Eybl, Martin (2008), »Ulrich Kaiser, Die Notenbücher der Mozarts als Grundlage der Analyse von W.A. Mozarts Kompositionen 1761–1767, Kassel: Bärenreiter 2007«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 5/2–3, 395–399. https://doi.org/10.31751/298
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/12/2008
zuletzt geändert / last updated: 24/03/2009

Ulrich Kaiser, Die Notenbücher der Mozarts als Grundlage der Analyse von W.A. Mozarts Kompositionen 1761–1767, Kassel: Bärenreiter 2007

Martin Eybl

Will man die lernende Aneignung des kompositorischen Handwerks durch einen Musiker des 18. Jahrhunderts untersuchen, wird sich kaum ein besseres Beispiel als Wolfgang Amadeus Mozart finden. Wir sind über seine ersten Schritte als Musiker und Komponist durch die akribische Dokumentation des staunenden Vaters unvergleichlich genau informiert. In der Frühzeit der Forschung suchte man künstlerische Anregungen und Einflüsse anhand von Reminiszenzen dingfest zu machen: motivische oder thematische Anklänge an Gehörtes oder Gespieltes, die ein Komponist bewusst oder unbewusst in seine Werke integrierte. Darin spiegelt sich das Bild, das man sich von tonaler Musik machte: Komponieren bestünde primär in einem Arrangement von Themen und Motiven. Inzwischen weicht dieses Konzept von tonaler Musik aus dem 19. Jahrhundert immer mehr der Idee, Musik sei aus elementaren Bausteinen zusammengesetzt, die – zunächst ohne besonderes Profil – unterschiedlichste Funktionen erfüllen können. Eine solche neue Konzeption von Musik hat Konsequenzen für unsere Vorstellung von musikalischem Lernen. Ulrich Kaisers jüngstes Buch widmet sich unter diesen geänderten Voraussetzungen neuerlich der Frage, was Mozart als angehender Komponist lernte und woraus er seine Anregungen bezog.

Die Notenbücher der Mozarts – damit sind in erster Linie das von Maria Anna und Wolfgang benutzte sogenannte Nannerl-Notenbuch (1759), Wolfgangs Londoner Skizzenbuch (1764), weiters eine bei Haffner in Nürnberg 1756 bis 1764 erschienene Serie von Klaviersonaten sowie musikalisches Unterrichtsmaterial gemeint, das in verschiedenen Handschriften erhalten geblieben ist und erst kürzlich als Salzburger Klaviermusik des 18. Jahrhunderts (Denkmäler der Musik in Salzburg 16, hg. von Petrus Eder, 2005) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Doch sind nicht, wie der Titel suggeriert, diese Notenbücher der zentrale Gegenstand von Ulrich Kaisers Buch. »W.A. Mozarts Kompositionen 1761–1767, analysiert auf Grundlage der Notenbücher der Mozarts« käme der Sache schon näher. Den eigentlichen Gegenstand jedoch würde wohl eher ein Titel wie »Die Kompositionsmodelle des jungen Mozart« so recht benennen. Kaiser geht es zum einen um eine ästhetische Neubewertung von Mozarts frühem Werk: Er arbeitet der Geringschätzung dieser Werke entgegen. Zum andern will er – ohne diesen Begriff zu bemühen – den Stil dieser Stücke beschreiben, damit auch ihre Gemeinsamkeiten und den künstlerischen Fortschritt, den »Lernweg« (15) des jungen Komponisten. Der Grund für die Vermeidung des Stilbegriffs lässt sich leicht erahnen: Zu sehr war die Stilforschung bislang mit der statischen Erfassung bloßer Details, melodischer Floskeln, harmonischer Wendungen, formaler Eigenarten beschäftigt und nicht imstande, komplexere Momente des Tonsatzes zu bestimmen. Ausgehend von der These, Komponieren bestehe wesentlich aus »kompilatorischer Arbeit« (130), will er durch die Rekonstruktion der zugrunde liegenden Satzmodelle gleichsam die »›Vokabeln‹ im ›Grundwortschatz des Komponisten‹« (286) aufzeigen. Schließlich bemüht sich der Autor um die Bestimmung der musikalischen Einflüsse und Anregungen, die Mozarts Schaffen in dieser Phase prägten. Wenn man vordergründige Gemeinsamkeiten in verschiedenen Stücken als Verwendung gemeinsamer Modelle erkennen lernt, statt sie als Zitate fremder Werke oder Huldigungen an andere Komponisten misszuverstehen, schwindet der in der Forschung immer wieder behauptete Einfluss Johann Schoberts auf den jungen Mozart und die Bedeutung des Salzburger Repertoires an Klaviermusik rückt in den Vordergrund. Kaiser gelingt für die in Paris publizierten begleiteten Klaviersonaten Mozarts überzeugend der Nachweis, dass »deren Konzeptionen weit mehr Bezüge zu Modellen der Salzburger Klaviermusik im Allgemeinen und der Spielstücke des [Nannerl-]Notenbuchs im Besonderen aufweisen als zu Werken jener Pariser Komponisten, auf die in der Mozartforschung seit 100 Jahren immer wieder verwiesen wird« (296).

