Reichert, Jonas (2019), »Mexicanidad und Ironie durch die Revolution hindurch. Kompositionsstrategien in und diskursive Konstellationen um Revueltas’ Janitzio« [Mexicanidad and Irony Pass through the Revolution. Strategies of Composing in and Discursive Constellations around Revueltas’ "Janitzio"], Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 16/2, 9–28. https://doi.org/10.31751/1019
eingereicht / submitted: 10/05/2019
angenommen / accepted: 26/06/2019
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 23/12/2019
zuletzt geändert / last updated: 23/12/2019

Mexicanidad und Ironie durch die Revolution hindurch

Kompositionsstrategien in und diskursive Konstellationen um Revueltas’ Janitzio

Jonas Reichert

Dieser Artikel befasst sich mit der vieldiskutierten Ironie in Silvestre Revueltas’ Musik exemplarisch anhand seiner Orchesterkomposition Janitzio (1933). Zunächst wird der historische Kontext der Etablierung einer im emphatischen Sinne Neuen Musik in Mexiko zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschildert. Dabei wird beschrieben, welche Auswirkungen die Mexikanische Revolution (1910–20), ihre Institutionalisierung und die von ihr aufgeworfenen Fragen nach nacionalismo, mexicanidad und mestizaje auf den Musikdiskurs hatten. Anschließend werden die kompositorischen Strategien in Janitzio untersucht, die eine ironische Wirkung entfalten. Dabei wird eine Kompositionsweise mit Klangmodulen festgestellt, durch die starke Kontraste erzeugt werden können. Diese modulare Kompositionsstrategie findet auf Ebene der Tonalität, der Metrik und der Kadenzen statt. Ironisch wirkt dabei stets der Höreindruck, ein starker Kontrast werde verschleiert und kaschiert, so als sei das gerade Gehörte nie geschehen. Abschließend wird eine Lektüre der Ironie in Revueltas’ Musik als Kritik an der Nacionalismo-Debatte problematisiert. Es wird dafür argumentiert, Revueltas’ ironische Distanzierung vom nacionalismo zugleich als dialektische Teilhabe an der Konstruktion einer ›mexikanischen‹ kulturellen Identität (mexicanidad) zu verstehen.

This article explores the much-discussed irony in Silvestre Revueltas’ music, taking his orchestral composition Janitzio (1933) as an example. First, the historical context of the establishment of new music in Mexico at the beginning of the twentieth century is discussed by describing the effects of the Mexican Revolution (1910–20), its institutionalization, and the questions it raised about nacionalismo, mexicanidad, and mestizaje on the musical discourse. This is followed by an examination of the compositional strategies in Janitzio, which create an ironic effect. A method of composition with sound modules is identified, through which strong contrasts can be created. This modular compositional strategy occurs at the level of tonality, meter, and cadences. The effect of irony is always created by the impression of a seemingly veiled strong contrast, as if what has just been heard had never happened. Finally, a reading of the irony in Revueltas’ music as a critique of the nacionalismo debate is problematized. It is argued that Revueltas’ ironic dissociation from nacionalismo is simultaneously a dialectical participation in the construction of a ‘Mexican’ cultural identity (mexicanidad).

Schlagworte/Keywords: cultural identity; kulturelle Identität; Mexico; Mexiko; musical irony; musical nationalism; musikalische Ironie; musikalischer Nationalismus; Silvestre Revueltas

Die Herausbildung einer im emphatischen Sinne Neuen Musik in Mexiko zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellt in globaler Perspektive insofern einen interessanten Fall dar, als eine einzigartig starke Amalgamierung von sowohl ästhetischen als auch politischen, sozialen und kulturellen Argumenten im Musikdiskurs festzustellen ist. So wird der für eine Avantgarde wohl charakteristische Generationenkonflikt, der in Mexiko in den 1920er und -30er Jahren ausgetragen wurde, nicht nur von Diskussionen über die der ›modernen‹ Zeit angemessenen kompositorischen Mittel getragen, sondern insbesondere auch von solchen, die nach einer dezidiert ›mexikanischen‹ Musik verlangen, einer Musik, die die Nation, ihre Menschen und ihr Verständnis einer mexikanischen Identität und Kultur angemessen repräsentiere.

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, in welchen diskursiven Konstellationen dieses Verlangen nach einer Konstruktion kultureller Identität durch Musik sich artikulierte und wie es sich in der Neuen Musik in Mexiko materialisierte. Dafür wird exemplarisch das Orchesterwerk Janitzio von Silvestre Revueltas (1899–1940), neben Carlos Chávez (1899–1978) einer der bedeutendsten Vertreter der sogenannten ›nationalistischen‹ Musik in den 1920er bis -40er Jahren, untersucht. Ich greife dabei auf eine detaillierte Untersuchung von Roberto Kolb-Neuhaus zurück,[1] versuche aber seine semiotische Analyse durch eine engere musikanalytische Perspektive zu erweitern, indem ich die Revueltas oft attestierte Ironie auf drei Ebenen der musikalischen Faktur zu lokalisieren versuche: Tonalität, Metrik, Kadenzen. Revueltas’ Ironie wurde oft als implizite Kritik und Distanzierung von der Nationalismus-Debatte verstanden. Diese Lesart, die Kolb-Neuhaus überzeugend vertritt, möchte ich durch eine gleichsam dialektische Umdeutung der ›revueltianischen‹ Ironie problematisieren.

Historischer Kontext

Die Frage nach Art und Weise sowie Angemessenheit der Konstruktion kultureller Identität war im Mexiko des frühen 20. Jahrhunderts eine virulente und hing eng mit dem wichtigsten historischen Ereignis dieser Zeit zusammen, der Mexikanischen Revolution, deren Eckdaten man gemeinhin auf die Jahre 1910–20 setzt, obwohl eine eindeutige chronologische Demarkation schwerfällt und Diskussionen über Anfangs- und Enddaten nicht ausgeblieben sind.[2] Der Einfluss, den die Revolution auf die Entwicklung der Musik in Mexiko geübt hat, ist wohl kaum zu überschätzen. Allerdings nicht so sehr, weil ein etwaiges revolutionäres Programm – man könnte etwa an ›Klassenkampf‹, ›Befreiungskampf gegen den Imperialismus‹,[3] ›Enteignung der Großgrundbesitzer‹ o. ä. denken – von den Künsten und der Musik aufgegriffen wurde. Ein derartiges Programm gab es nämlich streng genommen nicht oder setzte sich zumindest nicht als dominantes Narrativ durch. Im Unterschied etwa zur Russischen Revolution gestaltete sich die Mexikanische weniger als ein sozialrevolutionärer Klassenkampf, sondern vielmehr als ein die politischen Konstellationen neuordnender Bürgerkrieg der Mittel- und Oberschicht gegen das alte Establishment des 35 Jahre lang diktatorial herrschenden Präsidenten Porfirio Díaz (das sogenannte porfiriato).[4] Erst in der Phase der Institutionalisierung der Revolution in den 1920er bis 40er Jahren, einer Phase, die von staatlicher Seite aus gerne mit dem euphemistischen, leicht widersprüchlichen Leitspruch »La revolución hecha gobierno« (Die zur Regierung gewordene Revolution) begleitet wurde, ist ein solches sozialrevolutionäres Narrativ gleichsam als retrospektive Legitimation auszumachen, das nicht nur Folgen für die neuen politischen Verhältnisse hatte, sondern sich auch auf Gesellschaft, Kultur und Kunst auswirkte.

