Jeßulat, Ariane (2008), »Nam et expectat et attendit et meminit – Dimensionalität von Zeit und Zeiterfahrung in der Fuge cis-Moll BWV 849«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 5/2–3, 313–333. https://doi.org/10.31751/292
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/12/2008
zuletzt geändert / last updated: 03/08/2009

Nam et expectat et attendit et meminit – Dimensionalität von Zeit und Zeiterfahrung in der Fuge cis-Moll BWV 849

Ariane Jeßulat

Die für die antike Rhetorik zentrale Kategorie der ›memoria‹ dient im Folgenden als hermeneutischer Schlüssel für die Interpretation formaler Auffälligkeiten der Fuge cis-Moll BWV 849. Damit stellt der Beitrag einen neuen Bezug zwischen der antiken Rhetorik und dem formalen Aufbau Bachscher Fugen her. Zwischen antiker und neuzeitlicher Rhetorik vermittelt dabei die Zeittheorie des Augustinus aus dem XI. Buch der Confessiones, in der ein direktes Kausalverhältnis zwischen rhetorischer Schulung, ›memoria‹ und Zeiterfahrung konstruiert wird. Die musiktheoretische Rezeption antiker rhetorischer Denkmuster im 18. Jahrhundert und die hervorragende Rolle des Gedächtnisses in der für die Formenlehre grundlegenden Vorstellung von Entwicklung bilden ein kategoriales Netzwerk, das an kritischen Punkten der Form sowohl die Gesamtdisposition als auch das satztechnische Detail erfasst.

Schlagworte/Keywords: Augustinus; choral setting; Choralbearbeitung; consecutive octaves; countersubject; Fortspinnungstypus; Fuge; fugue; Hörerwartung; Johann Sebastian Bach; Kontrasubjekt; listening expectations; Oktavparallelen; Palindrom; stile antico

Vorüberlegungen

In der Bach-Literatur nimmt die Fuge cis-Moll aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers eine Sonderstellung ein. Seit Philipp Spitta[1] ist sie immer wieder mit superlativischen Metaphern beschrieben worden[2], die eher von Scheu und distanziertem Staunen als von einem analytischen Zugriff auf Grundlage hermeneutischer Deutungsmuster zeugen.[3] Einige Besonderheiten dieser Fuge wie die Fünfstimmigkeit, die Tonart cis-Moll, die auffällige Länge und schließlich das »Kreuzigungsthema«[4] scheinen in ihrer Aussage unmittelbar zugänglich – ein Umstand, der Hörer und Interpreten leicht glauben macht, bereits genug an der Hand zu haben, wenn es zu einer wirklichen Analyse oder auch nur Deutung des buchstäblich Offenkundigen noch gar nicht gekommen ist.

Hermann Danuser[5] hat darauf hingewiesen, dass die in der Rezeption dieser Fuge – selbst in vornehmlich ›technischen‹ Analysen[6] – allgegenwärtige Metaphorik von einer Ästhetik des Erhabenen getragen wird. Diese verengt, so sehr sie dem Gegenstand grundsätzlich angemessen sein mag, die analytische Perspektive. Wird das Unerwartete und Erschütternde als Ausdrucksform erhabener Rede normativ vorausgesetzt, so verlieren die je eigenen – enttäuschten oder erfüllten – Hörerwartungen tendenziell an Bedeutung: Wer das Unerwartete erwartet, nimmt an ihm keinen Anstoß mehr und verliert damit einen wichtigen Ausgangspunkt für analytische Fragen.[7]

Auch jene Analysen, die das Werk innerhalb einer Gesamtschau des Wohltemperierten Klaviers behandeln, verraten fast durchwegs eine große Distanz zum Gegenstand. Auch hier scheint vielfach die Bach-Rezeption des 19. Jahrhunderts nachzuwirken: Im Zuge der Kanonisierung des Bachschen Werkes wurde das Wohltemperierte Klavier in den Rang eines ›Alten Testaments‹[8] der Klaviermusik erhoben. Die damit verbundene kunstreligiöse Tabuisierung steht bis heute einem unbefangenen analytischen Zugang entgegen. In der Konsequenz verstehen sich die meisten Veröffentlichungen zum Wohltemperierten Klavier bis heute eher als exemplarisches Handbuch[9] denn als Auseinandersetzung mit dem konkreten Gegenstand.[10]

Schließlich lässt sich beobachten, dass sich gerade Autoren ambitionierter analytischer Annäherungen an das gesamte Wohltemperierte Klavier schon im Ansatz zu grundsätzlichen Entscheidungen gezwungen sehen, die es offenbar unmöglich machen, auf gewisse Erscheinungen der einzelnen Stücke flexibel zu reagieren: Zu schwer wiegt der Ballast eines Regelwerks, das die Autoren als Ergebnis aller ihrer Analysen in zwangsläufig idealisierender Verkürzung zusammengetragen haben. So nehmen die Analysen Ludwig Czaczkes’, aber in gewisser Weise auch jene Christoph Hohlfelds[11] ihren Ausgangspunkt nicht in der Konzentration auf das jeweilige Einzelwerk, sondern in der Formulierung übergeordneter Kategorien oder Fragestellungen, deren ›Anwendung‹ bisweilen eine eigentümliche Ziel- und Intentionslosigkeit offenbart. Dies wird deutlich, wenn man z.B. versucht, aus den ausgesprochen ›buchstäblichen‹ Untersuchungen des Notentexts eine Antwort auf die zunächst sehr einfache Frage herauszulesen, wieviele Themeneinsätze im Verlauf der Fuge insgesamt zu hören sind. Riemann ignoriert den enggeführten D-Dur-Einsatz in den Takten 54–56, erkennt aber einen Einsatz in fis-Moll in den Takten 85–87[12], wofür er von Czaczkes scharf getadelt wird[13], der Riemann vorwirft, er habe Bach eine Oktavparallele zwischen Tenor und Alt zugetraut.

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Beispiel 1: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 54–56

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Beispiel 2: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 85–88

Czaczkes dagegen erkennt den Einsatz in D-Dur trotz der metrischen Verschiebung und trotz des Fehlens der verminderten Quarte an, klassifiziert ihn aber lediglich als »Einsatzstimme zweiter Ordnung, Quartlage halbtaktig verschoben«[14], ohne auf die Besonderheit dieses Einsatzes hinzuweisen. Das analytische Problem liegt weder in der korrekten Zählung des einen oder anderen Einsatzes, sondern in der irrigen Annahme, es sei möglich, in einer Art neutraler Bestandsaufnahme, »rein objektive, sachliche Feststellungen«[15] über die Zahl der Einsätze zu machen, ohne dabei nach deren Bedeutung für die musikalische Form zu fragen. Eine Form und Detail integrativ behandelnde Frage hingegen würde beinahe zwangsläufig zu der analytischen Arbeitshypothese führen, im Verlauf dieser Fuge änderten sich die Spielregeln hinsichtlich des Umgangs mit dem Thema. Der D-Dur Einsatz ›ad minimam‹ findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem das Thema noch nicht enggeführt wurde und wirkt demnach nicht ohne weiteres wie ein Einsatz, sondern eher wie eine Mixturstimme zum A-Dur-Einsatz im Alt. Aus dieser Situation scheinen sich die Engführungen der folgenden Abschnitte (T. 64ff., T. 85ff.) erst herauszuschälen.[16] Der satztechnisch problematische fis-Moll-Einsatz in Takt 86 dagegen lässt im fünfstimmigen Satz nicht nur das Thema heteroleptisch erklingen, sondern auch eine Variante des zweiten Kontrasubjekts, die in der Engführung ab Takt 94 und auch in den folgenden Takten an Bedeutung gewinnt. Es sollte im mitdenkenden Nachvollzug der Entwicklung des Themas, seiner Kontrapunkte und ihrer Verdichtung im Verlaufe der Fuge möglich sein, beide Motive chiastisch zu hören, ohne dass sich das Phänomen ›Oktavparallele‹ zwingend in den Vordergrund drängt.