Ulrich Kaisers Buch ist reich in vielerlei Hinsicht. Reich an Beispielen von Musik, auch ganz entlegener – wer kennt schon Stücke von Leontzi Honauer, Hermann Friedrich Raupach oder Fulgentino Peroti? Der Autor untersucht eine breite Palette von Kompositionen vor dem Hintergrund einer Vielzahl von musiktheoretischen Texten. Nicht nur die Schriften Matthesons, Marpurgs, Riepels oder Kochs werden herangezogen, sondern auch Lehrschriften von Matthäus Gugl, Marianus Königsberger, Johann Ernst Eberlin, Johann Gottfried Portmann und vielen anderen. Kaisers Buch ist reich an interessanten, bisweilen in den Fußnoten versteckten Details. So erfährt man, dass der sechsjährige Wolfgang bereits Orgelspielen konnte, aber nicht beim Vater, sondern vermutlich beim Salzburger Hoforganisten Adlgasser gelernt hatte, sehr früh also bereits fremden Einflüssen ausgesetzt war (28). Oder man lernt den ›bifocal close‹ als eine genuine Orchestertechnik kennen, die der junge Mozart für Klavierkompositionen adaptierte (281). Kaisers Studie, eine an der UdK Berlin eingereichte Dissertation, ist reich an pädagogischer Erfahrung, die sich etwa in den aufschlussreichen und anschaulichen Tabellen und schematischen Darstellungen niederschlägt sowie im Entgegenkommen an Leser und Leserin, Notenbeispiele zur besseren Vergleichbarkeit in dieselbe Tonart zu transponieren. Reich ist sie schließlich auch an begriffsgeschichtlichen Exkursen, in denen etwa von den Begriffsvarianten des »Schlußsatzes« (89, zur »Schlussgruppe«: 62), vom »Lamentobass« (263) oder vom sprachlich verunglückten und sachlich irreführenden »Parallelismusmodell« (160) die Rede ist (sprachlich verunglückt, weil dieses Modell als einziges ein Abstractum im Namen führt; sachlich irreführend, weil damit der harmonische Konnex gegenüber dem kontrapunktischen Satzgerüst in den Vordergrund gehoben wird, was gerade Dahlhaus, auf den sich der Begriff angeblich bezieht, in seinen Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität im entsprechenden Abschnitt über den ›Dur-Moll-Parallelismus‹ im Diskant-Bass-Gerüst der Folia [92–94] problematisiert – aber das nur nebenbei). Breiten Raum widmet Ulrich Kaiser auch dem historischen Vokabular für die Markierungspunkte im Satzverlauf, insbesondere der Terminologie Kochs, und kommt zur pragmatischen Entscheidung, historische Termini genau dann und nur dann zu verwenden »wenn sie zu einer Klärung von Sachverhalten beitragen bzw. wenn eine durch historische Termini ermöglichte Differenzierung sinnvoll und wünschenswert erscheint« (107). Dass der Begriff ›Cadence‹ im Verständnis von Rameau nicht die »Unschärfe« historischer Fachtermini (102) belegt, sondern als Bezeichnung von Klangverbindungen ohne notwendige Schlusswirkung etwas kategorial anderes meint als ›Kadenz‹, hätte in Kaisers Darstellung deutlicher zum Ausdruck kommen sollen.