Das (nach-)revolutionäre Narrativ unter Álvaro Obregón, dem ersten Präsidenten seit 1910, der die vier Jahre seiner Amtszeit (1920–1924) überstand, war eines der nationalen Aussöhnung. Es hatte die unterschiedlichen Akteure der Revolution nach zehn Jahren des bewaffneten Krieges hinter den politischen Aufgaben der Einheit und Rekonstruktion der mexikanischen Nation zu vereinen:[5] sowohl das staatstreue als auch das rebellische Militär, die Arbeiterbewegung in den großen Städten, Großgrundbesitzer (hacendados), Landarbeiter und Viehzüchter (rancheros) aus dem Norden Mexikos (angeführt unter anderem von dem zur Revolutionsikone gewordenen Francisco ›Pancho‹ Villa), Bauern aus dem dominant indigenen Süden (unter Führung von Emiliano Zapata, einer weiteren Ikone der Revolution).[6] Damit das Projekt der nationalen Rekonstruktion gelingen konnte, ein Projekt, das spätestens seit Venustiano Carranzas Machtübernahme 1914 als ein wesentliches Mittel zur Machterhaltung erkannt wurde,[7] musste es jedoch breit aufgestellt werden und konnte nicht auf eine rein politische Wiederherstellung der Staatsführung und -lenkung begrenzt bleiben. Rekonstruktion und Versöhnung der mexikanischen Nation mussten ebenso sehr auf soziokultureller Ebene stattfinden: Aus politischem Nationalismus musste ein »kultureller Nationalismus«[8] werden.

Die Debatte um den kulturellen Nationalismus, in der Musik dann auch in der Tat unter dem Stichwort des nacionalismo geführt und vertreten durch Komponisten wie Manuel M. Ponce, Carlos Chávez oder Silvestre Revueltas,[9] gestaltete sich als eine Frage nach der mexicanidad, als eine Neubegründung und -erfindung der mexikanischen Identität. Dabei sollte sich diese neue mexicanidad vom alten Verständnis des ›Mexikanischen‹ unter dem porfiriato mit seiner kulturellen Orientierung an Europa und einer weitestgehenden Unterdrückung der indigenen Bevölkerung[10] durch eine vornehmlich weiße, criollo (kreolisch, d. h. von europäischer Abstammung) Oberschicht abwenden. Angeführt wurde die Debatte von José Vasconcelos, einem Anwalt aus dem südmexikanischen Oaxaca, der sich schon früh den Revolutionstruppen von Francisco Madero angeschlossen hatte und der als Kultusminister an der Spitze der Secretaría de Educación Pública (SEP, Regierungssekretariat für öffentliches Bildungswesen) unter Obregón zum Chefideologen dieser neuen mexicanidad auserkoren wurde.[11]

Vasconcelos beantwortete die Frage nach der mexicanidad mit dem Konzept des mestizaje (Mestizentum), also mit der Idee eines ausgewogenen Synkretismus zwischen dem indigenen und dem europäisch-kolonialen Erbe Mexikos.[12] Damit aber diente mestizaje der Staatsführung als Projektionsfläche der propagierten nachrevolutionären Aussöhnung und zugleich als »Mythos, der das Fehlen eines revolutionären Programms kompensierte«,[13] denn es stellte gleichsam die ethnische Mitte zwischen und damit die Aussöhnung von criollos und indígenas dar, den historischen (und mythischen?) Urethnien Mexikos. Mestizaje wurde zu einem strategisch günstigen Narrativ, das als ideologisches Gerüst eine Konsolidierung unterschiedlicher Akteure unter Berufung auf einen vermeintlich gemeinsamen Nenner ermöglichte. Noch Octavio Paz, mexikanischer Literaturnobelpreisträger des Jahres 1990, deutete die Revolution in den 1950er Jahren als – in seinen Augen freilich gebrochenes – Versprechen einer kulturellen Aussöhnung zwischen kolonialem Trauma und indigener Verwurzelung, das sich besonders im politischen Programm von Emiliano Zapata ausgedrückt habe:

Der Radikalismus der mexikanischen Revolution besteht in seinem Willen zur Rückkehr zu den Wurzeln, die das einzige Fundament unserer Institutionen bilden. […] der Zapatismus [hat] nicht nur die Werte kolonialer Tradition gerettet, sondern auch bestätigt, daß jede wirklich fruchtbare Konstruktion von dem ältesten, stabilsten und dauerhaftesten Kern unserer Nation ausgehen sollte: der indianischen Vergangenheit.[14]

Als Kultusminister, der unter Obregón weitestgehend freie Hand hatte,[15] subventionierte Vasconcelos maßgeblich die Künste, die nun nach Gestaltungsmitteln suchten, die in den 1920er Jahren aufgeworfenen Fragen von nacionalismo, mexicanidad und mestizaje künstlerisch fruchtbar zu machen; so etwa in den berühmten Wandgemälden von Diego Rivera, aber auch und nicht zuletzt in der Neuen Musik.[16] Hier kristallisierten sich insbesondere zwei Komponisten als maßgebliche Akteure des musikalischen nacionalismo heraus: Carlos Chávez und Silvestre Revueltas. Doch während ersterer u. a. aufgrund der von ihm eingenommenen kulturpolitisch entscheidenden Positionen[17] eine wohl eher affirmative Haltung zum staatlich unterstützten Nationalismus einnahm – obwohl Chávez sich, gerade in späteren Jahren, gegen eine einseitige Vereinnahmung seines Œuvres unter dem Begriff des nacionalismo wehrte,[18] das bei genauerer Betrachtung auch auffällig wenige dezidiert ›nationalistische‹ Werke aufweist[19] –, ist bei letzterem eine oft ironisch-distanzierte Einstellung bemerkt worden, die im Folgenden in ihrer musikalischen Konkretion untersucht werden soll.

Revueltas’ »charakteristische Ironie«

Dass Silvestre Revueltas ein ironisches Wesen gehabt habe, ist ein Topos, der sich durch den mexikanischen Neue-Musik-Diskurs bis heute zieht,[20] und zwar spätestens, seitdem der nach dem Sieg Francos ins mexikanische Exil geflohene spanische Musikwissenschaftler deutscher Abstammung Otto Mayer-Serra[21] in einem Aufsatz kurz nach Revueltas’ Tod eine für den Komponisten »characteristic irony«[22] bemerkte. Charakteristisch wohl nicht nur, weil ein Hang zur Ironie in vielen seiner Werke festzustellen ist, sondern auch weil ein gewisser Sarkasmus sich auch in den im Vergleich zu Chávez relativ wenigen überlieferten verbalen Äußerungen des Komponisten manifestiert. So schreibt Revueltas etwa im Programmzettel zur Uraufführung seines Orchesterwerks Janitzio am 8. Dezember 1933, das zu einem absoluten Publikumserfolg wurde:

Janitzio ist eine Fischerinsel, die vom Pátzcuaro-See eingelullt wird. Der Pátzcuaro-See ist hässlich. Romantische und sentimentale Reisende haben ihn mit Küssen und Postkartenmusik verziert. Ich, um nicht dahinter zurückzustehen, steuere auch ein Sandkorn dazu bei, in einer unendlichen Sehnsucht nach Ruhm und Ansehen. Die Nachwelt wird diese pro-touristischen Bemühungen zweifellos zu schätzen wissen.[23]

Die Bezeichnungen »pro-touristisch« und »Postkartenmusik« sind sicherlich als Seitenhieb gegen die zeitgenössische mexikanistisch-nationalistische Programmmusik gemeint, wie sie etwa der – zwar unter dem porfiriato erfolgreich gewordene, aber dennoch weiterhin geschätzte – Übervater des nacionalismo Manuel M. Ponce komponierte.[24] Aber auch in der Komposition selbst lässt sich eine gewisse Ironie feststellen, die Ausdruck eines gänzlich anderen Umgangs mit ›dem‹ Mexikanischen ist als etwa die impressionistisch inspirierte Musik Ponces (z. B. in Chapultepec [1929] oder Ferial [1940]) oder als jener ernsthafte Versuch Chávez’ einer Rekonstruktion prähispanischer Musikpraktiken, wie er sie wenige Jahre später in seinem wohl berühmtesten Werk Sinfonía india (1935–36) anstrebt.

