahrscheinlichkeit erteilte Cavaza Gesangsunterricht im privaten Rahmen,[47] wie es aus den letzten Seiten von El cantor instruido hervorgeht. Dort berichtet er von einer jungen Schülerin, die unter seiner Anleitung »viele anspruchsvolle Sachen singen konnte«.[48]

Eine wiederkehrende Forschungsfrage hinsichtlich historischer Solfège-Materialien betrifft den konkreten Gebrauch von Solmisationssilben.[49] Cavazas Manuskript liefert dazu keine eigene Methode und seine Kompilation erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wie andere spanische Autoren seiner Zeit zeigt er vielmehr einen Sinn für Pragmatismus, um den musikalischen Alltag zu bestreiten. Während er im Kontext der Ausbildung der Sängerknaben an der Königlichen Kapelle die guidonische Solmisation für unverzichtbar hielt, räumte er den Lernenden andernorts eine gewisse Freiheit ein. Das Solmisieren mit und/oder ohne Mutationen konnte von ein und derselben Person gelehrt werden.

Cavazas Ausführungen beweisen, dass er über breite Kenntnisse alter und moderner Solfège-Traditionen verfügte. Zwar ist anzunehmen, dass zu jeder Zeit mehrere und zum Teil widersprüchliche Lehrtraditionen koexistierten. Dennoch ist es bemerkenswert, dass ein einziger Autor die Vielfalt solcher Traditionen beschreiben und nach Ausbildungszweck und institutionellem Zusammenhang einordnen kann. Auf der Suche nach einem ›optimalen‹ Solmisationssystem ist Cavazas Satz am Ende des Kapitels zum französischen System wohl das einzig richtige Motto: »Wenn es Dir gefällt, so nutze es«.[50]

Anmerkungen

1

Rodríguez López 2002, 190.

2

Nur elf Seiten aus diesem Manuskript, im Bestand der Bibliothek des Real Conservatorio Nacional de Música de Madrid, sind erhalten. Vgl. ebd., 196.

3

Der spanische Sammelbegriff canto llano soll nicht im Sinne von Gregorianik bzw. liturgischem Gesang verstanden werden. Vielmehr geht es um den Bereich der Musiklehre, der sich mit dem monodischen Gesang ohne Metrum und Rhythmus beschäftigt – d. h. ›musica plana‹ oder ›plainchant‹ im weitesten Sinne.

4

Bei der Seitenzählung wiederholen sich die Seiten Nr. 86 und 87.

5

Eine eingehende Beschreibung des gesamten Traktats findet sich bei Rodríguez López (2002, 202–210). Für einen ausführlichen Bericht über die gesangstechnischen Aspekte siehe Morales (2008, 49–54). Ich beschränke mich hier auf die Behandlung der verschiedenen Solmisationssysteme.

6

Vgl. Kenyon de Pascual 1984, 432.

7

Saldoni 1881, 384; Pedrell 1897, 334.

8

In den 1720er Jahren existierte parallel zu der Königlichen Kapelle in Madrid ein eigenständiges Musikensemble für die Sommerresidenz in San Ildefonso. Manche Musiker aus der Madrider Kapelle zogen mit König Philipp V. nach La Granja in San Idelfonso um. Hinzu kamen Musiker aus Italien, die von Francesco Gasparini ausgewählt wurden. Vgl. Lolo 1988, 45 und Ortega Rodríguez 2010, 33.

9

Cavaza 1754, {51}. Die geschweiften Klammern verweisen auf die neue Seitenzählung im zweiten Teil des Traktats.

10

Cavaza 1754, {66}. Hauptquelle: [Colectânea de Árias e Recitativos do Séc. XVIII].

11

Rodríguez López 2002, 197.

12

Vgl. Kenyon de Pascual 1984, 433; Kenyon de Pascual 1999, 451 f.