Die Studie ist klar gegliedert. Einem einleitenden Kapitel mit einem Überblick über die Forschungslage und das behandelte Repertoire folgen ausführliche »methodologische Überlegungen« (39ff.). Hier werden verschiedene Forschungsansätze aus Musikwissenschaft und Musiktheorie referiert, etwa die bei Riemann und Schenker nachzuweisende Idee einer fraktalen Struktur des Tonsatzes, William Caplins Formenlehre oder Robert Gjerdingens A Classic Turn of Phrase (1988). Nicht immer ist klar, welche Konsequenzen diese Überlegungen für das Folgende haben. Der Autor scheint die Beurteilung dessen, in welchem Verhältnis sein eigener Ansatz zu den vorgestellten alternativen Zugangsweisen steht, den Lesern zu überlassen, die allerdings an diesem Punkt der Lektüre Kaisers analytische Perspektive im Detail noch nicht kennengelernt haben. Das dritte Kapitel enthält Analysen der frühesten Kompositionen Mozarts aus den Jahren 1761 und 1762, Menuette und andere kleine Klavierstücke, daneben auch einzelne Tanzsätze aus etwas späterer Zeit. In der Gegenüberstellung dieser Stücke mit Kompositionen aus dem Nannerl-Notenbuch gewinnt Kaiser wertvolle Einsichten sowohl in die Vorlagen des kleinen Tonkünstlers, also in seinen noch begrenzten musikalischen Bildungshorizont, wie auch in den jeweiligen Gestaltungsspielraum, den sich das Wunderkind bereits erarbeiten konnte. Dabei werden stets komplexe Einheiten verglichen, nicht bloß Melodiepartikel oder Harmoniefolgen für sich. Mit bewundernswerter Genauigkeit und fernab von der üblichen schulmeisterlichen Überheblichkeit diesen einfachen Stücken gegenüber gelingt es dem Autor, das Erlernen musikalischer Muster zu verfolgen und zugleich die kompilatorische Struktur tonaler Musik anschaulich zu machen.

Das vierte, letzte und umfangreichste Kapitel bietet zunächst eine systematische Zusammenstellung verschiedener Satzmodelle, die in Mozarts frühen Werken aufzufinden sind, reichlich unterfüttert mit kommentierten Beispielen. Kaiser geizt ein wenig mit grundsätzlichen Erklärungen. Gerne hätte man erfahren, warum er gerade an diesem Punkt, mit Kompositionen des Jahres 1763, von der chronologischen Darstellung in die systematische übergeht, und was es mit der Zeitgrenze 1767 auf sich hat, einer Grenze übrigens, die mit etlichen interessanten jüngeren Beispielen auch mehrfach übersprungen wird. Wie auch immer, Kaiser belegt die Präsenz dreier verschiedener Gruppen von Satzmodellen vor allem in den Werken der Jahre 1763 bis 1767: ›Kadenzmodelle‹, ›Pendelmodelle‹ (mit mehrfacher Wiederkehr der I. Stufe) und ›Oberquintmodelle‹ (die sich zur Modulation in die Oberquint eignen). Im zweiten Abschnitt des Kapitels schließlich wird die formale Funktion verschiedener Modelle und ›Formmodelle‹ (Modelle von Formverläufen) erörtert.

Es ist Ulrich Kaisers unbestreitbares Verdienst, nicht etwa die Geschichte einzelner Satzmodelle nachzuzeichnen oder an einzelnen Kompositionen Satzmodelle aufzuweisen, sondern die Satzmodelle eines gesamten Repertoires zu rekonstruieren und zusammenzustellen. Ein großartiger Versuch, ein Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen, ein Anfang – niemand wird sich wundern, wenn sich in die verdiente und ehrliche Anerkennung des Projekts im Blick darauf, was in Zukunft zu tun ist, Kritik mischt.