Obwohl das Ironische in Revueltas’ Musik immer wieder kommentiert worden ist und auf der Hand zu liegen scheint, so ist doch zu bedenken, dass Ironie, noch dazu musikalische Ironie, keine ganz leicht zu fassende oder gar zu definierende Kategorie ist. Ohne an dieser Stelle eine tiefgreifende Reflexion über das Phänomen der musikalischen Ironie anstellen zu können, scheint mir aber der Grund hierfür darin zu liegen, dass Ironie als eine selbstreflexive Praxis verstanden werden muss.[25]

Musikalische Ironie ist einerseits selbstreflexiv, denn sie verweist auf ihre eigene Artifizialität, auf das Künstliche der Kunst selbst: Indem sie mit dem Verlauf eines Stücks, mit dem zu Erwartenden bricht oder auf Distanz geht – denn die Distanzierung scheint konstitutiv für die Ironie zu sein[26] –, verweist sie darauf, wie es eigentlich ›hätte laufen sollen‹, zeigt auf das, was nach den herrschenden ästhetischen Konventionen eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Allerdings ist nie vorherzusehen, auf was genau sie verweisen wird. Musikalische Ironie ist also ein wesentlich indeterminiertes Phänomen.[27] Darüber hinaus kann Ironie ihre musikimmanente Bedeutung (Bruch mit musikimmanenten Formkonventionen) auf eine hinter der Formimmanenz liegende Bedeutungsebene hin transzendieren, wodurch sie ein ›metamusikalisches‹ und damit ein im emphatischen Sinne modernes Phänomen wird[28] (etwa wenn, wie ich zeigen möchte, Revueltas’ Ironie an der Konstruktion kultureller Identität partizipiert). Allerdings ist auch hier nicht einfach ausgemacht, wo oder was diese Bedeutungsebene sein könnte; das zu ermitteln, bleibt Aufgabe der hermeneutischen Interpretation, die hochgradig kontingent ist (es kann mehrere gut begründete, sich gar widersprechende Interpretationen eines musikalisch-ironischen Phänomens geben, ohne dass die eine mehr Recht hätte als die andere).

Musikalische Ironie ist andererseits eine Praxis,[29] d. h. sie ist keine stabile Entität, kein Gegenstand, den man einfach benennen und auf den man zeigen könnte, um zu sagen, »hier findet nun musikalische Ironie statt«. Sie entsteht vielmehr erst in der interpretierenden Aktivität der Rezeption (also durch Praxis, die durch eine andere [nämlich die kompositorische] Praxis wesentlich bedingt ist) und ist relativ schwer vorherzusehen. Hier begibt man sich in ein virtuell unendliches Feld der Bedingungen der Möglichkeit von gelingender Ironie-Rezeption, die vom historischen Kontext des Werks und des Komponisten und seiner Übermittlung in die Gegenwart der Rezeption bis zu den schier unendlichen Faktoren der musikalischen Sozialisation des/der Rezipient*in selbst reichen können: Ob ich etwa eine Melodie als mexikanische, volkstümliche pirekua identifiziere (wie das weiter unten geschehen wird; vgl. Bsp. 2) und darin einen ironischen Bruch mit der werkästhetischen Selbstreferenzialität einer Komposition sehe oder sie lediglich als eine in Terzen gesetzte Melodie höre, hängt in hohem Maße davon ab, wie gut ich mich mit mexikanischer Volks- und mit europäischer Kunstmusik auskenne.

Wenn also im weiteren Verlauf auf ironische Passagen in Revueltas’ Janitzio verwiesen wird, dann stets im Wissen darüber, dass es sich dabei um interpretatorische Vorschläge handelt, die »so, […] aber auch anders«[30] gehört werden können.

Ironie durch was?

Der Unterschied zwischen Revueltas und Chávez lässt sich bereits am musikalischen Material erkennen, das verwendet wird, um mittels der semantisch-konnotativen Wirkung, die es entfalten kann, die Vorstellung einer ›mexikanischen‹ Musik hervorzurufen. Während Chávez in seiner Sinfonía india auf die Verwendung primitivistischer, mehr imaginierter als realer indigener Melodien setzt,[31] greift Revueltas – und das ist ein Charakteristikum seines gesamten Œuvres – auf ein gänzlich anderes musikalisches Idiom zurück, nämlich auf die Klangsprache populärer, folkloristischer Melodien seiner unmittelbaren historisch-geografischen Umgebung. Und gerade die Verwendung dieses musikalischen Materials wurde vom hegemonialen nationalistischen Diskurs der 1930er Jahre als treffendster Ausdruck des mexikanischen mestizaje aufgefasst, sodass Revueltas – willentlich oder nicht – ab 1933, insbesondere aufgrund seiner Kompositionen Cuauhnáhuac (1931–32) und Janitzio, zum staatlich protegierten Vorzeigekomponisten des musikalischen Nationalismus avancierte.[32] Allerdings haben sich in der musikwissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre die Stimmen derjenigen gehäuft, die auf die ironische Brechung in Revueltas’ Musik aufmerksam machen und sie als musikalisch artikulierte Subversion gegen die staatskonforme Vereinnahmung seiner Musik deuten.[33]

In Janitzio wird gleich zu Beginn das Populäre heraufbeschworen, wobei, wie in den meisten von Revueltas’ Kompositionen, nicht wortwörtlich zitiert, sondern vielmehr der Gestus populärer Melodien nachempfunden wird. Das Hauptthema der dreiteiligen Scherzo-artigen Gesamtform[34] (A: T. 1–176; B [quasi Trio, Lento espressivo]: T. 177–210; Aˈ mit kurzer Coda: T. 211–386), das die Blechbläser zu Beginn der Komposition in einem Forte-Unisono anstimmen, evoziere – so Roberto Kolb-Neuhaus – eine Dorfkapelle und etabliere dadurch nicht nur eine Art mexicanidad, sondern sogar eine – noch weiter ins Lokale gehende – michoacanidad;[35] es trägt also der Lokalität von Janitzio, das im Bundesstaat Michoacán liegt, Rechnung (Bsp. 1/Audiobsp. 1).