Eine weitere Auffälligkeit der Analysetradition ist die großenteils getrennte Behandlung von Thema und Form: Auf die Gestalt und Harmonisierbarkeit des Themas und seiner Kontrasubjekte wird in der Regel detailliert eingegangen. Die Großform jedoch wird wie aus der Vogelperspektive beschrieben, als habe man die thematischen Ausdrucksträger in einem zweiten Schritt in ein vorher konstruiertes Gefäß aus ›Durchführungen‹ und ›Modulationen‹ hineingefüllt, als seien es eben nicht das Thema selbst und seine Optionen, aus denen Form erwächst.[17]

Schließlich scheint analytischen Beobachtungen zahlenhafter Natur ein höherer Rang zugesprochen zu werden als solchen stilistischer Natur. So wirkt der Hinweis, dass es sich bei dem Thema um ein dem ›stile antico‹ nachgebildetes Soggetto handelt[18], oft wie eine atmosphärische Dreingabe für den Spieler, während der Umstand, dass das zweite Kontrasubjekt in einem anderen, moderneren Stil komponiert ist, wenig[19] oder keine Beachtung findet. Es ist aber schlicht ein analytischer Mangel, wenn die Tatsache, dass einem Thema des ›stile antico‹ zwei Kontrasubjekte verschiedener Stile entgegengesetzt werden, nicht einmal versuchsweise auf Ihre Konsequenzen für den Verlauf der Komposition hin befragt wird.

Formale und stilistische Funktion des Themas und der Kontrasubjekte

Es gibt verschiedene Herleitungen für die ›inventio‹ des Themas und der Kontrasubjekte. Eine übliche, am Kadenzvorgang orientierte Herleitung versteht die wenigstens dreistimmige Inventio als Verbindung eines Tonleiterausschnitts (= Kontrasubjekt I), einer synkopierten Diskantklausel (= Kontrasubjekt II) und einer heteroleptischen, tenorisierend schließenden Stimme (= Thema).

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Beispiel 3: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), Inventio

Diese Reduktion hebt hervor, dass es sich bei den Kontrasubjekten um grammatische Sprachmuster allgemeiner Natur handelt, während das Thema durch die charakteristische Heterolepsis als ›Erfindung‹ ausgewiesen ist.[20] Eine Herleitung des Themas aus der Perspektive seiner imitatorischen Optionen zeigt ebenfalls, dass es sich bei dem Thema um die dritte, zu einem Kanonpaar hinzugefügte, und damit weniger um eine obligate als eine ›gefundene‹ oder – wie in der Choralbearbeitung – präexistente Stimme handelt.

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Beispiel 4: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), kontrapunktierendes Kanonpaar und ›Cantus firmus‹

Das Thema und die beiden Kontrasubjekte ließen sich zu einem mustergültigen ›Fortspinnungstypus‹ verketten. Das erste Kontrasubjekt, das sowohl die Ausbildung einer typischen Vorhaltskette als auch die sequenzielle Fundamentfortschreitung III-VI-II-V-I impliziert, entspräche dabei der Fortspinnung; das zweite Kontrasubjekt könnte syntaktisch die Funktion eines Schlusssatzes erfüllen. Während das Thema und das erste Kontrasubjekt im Verlauf der Fuge tatsächlich miteinander verknüpft werden, kommt es abgesehen von den Takten 44–51, in denen das zweite Kontrasubjekt jedoch in der Unterquinttonart anschließt, nie zu einer vollständigen Aneinanderkettung aller drei Elemente.

Auch in der Organisation der Großform spiegelt sich die Idee des ›Fortspinnungstypus‹: Das Thema bestimmt den ersten Abschnitt (T. 1–35), das erste Kontrasubjekt den zweiten Abschnitt (T. 36–93) und das zweite Kontrasubjekt den Schluss.[21] Diese Formeinteilung[22] beruht mit einem Verhältnis von 5 : 8 : 3 numerisch auf der Fibonacci-Reihe und erfolgt mit gewissen Lizenzen analog zum Verhältnis von Form und Themeneinsätzen der fis-Moll-Fuge aus dem zweiten Band des Wohltemperierten Klaviers. In dieser Tripelfuge ist die Entsprechung von Thema und Formteil eindeutiger, jedoch erklingt dort das erste Kontrasubjekt (das in der cis-Moll-Fuge als vermittelnde Fortspinnung zu verstehen ist) als Sublimierung der zwei vorangehenden, zwar gegensätzlichen, aber doch auseinander entwickelten Themen. Eine vergleichbare lineare Entwicklung auf motivischer Ebene ist in der cis-Moll-Fuge nicht erkennbar.

Linear ist dagegen die progressive Disposition der historischen Stilebenen: Das Thema ist ein zwar durch die verminderte Quarte alteriertes, aber dennoch in seiner Herkunft unverkennbares Soggetto im Stil eines Cantus firmus des 15. oder frühen 16. Jahrhunderts. Das erste Kontrasubjekt bildet eine Figuration, die einem instrumentalen Ricercar des 17. Jahrhunderts entstammen könnte und als Typus in Johann Josef Fux’ ›dritter Gattung‹ ihren theoriegeschichtlichen Niederschlag gefunden hat.[23] Das zweite Kontrasubjekt dagegen scheint wegen der Tonwiederholungen und der Verzierungsfloskel einer galanten Vokalmusik zu entstammen. Es ist damit nicht nur stilistisch der Bachzeit verpflichtet, sondern markiert zusätzlich auch einen Übergang vom chorischen zum solistischen, affektbetonten Gesang.

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Beispiel 5: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), zweites Kontrasubjekt

Diese formbildende Chronologie der Stilebenen wird signifikant gestört: Das zweite Kontrasubjekt bricht schlicht zu früh in den zweiten Formteil ein. Auch wäre zu fragen, warum dieses Kontrasubjekt in fis-Moll exponiert wird, und welche Rolle der Einsatz mit seiner plötzlichen Wendung in die Unterquinte für die Motivgeschichte der Fuge spielt.

