Sprau, Kilian (2019), »Patrick Boenke / Birger Petersen (Hg.), Musikalische Logik und musikalischer Zusammenhang (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 82), Hildesheim: Olms 2014«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 16/2, 179–185. https://doi.org/10.31751/1018
eingereicht / submitted: 26/11/2019
angenommen / accepted: 26/11/2019
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 23/12/2019
zuletzt geändert / last updated: 05/01/2020

Patrick Boenke / Birger Petersen (Hg.), Musikalische Logik und musikalischer Zusammenhang (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 82), Hildesheim: Olms 2014

Kilian Sprau

Schlagworte/Keywords: 19. Jahrhundert; 19th century; music theory and aesthetics; musical coherence; musical logic; musikalische Logik; musikalischer Zusammenhang; Musiktheorie und Musikästhetik

Dieses Buch gibt zu denken: Es widmet sich einem anspruchsvollen Themenkomplex. Dass und wie es ihn behandelt, ist aus mehreren Gründen zu begrüßen. Zum einen zählt die Annahme, die empfundene Stimmigkeit musikalischer Abläufe müsse in intersubjektiv nachvollziehbarer Weise erklärbar sein, zu den Ausgangspunkten musiktheoretischen Denkens überhaupt. Zum anderen verdiente und verdient die Konkretisierung dieser Annahme zu Vorstellungen von ›musikalischem Zusammenhang‹ oder ›musikalischer Logik‹ wissenschaftliche Aufarbeitung.[1] Schließlich geht die hier vorliegende Aufsatzsammlung ihren Gegenstand auf vielseitig vernetzende Weise an: Nicht wenige der vierzehn Einzelbeiträge sind Auskoppelungen aus größeren Forschungsprojekten, in deren vielfältige Erträge sie Einblick aus der gemeinsamen Perspektive des übergeordneten Themas bieten.[2]

Die Reihenfolge, in der die einzelnen Kapitel präsentiert werden, orientiert sich an einer chronologischen Ordnung:

  • Birger Petersen
    »Mattheson, Riepel, Koch. Die Incisionslehre als Entwurf einer Formenlehre für das frühe 19. Jahrhundert« (9–23)

  • Florian Edler
    »Die Entdeckung der Einheit im Kunstwerk Beethovens« (25–43)

  • Ulrich Tadday
    »›Wie wenig ihnen in der Musik durch eine zergliedernde Kritik überhaupt klargemacht werden kann‹: Zur Aporie des Unsagbarkeitstopos in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts« (45–57)

  • Hubert Moßburger
    »Logik und Ästhetik von Harmonie und Melodie im 19. Jahrhundert« (59–75)

  • Ariane Jeßulat
    »Literarisches Komponieren und die Bestimmbarkeit musikalischer Form« (77–89)

  • Andreas Ickstadt
    »Fortschritt durch Bewahrung. Über die integrierende und dissoziierende Funktion von Imitationstechniken bei Johannes Brahms« (91–103)

  • Michael Polth
    »Moritz Hauptmann und die Logik des musikalischen Zusammenhangs« (105–118)

  • Jan Philipp Sprick
    »Die Logik der Sequenz in Hugo Riemanns Musiktheorie« (119–142)

  • Patrick Boenke
    »August Halm und die musikalische Logik des tonalen Satzes« (143–156)

  • Oliver Schwab-Felisch
    »›Die streng logische Bestimmtheit im Zusammenhang einfacher Tonfolgen mit komplizierten‹. Zu Heinrich Schenkers Begriff musikalischer Logik« (157–178)

  • Andreas Jacob
    »Die Entwicklung des Topos der musikalischen Logik bis ca. 1920« (179–191)

  • Christian Thorau
    »Zur Logik der musikalischen Variation« (193–212)

  • Gordon Kampe
    »›Misreading‹ Ernst Kurth – Der Einfluss der Schriften Ernst Kurths auf zeitgenössische Autoren« (213–222)

  • Martin Ullrich
    »Die Musik des 19. Jahrhunderts in den musikphänomenologischen Ansätzen Roman Ingardens und Ernest Ansermets« (223–233).