Abbildung

Beispiel 1: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 1–12

Audiobeispiel 1: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 1–12
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics, BC 9262, Tr. 4, 0:00–0:13

Noch ein weiteres Thema, das im späteren Verlauf des A-Teils zu hören ist, provoziert den Klangeindruck von Populärem. In den Takten 89 bis 123 erklingt eine Melodie, die Kolb-Neuhaus als pirekua identifiziert,[36] eine in Michoacán populäre Liedform, die bis heute von der dortigen indigenen Bevölkerung, den P’urhépechas, gepflegt wird.[37] Man könnte nun versucht sein, darin eine Verwendung indigener Melodien ganz im Sinne Chávez’ zu sehen, doch zeugt die Melodie mit ihrer Terzseligkeit, ihrer Pendelharmonik und ihrem Pendelbass sowie der Walzerbegleitung wohl eher von kulturellen Assimilations- und Aneignungsstrategien indigener Völker angesichts der Hegemonie europäischer Modelle als von einer authentischen, autochthonen indigenen Praxis. Die pirekua ist also viel eher eine ›mestizische‹ denn eine indigene Melodie (Bsp. 2/Audiobsp. 2).

Abbildung

Beispiel 2: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 88–100

Audiobeispiel 2: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 88–100
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics, BC 9262, Tr. 4, 1:14–1:27

Revueltas bewirkt eine populäre Klangidiomatik in beiden Fällen durch ähnliche Mittel: Sie sind von Beginn an tonal gefestigt, in beiden Beispielen durch einen Quart-Auftakt und eine diatonische, bisweilen in Terzen gesetzte Melodieführung; sie lassen ein klares Metrum erkennen, in beiden Fällen durch eine walzertypische ›um-ta-ta‹-Begleitung (die sich auch in populären mexikanischen Musikstilen finden lässt, etwa in den corridos[38]); sie schließen mit einer V-I-Kadenz. Auf diesen drei Ebenen, Tonalität, Metrum und Kadenzerwartung, setzt nun Revueltas’ ironisierende Kompositionsstrategie in Janitzio an, in der sich sein ganz eigener Umgang mit der mexicanidad und dem musikalischen nacionalismo manifestiert.

Tonalität

Drei Strategien lassen sich in Janitzio beschreiben, um auf Ebene der Tonalität eine ironische Distanzierung zu erzeugen.

1.

Eine dieser Strategien ist der abrupte Tonartenwechsel, bei dem ein Tonartbereich sich ohne Überleitung an den anderen anschließt. Zumeist geht damit auch ein Wechsel in der Instrumentation und Dynamik einher. In den Takten 55 bis 57 ist es ein kurzes F-Dur-Pendel, das von zwei A-Dur-Kadenzen umgeben ist (T. 47–50, 58–61; Bsp. 3/Audiobsp. 3). Es entsteht dadurch der Eindruck, als sei man für kurze Zeit in eine ›falsche Tonart‹ abgerutscht – A-Dur ist bis hierhin die dominierende Tonart –, ein ›Fehler‹, der schnellstens kadenziell korrigiert wird. Das Ironische dieses harmonischen Fehltritts wird durch instrumentatorische und satztechnische Kontraste verstärkt: Zum einen greifen Holzbläser in den Takten 51ff. ein soeben in Blechbläsern erklungenes Motiv auf und ›entstellen‹ es in einer Art mokierender Ironie[39] polytonal, zum anderen folgt auf den Blaskapellen-artigen Stampfrhythmus des F-Dur-Pendels (große/kleine Trommel, Becken) eine espressivo A-Dur-Kadenz in den Streichern so, als sei der harmonische Ausrutscher nie geschehen.

Abbildung

Beispiel 3: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 47–67

Audiobeispiel 3: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 47–67
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics, BC 9262, Tr. 4, 0:37–1:00

Ein weiteres Bespiel für einen abrupten Tonartenwechsel folgt direkt im Anschluss in den Takten 61 bis 74, wo noch einmal die kadenzielle A-Dur-Wendung aus den Takten 47 bis 50 aufgegriffen wird, dabei aber von einem Fortissimo-Tutti des Hauptthemas in der Subdominanttonart D-Dur gleichsam überrannt wird (vgl. Bsp. 3).

2.

Ein weiteres Mittel der Ironisierung auf Ebene der Tonalität ist die Polytonalität. Hier wiederum lassen sich zwei Strategien beobachten: eine harmonische und eine melodische Polytonalität.

Als harmonisch polytonal lässt sich eine Passage bezeichnen, in der entweder einzelne Akkorde einer gegebenen Tonart mit harmoniefremden Tönen angereichert werden, was strenggenommen noch keine Polytonalität darstellt, da die Grundtonart als dominante Tonart noch herauszuhören ist, wodurch aber die Eindeutigkeit dieser Tonart latent korrumpiert wird; oder eine, in der mehrere Tonarten gleichsam als Blöcke in der Vertikale einander gegenüberstehen.

Das Hauptthema durchläuft diese unterschiedlichen Grade harmonischer Polytonalität bereits bei seinem ersten Erscheinen (vgl. Bsp. 1). Auf das Blechbläser-Unisono der Takte 1 bis 8 folgt in Holzbläsern und Streichern ein Nachsatz, der zwar noch eindeutig in A-Dur steht, dessen tonartliche Eindeutigkeit jedoch durch die Harmonisierung der Melodie mittels Akkordmixturen in den Holzbläsern graduell aufgelockert wird, da diese tendenziell nach D-Dur weisen. Es entsteht dadurch der Eindruck, es würden falsche Töne gespielt – verstärkt durch die zahlreichen Quintparallelen in den Akkordmixturen –, was der Allusion einer michoacanischen Dorfkapelle eine gleichsam realistische Note verleiht.

Eine deutlichere harmonisch polytonale, in ›vertikale Blöcke‹ gesetzte Passage folgt dann ab Takt 19 bis Takt 28 (Bsp. 4/Audiobsp. 4). Die Blechbläser stehen hier in E-Dur, während die Akkordmixturen der Holzbläser weiterhin einem A-Dur-Tonartbereich angehören, die Streicher dagegen ihren Tonvorrat aus einer Tonmenge von a-Dorisch (a-h-c-e-fis) bzw. einer vermollten A-Dur-Pentatonik schöpfen.

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Beispiel 4: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 16–39

Audiobeispiel 4: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 16–39
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics 2012, BC 9262, Tr. 4, 0:09–0:33

Eine melodisch polytonale Stelle, als zweite Strategie im Umgang mit Polytonalität, ist kurz darauf zu beobachten. Im Unterschied zu einer harmonischen wird in einer melodischen polytonalen Passage nicht ein gesamter harmonischer Tonartenblock einem anderen gegenübergestellt, sondern nur eine einzelne melodische Bewegung, die aber aus sich heraus sehr deutlich in eine gänzlich andere Tonart als die ihrer unmittelbaren klanglichen Umgebung weist.