Die hier vorgelegte Analyse nimmt bei diesen Unregelmäßigkeiten in der Behandlung des zweiten Kontrasubjekts seinen Ausgang und versucht, den Redeaufbau der klassischen Rhetorik als Modell für den Verlauf dieser Fuge derart zu modifizieren, dass der besondere Moment dieses Einsatzes sowie die jeweils verschiedenen Arten motivischer Behandlung von Thema und Kontrasubjekten in den drei Formteilen dadurch näher bestimmt werden können.

Die Teile der klassischen Rede bauen in der Regel entwickelnd aufeinander auf: Ein im ›exordium‹ angekündigter Sachverhalt wird in der ›narratio‹ näher bestimmt und in der ›argumentatio‹ erörternd vertieft. Nach diesen auslegenden Abschnitten und ihren möglichen Erweiterungen erfolgt in der ›conclusio‹ oder ›peroratio‹ eine zusammenfassende Rückschau auf das bisher Vorgetragene. Es ist nicht übertrieben, dieses entwickelnde Moment als Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung rhetorischer Prinzipien auf textlose Musik zu verstehen.[24]

Umschlösse demnach der zweite Teil der Fuge (T. 36–93) die entwickelnden Redeteile ›narratio‹ und ›argumentatio‹ – wobei man die Analogie zwischen sprachlicher und musikalischer ›oratio‹ in der Analyse wohl zu weit triebe, wollte man hier beide Redeteile mit klar abgrenzbaren Formabschnitten identifizieren –, müssten sich Hinweise darauf finden lassen, dass dieser zweite Teil Elemente des ›exordiums‹ aufgreift.

In der Tat lehnt sich der zweite Teil zunächst dicht an das Vorbild der ersten Takte an: Die Exposition scheint in einer Art figuraler Neuinterpretation eine Oktave höher und um das hohe Register des ersten Kontrasubjekts ergänzt wiederholt zu werden, wobei das Zwischenspiel (T. 10–11) und der dritte Themeneinsatz (T. 7–9) vertauscht werden (Zwischenspiel T. 42–43; Themeneinsatz T. 44–46). Nach dem Einsatz des zweiten Kontrasubjekts in Takt 49 endet die buchstäblich zu verfolgende Analogie, allerdings ist dieser Einsatz selbst durchaus im Exordium (T. 12–14) vorgebildet.[25]

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Beispiel 6: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 12–14

Der als Comes gestaltete Themeneinsatz in fis-Moll ist ebenfalls von einer gewissen Unregelmäßigkeit, da der in den vorangehenden Takten entwickelte Oberquintkanon zwischen Tenor und Alt eigentlich einen regulären Comes-Einsatz in gis-Moll erwarten ließe:

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Beispiel 7: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), hypothetische Fortführung ab Takt 9

Obwohl der Quartvorhalt in Takt 12 bereits eine Kadenz in cis-Moll einzuleiten scheint, verhält sich der Themeneinsatz in der Oberstimme wie der rückmodulierende Comes eines modulierenden Fugenthemas, so wie Marpurg ihn im dritten Hauptstück der Abhandlung von der Fuge beschreibt:

Im andern Fall, wenn sich die Modulation nach der Dominante hinwendet: so muß der Gesang zur Verhütung einer fremden Modulation schlechterdings verändert, und derselbe vermittelst der Vertauschung eines Intervalls in den Hauptton wieder zurück geführet werden. […] Es geschieht dieselbe [Vertauschung] aber auf zweyerley Art:

a) Durch Überschlagung einer Stuffe. Dieses geschieht in der größern Hälfte der Oktave. […][26]

Marpurg spricht hier nicht von einer »Modulation nach der Dominante« im modernen Sinne: Mit der »größern Hälfte der Oktave« meint er offensichtlich den Quintraum der Ausgangstonart, also in diesem Falle cis-Moll; ein Wechsel des Bezugssystems wird demnach nicht unterstellt.[27] Interessant ist jedoch, dass Marpurg unter der »Einrichtung des Gefährten« eine Themenvariante mit einem vermittelnden melodischen Verhalten versteht. In diesem Sinne wählt Bach für die Wiederherstellung der Ausgangstonart die durchaus nicht unproblematische Figur eines Comes[28], anstatt z.B. schlicht den Quartvorhalt in Takt 12 in das dominantische his aufzulösen. Die durch den Comes und die Chromatik dis-d gewissermaßen als vermittelnder Gefährte personifizierte Rückmodulation ist ein Ausdrucksträger, der mit dem Einsatz des zweiten Kontrasubjekts in Takt 49 wieder aufgegriffen und intensiviert wird. Die Vorprägung des zweiten Kontrasubjekts im Kontrapunkt des zweiten Alts in den Takten 13–14 und das Wiederaufgreifen der Chromatik in Takt 48 (his-h im Alt) verdeutlichen den Bezug.[29]

Die Einführung des zweiten Kontrasubjekts hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Form: War es bis zu diesem Zeitpunkt – abgesehen vom Thema selbst – kaum zu irgendeiner Art von Wiederholung gekommen, so folgt nun ein von Wiederholungen bestimmter Abschnitt im Stil einer Permutationsfuge (T. 49–88). Der in den Takten 36–48 noch erkennbare Aufbau einer variierten Wiederholung des ersten Abschnitts wird mit unerwarteter Plötzlichkeit umgestoßen.

Ahnung – Vergegenwärtigung – Erinnerung: Die Zeitlehre des Augustinus in dessen Confessiones XI

Auf die zu Beginn seiner Confessiones zitierte polemische Frage der Manichäer, was Gott vor der Erschaffung der Welt gemacht habe, reagiert Augustinus mit der Gegenfrage, was denn die Zeit sei. Das darauf folgende, für die Confessiones typische »Selbstgespräch mit Gott« erörtert die Möglichkeiten, wie überhaupt Zeit sein kann, wenn das, was im allgemeinen Sprachgebrauch ›Vergangenheit‹ genannt wird, nicht mehr, das, was wir Zukunft nennen, noch nicht ist, die ›Gegenwart‹ dagegen keine Ausdehnung hat. Diese von Aristoteles und Plotin ihren Ausgang nehmenden, dabei aber höchst modern anmutenden Überlegungen haben besonders in der Zeitphilosophie des 20. Jahrhunderts große Beachtung erfahren. Es ist freilich nicht anzunehmen, dass Bach sich mit diesem Kapitel (etwa aus theologischem Interesse) auseinandergesetzt hat, wie es auch höchst unwahrscheinlich ist, dass die Lektüre Augustins ihn in irgendeiner Weise musikalisch beeinflusst hat. Vielmehr kann das von Augustinus präsentierte Modell menschlicher Zeiterfahrung, dessen wesentlicher Bestandteil das durch die klassische Rhetorik geschulte Gedächtnis ist, als metaphorisches Deutungsmuster für die Analyse der cis-Moll-Fuge instrumentalisiert werden.

Augustinus dynamisiert die drei aus der Schulgrammatik bekannten Zeitformen, indem er sie als zeitbildende Tätigkeiten in die Seele verlagert. Seine Erläuterung am Beispiel eines Liedvortrags zeigt, dass er mit ›animus‹ in diesem Fall die individuelle Menschenseele meint.