Folgendermaßen definiert das Vorwort der Herausgeber (7f.) die den Einzelbeiträgen gemeinsame Perspektive:

Im Mittelpunkt der Beiträge […] steht die Frage nach ›musikalischer Logik‹ und ›musikalischem Zusammenhang‹ im 19. Jahrhundert. Neben Versuchen, die Begriffe ›Logik‹ und ›Zusammenhang‹ in ihren für die Musiktheorie des 19. Jahrhunderts relevanten Bereichen auszuleuchten, werden insbesondere auch Fragen ihrer Wechselbeziehung zur Ästhetik des 19. Jahrhunderts aufgeworfen: Welche ästhetischen Perspektiven spiegeln sich im Entwurf oder in der Weiterentwicklung von theoretischen Begriffssystemen des 19. Jahrhunderts wider? Und umgekehrt: In welchem Fall dient Musiktheorie als Fundament einer ästhetischen Position? Die zeitliche Bindung an das 19. Jahrhundert ist insofern locker, als dass Rückblicke in die Musiktheorie des ausgehenden 18. Jahrhunderts gleichermaßen präsent sind wie Vorgriffe in das frühe 20. Jahrhundert. (7)

Der Schwerpunkt liegt also auf Musik und musikbezogenen Diskursen des 19. Jahrhunderts, bei besonderer Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen musiktheoretischen Erklärungs- und übergeordneten philosophischen Denkmodellen. Dass der historische Überblick bereits im späteren 18. Jahrhundert ansetzt, erscheint plausibel: Diese Epoche der »ursprünglichen Prägung«[3] des Schlagworts ›musikalische Logik‹ entfaltet Strahlkraft bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. So eröffnet BIRGER PETERSEN die Aufsatzfolge mit einem Beitrag zur »Incisionslehre als Entwurf einer Formenlehre für das frühe 19. Jahrhundert«. Die an rhetorische Modelle angelehnte Gliederungsmethode musikalischer Abläufe, die Johann Mattheson in seinem Vollkommenen Capellmeister entfaltet, interpretiert Petersen als Wegbereiterin früher Formenlehrekonzeptionen, wie sie dann im späteren 18. Jahrhundert bei Joseph Riepel und Heinrich Christoph Koch zu finden sind. Dass bei rhetorizistischer Betrachtungsweise von Musik zwischen abstrakt struktureller und inhaltsästhetischer Argumentation nicht klar zu unterscheiden ist, wird am Beispiel von Kochs Vorstellung einer »Logische[n] Beschaffenheit« musikalischer Sachverhalte (22) deutlich.

Wie weit seinerseits das Musikdenken des 19. Jahrhunderts ins 20. Jahrhundert hineingewirkt hat, macht der Beschluss der Aufsatzsammlung deutlich: MARTIN ULLRICH befasst sich mit Versuchen des 20. Jahrhunderts, eine auf der Philosophie Edmunds Husserls aufbauende »phänomenologische Grundlegung von Musiktheorie« (228) zu leisten (»Die Musik des 19. Jahrhunderts in den musikphänomenologischen Ansätzen Roman Ingardens und Ernest Ansermets«). Offenkundig wird, wie sehr diese Unternehmungen, bei allem Anspruch einer überzeitlich-systematischen Konzeption, doch implizit zeitgebunden argumentieren und letztlich im Denken des 19. Jahrhunderts verankert bleiben, etwa im selbstverständlichen Rekurs auf den musikalischen Werkbegriff oder auch in bestimmten normativen Auffassungen hinsichtlich musikalisch-struktureller Sachverhalte (vgl. 228–232).