In den Takten 29 bis 39 (Bsp. 4) ist es der Ausruf in den Hörnern, der recht eindeutig in d-Moll steht und sich somit deutlich von der Klangumgebung (A-Dur/a-Dorisch) abhebt. Für Roberto Kolb-Neuhaus handelt es sich bei diesem Klangtypus um einen typisch ›revueltianischen‹ Topos,[40] nämlich um einen »vulgären Straßengestus […], eine Art ›mentada de madre‹«[41] (Schimpfwort) oder auch einen »pregón«[42] (Ausruf eines Marktschreiers). Die ironische Distanzierung wird bei diesen kurzen melodischen Einwürfen nicht nur dadurch erzeugt, dass sie scheinbar in der ›falschen‹ Tonart stehen, sondern auch dadurch, dass sie eine weitere semantische Ebene aufrufen, die mit der harmlos-idyllischen Konnotation der populären Melodien zunächst nicht zu korrespondieren scheint: das der ›vulgären‹ Straßenverkäufer. Den ironisch distanzierenden Kontrast erreicht Revueltas so also auf zwei Ebenen: auf der musikalischen und auf der semantischen. Vielleicht erzeugt Revueltas aber gerade so einen weiteren realistischen Zug, indem er das bunte, ›polytonale‹ Treiben auf dem realen, geografischen Janitzio mit seinen zahlreichen Folklorebands und den Souvenirs verkaufenden Händler*innen getreuer darstellt als jede »Postkartenmusik«. Darin liegen vielleicht seine – wir erinnern uns: – »pro-touristischen Bemühungen«.

3.

Das dritte Mittel, um durch das Spiel mit Tonalität(en) eine ironische Distanzierung zu schaffen, ist das unvermittelte Wechselspiel zwischen tonal gefestigten und tonal instabilen bis atonalen Passagen. So folgt etwa auf die oben beschriebene Wiederkehr des Hauptthemas in D-Dur (T. 65ff.; vgl. Bsp. 3) ein atonaler Abschnitt, in dem übermäßige Dreiklänge in den Bläsern und Ostinati in den Streichern einen erneuten Themenausruf der Hörner dissonant überlagern (T. 79–82; Bsp. 5/Audiobsp. 5). Der Abschnitt wird dann von einer bereits zuvor gehörten Kadenz (T. 88f. = 17f., 27f., 50f.)[43] beendet, und in einem Gestus, als sei nie etwas geschehen, setzt espressivo die pirekua in reinem A-Dur ein (dabei kommt es allerdings zu einer Taktverschränkung zwischen Kadenz und pirekua).

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Beispiel 5: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 75–90

Audiobeispiel 5: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 75–90
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics 2012, BC 9262, Tr. 4, 1:00–1:18

Der gleiche ironisierende Effekt kann auch auf größere Formabschnitte übertragen werden, so etwa wenn das in G-Dur gehaltene pastorale lento espressivo Trio urplötzlich von einem Trommelwirbel und dissonanten Fanfaren der Blechbläser unterbrochen wird, durch die die Besonnenheit des Trios retrospektiv in Zweifel gezogen wird (Bsp. 6/Audiobsp. 6). Kolb-Neuhaus spricht hier auch von einer »Satire des Pastoralen«.[44]

Abbildung

Beispiel 6: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 207–216

Audiobeispiel 6: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 207–216
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics 2012, BC 9262, Tr. 4, 4:32–5:03

Die ironische Wirkung, hier durch eine deutliche klangsprachliche Distanzierung ausgelöst (pastorale Idylle vs. Blaskapellengetöse), wird anschließend noch einmal verstärkt, da erneut das Hauptthementutti angestimmt wird (T. 239ff.). Dessen stampfender Walzerrhythmus sticht, gerade vor dem Hintergrund der sanften zweistimmigen Polyphonie des Trios, aufgrund seiner Banalität heraus, wird aber in einem fortissimo vorgetragen, als handle es sich um einen majestätischen Marsch (Audiobsp. 7).

Audiobeispiel 7: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 204–245
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics 2012, BC 9262, Tr. 4, 4:21–5:26

Metrum

Neben der Tonalität setzt Revueltas in Janitzio auf der Ebene des Metrums ironisierende Kompositionsstrategien ein. Eine dieser Strategien ist die Verschiebung des eigentlich klaren ›um-ta-ta‹-Walzer- bzw. corrido-Rhythmus, der seit seinem ersten Erscheinen in den letzten Takten des Hauptthemas (T. 7–9; vgl. Bsp. 1) als stets latent mitgehörter Rhythmus immer wieder zurückkehrt. Zu einer derartigen metrischen Verschiebung kommt es in den Takten 19ff. (vgl. Bsp. 4). Die große Trommel schlägt nun nicht mehr auf der ersten, also der schweren Zählzeit, sondern auf der zweiten Zählzeit, während Becken und kleine Trommel unverändert auf den leichten Zählzeiten 2 und 3 spielen. Es entsteht dadurch der Eindruck, der/die Perkussionist*in an der großen Trommel (etwa eine*r der Straßenmusiker*innen auf Janitzio?) habe sich verzählt; und tatsächlich wird das ›falsche‹ Spiel kurze Zeit später korrigiert (T. 29ff.; vgl. Bsp. 4).

Auslöser für die Verschiebung in den Takten 19ff. ist die oben erwähnte, hier erstmals erklingende kadenzielle Figur (T. 17f.): eine fallende Tonleiter mit Zielton a (hier nicht nur fallend, sondern auch steigend und mehrstimmig angereichert; vgl. aber T. 27f., 50f., 88f.). Aufgrund ihrer stereotypen und aus der populären mexikanischen Musik bekannten Gestalt löst diese kadenzielle Figur eine Hörerwartung aus, wonach der Zielton a auf der ersten, schweren Zählzeit erreicht wird. An späteren Stellen (T. 27f., 50f., 88f.) geschieht das auch genau so. Doch hier wird der (darüber hinaus durch sforzato akzentuierte) Zielton bereits auf der dritten Zählzeit erreicht. So wirkt dann auch die auftaktig notierte Trompetenphrase für einen kurzen Moment nicht auftaktig, sondern volltaktig. Der Satz gerät dann noch einmal ins Wanken, da die betonte Zählzeit in den Takten 19ff. von der dritten zur zweiten Zählzeit vorrückt (vgl. Bsp. 4).

Kadenzen

Kadenzen entfalten in Janitzio aber noch auf andere Weise eine ironische Wirkung. Da sie im Unterschied etwa zu harmonisch polytonalen Überlagerungen, melodisch polytonalen pregones oder zu einem Walzer- bzw. corrido-Rhythmus weniger kulturspezifisch gebunden sind, erzeugen sie stärkere Erwartungshaltungen, mit denen Revueltas spielen kann. Dabei sticht neben der beschriebenen Kadenzfigur, der fallenden Tonleiter mit Zielton a, eine weitere Kadenzfigur heraus, der aufgrund ihrer Platzierung an wichtigen Formstationen (vor dem Hauptthementutti in D-Dur, am Ende des A-Teils, in der Coda) eine formtragende Funktion zukommt. Es handelt sich dabei um eine subdominantische Prädominante in A-Dur, an die sich unterschiedliche V-I-Kadenzen anschließen lassen. Folgende Kombinationen setzt Revueltas ein (Bsp. 7–9).