13

Im Schlossarchiv befinden sich heute insgesamt 36 Pflichtstücke, die zwischen 1760 und 1807 für die instrumentalen Probespiele der Königlichen Kapelle komponiert wurden. Vier davon steuerte Manuel Cavaza bei: ein Konzert für Trompete und Streichorchester (1775), eine Flöten- und Oboensonate (1777) sowie ein Konzert für Horn und Streichorchester (1788). Siehe Ortega Rodríguez 2010, 279.

14

Cavaza 1786, im Bestand der Biblioteca Nacional de España.

15

Pedro Carrera über Manuel Cavaza, in Cavaza 1786: »[Cavaza] nahm am Prüfungsausschuss für die Solfeo-Lehrstelle am Real Colegio de Niños Músicos teil. Dabei vertrat er immer die Meinung, dass die Sängerknaben das guidonische System lernen müssen, oder wie es in Spanien genannt wird, [die Methode] mit Mutationen, und nicht mit der hinzugefügten Silbe Si oder Bi.« (»[Cavaza] también fue Juez Examinador para el Magisterio de primeras Solfas del Real Colegio de Niños Musicos, y sostuvo, y defendió que en él se devia enseñar según el Methodo ó Sistema de Guido, conocido y entendido por español (esto es) con Mutanzas, y no con la voz añadida Si ó Bi.«) Alle Übersetzungen stammen vom Verfasser.

16

Vgl. Rodríguez López 2002, 194 f.

17

Cavaza 1754, 79 (»Para cantar sin necesidad de Mutanza inventó el ilustrissimo Obispo Cramuel [sic] la voz Bi, la que se habrá [?] de poner despues de acabadas las seis voces de la primera Deduccion [= Hexacordio], y pronunciada dicha voz Bi, repetia la misma Deduccion en grado [= Octava] mas alto, cantando siempre por Natura, y constituyendo dicha voz en Befabemi: también á este mismo signo le daba otra voz Ba para cantar por Bemol en Propiedad, mas no en Deduccion pues, como dixe siempre comenzaba ut en Cesolfaut assi: C.ut D.re E.mi F.fa G.sol A.la Bi. ó por Bemol Ba; C.ut D.re E.mi &a.«).

18

Caramuel 1678, Catalogo [L] (»Prueba con claridad que el canto de b mol, y quadrado, no se distingue en la voz, sino en la pluma.«).

19

Ein Exemplar der Wiener Ausgabe soll in der Cattedrale di Sant’Ambrogio in Vigevano (Lombardei) vorhanden sein. Vgl. Sanhuesa Fonseca 1999, 265. Sabaino (2008, 238) hält es allerdings für verschollen.

20

Ebd. Gemeint ist der 5. Artikel aus dem 7. Teil (Lamina XXXVIII).

21

Vgl. Caramuel 1678, Tratado VII, 60: »Haze demostracion, que toda Dotrina de la mano es superflua: persuade que es vana y fingida la división del Canto en el de Naturaleza  Be-quadro, y  Be-mol: porque no hay sino un solo modo de cantar. Enseña a solmizar sin mutanzas: y concluye, que la Musica de Guidon Aretino no es otra cosa, que un ingenioso y muy trabaxado desacierto.«

22

Ebd., 61 (»Los grados por donde se sube y abaxa en la Otava son siete, y las sylabas con que se entonan otras tantas: conviene a saber, ut, re, mi, fa, sol, la, bi. […] No hay sino solo un canto, porque coinciden Natural, Duro y Abemolado. […] Si donde se havia de cantar Bi, estuviese esta, nota b, entonces se entonara Ba y sera Medio-tono. Es necessario decir Ba, cuando abaxando, o subiendo, se viene el Fa: porque FA, BI seria tritono y BI, FA, quinta falsa, en cuyo lugar se sustituye FA, BA, quarta: y BA, FA, quinta entera y perfecta.«).