Potenzial zu verblüffen hat die Nonchalance, mit der im Vorwort die beiden Schlüsselbegriffe des Sammelbands exponiert werden: ›Logik‹ und ›Zusammenhang‹. Die oben zitierte Formulierung, es stehe »die Frage nach ›musikalischer Logik‹ und ›musikalischem Zusammenhang‹« im Zentrum des Bandes, ist interessant: Sie macht zwar deutlich, dass das Buch von fraglichen, also der Befragung würdigen Gegenständen handelt, lässt jedoch offen, wie genau die in den Mittelpunkt gerückte Frage eigentlich gestellt ist. Dass dies auf sehr unterschiedliche Weise geschehen kann, wurde unlängst in der ZGMTH von Adolf Nowak und Hermann Danuser demonstriert: Unter welchen wissenschaftstheoretischen und methodischen Voraussetzungen, mit welcher Zielsetzung, mit welchem Erkenntnisinteresse sinnvoll über ›musikalische Logik‹ geschrieben werden kann, lässt sich demnach streitbar diskutieren.[4] So kann, wenn gefragt werden soll, wie ›Logik‹ innerhalb der musikalischen Sphäre zu konzipieren ist, schon die Frage nicht übergangen werden, was unter Logik außerhalb des musikalischen Bereichs eigentlich zu verstehen sei.[5] Auch der Faktizitätsstatus musikalischer Logik erscheint diskutabel, also die Frage, inwieweit man es bei musikalischer Logik mit einer ›immanenten‹ Gegebenheit musikalischer Abläufe zu tun hat oder aber mit einer quasi von außen an die Musik herangetragenen Erwartungshaltung.[6]

Allerdings lässt sich die Großzügigkeit, mit der solche systematischen Erwägungen vom Herausgebervorwort ausgespart werden, auch als Aufforderung zu einer aktiven Lesestrategie verstehen: Wer wissen will, welche Fragen in diesem Band gestellt werden, der muss sich in aufmerksamer und synoptischer Lektüre die Einzelkapitel vornehmen. Schnell zeigt sich: Allzu unterschiedlich sind die Möglichkeiten, sich einer so schillernden Idee wie der der Logizität musikalischer Gestaltung zu nähern, als dass sie widerstandslos zu einer einzigen Frage zusammengefasst werden könnten. Behandelt werden mithin zahlreiche Fragen, die Autoren unter historisch verschiedenen Bedingungen an Musik gerichtet und auf verschiedene Weise mit Konzeptionen zu ›musikalischem Zusammenhang‹ und ›musikalischer Logik‹ beantwortet haben. Die Verantwortung zur Klärung dieser zentralen Begriffe wird den Einzelbeiträgen in der Vielfalt ihrer Herangehensweisen übertragen.

Explizit systematische Ausführungen zum Logikbegriff sind freilich nicht allzu häufig anzutreffen. Sie finden sich beispielsweise in den Beiträgen von Jan Philipp Sprick und Andreas Jacob. Dass musikalische Logik als »Anspruch« verstanden werden kann, der gewissermaßen von außen »an musikalische Phänomene und deren Zusammenwirken herangetragen wird« (121), macht JAN PHILIPP SPRICK deutlich, wenn er präzise ein systematisches Verständnis von ›musikalischer Logik‹ formuliert und seinem Beitrag »Die Logik der Sequenz in Hugo Riemanns Musiktheorie« zugrunde legt. Dabei nimmt Sprick mit der Musiktheorie Riemanns eine der theoriehistorisch wohl explizitesten Ausformungen des musikalischen Logikbegriffs in den Blick und zeigt, wie Riemanns Logikkonzeption, manifest im dialektischen Verständnis der Kadenz, am Versuch scheitern musste, der Eigengesetzlichkeit harmonisch-sequenzieller Strukturen einen systemimmanenten Ort zuzuweisen (139f.). Die empirisch evidente Folgerichtigkeit sequenzieller Fortschreitung wird so als »Testfall« (122) für den spezifischen Anspruch des Riemann’schen Tonalitätskonzepts erkennbar. ANDREAS JACOB, der »Die Entwicklung des Topos der musikalischen Logik bis ca. 1920« untersucht, um Arnold Schönbergs Beiträge zum Thema in eine umfassend epochenübergreifende Diskursformation einzuordnen, leitet sein Kapitel mit einem konzisen, substanziell erhellenden Absatz zum Logikbegriff im außermusikalischen Zusammenhang ein (179). Ebenso legt er Parallelen zwischen Schönbergs Konzeption musikalischer Logik und rhetorizistischen Traditionen der Aufklärungsepoche offen (192). Auch OLIVER SCHWAB-FELISCH nimmt explizit Bezug auf Logikkonzepte, die nicht aus der musiktheoretischen Sphäre stammen (Aristoteles, 161; Hans Reichenbach, 164f.). In seinen Ausführungen »Zu Heinrich Schenkers Begriff musikalischer Logik« macht er die »Beziehung zwischen unterschiedlich komplizierten Schichten« (159) des Tonsatzes als Ausprägung musikalischer Logik nachvollziehbar. Im Ergebnis erscheint Logizität mindestens so sehr als Eigenschaft des Analyseverfahrens wie der analysierten Musik (178).