Abbildung

Beispiel 7: Subdominantische Prädominante und V-I-Kadenz, Kombination 1

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Beispiel 8: Subdominantische Prädominante und V-I-Kadenz, Kombination 2

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Beispiel 9: Subdominantische Prädominante und V-I-Kadenz, Kombination 3

Diese Modularität der subdominantischen Prädominante dient Revueltas nun dazu, ironische Wirkungen zu entfalten. So taucht Kombination 2 in den Takten 58 bis 64 auf, nachdem zuvor Kombination 1 gebracht worden war (T. 47–51), allerdings in verkehrter Reihenfolge: Zuerst erklingt die V-I-Kadenz und erst anschließend die subdominantische Prädominante (vgl. Bsp. 3), die dann aber vom Hauptthementutti in D-Dur, wie oben beschrieben, überrannt wird. Eine komische Wirkung entfaltet diese Stelle auch dadurch, dass jedes Modul zurückzuverweisen scheint, anstatt zueinander zu finden. So lässt sich die V-I-Kadenz in den Takten 58 bis 61 als Phrasenabschluss der wenige Takte zuvor gehörten Kombination 1 ›fernhören‹ (T. 47–51), während die unmittelbar folgende subdominantische Prädominante in den Takten 61 bis 64 der Beginn einer durch die V-I-Kadenz verursachten Kadenzwiederholung zu sein scheint, die dann aber gar nicht zustande kommt.

Ein drastischeres Spiel mit Erwartungen stellt sich bei Kombination 3 ein, die ähnlich wie Kombination 2 nicht in ihrer hier notierten Idealform auftaucht. Vielmehr unterbricht Revueltas die Kadenzfigur kurzerhand nach der subdominantischen Prädominante und setzt an dieser Stelle den dramatischen Höhepunkt des A-Teils: elf gewaltige Tuttischläge, die das gesamte musikalische Geschehen in einer Generalpause zum Erliegen bringen (Bsp. 10/Audiobsp. 8). Als sei dieser klangliche Exzess[45] nie geschehen, wird in einer neuerlichen kaschierenden Art, wie sie aus vorherigen Stellen bekannt ist, die subdominantische Prädominante mittels einer V-I-Kadenz zu Ende gebracht.

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Beispiel 10: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 132–155

Audiobeispiel 8: Silvestre Revueltas, Janitzio, T. 132–155
Orquesta Sinfónica de Venezuela, Leitung: Theodore Kuchar, Latin-American Classics, Brilliant Classics 2012, BC 9262, Tr. 4, 1:54–2:18

Insgesamt lässt sich festhalten, dass Revueltas zur Erzeugung einer ironisierenden Wirkung auf starke Kontraste setzt. Dazu dienen ihm flexibel einsetzbare ›Klangmodule‹, die er gegen-, über- und miteinander anordnen kann. Diese modulare Kompositionsstrategie lässt sich sowohl auf Ebene der Tonalität (bei der harmonische und/oder melodische Module über- und gegeneinander gesetzt werden, um eine verfremdende Polytonalität zu erzeugen), der Metrik (bei der innerhalb eines Metrums Verschiebungen vorgenommen werden oder ein gesamtes metrisches Modul gegen ein anderes gesetzt wird) und der Kadenzen (bei der einzelne Module vertauscht oder auseinandergetrennt werden) beobachten. Das Ironische hängt dabei stets mit dem Höreindruck zusammen, hier werde etwas (ein falscher Ton, ein falscher Rhythmus, ein plötzlicher Ausbruch) verschleiert und kaschiert, so als sei der gerade eben in aller Deutlichkeit gehörte ›Fehltritt‹, der das Geschehen unterbrechende Kontrast, nie geschehen.

Ironie gegen was?

Es stellt sich nun allerdings die Frage, wovon sich Revueltas durch seine ironisierende Kompositionsstrategie eigentlich distanziert. Die eingangs zitierte Programmnotiz scheint zu suggerieren, Revueltas gehe zu einer romantisierenden »Postkartenmusik« auf Distanz, also von einer mit Lokalkolorit angereicherten Programmmusik, die in den 1920er bis 40er Jahren unter dem Stichwort des nacionalismo diskutiert wurde und für die Manuel M. Ponces Chapultepec oder Ferial, aber auch Carlos Chávez’ El fuego nuevo (1921), Los cuatro soles (1925), Sinfonía india (1935), Xochipilli (1940)[46] einstehen können. In diese Richtung deutet Roberto Kolb-Neuhaus in seiner 2012 publizierten Dissertation die Ironie in Janitzio:

Die Rhetorik in Janitzio erschwert eine Deutung des Stücks als Paradebeispiel des nacionalismo, eine Deutung, die bis heute dominiert; stattdessen liegt eine andere Interpretation näher, nämlich die einer satirischen Parodie dieses Nationaldiskurses. Es scheint, als sei Janitzio vom Titel bis zu seiner ironischen Konstruktion ein sehr mexikanischer Scherz.[47]

Dieser Interpretation, derzufolge Revueltas als subversiv anti-nationalistischer Komponist erscheint, steht allerdings die Rezeption des äußerst erfolgreichen Orchesterwerks entgegen, das bereits 1933 zum beliebtesten Stück der Spielzeit des Orquesta Sinfónica de México gewählt und dabei durchaus als Vorzeigestück des nacionalismo verstanden wurde, wie Kolb-Neuhaus ausführt.[48] So setzte auch der neue nachrevolutionäre Staat gerade auf diese Deutung, indem er Janitzio zu propagandistischen Zwecken einsetzte, etwa in staatlichen Rundfunkprogrammen.[49] Man könnte also vermuten, die Rezeption habe sich gegen die künstlerische Intention gewendet, und es ist verlockend, diese künstlerische Intention als ›wahre‹ Absicht den vermeintlich ›falschen‹ Interpretationen entgegenzuhalten, Revueltas also als über den nationalistischen Diskurs erhabenen Komponisten zu sehen, als einen Komponisten, der durch seinen ganz eigenen künstlerischen Ausdruck subtilen und subversiven Widerstand gegen politische, nationalistische und identitätskonstruierende Vereinnahmung leistete. Doch gibt es auch Hinweise dafür, dass Revueltas der nationalistischen Deutung seiner Werke nicht ganz abgeneigt war.

Dafür spricht zum einen, dass Revueltas keine abstrakte und imaginierte, archaische, vermeintlich vormoderne Musik wie etwa Carlos Chávez komponierte, sondern auf das populäre Klangidiom seiner historisch-geografischen Umgebung setzte, das in Mexiko als legitimer und treffender Ausdruck des modernen Mexiko betrachtet wurde und wird, auf das sich darüber hinaus die Idee des von Vasconcelos propagierten mestizaje projizieren ließ – zumal wenn man, wie im Falle der pirekua, auf eine Musik rekurrierte, die von einer indigenen Bevölkerung praktiziert wird, die sich dabei aber europäische Elemente angeeignet hat. Dafür spricht zum anderen aber insbesondere der Zeitpunkt, zu dem Revueltas mit dem Komponieren von populär inspirierten Stücken beginnt. Denn während seine ersten kompositorischen Versuche bis 1928 noch keine populärmusikalischen Klangidiome aufweisen, ändert sich das schlagartig mit seiner auf Einladung von Chávez erfolgten Rückkehr nach Mexiko aus den USA 1929,[50] worauf Kolb-Neuhaus ebenfalls aufmerksam macht.[51] Zu vermuten ist, dass Revueltas in dieser Zeit seine Kompositionsstrategien an die dominierenden Narrative im Musikdiskurs in Mexiko anpasst, wodurch es zu einer interessanten Parallelität von musikimmanenten Kompositions- und außermusikalischen, diskursiven Kanonisierungsstrategien kommt.[52] Sicherlich kann dies auch verstanden werden als Antwort auf und Anpassung an den großen »sozialen Druck eines Mediums, das vom musikalischen Postulat einer nationalen Identität besessen ist«,[53] wie Kolb-Neuhaus schreibt. Doch ist dabei festzuhalten, dass Revueltas bei aller deutlichen (oder auch weniger deutlichen, subversiven) Kritik nicht mit dem nationalistischen Diskurs seiner Zeit bricht, sondern (in einer klassisch dialektischen Manier) die Kritik durch Anschluss an den kritisierten Diskurs übt (mit Hegel kann man hier von einer ›bestimmten Negation‹ sprechen).