Ich will ein Lied vortragen, das ich auswendig kann. Bevor ich beginne, richtet sich meine Erwartung auf das Ganze. Habe ich damit begonnen, dann richtet sich mein Gedächtnis auf den Teil, den ich zum Vergangenen hinübergelegt habe. Das Leben dieser meiner Tätigkeit spaltet sich dann auf in die Erinnerung an das bereits von mir Vorgetragene und in die Erwartung dessen, was ich noch vortragen werde. Was in der Gegenwart lebt, ist meine Aufmerksamkeit (attentio): Was zukünftig war, wird durch sie hindurch hinübergebracht (traicitur), daß es so das Vergangene werde. Je mehr sie tätig ist, umso mehr vermindert sich die Erwartung und verlängert sich die Erinnerung, kommt die ganze Tätigkeit zu Ende, ist die ganze Erwartung verbraucht und in die Erinnerung eingetreten. Was so mit dem ganzen Lied geschieht, das wiederholt sich in seinen einzelnen Abschnitten und in seinen einzelnen Silben. Dasselbe wiederholt sich in einer längeren Tätigkeit, von der dieses Lied vielleicht eine Art Abschnitt ist; es wiederholt sich im ganzen Leben eines Menschen, dessen Teile alle Handlungen dieses Menschen sind. Es wiederholt sich in der ganzen Menschheitsgeschichte (saeculum), deren Teile alle Menschenleben bilden.[30]

Bereits durch die Wahl des Beispiels ist die Form menschlicher Zeiterfahrung sehr spezifisch bestimmt. Augustinus konzentriert sich auf ein Stück Zeit, das nicht nur durch die Erinnerung bereits aufgearbeitet, sondern darüber hinaus durch die Struktur eines Liedes auch rhythmisch gegliedert und dadurch in höchstem Maße kontrollierbar ist. Der somit verfügbar gemachte Zeitabschnitt erlaubt es, ›Jetztpunkte‹ zu setzen, in denen die Seele selbst den Umschlag von der in diesem Falle ziemlich präzise erwarteten Zukunft in die erinnerte Vergangenheit herbeiführt. Wenn Augustinus dieses Verfahren auf die gesamte Dauer des Menschenlebens und darüber hinaus auf ein nur kollektiv erfahrbares ›saeculum‹ überträgt, lässt sich die metaphysische Tragweite des Gedankens erahnen.

Erwartung

Neben jenen Aspekten der Zeitdarstellung, die sich in der zunehmenden Modernität der thematischen Gestalten niederschlagen, gibt es in der cis-Moll-Fuge noch einen weiteren Hinweis auf einen intentionalen Umgang mit Zeit, der die selbstverständlichen Eröffnungstopoi übersteigt: Das Thema ist nicht allein eine Präsentation von Kreuzesmetaphorik im Gewand eines ›stile-antico‹-Soggettos, sondern scheint ein tatsächliches Leitbild im ›stile antico‹ zu haben. Die Eröffnung der Kantate 61 Nun komm der Heiden Heiland verwendet dasselbe Motiv als großartig angelegte Anrufung, die den lutherischen Choral ganz auf das Motto der ersten Zeile konzentriert und im unisono nacheinander in allen vier Chorstimmen präsentiert.

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Beispiel 8: J.S. Bach, Kantate 61, Nun komm der Heiden Heiland, Eröffnung T. 1–7 (reduziert)

Vor diesem Hintergrund erscheint die Beobachtung, dass Motive, die im ersten Teil der cis-Moll-Fuge in noch weniger artikulierter Gestalt erscheinen (wie etwa das synkopierte absteigende Tetrachord), im zweiten Abschnitt zu rhythmisch artikulierten und obligaten Motiven werden, in neuem Licht, denn mit der Nähe zum Choral[31] konnotativ eng verbundenen ist der intentionale Aspekt der ›Erwartung‹. Gestützt wird diese Interpretation durch das ›Verschwinden‹ des zukunftsgerichteten Choralzitats im letzten Abschnitt ab Takt 94, in dem überwiegend nur noch die viertönige, chiastische Fassung oder unvollständige Themeneinsätze erklingen.

Erinnerung

Der Begriff der ›entwickelnden Variation‹[32] wurde vor allem durch den Schönberg-Schüler Erwin Ratz zu einem zentralen Begriff für die Analyse Bachscher Werke entwickelt, doch legt bereits Schönberg selbst nahe, ihn auch auf Bach zu beziehen, indem er den Kanon der zu analysierenden Beispiele chronologisch mit dessen Klavierwerk eröffnet.[33] Es verwundert daher nicht, dass fast alle publizierten detailbezogenen Analysen zur cis-Moll-Fuge Verfahren der entwickelnden Variation voraussetzen, wenn sie einzelne Besonderheiten aus dem vorhergehenden Verlauf des Stückes zu erklären versuchen bzw. aus analogen Stellen Symmetrien oder Teleologien der Gesamtform herleiten. In der Tat kann es erkenntnisführend sein, den linearen Prozess der Veränderungen einzelner Motive zum Leitfaden analytischer und interpretatorischer Arbeit zu machen – vorausgesetzt freilich, auch die Funktion und das Ziel der thematischen Entwicklung werden in der Analyse benannt.

Ein Ergebnis organischer Entwicklung ist beispielsweise der Auftakt zum ersten Kontrasubjekt (T. 35–36), der sich aus den Tonleitermotiven des ersten Abschnitts herauszubilden scheint. In konturierter Form tritt er in Takt 44 zum ersten Male auf. Hier scheint er die Rhythmik der Altstimme des vorausgegangenen Zwischenspiels zu übernehmen, gleichzeitig bereitet er den charakteristischen Rhythmus des zweiten Kontrasubjekts vor.

Ebenso ist die Verwendung von Chromatik – auch über größere Distanzen hinweg – durch entwickelnde Variation vermittelt. Angelegt ist das Motiv der fallenden Chromatik in der dichten Aufeinanderfolge von ais und a im Tenor der Takte 6–7. Es fungiert in der Folge als rückmodulierender Kontrapunkt des Comes-Einsatzes in den Takten 12–13, wird im zweiten Abschnitt an analoger Stelle in Takt 48 wiederaufgegriffen und rückt am Höhepunkt der Entwicklung als Verlängerung des dominantischen Themeneinsatzes in gis-Moll ab Takt 68 in Sopran und Alt noch stärker in den Vordergrund.