Es ist bezeichnend, dass viele der Aufsätze, die sich explizit der ›musikalischen Logik‹ widmen, ein tendenziell problematisches, zumindest komplexes Bild dieses Begriffs zeichnen. Überwiegend suchen sie ihn in Originalquellen auf und gehen seinem Bedeutungsspektrum innerhalb der Primärtexte nach. (In der Zielsetzung, den musikalischen Logikbegriff aus seiner »historischen Intention« heraus zu klären und »fruchtbar«[7] zu machen, würdigt Adolf Nowak den Sammelband in seiner 2015 erschienenen Monographie Musikalische Logik.) Dabei gründen die bei der Lektüre der Einzelbeiträge deutlich werdenden Herausforderungen im Umgang mit dem Begriff ›musikalische Logik‹ nicht nur in veränderlichem Begriffsgebrauch auf der diskursgeschichtlichen Makroebene oder im Schrifttum einzelner Autoren, sondern auch in der rhetorischen Qualität des Schlagworts selbst, die eine metaphorisch suggestive (statt kategorisch differenzierte) Verwendung zu begünstigen scheint. So demonstriert HUBERT MOSSBURGER in seinem Beitrag »Logik und Ästhetik von Harmonie und Melodie im 19. Jahrhundert« die Schwierigkeit, den Begriff der ›musikalischen Logik‹ tatsächlich zu ›greifen‹, indem er die historische Wandelbarkeit der mit ihm assoziierten Vorstellungen zum Thema macht. Zur Folie seiner Darstellung dient die aus dem 18. Jahrhundert stammende Annahme, Harmonik repräsentiere die »Logik« eines Tonsatzes, während der Melodie der »ästhetische[ ] […] Primat« zukomme (61). Moßburger zeigt, wie sich dieses Verhältnis im 19. Jahrhundert umkehrte: Die Harmonik übernahm demnach mehr und mehr expressive Funktion, überließ damit der Melodik zunehmende Verantwortung für die Formbildung musikalischer Abläufe und also »logische[ ] Funktionen« (66). PATRICK BOENKE macht im Kapitel »August Halm und die musikalische Logik des tonalen Satzes« deutlich, dass der musikalische Logikbegriff in Halms Schriften zwar als zentrale Argumentationsfigur auftritt, jedoch keine terminologisch exakte Klärung erfährt. Diese Beobachtung verweist nicht nur auf die seinerzeit typische Tendenz musikbezogener Schriften zur suggestiv andeutenden Sprache (etwa in Anleihen bei einer biologischen Semantik, 150), sondern auch auf einen grundsätzlich metaphorischen Charakter, der dem Logikbegriff im musikalischen Zusammenhang zuwächst.