23

Vgl. Sanhuesa Fonseca 1999, 264. Mit ihrer Kritik an der Solmisation mit Mutationen sind diese Zisterzienser im 17. Jahrhundert nicht allein. Mehrere Autoren gingen die Problematik des ›Solmisierens von sieben Tönen mit sechs Silben‹ an, und häufig wurde dabei eine Möglichkeit der Solmisation ohne Mutationen vorgestellt. Adriano Banchieri (1614, 18–24) spricht in der dritten Auflage seiner Cartella musicale von einem »einfachen und unfehlbaren System«. Aus dem spanischen Raum wären hier die Beiträge von Pedro Cerone und Andrés Llorente zu nennen. Diese beiden Autoren schlagen ebenfalls eine siebte Silbe bi/ba vor, die allerdings anders als bei Caramuel oder Banchieri verwendet wird. Ihre Methode entspricht eher dem System, das Cavaza als »französisch« bezeichnet und welches er direkt nach Caramuels System vorstellt (siehe unten).

24

Cavaza 1754, 79 sowie {43}.

25

In Quellen des 18. Jahrhunderts fällt immer wieder auf, dass die unterschiedlichen Solmisationssysteme auf Regionen bzw. Nationen bezogen werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass jeder Autor unter einem ›französischen System‹ genau dasselbe versteht.

26

Cavaza 1754, 79 (»Esta invencion cierto Religioso, escritor de Musica, quiso atribuir a su propio ingenio; pero (a mi corto entender) mejor lo han hecho los Franceses, […] pues aquel [sistema de Caramuel] constituye solo una Deduccion, comun á todas tres Propiedades […]. [Los franceses] ordenan, y establecen dos Propiedades de Natura, y de Bemol.«).

27

Genau diese Art der Solmisation ohne Mutationen wird in Frankreich bereits 1666 in der Méthode facile pour apprendre à chanter la musique vermittelt. Das anonyme Heft, häufig Guillaume-Gabriel Nivers zugeschrieben, verzichtet von Anfang an gänzlich auf die Solmisation mit Hexachorden und macht von einer siebten Silbe si Gebrauch. Siehe Anonym/[Nivers] 1666, 8 f. sowie 14 f.

28

Cavaza 1754, 80 (»No vitupero á este [sistema] Frances; antes es digno de alabanza quien le introduxo, e inventó, si fue con zelo del aprobechamiento, y facilidad del Principiante; más rezelo, fuesse particularizarse de todo el resto de las demás Naciones, que siguen el nuestro: no obstante aquella voz Si su articulación no es la que mejor me suena al oído; bien que discurro, será el no oírla con la frecuencia que estas otras voces: esta Nación, cierto es que, se ha particularizado en esto, y en los tiempos estraños, que en su lugar manifesté; pero en las claves accidentales no obstante se valen del mismo fingimiento de las naturales, que usamos, como de todo lo demás. Confieso ser mas facil este modo de cantar sin mutanzas: si te gusta usale; si no pásse por curiosidad su esplicacion, y basta.«).

29

Ebd., 10 bzw. 14.

30

Ebd., 49 (»Cada uno de estos causa dos efectos á la figura, á quien se arrima, ó que inmediatamente le sigue; el primer efecto es en la misma figura, el segundo en la voz que a dicha figura corresponde, y assi el Sustenido; ó Diesis altera, ó crece a la tal figura medio punto mas del que ella tiene naturalmente, que es el primer efecto: hace por segundo efecto, que á la tal figura se le de la voz Mi, aunque se llame ella naturalmente Fa.«).

31

Ebd., 81 (»Quando en medio de alguna de las lecciones, que por ahora vas cantando, encontrases algun sostenido, ó bemol no te canses en guardar con ellos la regla, que en su lugar se dio, de que al Sostenido se le avia de llamar Mi y al Bemol Fa, sino darle ahora aquella voz que por la Deduccion, que vas cantando le pertenezca: esto es: ó Fa aunque aya Sostenido, ó Mi aunque tenga Bemól, ú otras, […] basta que procures darle la entonacion que como á Sostenido ó Bemol corresponda.«).

32

Ebd., 24. Vgl. auch Cerone 1613, 515.

33

Cavaza 1754, 24.

34

Galeazzi 1796, 44 f.