Ähnliche ›Motivgeschichten‹, die den ›Alterungsprozess‹ der Form anzuzeigen scheinen, erzählen die enggeführten Passagen, die formal wichtigen Punkten vorausgehen: so die angedeutete Imitation zwischen Sopran und Alt vor der A-Dur Kadenz in Takt 54ff., der dann bereits rhythmisch artikuliertere Kanon zwischen Tenor und Bass vor der gis-Moll-Durchführung in Takt 64ff. und schließlich die imitatorische Verdichtung, die das Ende des zweiten Abschnitts ab Takt 85 anzeigt. Freilich ist ein solches ›Altern der Form‹ weder für die cis-Moll-Fuge noch überhaupt für Bachs Kompositionsstil spezifisch, sondern Teil sprachlicher Normalität[34]: Selbst wenn motivische Rückschlüsse als Form des ›ornatus‹ äußerlicher Natur sind, gliedern sie die Wahrnehmung durch Momente der Erinnerung, die eine zeitlich strukturierte Erlebbarkeit der Form gewährleisten[35] und insofern den Silben und Einschnitten des bei Augustinus beispielhaft angeführten Liedes entsprechen. Dieses elementare Verfahren nutzt Bach in der cis-Moll-Fuge, um kritische Punkte der Formbildung durch die sukzessive Überbietung wiedererkennbarer Motive regelrecht zu markieren. Eine andere, nicht organische, sondern synthetische Form von Erinnerung findet statt, wenn die Form umschlägt wie in der Engführung ab Takt 94, die den letzten Abschnitt eröffnet.

Die synthetische Wirkung des Erinnerns ist ein Allgemeinplatz der Gedächtnistheorie seit der Antike. Auch Augustinus nimmt durch die Wahl seiner Metaphern vieles voraus, was für die moderne Medizin aktuell ist:

Dann komme ich in die Felder und Lagerhallen meines Gedächtnisses, wo die Schätze unzähliger Bilder aufbewahrt sind, die meine Sinne von sinnlichen Dingen zusammengetragen haben. Dort ist auch alles aufbewahrt, was wir denken, indem wir Wahrgenommenes vergrößern, verkleinern oder irgendwie verändern […] Wenn ich dort eintrete und fordere, es solle hervorgeholt werden, was ich gerade will, so kommen einige Dinge sofort, andere müssen länger gesucht werden […]. Wieder andere stürzen gebündelt hervor […].[36]

Das Verschwinden des ersten Kontrasubjekts

Es ist für die Form der cis-Moll-Fuge charakteristisch, dass kontinuierliche Verläufe von unvorhergesehenen Umschlagsspunkten durchbrochen werden. Ausschlaggebend für das Erkennen eines dritten großen Formteils ab Takt 94 ist das Verschwinden der Achtelfigur. Diesem Verschwinden geht eine Phase der Angleichung zwischen dem erstem und dem zweiten Kontrasubjekt voraus: Das erste Kontrasubjekt wird mehrfach aus seiner Originallage auf den Tonleiterausschnitt zwischen Terz und Grundton versetzt. In drei Fällen geht die Transposition auf eine Weiterführung des Tonleitermotivs und die damit einhergehende Modulation nach gis-Moll (T. 38–41), A-Dur (T. 55–59) bzw. fis-Moll (T. 84–86) zurück, in einem weiteren Fall auf die Parallelführung des Motivs im Dezimenabstand (T. 47–48).

Die Analogie zwischen den jeweils zwei Takten, die der Engführung in Takt 94 und dem ersten Einsatz des zweiten Kontrasubjekts vorausgehen, wird deutlich, wenn man sich auf die Vorstellung einlässt, das Achtelmotiv im Tenor der Takte 92–93 sei nicht das zweite Kontrasubjekt, sondern dessen im doppelten Kontrapunkt der Dezime mitlaufende Begleitstimme, während die Originallage von einer charakteristisch verformten Variante des zweiten Kontrasubjekts belegt ist. Eine Spur der Überlagerung beider Kontrasubjekte ist die Veränderung der Auftaktquarte in die Quinte cis-gis, die konturierend den Auftakt zum ersten Kontrasubjekt in sich zusammenfasst.

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Beispiel 9: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 92–94

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Beispiel 10: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 92–94 mit parallelgeführtem zweiten Kontrasubjekt

Ein weiteres Anzeichen für einen Rollentausch zwischen dem ersten und dem zweiten Kontrasubjekt ist der Verlauf der Altstimme in Takt 77–78, die in Takt 79 – anders als in der entsprechenden Passage des Basses in Takt 90–91 – nicht in ein e, sondern zum ersten Kontrasubjekt hin abspringt. Das hohe Register der zweiten Oktave, das zur Exposition des ersten Kontrasubjekts gehört, und die Originallage des zweiten Kontrasubjekts werden kurz zuvor (T. 82–83) in Erinnerung gerufen. Es ist eine Konsequenz dieser Synthese von erstem und zweiten Kontrasubjekt, wenn das in der ›falschen Spur‹[37] laufende zweite Kontrasubjekt in einen Themeneinsatz in e-Moll mündet.

Palindrome

In der Plotinischen Seelenlehre findet durch die Arbeit des Gedächtnisses eine »henologische Reduktion«[38] statt: Die menschliche Seele als Vermittlerin zwischen der Welt der Sinneswahrnehmung und dem Intelligiblen führt durch erinnernde Abstraktionsleistung die wahrgenommenen und im Gedächtnis behaltenen Erscheinungen in einer Aufwärtsbewegung zum Einen hin. Auch wenn es darum geht, das Wesen der Ewigkeit von ihrem Abbild, der Zeit her zu erklären, ist das Gedächtnis der Seele ein anagogisches Werkzeug:

Will aber jemand, bevor er die Ewigkeit betrachtet, zuvor das Wesen der Zeit ins Auge fassen, so kann er auch von hier aus mittelst der Erinnerung zum Intelligiblen emporsteigen und das Urbild der Zeit betrachten, vorausgesetzt, dass die Zeit überhaupt eine Ähnlichkeit mit der Ewigkeit hat.[39]

Die mit der Vorstellung der Ewigkeit verbundene Aufhebung des ›Vorher‹ und ›Nachher‹, − das für Plotin maßgebliche Kriterium für die Entstehung und Wahrnehmung von Zeit − klingt auch bei Augustinus an, wenn er sein eigenes Gedächtnis mit dem göttlichen Gedächtnis zu vergleichen sucht:

Gewiß, wenn es einen Geist gibt, der so großen Wissens und Vorwissens mächtig ist, daß er alles Vergangene und Zukünftige so kennt, wie ich das eine, ganz vertraute Lied, dann ist das ein überaus staunenswerter Geist […] Einem solchen Geist ist nichts verborgen, nichts, was geschehen ist und nichts, was kommenden Jahrhunderten vorbehalten ist, so wie ich, wenn ich dieses Lied singe, genau weiß, was und wieviel seit seinem Anfang vorbei ist und was oder wieviel von ihm noch fehlt. Aber keine Rede davon, daß Du, der Begründer des Universums, der Begründer der Seelen und der Körper, auf diese Weise Zukünftiges und Vergangenes kennst. Weit, weit wunderbarer und bei weitem verborgener weißt Du alles. Wer ein bekanntes Lied singt oder hört, der unterliegt beim Erwarten der kommenden Klänge und bei der Erinnerung an die verklungenen einer Veränderung der Stimmung; sein Sinn spaltet sich auf (distenditur). Aber dir, dem unveränderlich Ewigen, dem wahrhaft ewigen Schöpfer der Geister, geschieht so etwas nicht. Du kanntest am Anfang Himmel und Erde, aber deine Kenntnis hat sich nicht verändert. So hast Du am Anfang Himmel und Erde gemacht, aber deine Handlung spaltete sich nicht auf in Vergangenheit und Zukunft.[40]

Das zweite Kontrasubjekt als Palindrom

Die doppelte Engführung von Thema und zweitem Kontrasubjekt bildet die letzte Konsequenz des im Kontrasubjekt angelegten Oberquintkanons (siehe Beispiel 4). Sie folgt auf den artifiziellen Einbruch der im Tonartenplan irregulären Tonart e-Moll und stellt die Ausgangstonart wieder her. Auffällig ist die Symmetrie der Stimmführung, wenn der Kanon des Thema abwärts, jener des Kontrasubjekts dagegen aufwärts geführt wird.[41]

Symmetrisch ist auch die neue Gestalt des zweiten Kontrasubjekts, das melodisch seine Richtung verloren hat und zum Palindrom geworden ist.

