Edler, Florian (2020), »Langsame Doppeltremoli und -triller im spätromantischen Orchestersatz. Zur Analyse und ästhetischen Bewertung von Fluktuationsklängen«, in: ›Klang‹: Wundertüte oder Stiefkind der Musiktheorie. 16. Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) Hannover 2016 (GMTH Proceedings 2016), hg. von Britta Giesecke von Bergh, Volker Helbing, Sebastian Knappe und Sören Sönksen, 107‒128. https://doi.org/10.31751/p.8
eingereicht / submitted: 01/10/2017
angenommen / accepted: 01/10/2017
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/10/2020
zuletzt geändert / last updated: 26/03/2021

Langsame Doppeltremoli und -triller im spätromantischen Orchestersatz

Zur Analyse und ästhetischen Bewertung von Fluktuationsklängen

Florian Edler

Nach Helmut Lachenmanns viel beachteter Unterscheidung von fünf Klangtypen stellt sich das Verhältnis von Klang und Struktur im Sinne eines dialektischen Prozesses dar. Als ein die Hörenden aktivierendes Phänomen repräsentiert der Strukturklang den am meisten vergeistigten Typus. Die auf das eigentlich Klangliche beschränkten Farb-, Fluktuations- und Texturklänge sieht Lachenmann hingegen als primitivere Formen an, die passive und saturierte Rezeptionshaltungen unterstützen würden. Eine Darstellung dieser Theorie des musikalischen Klangs und ihrer Verwurzelung in spezifisch deutschen musikästhetischen Traditionen des 19. und 20. Jahrhunderts bildet im vorliegenden Text den Ausgangspunkt einer Beschäftigung mit den Fragen, ob Aktivität und Passivität sinnvolle Kategorien der Klangwahrnehmung darstellen und inwieweit nicht auch Fluktuationsklänge engagierte und detailbezogene analytische Hörweisen anzuregen vermögen. Als Beispiele dieses Klangtyps dienen langsame Doppeltremoli und -triller, die Akkorde in triolischem Rhythmus innerlich bewegt und durch die Verschleierung metrischer Schwerpunkte gleichsam schwebend darstellen. Das von Franz Liszt vom Klavier aufdas Orchester übertragene Modell spielt besonders im Streichersatz von um 1900 entstandenen Orchesterwerken eine bedeutende Rolle. In kurzen vergleichenden Analysen zur Behandlung dieser Technik bei Dvořák, Debussy, Balakirew, Skrjabin, Strawinsky, Bartók und Ligeti wird versucht, Kriterien für die Komplexität solcher Klänge und für das Gelingen ihrer strukturellen oder dramaturgischen Einbindung in syntaktische Kontexte zu erarbeiten.

According to Helmut Lachenmann’s much noted distinction of five sound types, the relationship between sound and structure represents a dialectic process. The most spiritual type is the so called »structure sound« because it activates the listeners in a particular way. Lachenmann regards the color, fluctuation and texture sounds, which remain limited to the sound aspect itself, as rather primitive forms, reflecting passive and saturated reception attitudes. In the present article, a presentation of this musical sound’s theory and its roots in the nineteenth and twentieth-century traditions of German music aesthetics leads to a discussion on whether »activity« and »passivity« are reasonable categories of sound perception and to what extent fluctuation sounds can stimulate engaged and detailed analytic modes of listening. Examples for this sound type are slow double tremolos and double trills, representing harmonies quasi pending and inwardly moved, due to triplets and disguises of metric emphases. Franz Liszt transferred the model from the piano to the orchestra, and it plays a prominent role especially in string parts of orchestral pieces composed around the year 1900. In small studies on the treatment of this technique by Dvořák, Debussy, Balakirew, Skrjabin, Strawinsky, Bartók and Ligeti, we attempt to develop criteria for the successful integration of such sound types in structural and dramaturgical contexts of compositions.

Schlagworte/Keywords: dialectics; Dialektik; Franz Liszt; György Ligeti; Helmut Lachenmann; Klangtyp; sound type

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