Es wäre lohnenswert – und ist, soweit ich sehen kann, bisher nicht geschehen – zu überlegen, ob sich in Revueltas’ ironischer Distanzierung zum Nacionalismo-Diskurs aller bekundeten – oder verschwiegenen – Kritik zum Trotz, und eben als Art eines dialektischen Umschlags, nicht in viel höherem Maße die Konstruktion ›des‹ Mexikanischen als kulturelle Identität ausdrückt, oder zumindest das, was man bis heute darunter imaginiert. Möglicherweise handelt es sich nämlich bei Revueltas’ Ironie gar nicht um eine Art der gewöhnlichen ›aggressiven Ironie‹, die sich durch eine ›Bloßstellung‹ des nacionalismo von diesem distanzieren und ihn kritisieren möchte, sondern stattdessen um das, was Werner Wolf »Schutzironie« nennt, eine Art der Ironie, in der trotz einer suggerierten Distanz zum »Ironieobjekt« (in diesem Fall die nationalistische Musik und pars pro toto der nationalistische Diskurs) letztlich doch eine Art von »Nähe« zu und »Ermöglichung« von eben diesem Ironieobjekt garantiert wird.[54] Es ist bezeichnend, dass Kolb-Neuhaus in Bezug auf Janitzio ausgerechnet von einem »sehr mexikanische[n] Scherz«, im Original: einem »mexicanísimo albur«, spricht. Weder der Superlativ mexicanísimo lässt sich befriedigend übersetzen noch der Begriff albur. Denn der albur ist nicht nur ein Scherz, sondern ein in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern praktiziertes doppeldeutiges, oft sexuell konnotiertes Wortspiel, bei dem der Scherz auf Kosten des Gesprächspartners abläuft. Für Octavio Paz in seinem Essay Das Labyrinth der Einsamkeit aber ist der albur eine jener Alltagspraktiken, in denen sich, aufgrund der fehlenden bewussten Reflexion über die Praxis und der vermeintlichen ›Natürlichkeit‹, mit der sie geschieht, viel stärker als in bewusst gewordenen und verbal kommunizierten patriotisch-nationalistischen Bekundungen die kulturelle Identität der mexicanidad ausdrückt:

Das Alburenspiel, ein Wortgefecht, das aus obszönen, doppelsinnigen Anspielungen besteht und das in Mexiko-City so beliebt ist, macht diese widersprüchliche Auffassung [der teilweisen Akzeptanz des ›aktiven Partners‹ in homosexuellen Beziehungen trotz eklatanter Macho-Kultur] offenkundig. Jeder Teilnehmer versucht seinen Gegner durch Wortfallen und geistreiche Verbindungen zu schlagen. Wer eine Antwort schuldig bleibt, ist der Besiegte, er muß die Worte seines Gegners schlucken, die voll streitsüchtiger, sexueller Andeutungen sind. Der Verlierer wird von seinem Gegner sozusagen ›übermannt‹, ›vergewaltigt‹. […] Männliche Homosexualität wird demnach geduldet, soweit es sich um die Vergewaltigung des passiven Partners handelt. […] Von entscheidender Wichtigkeit ist, sich nicht zu ›öffnen‹ beziehungsweise den Partner gewaltsam zu ›öffnen‹.

Mir scheint, daß alle diese Haltungen, so verschiedenartige Wurzeln sie auch haben mögen, den ›geschlossenen‹ Charakter unserer Reaktionen vor der Welt und unseresgleichen bestätigen.[55]

Und den »›geschlossenen‹ Charakter« versteht Paz als das »Labyrinth der Einsamkeit« der Mexikaner*innen, als charakteristisches ›mexikanisches‹ Verhaltensmuster, das ihr gesamtes Handeln vom individuellen Alltag bis hin zur überindividuellen Staatspolitik bestimmt.[56] Es geht mir hier nicht um Paz’ Deutung des albur als gewaltvolle homosexuelle Handlung, sondern darum, dass der albur als etwas verstanden wird, dass ›unsere‹, d. h. ›die‹ mexikanische Einstellung zur Welt widerspiegelt; als etwas, in dem sich das Kollektiv-Wir im Sinne einer imaginierten Konstruktion mexikanischer Identität ausdrückt. So lässt sich Kolb-Neuhaus’ Beschreibung von Janitzio als albur umdeuten, indem die Interpretation von Revueltas als nationalistischem Komponisten in eine neue Richtung gelenkt wird, und zwar im Verbund mit Paz’ Gedanken über eine ›moderne‹ mexicanidad (Paz’ Essay erschien 1950 und behandelt im Wesentlichen die Frage der mexicanidad im nachrevolutionären, d. h. modernen Mexiko). Revueltas entspricht mit seiner ironischen Distanzierung vielleicht nicht den traditionellen Vorstellungen einer música nacionalista im Stile Ponces oder Chávez’, doch drückt sich in seinen Kompositionsstrategien womöglich eine zeitgemäßere und modernere Form der nationalistischen Musik aus als die seiner zeitgenössischen Komponistenkollegen; eine Musik, die die Konstruktion der mexikanischen Identität, die moderne, nachrevolutionäre mexicanidad, neu deutet, nämlich als eine ironisch-resignierende, ins »Labyrinth der Einsamkeit« sich verschließende Haltung ›der‹ Mexikaner*innen angesichts der enttäuschten Erwartungen an die Revolution.[57] Und seit jeher – glaubt man denn den Überlegungen von Octavio Paz – flüchtet sich die mexicanidad in die – man könnte sagen: ›revueltianische‹ – »Ironie und Resignation«:

Ob alt oder jung, Kreole, Mestize, General, Arbeiter oder Akademiker: der Mexikaner scheint mir ein Wesen zu sein, das sich verschließt und verwahrt. Maske seine Miene, Maske sein Lächeln. In seiner herben Einsamkeit gereicht ihm – ruppig und höflich zugleich – alles zur Abwehr: Schweigen und Reden, Höflichkeit und Verachtung, Ironie und Resignation.[58]

Der musikalische albur bei Revueltas, seine ihn auszeichnende (resignierende) Ironie, wird so zu einer neuen Konstruktion von mexicanidad, eine, die durch die Revolution hindurchgegangen ist.

Anmerkungen

1

Vgl. Kolb-Neuhaus 2012.

2

Debattiert wurde etwa darüber, ob nicht bereits das Jahr 1917 und damit die Verabschiedung einer neuen Verfassung das Ende der Revolution markierte. 1920 ist dagegen das Jahr, in dem letztmalig eine der Revolutionsfraktionen erfolgreich gegen eine staatstragende Revolutionsfraktion rebellierte. Vgl. Womack, Jr. 1991, 128.

3

Zu den Interessenskonflikten ausländischer Staaten in Mexiko, insbesondere zwischen den USA und Großbritannien, vgl. ebd.