Entsprechend der grundsätzlichen Positionierung des Sammelbands zwischen Musiktheorie und Musikästhetik ist zwischen den Einzelkapiteln eine große Spannweite der methodischen Ausrichtung spürbar. Manche Beiträge nutzen das übergeordnete Thema zur detaillierten Analyse konkreter Notentexte. ARIANE JESSULAT etwa entfaltet im Kapitel »Literarisches Komponieren und die Bestimmbarkeit musikalischer Form« in Anlehnung an literarische Verfahren der Romantik die Idee, dass zusammenhangstiftende Momente im ›Außerhalb‹ des einzelnen musikalischen Kunstwerks angesiedelt sein können. In analytischen Beobachtungen zu Schumanns Eichendorff-Vertonung Wehmut op. 39/9 wird »Einheit der Form durch Verwendung vorgeprägten Materials« (79) demonstriert, und damit die ordnungsstiftende Funktion einer intertextuellen Perspektive: Diese macht in der kompositorischen Struktur Bezüge sichtbar, die »einem viel größeren Zusammenhang entstamm[en]« (83) und daher bei ›werkimmanenter‹ Interpretation nicht sichtbar würden. »Logik« der musikalischen Gestaltung ergibt sich nach dieser Argumentation auf einer »Projektionsfläche« (79) jenseits der Grenzen des konkreten Werks. Auch ANDREAS ICKSTADT ist in seinem Beitrag »Über die integrierende und dissoziierende Funktion von Imitationstechniken bei Johannes Brahms« unmittelbar mit kompositorischer ›Materie‹ befasst. Er befragt motivisch gebundene Polyphonie, ein typisches Merkmal Brahms’scher Satztechnik, auf ihre Funktion für den jeweiligen Werkzusammenhang und zeigt, wie kontrapunktisch-imitierende Verfahren nicht nur »als zusammenhangstiftendes Moment« (94), sondern auch als gezielt destabilisierende Elemente verstanden werden können. Analog zu Spricks systematischer Bestimmung von ›musikalischer Logik‹ machen Ickstadts Ausführungen deutlich: Auch die Wahrnehmung ›musikalischen Zusammenhangs‹ setzt voraus, dass musikalische Struktur und Hörerwartungen der Rezipierenden zur Deckung gelangen. Zu solchen Erwartungen gehören etwa die Durchhörbarkeit eines stabilen Metrums oder die Beendigung von Formabschnitten durch ausformulierte Schlusswendungen. Beides lassen die Takte 183–191 des ersten Satzes aus Brahms’ Klarinettensonate f-Moll op. 120/1 vermissen (Bsp. 1): Im Kanon zwischen Klarinette und Klavier sorgt, so Ickstadts Interpretation, die »Dissoziation der zeitlichen Ebenen« gemeinsam mit dem anschließenden »Verstummen« der Musik »in absoluter Offenheit« für Irritation der »Wahrnehmung« und »Aufkündigung des musikalischen Zusammenhangs« (101f.).

Abbildung

Beispiel 1: »Aufkündigung des musikalischen Zusammenhangs« (Ickstadt, 102) in Johannes Brahms’ Sonate für Klarinette und Klavier f-Moll op. 120/1, T. 183–191