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Beispiel 11: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), Variante des zweiten Kontrasubjekts, T. 94–95

Das Thema als Palindrom

Eine symmetrische Entsprechung von Vor- und Rückläufigkeit ist in der viertönigen Variante des Themas bereits latent; das Thema entspricht diastematisch dem Krebs seiner Umkehrung:

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Beispiel 12: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), Thema in Grundgestalt und als Krebs der Umkehrung

Eine offensichtlichere Symmetrie des Themas wird in den Varianten des letzten Abschnitts herausgearbeitet: Es erklingt ab Takt 100 nicht mehr in vollständiger Gestalt. Der signalhaft von einer Oktavparallele zwischen Tenor und Bass eingeleitete Themeneinsatz des Tenors auf dem Höhepunkt der motivischen Verdichtung enthält nur die ersten drei Töne; eine Fortsetzung findet durch den Krebs der Unterquinte im Bass statt.

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Beispiel 13: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 100–104 (reduziert)

Eine entsprechende, jedoch weniger komplexe symmetrische Bildung erklingt in der Oberstimme der Takte 107–110.

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Beispiel 14: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 107–110 (reduziert)

Gleichzeitigkeit

Es gehört zu den schlussbildenden Klischees in der Fuge, vormals nacheinander präsentierte Motive im ›canon sine pausis‹ gleichzeitig erklingen zu lassen, so wie es in den Takten 107–109 mit dem zweiten Kontrasubjekt in der Unterquinte und seiner Transposition in der Oberterz geschieht.

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Beispiel 15: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 107–109

Überdies wird das sonst zur zweiten Hälfte des Themas gesetzte zweite Kontrasubjekt mit dem Themenkopf zusammengeschoben. Diese Verdichtung ist ein Produkt der Engführung[42] und erscheint zum ersten Mal in Takt 97.

Jetzt

Die frappierende Modernität der Augustinischen Zeittheorie macht leicht vergessen, wie sehr ihre Gedankenführung in den Bahnen klassischer Rhetorik verläuft und insofern antiken Vorbildern verhaftet ist. Das Zusammenziehen von Vergangenheit und Zukunft in einen inneren ›Jetztpunkt‹ scheint fast dem Denken des 20. Jahrhunderts anzugehören – und ist auch mehrfach in diesem Sinne instrumentalisiert worden[43] – geht jedoch auf eine unbenannte, aber allgemein gebräuchliche rhetorische Gedankenfigur zurück. Es sei hier auf das Ende des zweiten Artikels des Glaubensbekenntnisses verwiesen: Vor allem im lateinischen Original, in dem die Zeitangaben genauer ausgeführt sind, kaum weniger deutlich aber auch in der Übersetzung Martin Luthers, durch den gleichbleibenden Rhythmus der Partizipien, wird die Erfahrung zeitlicher Dauer im zweiten Artikel konkret: Der Text wird aufzählend, die Zeitangaben, die in der lateinischen Fassung durch die Formulierung »ante omnia saecula« aus einer unbestimmten, Jahrhunderte zusammenfassenden Vergangenheit kommen, werden zunehmend präziser bis zur Einengung auf einen einzigen Tag: »tertia die«. Danach kommt es zum Umschlag, wenn das Erzähltempus für nur einen Satz ins Präsens (»sedet ad dextram patris«) und dann ins Futur wechselt. Die futurische Zeitangabe am Ende des Artikels ist wiederum unbestimmt: »non erit finis«.

Hinsichtlich des Setzens eines ›Jetztpunkts‹ soll ein weiteres Mal der Einsatz des zweiten Kontrasubjekts betrachtet werden:

Die Wendung zur Unterquintebene kann in Bachs Musiksprache mit verinnerlichender Konnotation auftreten wie in folgenden Beispielen aus der Vokalmusik, in denen jeweils ein Text oder ein Programm die Intention verdeutlicht.

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Beispiel 16: ›Erinnerung‹ (J.S. Bach, Johannes-Passion, Nr. 14)

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Beispiel 17: ›Parallelismus von Menschensohn und Mensch‹ (J.S. Bach/Schemelli, Musicalisches Gesangbuch, Nr. 22)

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Beispiel 18: ›Intimität‹ (J.S. Bach, Kantate 140, Vers 2, T. 13, durch die Unterquintebene fundierter Es-Dur Einsatz des Cantus-firmus im Tenor)

In der cis-Moll-Fuge allerdings scheint Bach die Gestaltung dieses formalen Umschlagspunkts noch einen Schritt weiterzutreiben: Bei der Sopranstimme in Takt 48f. handelt es sich um den 14. Themeneinsatz[44], der zudem durch eine in allen Achtelfigurationen der Fuge singuläre B-A-C-H-Formel[45] eingeleitet wird.

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Beispiel 19: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 48–51

Vielleicht am faszinierendsten in Augustinus’ Text ist jene Passage, die dem ›Menschensohn‹ eine vermittelnde Rolle im Moment des ›Jetzt‹ zuweist:

Aber da deine Barmherzigkeit wertvoller ist als alles Leben, so sieh: Mein Leben ist zerteilendes Ausdehnen (distentio). Doch dein Arm fing mich auf, in meinem Herrn, dem Menschensohn. Er vermittelt zwischen deiner Einheit uns unserer Vielheit. […] So kann ich frei werden vom Vergangenen und dem Einen folgen. Ich kann das Gewesene vergessen. Statt mich im Blick auf das zukünftig Vergängliche zu zerspalten, strecke ich mich aus nach dem, was vor mir ist, so daß ich nicht in Aufspaltung, sondern in einheitlicher Lebensrichtung die Ehre meiner höheren Bestimmung erreiche.[46]

Der ›Jetztpunkt‹ der cis-Moll-Fuge wird im ersten Abschnitt vorbereitet und im Schlussteil erinnert. Beide Male ist diese Bezugnahme mit einem besonderen Klang verbunden.