35

Ebd. (»Se il Cantante è una voce di Soprano, ecco le istruzioni, che gli si danno: se il Solfeggio è in Tono A, o Ab Solfeggiate in Chiave di Violino, se in B, o Bb in quella di Tenore, se in C in Soprano, se in D in Baritono, se in E, o Eb in mezzo Soprano, se in F in Basso, e se in G Contralto: facendosi in una parola, che il Tono sia sempre naturale, e che la prima del Tono dicasi Do.«).

36

Gerade dieser ›ökonomische‹ Aspekt wird von López Remacha (1820, 20) betont.

37

Vgl. Galeazzi 1796, 45: »Or chi non vede quanto difficile, e lungo sia un tal metodo, specialmente nelle modulazioni, ove ad ogni nuovo accidente, nuova Chiave. Non è egli un caos da far perder la pazienza al più paziente Scolaro?«

38

Ebd., 43 (»Questo Solfeggio [sistema di Guido] era ottimo, e molto bene immaginato per il Canto Fermo, le cui cantilene di rado eccedono l’estenzione di un Esacordo, ma essendosi poi addattato al canto Figurato è riuscito imperfettissimo: come in fatti solfeggiare 7. note con 6. nomi?«).

39

Ebd., 46 (»Se fra tante opinion mi è lecito l’avventurare il mio qualunque siasi sentimento, dirò, che addattando il Solfeggio alla Francese col Do, e con Si, come il più facile, e naturale, in vece di voler persistere a dar sempre alle diverse note, che formano i Semitoni gli stessi nomi Mi Fa, Si Do, si potrebbe dare loro nomi diversi, con farne accorto lo studente, il che mi pare assai più comodo, e facile. Solfeggiando in tono di G, i Semitoni cadono fra Si Do, e Fa# Sol: passando la Tono di D, cadono fra Fa# Sol, e Do# Re, e cosi via discorrendo.«).

40

Vgl. Cavaza 1754, 80: »En las claves accidentales no obstante se valen [los franceses] del mismo fingimiento de las naturales, que usamos [los españoles].«

41

Louillé 1696, 25–29; Montéclair 1736, 9–18.

42

Cerone 1613, Libro VI, 493 f.; Anonym ca. 1730, 14 f.; Romero de Ávila 1761, 267; Pérez de Albéniz 1802, 66; Carrera 1805, 38; Carrera 1815, 75; López Remacha 1820, 20.

43

Im Original »clave accidental« oder »clave transportada«. Andere Quellen (wie z. B. Carrera 1805, 38) nennen den transponierten Schlüssel »clave natural«. Dieser Begriff ist etwas irreführend, denn damit ist der Schlüssel gemeint, mit dessen Hilfe die erste Skalenstufe mit der Solmisationssilbe do gesungen wird. Er ist ›natürlich‹, weil er mit wenigen Akzidenzien auskommt. Nach dieser Logik ist jede Melodie, die in einer anderen Tonart als C-Dur steht, ›transponiert‹ notiert.

44

Vgl. Cavaza 1754, {39}: »La razón es clara: El fingir la clave es, para que con la buena ordenacion de las deducciones podamos entonar con facilidad, y dar la voz mi á aquellos sustenidos de orden, que en la clave, ó en medio de la canturia hallamos.«

45

Siehe z. B. Pérez de Albéniz 1802, 78 oder Carrera 1805, 38.

46

Vgl. Carrera 1805, 38: »Para los Instrumentistas es fácil y pronto el método primero [sin transposición]: para los que hayan de cantar tengo por mas seguro el segundo [en clave natural]. Conozco sus dificultades, y por lo mismo no me decido ni por uno ni por otro.« Siehe auch López Remacha 1820, 20.

47

Vgl. Rodríguez López 2002, 198.

48

Cavaza 1754, {103}.

49

Siehe dazu auch die Rezension von Hans Aerts in dieser Ausgabe der ZGMTH.

50

Ebd., 80. Siehe Anm. 28.

Literatur

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