Am anderen Ende der methodischen Skala stehen rein diskursanalytisch orientierte Kapitel, in denen nicht Musik selbst, sondern das Sprechen über Musik zum Untersuchungsgegenstand wird. So behandelt ULRICH TADDAY in seinen Ausführungen »Zur Aporie des Unsagbarkeitstopos in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts« die Schwierigkeit, das ›Eigentliche‹ des Musikalischen in analytische Worte zu fassen. E. T. A. Hoffmanns »Scheitern« (47) an dieser Aufgabe, Robert Schumanns »Skeptizismus« (49) hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit, ihre prinzipielle Ablehnung durch Eduard Hanslick, demgegenüber ihre begeisterte Annahme durch Franz Liszt (die jedoch nur durch eine »Fehlinterpretation« Hegels [53] legitimiert erscheint) – an solchen Beispielen führt Tadday die »diskursgeschichtliche Bedeutungslosigkeit der musikalischen Analyse« (45) im früheren 19. Jahrhundert vor. GORDON KAMPE zeigt in »›Misreading‹ Ernst Kurth – Der Einfluss der Schriften Ernst Kurths auf zeitgenössische Autoren«, inwiefern eine Lektüre musiktheoretischer bzw. -ästhetischer Schriften auf der Basis von Missverständnissen Anschlussmöglichkeiten für Nachbardisziplinen wie Komposition und Musikpädagogik eröffnen kann. Methodischer Ausgangspunkt ist dabei das kritisch reflektierte Misreading-Theorem des Literaturwissenschaftlers Harold Bloom. Dass engagierte ›Fehllektüre‹ von Kurths Schriften nicht nur Folgen »produktiver Natur« (218), sondern auch ideologisch bedenklicher Art zeitigte, wird am Beispiel proto-nationalsozialistischen Schrifttums deutlich (217–219).

Vielfach wird der Anspruch, Bezüge theoretischer Musikbetrachtung zu philosophischen Denkmodellen herzustellen, auf bereichernde Weise eingelöst. FLORIAN EDLER etwa (»Die Entdeckung der Einheit im Kunstwerk Beethovens«) widmet sich ästhetisch informierten Strategien, die darauf abzielen, den besonderen Herausforderungen des Beethoven’schen Komponierens gerecht zu werden. Auf Wolfgang Robert Griepenkerl Bezug nehmend führt Edler etwa das ›Humor‹-Konzept an, das der Vermittlung schärfster ästhetischer Gegensätze eine philosophische Handhabe bietet (29–32); mit Bezug auf Adolf Bernhard Marx zitiert er den Organismusgedanken, dem zufolge sich Einheit des Kunstwerks in der Integration seiner verschiedenen Teile zu einem ›organischen Ganzen‹ zeigt (32–38). Eine singuläre Position innerhalb der überwiegend historisch operierenden Ansätze nimmt die metapherntheoretische Abhandlung »Zur Logik der musikalischen Variation« von CHRISTIAN THORAU ein, die sich als systematisch orientierter Beitrag zur gegenwärtigen Theoriebildung lesen lässt. Sie nimmt die spezifische Logizität eines in der Musik zentralen Gestaltungsprinzips in den Blick. Im »Formtypus Thema und Variation« erkennt Thorau eine »Modellgattung für musikalische Logik« (194), die er als »Logik der Bezugnahme« (201) konzeptualisiert: Insoweit das Verhältnis zwischen musikalischer Variation und Thema durch ein »Umorganisieren von Merkmalssystemen«, durch die »Gleichzeitigkeit von Affinität und Aversion« (208) gekennzeichnet sei, lasse sich eine »gemeinsame Logik von Metapher und Variation« (202) ausmachen. Letztlich führt diese Überlegung zu einem Verständnis von Variation als ›ästhetischer Metapher‹ (206f.).

Häufig gibt die Lektüre Anlass zu Dankbarkeit: überall dort, wo komplexe, teils hochabstrakte Sachverhalte durch gedankliche Durchdringung und sprachliche Präzision – zweifellos auch auf Grundlage eines sorgfältigen Lektorats – wie selbstverständlich zugänglich werden. Als mustergültig ist hier MICHAEL POLTHS Aufsatz über »Moritz Hauptmann und die Logik des musikalischen Zusammenhangs« zu nennen. Polth rückt die Kadenz in den Mittelpunkt, und zwar in der Deutung, die ihr bei Hauptmann als dialektische »Logik der Akkordfolge« (106) zuteilwird. ›Musikalische Logik‹ manifestiert sich nach diesem Verständnis in der Einheit vermittelter Gegensätze. Auf anschauliche Weise lässt Polth historisch informierte und systematisch aktualisierende Lektüre einander durchdringen und macht verständlich, auf welchen Wegen die Rezeption der Schriften Hauptmanns dessen originale Konzeption aus der Höhe philosophischer Abstraktion auf den vermeintlichen Boden der Tatsachen herabführte – im Bemühen, sie auf das einzelne Kunstwerk als den konkreten »Anwendungsfall« (116) von Tonalität zu beziehen.