Neben dem bereits erwähnten Comes in Takt 12–14 ist der Vorhalt der Altstimme in Takt 17 zum fis-Moll-Sextakkord auf der zweiten Takthälfte auffällig. Eine Reminiszenz an diese Stelle – wiederum in Gestalt einer auffälligen Vorhaltsbildung zum fis-Moll-Dreiklang – kennzeichnet das Erreichen des Tonikaorgelpunkts in Takt 112.[47]

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Beispiel 20: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 16–18

Das Intervall a-eis verweist auf die charakteristische, nunmehr Zusammenklang gewordene Heterolepsis des Themas. In der Altstimme ab Takt 16 kann man gar eine rhythmisch amorphe Form des Krebses in der Unterquinte erkennen, wie er später, in den Takten 102–104, auch unverschleiert im Bass erklingt. In Takt 112 schließlich ist die Gleichzeitigkeit auf die Spitze getrieben, da – die Vorhaltsauflösung nach fis im Alt mit eingeschlossen – alle Töne des Themas in einem Akkord erklingen.

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Beispiel 21: J.S. Bach, Fuge cis-Moll (BWV 849), T. 112

Im Gegensatz zu Christoph Hohlfeld[48] hat Hermann Keller in Takt 26 des Präludiums im Alt eine Krebsgestalt des Fugenthemas erkennen wollen. Nicht ganz so abwegig erscheint dieser Gedanke, wenn man bedenkt, dass das Motiv der verminderten Quarte im Alt ebenfalls Bestandteil einer Figuration ist, die als übermäßiger Septakkord ›zusammengehört‹ werden kann und ebenfalls nach fis-Moll führt.

Die in den Confessiones entwickelte Zeittheorie ist eine Theorie der progressiven Punktualisierung des ›Jetzt‹.[49] Die hier vorgelegte, durch das Augustinische Deutungsmuster geprägte Analyse vermag daher vor allem die Umschlagspunkte in der Form zu erfassen und funktional einzuordnen, während sie die eher kontinuierliche Struktur der ersten beiden Formteile unberücksichtigt lässt. Sie führt zu der Erkenntnis, dass neben der traditionellen Pathopoieia, wie sie in der entwickelnden Variation chromatischer Motive erzählt wird, insbesondere jene ›explosiven‹ Momente, die gänzlich unerwartet in den Formverlauf ›einbrechen‹, den Fortgang dieser außergewöhnlich langen und heterogenen Fuge hervortreiben. Eine theologische Interpretation dieser Momente im Sinne der bei Augustinus angesprochenen Gnadenlehre wäre möglich[50], läge jedoch nicht mehr im Bereich der eigentlichen Werkanalyse.

Anmerkungen

1

Spitta 1880, 169.

2

Cecil Greys analytische Paraphrase, in der unter anderem die Metaphern »miracle« und »Gothic cathedral« verwendet werden (1938, 25), bildet sicherlich den Höhepunkt einer ganzen Richtung panegyrischer Bach-Literatur.

3

Eine Ausnahme bildet der Text Theodor W. Adornos (1934), dem die Balance zwischen analytischer Scharfsicht und ästhetischer Rede gelingt.

4

Eine gängige Deutung bietet Hermann Keller: »Verbindet man die erste Note mit der vierten (cis-dis) und die zweite mit der dritten (his-e), so entsteht die Figur eines schrägen, liegenden Kreuzes. Der Zeit vor Bach und noch ihm selbst war die Deutung dieses Symbols wohlbekannt: Es steht im Crucifixus einer Messe von Johann Kaspar Kerll, bei Bach selbst in den Kreuzigungschören der Johannes- und Matthäuspassion.« (1965, 53). Alfred Dürr vermeidet eine theologische Deutung, bewegt sich jedoch im Assoziationshof der Kreuzesmetapher, wenn er von einem »schmerzvoll-lapidaren« Thema spricht (1998, 118).

5

Danuser 2002.

6

Besonders bei Werker 1922, siehe aber auch weitere Quellen und Beispiele bei Danuser 2002.

7

»Man wird sagen müssen, daß es im allgemeinen erst die Erfahrung des Anstoßes ist, den wir an einem Text nehmen – sei es, daß er keinen Sinn ergibt, sei es, daß sein Sinn mit unserer Erwartung unvereinbar ist –, die uns einhalten und auf das mögliche Anderssein des Sprachgebrauchs achten läßt.« (Gadamer 1965, 272)

8

Nach einem bekannten Ausspruch von Hans von Bülow (zit. nach Danuser 2002, 127).

9

So heißen Riemanns Analysen des Wohltemperierten Klaviers schlicht Katechismus (1890) oder Handbuch der Fugenkomposition (1921).

10

So ist es unter Umständen schwierig, die Stilhöhe und den wissenschaftlichen Anspruch von Publikationen zu erkennen oder zu beurteilen, deren Funktion und Adressatenkreis nicht eindeutig sind. So ist bei den Arbeiten Kellers (1965) und Dürrs (1998) oder in den 2008 erschienenen Bänden des Bach-Handbuchs nicht klar, in wieweit sich die Autoren eine didaktische Reduktion zugunsten der Gesamtschau auferlegt haben.

11

Hohlfeld 2000.

12

Riemann 1921, 30.

13

Czaczkes 1956, 93.

14

Ebd.

15

Ebd., Vorwort, 5.

16

Es handelt sich bei diesem Themeneinsatz eigentlich um die dem Thema angepasste Kontur des zweiten Kontrasubjekts, das in D-Dur anschließen müsste, wenn der Sopran der Sequenz gemäß der Tonleiter im Tenor folgen würde. Sopran und Bass bildeten demnach einen Oberquintkanon wie Tenor und Bass in T. 64f.; das motivische Geschehen ist allerdings an der früheren Stelle weniger eindeutig.

17

Vgl. Dreyfus 1996, 3–6. Im Methodenkapitel des Buches versucht Dreyfus einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Arbeitsschritten der antiken Rhetorik und ihrer musiktheoretischen Umsetzung bei Johann Mattheson herzustellen. In diesem Zusammenhang problematisiert er Matthesons mechanisch anmutendes Verständnis der ›Ausarbeitung‹ als bloßes Einfügen von Formeln in eine vorher getroffene ›Einrichtung‹ sowie seine Trennung von ›Erfindung‹ und ›Ausarbeitung‹.

18

Ausgenommen von dieser Kritik sind grundlegende Arbeiten wie Wolff 1968 oder Einzelstudien wie Ladewig 1991 und Kunze 1969.

19

Siehe Dürr 1998, 118: »ein markantes Klopfthema«.

20

Es wäre dies ein weiteres Argument dafür, die cis-Moll-Fuge nicht als Tripelfuge, sondern als Fuge mit zwei Kontrasubjekten zu klassifizieren. Dennoch sind Ansätze, die in der Interpretation als Tripelfuge analog zur fis-Moll-Fuge des zweiten Bandes den Hintergrund einer trinitarischen Deutung suchen, durchaus nicht sinnlos.

21

Vgl. van Bruyck 1889, 99.

22

Es kommt in der Literatur immer wieder vor, dass dieser formal sehr oberflächenorientierten Formeinteilung andere Formentwürfe kommentarlos vorgezogen werden. Solange dies allerdings in der Intention geschieht, komplexere, nicht primär analytisch gewonnene, sondern methodisch vorausgesetzte Formschemata wie eine reduzierte Sonatenform (Riemann 1921), einen in gewissen Grenzen feststehenden Normablauf von Durchführungen (Czaczkes 1956–60, Siegele 1986) oder eine modifizierte, ebenfalls für alle Präludien und Fugen anwendbare Form des klassischen Redeaufbaus (Hohlfeld 2000) auf diese Fuge zu übertragen, halte ich es für hermeneutisch problematisch, diese primitive und vor allen Dingen hörbare Formeinteilung nicht wenigstens als Folie zu verwenden, die möglicherweise von vertiefenden Schemata überlagert wird.