1. Der Begriff ›Modell‹, mit nicht geringem theoretischen Aufwand eingeführt (75–79), wird in Kaisers Buch nicht konsistent verwendet. Zunächst fällt auf, dass er vielleicht wegen eines gewissen Nimbus häufiger erscheint als nötig. Kadenzen sind als komplexe Elemente des Satzes (mit spezieller harmonischer Struktur, spezieller Oberstimmen- und Bassführung, spezieller formaler Funktion) Satzmodelle. Wozu muss das Wort zum ›Kadenzmodell‹ aufgeblasen werden? »Grundabsatz oder Kadenzmodell (Ganzschluss) in der Haupttonart« (230) – einfacher und klarer wäre: »Grundabsatz oder Ganzschluss in der Haupttonart«. Dementsprechend erscheint der Begriff Modell immer wieder im Sinne einer konkreten Realisierung eines abstrakten Modells (z.B. 158, 170, 182). Kaiser unterscheidet also richtig zwischen Modellen und deren »Ausprägung« (76) in komponierter Musik, nennt aber dann die Ausprägungen selbst wieder Modelle. Möglicherweise bildet diese Unschärfe auch den Hintergrund für die Entscheidung, die Modelle in der Systematik stets im Plural anzuführen, auch dort, wo die Zahl dieser Modelle unklar bleibt, und man es eher mit Varianten ein und desselben Modells zu tun zu haben scheint (z.B. »I-IV-IV-I-Modelle«, 166–179). Erscheint dann, wie unter der Rubrik »Oberquintmodelle« neben dem wichtigsten Oberquintmodell samt seiner Varianten ein neues Modell, das nicht vom ersten ableitbar ist, überrascht es, dass ausgerechnet dieses eigenständige Modell als »Modellvariante« bezeichnet wird (227). Vom pädagogischen wie vom systematischen Standpunkt aus erscheint es zweckmäßiger, in einer Gruppe ähnlicher Modelle eine Grundform anzunehmen und die übrigen als deren Varianten anzusehen.

2. Zu Recht verabschiedet sich Kaiser von der gängigen Prämisse, Harmonik als fundierendes, Melodik als fundiertes Element des Tonsatzes aufzufassen (286). Doch in der Praxis nimmt er erst recht wieder Harmoniefolgen, um Modelle zu benennen, auch wenn bestimmte melodische Tonfolgen diese Modelle ganz wesentlich prägen. Wie wäre es, den Bass im I-V-I-V-I-Pendel als fundiertes und den Terzen- oder Dezimengang darüber (mit der Nebennote und dem Weg in die melodische 3: 5-6-5-4-3) als das fundierende Element zu begreifen? Wie sonst wäre denn die Präferenz dieser Melodieführung bei der genannten Harmoniefolge überhaupt erklärbar? Und warum muss man ein »Kadenzwiederholungsmodell« etablieren, wo über den entsprechenden Fortschreitungen im Bass eine 7-6-Ligaturenkette Einheit schafft (157–158)? Der lineare Zusammenhang entgeht dem Autor nicht; im Gegenteil, er weist immer wieder dezidiert darauf hin. Aber für die Systematik zieht er daraus keine Konsequenzen.

3. Wo sich die Modelle ohne spezielle Stimmführung nur mehr auf elementare Harmoniefolgen beschränken, wie etwa das Pendeln zwischen der Tonika und einem anderen Klang (»IV-I-Modelle«: 188–193; »V-I-Modelle«: 193–197), verliert die Zusammenstellung an Prägnanz. Das Bestreben, den gesamten Tonsatz auf Modelle zurückzuführen, verrät eine gewisse Systematisierungswut. An einer Stelle erwägt der Autor etwa ernsthaft die Einführung einer »gesonderte[n] Kategorie Orgelpunktmodelle« (294/95). Vielleicht kommen wir dem Gegenstand aber näher, wenn wir uns tonale Musik als ein Gefüge profilierter Satzmodelle in Kombination mit Abschnitten vorstellen, die einfach bestimmten Regeln gehorchen, ohne auf tradierte komplexe Einheiten (›Modelle‹) zurückzugreifen. Man müsste dann nicht notwendig bei jeder Note auf Satzmodelle rekurrieren.