Bei aller Befriedigung im Einzelnen bleiben Fragen an die Gesamtkonzeption offen. So wäre eine ausführlichere Zusammenschau der kompilierten Beiträge, als sie das erwähntermaßen recht bündige Vorwort bietet, willkommen. Das heißt nicht, dass etwa die anfänglich ausgesparte Allgemeindefinition eines Begriffs ›musikalischer Logik‹ abschließend-resümierend hätte nachgeholt werden sollen. Allzu unmissverständlich lehrt dieser Sammelband, worauf auch Nowak das methodische Fundament seines »Standardwerk[s]«[8] zur ›musikalischen Logik‹ gegründet hat: dass die Geschichte der ›musikalischen Logik‹ aus geschichtlich wechselnden »Probleme[n]« besteht, auf die Musiktheorie in höchst unterschiedlicher Weise durch Bezugnahme »auf Logik, logische Begriffe und Muster«[9] reagiert. Eine aus dem Ensemble der hier versammelten Beiträge ermittelte Definition müsste so allgemein bleiben, dass Gemeinplätze nicht zu vermeiden wären. Immerhin lässt sich auf Querbezüge zwischen einzelnen Artikeln verweisen. So befassen sich etwa Edler (38–42), Moßburger (66–69) und Jacob (188) mit dem Verhältnis zwischen motivisch-thematischer Gestaltung und ›musikalischer Logik‹. Auch die Schwierigkeit, angesichts disparater Gestaltung im Detail dennoch ›Einheit‹ des musikalischen Kunstwerks nachzuweisen, beschäftigt mehr als einen Autor (Tadday, 46–48; Edler, 29–32). Einen direkten diskursgeschichtlichen Zusammenhang machen die Beiträge von Polth, Sprick und Boenke deutlich: Halm reagiert unmittelbar auf Hauptmanns Konzeption musikalischer Logik (Polth, 105), und wie schon bei Riemann, auf den er sich ebenfalls bezieht, stellt auch bei Halm die »Logik der Sequenz« (Sprick) einen »blinden Fleck« (Boenke, 148) der systematischen Konzeption dar.

Schließlich verdient, wenn sich trotz solcher Berührungspunkte übergeordnete Begriffsdefinitionen aus der pluralistischen Vielzahl der in den Blick genommenen Diskurse nicht ableiten lassen, doch die vom Buchtitel selbst in den Raum gestellte Frage nach der Relation der Begriffe ›Zusammenhang‹ und ›Logik‹ eine Erörterung. Es interessiert, wie die einzelnen Beiträge mit dieser Relation umgehen, ob sie sie überhaupt behandeln und, wenn ja, was sie nach Maßgabe ihrer jeweiligen Thematik zur Bestimmung dieser Relation beitragen. Dass sich etwa aus Sicht einer gegebenen Theoriebildung ›logischer Zusammenhang‹ von ›unlogischem‹ (der dennoch ›Zusammenhang‹ ist) abgrenzen lässt, führt exemplarisch Spricks Beitrag vor: Die eigengesetzliche Kohärenz von Sequenzbildungen gründet aus Riemanns Sicht in der Überzeugungskraft des bloß Repetitiven, während ›musikalische Logik‹ im emphatischen Sinne die dialektische Vermittlung von Gegensätzen in der Tonalität erfordert (131f.). Als »Differenzierung musikalischen Zusammenhangs« (11) erscheint ›musikalische Logik‹ ebenso bei Petersen, der zeigt, wie sich die Spezifizierung des Begriffs ›Zusammenhang‹ zur ›logischen‹ Ordnung bei Mattheson aus der »Auffassung einer syntaktischen Analogie von Sprache und Musik« (17) ergibt. Logische Kohärenz als spezifische Form von Zusammenhang nimmt auch Schwab-Felisch zum Ausgangspunkt seiner Darstellung: Diese startet bei einer originalen Formulierung aus Schenkers Buch Der freie Satz, der zufolge »streng logische Bestimmtheit im Zusammenhang einfacher Tonfolgen mit komplizierten« (159) erkennbar wird. Dass auch Arnold Schönberg ›Logik‹ und ›Zusammenhang‹ als Begriffe unterschiedlicher Extension betrachtet, geht aus Jacobs Beitrag hervor (188). In anderen Kapiteln hingegen scheint eine systematische Differenzierung von ›Logik‹ und ›Zusammenhang‹ nicht beabsichtigt (Thorau, 194); oder es steht ohnehin nur der Begriff des ›Zusammenhangs‹ zur Disposition, etwa wenn Ullrich die Zielsetzung Ingardens skizziert, zwischen den Gegebenheiten des konkreten Kunstwerks und musikalischer Zusammenhangbildung als einer Aufgabe »für das wahrnehmende Bewusstsein« (224) zu vermitteln. Schließlich sind Beiträge zu verzeichnen, die sich sowohl ›musikalischer Logik‹ als auch ›musikalischem Zusammenhang‹ nicht explizit, sondern nur auf einer diskursanalytischen Metaebene nähern: Dies gilt für Kampes Beitrag zur Kurth-Rezeption wie für Taddays Aufsatz zum prekären Verhältnis zwischen analytischer Sprache und musikalischer Substanz.