4

Ob es sich bei der Mexikanischen Revolution um eine Massenbewegung oder um einen von Eliten gelenkten Bürgerkrieg handelte, die Frage also, ob bei der Mexikanischen tatsächlich von einer »Revolution« gesprochen werden kann, scheint in der Geschichtswissenschaft noch nicht abschließend beantwortet zu sein. Immerhin stimmen die Historiker*innen zumindest darin überein, dass es sich um ein überaus komplexes historisches Ereignis handelt, in dem sich unterschiedliche soziale Forderungen artikulierten, ohne dass sich eine von ihnen als dominante revolutionäre Forderung durchgesetzt hätte, worunter aber etwa eine sozialistisch inspirierte Agrarreform auch immer wieder eine wichtige Rolle spielte. Vgl. die unterschiedlichen Deutungen bei Knight 2016 und Womack, Jr. 1991.

5

Vgl. Meyer 1991, 205ff.

6

Für einen Überblick über die soziale Struktur im (vor-)revolutionären Mexiko vgl. Knight 2016, 17–21.

7

Vgl. Womack, Jr. 1991, 166ff.

8

Vgl. Meyer 1991, 208.

9

Vgl. exemplarisch für überblicksartige Historiographien der Musik in Mexiko im 20. Jahrhundert, in denen der musikalische nacionalismo immer wieder als Ausgangs- und Referenzpunkt auftaucht, Moreno Rivas 1996, Tello 2010.

10

Zur sozioökonomischen Unterdrückung und Ausbeutung der vornehmlich indigenen Landbevölkerung vgl. Knight 2016, 17–21.

11

Vgl. Meyer 1991, 207.

12

So etwa in seinem 1925 erschienenen Essay La raza cósmica (Die kosmische Rasse), hier zwar in Bezug auf die »iberoamerikanische Rasse«, aber pars pro toto auch auf Mexiko. Vgl. Vasconcelos 1997.

13

Rössner 2007, 263.

14

Paz 2017, 143.

15

Vgl. Meyer 1991, 207.

16

Die Rolle von Vasconcelos für die Etablierung und Entwicklung der Neuen Musik in Mexiko war so entscheidend, dass man seine Berufung in die SEP zuweilen gar als Geburtsstunde der mexikanischen Musik des 20. Jahrhunderts gedeutet hat. Vgl. Tello 2010, 486.

17

Chávez war Leiter des Conservatorio Nacional de Música, des Orquesta Sinfónica de México, (Mit-)Begründer des Colegio Nacional und des Instituto de Bellas Artes. Vgl. Saavedra 2015b, xif.

18

So die Lektüre von Chávez’ Norton Lectures in Harvard 1958/59 (Chávez 1961) bei Botstein 2015, siehe insbesondere 314ff.

19

Saavedra 2015a, 136.

20

Vgl. etwa Estrada 2012, 81, 86.

21

Vgl. Miranda-Pérez 2004.

22

Mayer-Serra 1941, 129.

23

»Janitzio [e]s una isla de pescadores que arrulla el lago Pátzcuaro. El lago de Pátzcuaro es feo. Los viajeros románticos y sentimentales lo han embellecido con besos y música de tarjeta postal. Yo, para no ser menos, también pongo mi grano de arena, en un infinito anhelo de gloria y renombre. La posteridad agradecerá, sin género de duda, estos esfuerzos proturismo.« (Revueltas 1989, 213, Übs. d. Verf.)

24

Vgl. Kolb-Neuhaus 2012, 249–272.

25

Vgl. zu musikalischer Ironie etwa Bonds 1991; Webster 2011.

26

Vgl. etwa Wolf 2007.

27

Vgl. Webster 2011, 337.

28

Vgl. zur ›Metamusik‹ als einem Charakteristikum von Musik in der Moderne Janz 2014, 239–265.

29

Zum Begriff der Praxis vgl. Bertram 2014.

30

So Niklas Luhmann in seiner Definition des Begriffs ›Kontingenz‹ (Luhmann 1987, 152).

31

Vgl. Saavedra 2015a.

32

Vgl. Velasco-Pufleau 2011, 52–59.

33

Vgl. etwa Estrada 2012; Kolb-Neuhaus 2012; Velasco-Pufleau 2011.

34

Luis Velasco-Pufleau beschreibt sie als Sonatenform, überstrapaziert m. E. dabei aber die Deutung eines zweiten, angeblich in der Dominanttonart stehenden Themas (vgl. Velasco-Pufleau 2011, 67), während es tatsächlich weiterhin in der Grundtonart steht (vgl. Bsp. 2).

35

Vgl. Kolb-Neuhaus 2012, 259.

36

Ebd., 256, 258.

37

Die pirekua gehört inzwischen zum Immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. https://ich.unesco.org/en/RL/pirekua-traditional-song-of-the-purhepecha-00398?RL=00398 (15.12.2019)

38

Vgl. Velasco-Pufleau 2011, 68.

39

In seiner variierten Form im Aˈ-Teil (T. 288–291) meint Kolb-Neuhaus ein ›lero, lero, candelero‹, ein infantiles ›ätsch, bätsch‹, herauszuhören (2012, 252).

40

Vgl. ebd., 262.

41

»[…] un vulgar gesto callejero […] una suerte de ›mentada de madre‹ […].« (Ebd., 257, Übs. d. Verf.)

42

Vgl. dazu Kolb-Neuhaus 2018.

43

Siehe zu dieser fallenden Kadenzfigur mit Zielton a den Abschnitt ›Metrum‹ unten.

44

Kolb-Neuhaus 2012, 259f.

45

Kolb-Neuhaus (ebd., 255) erinnern die Orchesterschläge sogar an Gewehrschüsse.

46

Laut Leonora Saavedra (2015a, 136) sind dies – entgegen der verbreiteten Meinung, Chávez habe hauptsächlich mexikanistisch-indigenistische Musik produziert – die einzigen Werke von Chávez, in denen er indigenistisch komponiert.

47

»La retórica de Janitzio dificulta una lectura como bandera del nacionalismo, la que predomina hasta hoy, e invita a una opuesta, la de una parodia satírica de dicho discurso de nación. Al parecer, Janitzio es, desde el título y por su construcción irónica, un mexicanísimo albur.« (Kolb-Neuhaus 2012, 267, Übs. d. Verf.)

48

Vgl. dazu auch Velasco-Pufleau 2011, 52–59.

49

Vgl. dazu Kolb-Neuhaus 2012, 249.

50

Zu dem wechselhaften Verhältnis zwischen Revueltas und Chávez vgl. Kolb-Neuhaus 2015.

51

Vgl. Kolb-Neuhaus 2012, 53.

52

In ähnlicher Weise deutet Leonora Saavedra Chávez’ nationalistisches Komponieren, nämlich als »Konstruktion einer strategischen Alterität« (2002, 125).

53

»[…] la presión social de un medio obsesionado con la postulación musical de una identidad nacional.« Kolb-Neuhaus 2012, 53.

54

Wolf 2007, insbesondere die Modelle ebd., 30f., 35f.

55

Paz 2017, 46f.

56

Vgl. etwa das Zitat unten.

57

Der nachrevolutionäre Staat verwandelte sich immer mehr in einen autoritären Staat (vgl. Velasco-Pufleau 2011, 32–36), was sich u. a. darin äußerte, dass die ab 1929 herrschende Partei (erst PNR, dann PRM, heute PRI) über 70 Jahre hinweg den Präsidenten stellte.

58

Paz 2017, 37.

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