4. Gegenstand aller Vergleiche zwischen Mozarts Werken und dem Klavierrepertoire der Zeitgenossen sind Satzgerüste. Besonders erhellend wirkt Kaisers Studie, wo der Autor – wie etwa beim Beginn des Andante grazioso der B-Dur-Sonate KV 8 (168) – näher nicht nur darauf eingeht, dass Mozart, sondern wie er Modelle einsetzt, mithin auf die die Besonderheiten der Diminution, die Feinheiten melodischer Entsprechungen und die sich daraus ergebende Ausdruckskraft. Man hätte sich diese Perspektive öfter gewünscht, besonders auch bei der Diskussion der frühesten Kompositionen, weil man so – und nur so – wirkungsvoll dem häufigen Einwand gegenüber reduktiven Ansätzen begegnet, es gehe stets bloß um den Nachweis von Modellen und Gerüsten, wo doch deren spezielle Anverwandlung und konkrete Umsetzung zumindest ebenso großes Interesse finden sollten. Beim Versuch, den Stil der frühen Kompositionen zu fassen, und bei der Frage nach künstlerischen Anregungen für den jungen Mozart sollte man nicht vergessen, dass auch die Technik der Diminution erlernt werden muss und dass auch dafür Strategien zur Verfügung stehen, deren Anwendung ebenso den Lernfortschritt des frühreifen Genies dokumentieren.

Ein großes Thema, das in Kaisers Mozart-Buch immer wieder aufblitzt, ist das Verhältnis zwischen Musiktheorie und Musikwissenschaft. Die als musikwissenschaftliche Dissertation approbierte Arbeit, so bekennt der Autor gleich eingangs, »wurde nicht von einem Musikwissenschaftler verfasst, sondern von einem Musiktheoretiker […]« (10). Eine vogelkundliche Doktorarbeit, von einem verfasst, der kein Ornithologe sein will?! Eine Geringschätzung, die »musiktheoretischen Beiträgen im musikwissenschaftlichen Diskurs des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht selten entgegengebracht« würde, wird konstatiert (57), und der prekäre akademische Status der Musiktheorie in den Vorbemerkungen beklagt. Man merkt gleich, da geht es um mehr als um den jungen Mozart. Die aktuell in Deutschland geführte Auseinandersetzung über die institutionelle Rolle der Musiktheorie gegenüber der Musikwissenschaft sollte freilich ein anderes Forum finden. Der scharfe Ton, den Kaiser angesichts eines Aufsatzes des prominenten Musikwissenschaftlers Manfred Hermann Schmid anschlägt, trübt die Qualität von Kaisers überzeugenden Argumenten (45–53). Seitenlang wird etwa die Zulässigkeit der Folge reine und verminderte Quint verhandelt, um Schmid zurechtzuweisen. Bis Jacobus Vaet zurück werden Nachweise herangeschafft – jedem Kenner der Materie hätte ein Satz darüber genügt. Solche Polemik nützt nicht dem Buch und der Sache auch nicht. Wer, wie der Autor dieser Zeilen, das wissenschaftliche Fach Musiktheorie für ein Teilgebiet der großen Disziplin Musikwissenschaft hält, kann sich die polemische Abgrenzung sparen und Kaisers musiktheoretische Untersuchung rückhaltlos begrüßen: Endlich wieder eine musikwissenschaftliche Arbeit, die sich fundiert mit Fragen der Kompositionstechnik befasst!

Der Autor bietet eine kleine Errata-Liste im Internet.[1] Das Buch ist indes außerordentlich sorgfältig gestaltet, man findet kaum Druckfehler und freut sich an der optischen Klarheit der vielen Notenbeispiele, die es dem Leser, der Leserin erlauben, dem Argumentationsgang zu folgen, ohne lästiges Herumblättern in Ausgaben, die man just nicht zuhause hat. Auch wer von Kaisers Modellkatalog nicht restlos zufriedengestellt wird, gewinnt durch den überzeugenden Ansatz der Studie sowie durch die zahlreichen Beispiele, Reflexionen und Verweise mannigfach Einsichten und Anregungen.

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