So bleibt in der Summe der Eindruck einer informativen Sammlung ausnahmslos lesenswerter Einzelbeiträge, die mit teils locker, teils fest gefügtem Bezug zum Hauptthema Schlaglichter auf eine verzweigte Sach- und Begriffsgeschichte werfen. Querverbindungen zwischen den Diskurspositionen systematisch freizulegen, historische Entwicklungstrends explizit darzustellen, ist nicht die Aufgabe, der sich diese Publikation gestellt hat. Nachschaffender Lektüre bietet sie reichhaltiges Material dafür: ein Buch mithin, das zu denken gibt.

Anmerkungen

1

Vgl. Danuser 2016, 356.

2

Vgl. besonders explizit die Beiträge von Jan Philipp Sprick (119, Anm. 1), Andreas Jacob (179, Anm. 1) und Christian Thorau (193, Anm. 1).

3

Nowak 2015, 2.

4

Vgl. hierzu Danuser 2016 und Nowak 2017.

5

Vgl. Danuser 2016, 364; Nowak 2017, 365f.

6

Vgl. Danuser 2016, 359f. und 363–365; Nowak 2017, 362–364.

7

Nowak 2015, 2.

8

Danuser 2016, 356.

9

Nowak 2015, 5.

Literatur

Danuser, Hermann (2016), »Apollinische Fundamente. Über Adolf Nowaks Buch Musikalische Logik. Prinzipien und Modelle musikalischen Denkens in ihren geschichtlichen Kontexten (= Veröffentlichungen des Staatlichen Instituts für Musikforschung, Bd. 20; Studien zur Geschichte der Musiktheorie, Bd. 10, in Verbindung mit Klaus-Jürgen Sachs und Albrecht Riethmüller, hg. von Thomas Ertelt und Heinz von Loesch), Hildesheim: Olms 2015«, ZGMTH 13/2, 355–375. https://doi.org/10.31751/896 (15.12.2019)

Nowak, Adolf (2015), Musikalische Logik. Prinzipien und Modelle musikalischen Denkens in ihren geschichtlichen Kontexten, Hildesheim: Olms.

Nowak, Adolf (2017), »Kritische Anmerkungen zu dem Aufsatz von Hermann Danuser: ›Apollinische Fundamente. Über Adolf Nowaks Buch Musikalische Logik‹, ZGMTH 13/2 (2016), 355–375«, ZGMTH 14/2, 361–369. https://doi.org/10.31751/946 (15.12.2019)

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