23

In Bachs Instrumentalwerk, besonders in den Orgelfugen, ist dieser stilisierte Umgang mit älteren Satztechniken gängig.

24

Siehe Matthesons Erläuterung als »locus classicus« (1739, 236).

25

»Der Viertelgegensatz ist – was bisher nicht erkannt wurde – bereits als fester Gegensatz in Vorformen in den ersten Durchführungen vorhanden.« (Czaczkes 1956, 71) Czsaczkes bezeichnet dieses Kontrasubjekt deshalb auch als »erste[n] Gegensatz« (ebd.).

26

Marpurg 1753–54, 34.

27

Allerdings scheinen diese Kategorien in Marpurgs Denken zu koexistieren, da er nur wenig später, wenn er ›Hauptton‹ und ›Dominante‹ gegenüberstellt, offenbar von einer Modulation im modernen Sinne spricht.

28

Es ist ein Symptom für die Reduktion der Fugenlehre durch die Generation der Riemann-Schüler, wenn die Bedeutung des ›Comes‹ als Phänomen lediglich in seiner Funktion gesehen wird, die Ausgangstonart in der Exposition wieder herzustellen. Auch die Behauptung der ästhetischen Irrelevanz des Comes bei Czaczkes zeugt, trotz aller Kritik an Riemann im Einzelnen, noch von dieser Prägung.

29

Hohlfeld bemerkt ebenfalls einen Bezug zwischen den Takten 48–49 und 12–13, allerdings in einer allgemeinen Übersicht mehrerer Stellen, die die »Unterquintprofilierung« der Fuge belegen sollen (2000, 62). Damit stellt er wiederum eine übergreifende Verwandtschaft zur vorausgegangenen Cis-Dur-Fuge her. Ulrich Siegele dagegen arbeitet an einem von ihm gesetzten Grundmodell von Durchführungen eine erstaunliche Regelmäßigkeit in der Verteilung der fis-moll-Einsätze heraus, freilich ohne diese Beobachtung analytisch weiter auszuwerten: Die Abfolge der Themeneinsätze bleibt in seiner Studie die einzige ausführlicher thematisierte Formkategorie.

30

Augustinus, Confessiones XI, XXVIII.38 (zit. nach Flasch 2004, 275–276).

31

Zur Vorbildrolle des Chorals für den Themenkopf vgl. auch Siegele 2002, 346.

32

Sackmann kritisiert die Verwendung des Begriffs »entwickelnde Variation« bei der Analyse Bachscher Werke als anachronistisch (2008), was angesichts der Entstehungsgeschichte des Begriffs verwundert. Freilich führt eine Analyse, die ›entwickelnde Variation‹ mehr als Ergebnis denn als Werkzeug versteht, zwangsläufig zu Tautologien.

33

Schönberg 1967.

34

Kirnberger stellt den Kontrapunkt der Oktave mit Hilfe einer Schulkomposition, einer zweistimmigen Invention, dar (1776–79, Bd. 2, 22–29). Der Mechanik der Anlage, die in didaktischer Absicht lediglich darin besteht, Formteile mit vertauschten Stimmen zu wiederholen, steuert er dennoch fast automatisch entgegen, indem er die Überleitungen zum jeweils nächsten Formabschnitt signalhaft mit den Mitteln der Imitation verdichtet.

35

Es würde dem entsprechen, was Schönberg als ›Variationsmotiv‹ klassifiziert hat.

36

Augustinus, Confessiones X, VIII.12 (zit. nach Flasch 2003, 259).

37

Die zwar korrekte, aber hybride Vorhaltsbildung, die eine Undezime mit einer Septime vorbereitet, scheint ohne die vermittelnden Stimme, die durch eine Quinte einen Nonenvorhalt vorbereitet, eine Terz zu hoch zu liegen. Die ›normalere‹ Stimme läge eine Terz tiefer und schlösse an ein ebenfalls ›normales‹ Thema in cis-moll an.

38

»Aus der Transzendenz des Einen über das Viele, kraft der es Grund des Vielen ist, ergibt sich die in Plotins Philosophie im Ganzen bestimmende Aufstiegsbewegung. Sie vollzieht sich als henologische Reduktion, d.h. als Zurückführung (Anagoge) der Vielheit in jeder ihrer Gestalten auf die sie jeweils begründende Einheit, bei der die Vielheit auf das Eine hin überstiegen wird.« (Halfwassen, 2004, 40)

39

Plotin, Enneaden 3,7 (zit. nach Hansen 2003, 7.040).

40

Augustinus, Confessiones XI, XXXI.41. (zit. nach Flasch 2004, 279).

41

Dieser Hinweis geht auf ein Gespräch mit Zsolt Gárdonyi zurück.

42

Nimmt man den ›verborgenen‹ Themeneinsatz ernst, so findet dieses Ineinanderschieben das erste Mal in den Takten 85–86 statt.

43

Vgl. Flasch 2004, insbesondere das Kapitel »Verwendungen. Augustins Zeittheorie in der Philosophie des 20. Jahrhunderts«, 27–75.

44

Stellvertretend für eine große Anzahl von Literatur zu Bachs Zahlenalphabet sei hier die Arbeit von Prautzsch zitiert: »Schließlich sind es die Summen für die Namen Bachs, die in verschiedener Form und Bedeutung eingesetzt werden: 14 – BACH, der Mensch auf Erden […].« (2004, 49)

45

Ein durch die Legatobögen markiertes, diatonisches B-A-C-H erklingt im Alt von T. 36 des Präludiums im Sinne eines ›fecit‹.

46

Augustinus, Confessiones XI, XXIX.39 (zit. nach Flasch 2004, 277).

47

Auf finalen Orgelpunkten ist kommt dieser Vorhaltsklang bei Bach gelegentlich vor wie z.B. im vorletzten Takt des »Contrapunctus 7« der Kunst der Fuge.

48

»Völlig abwegig ›sieht‹ H. Keller in den Seitenstimmen T. 26 (Alt) und 35/36 (Sopran) krebsgängige Antizipationen des Fugenthemas. Das hört kein Mensch heraus.« (Hohlfeld 2000, 74, Anm. 5)

49

Flasch 2004, 123.

50

Danuser verweist auf den Text von Roman Brotbeck im Programmbuch des Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft anlässlich der Aufführung von Heinz Holligers Dunkle Spiegel (2002, 132, Anm. 57). Aufgrund der Bezüge zwischen Holligers Werk und der cis-Moll-Fuge setzt sich Brotbeck mit der cis-Moll-Fuge auseinander und arbeitet dabei mit der These, das Thema und die beiden Kontrasubjekte repräsentierten die Trinität: Gott, Jesus Christus und heiliger Geist.

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