Zhu Zaiyus zwölfgleichstufige Temperatur
Ein Thema für eine interkulturelle Geschichte der Musiktheorie?
Lujia Sun
In seinem Blogbeitrag Can the History of Theory Be Decentered? vertritt Alexander Rehding die These, dass sich die Lehrinhalte im Fach Geschichte der Musiktheorie fast ausschließlich auf den Kanon der wichtigsten – ausschließlich männlichen – (west-)europäischen Musiktheoretiker beschränkten. Als Reaktion darauf schlägt er ein Lehrkonzept für eine globale Geschichte der Musiktheorie vor, das mit den traditionellen Inhalten der europäischen Geschichte der Musiktheorie bricht, stattdessen die Musiktheorie verschiedener Kulturen in den Mittelpunkt stellt und auch Texte von Frauen einbezieht.
Zhu Zaiyu, der von Rehding im Rahmen eines von fünf Schwerpunktthemen erwähnt wird, war ein Musiktheoretiker der Ming-Dynastie (1368–1644) in China. Zhu veröffentlichte im Jahr 1584 sein Neues Traktat der Stimmung (律学新说), in dem er die zwölfgleichstufige Temperatur mathematisch herleitet. Dies könnte die früheste bekannte Theorie zur zwölfgleichstufigen Temperierung sein. Zhu Zaiyu löste das Problem der Inkonsistenz der Oktaven in der zwölftönigen Skala in einer ähnlichen Weise wie in der westlichen pythagoreischen Stimmung.
Neben ihrer Vorstellung und Erläuterung wird die Stimmungstheorie von Zhu Zaiyu in diesem Text als Beispiel verwendet, um Ähnlichkeiten und Widersprüche zu westlichen Theorien aufzuzeigen und zu diskutieren, inwiefern sich chinesische und westliche Theorien im Rahmen einer Globalgeschichte der Musiktheorie wechselseitig ergänzen können. Durch den Vergleich von Musiktheorien aus verschiedenen Kulturen wird deutlich, dass sowohl mit unterschiedlichen als auch mit vergleichbaren Methoden gearbeitet worden ist und am Ende häufig ähnliche Ergebnisse stehen. Ein solcher weltweiter Vergleich kann den bisherigen, oft kulturell engen Blickwinkel der Forschung zur Geschichte der Musiktheorie aufbrechen und eine vielfältigere Perspektive auf musiktheoretische Phänomene eröffnen.
In his blog “Can the History of Theory Be Decentered?”, Alexander Rehding argued that the content of teaching the history of music theory is almost exclusively limited to the canon of the most important – exclusively male – (Western) European music theorists. In response, Rehding proposed a teaching concept for a global history of music theory that breaks with the traditional content of the European history of music theory, and instead focusing on the music theory of various cultures around the world and including texts by women.
Zhu Zaiyu, who was mentioned by Rehding as one of five focal points, was a music theorist of the Ming Dynasty (1368–1644) in China. He published his New Treatise on Tuning (律学新说) in 1584, in which he mathematically derived the twelve-tone-equal temperament. This theory may be the earliest known theory of twelve-tone-equal temperament. Zhu Zaiyu solved the problem of the inconsistency of octaves in the twelve-tone scale in the manner of the Western Pythagorean temperament.
The tuning theory of Zhu Zaiyu will here be presented and explained. It will furthermore serve as an example to demonstrate similarities and contradictions with Western theories, and to discuss to what extent Chinese and Western theories can complement each other in the context of a global history of music theory. By comparing music theories from different cultures, it becomes clear that both differing and comparable methods exist, and that in the end, similar results regularly do emerge. Such a global comparison can break the previous, often culturally narrow, perspective of research on the history of music theory, enabling a more diverse view of the theoretical phenomena of music.
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