Eckert, Stefan (2022), »Der ›Affekt‹ als Ausdruck und Struktur bei Johann Kuhnau dargestellt am Beispiel seiner Musicalischen Vorstellung einiger Biblischer Historien (1700)« [“Affect” as expression and structure in Johann Kuhnau’s Musicalischen Vorstellung einiger Biblischer Historien (1700)], in: »Was fehlt?« – Desiderate und Defizite musiktheoretischer Forschung und Lehre. 4. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Musiktheorie Köln 2004 (GMTH Proceedings 2004), hg. von Stefan Rohringer, 51‒59. https://doi.org/10.31751/p.244
eingereicht / submitted: 15/01/2018
angenommen / accepted: 15/04/2018
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/12/2022
zuletzt geändert / last updated: 03/12/2022

Der ›Affekt‹ als Ausdruck und Struktur bei Johann Kuhnau dargestellt am Beispiel seiner Musicalischen Vorstellung einiger Biblischer Historien (1700)

Stefan Eckert

Zwischen 1689 und 1700 lässt Johann Kuhnau (1660–1722) 14 Suiten und 14 Sonaten in vier Sammlungen für das ›Clavier‹ drucken. Den letzten sechs Sonaten, die sich programmatisch mit biblischen Themen befassen, setzt Kuhnau ein Vorwort voran, das sich ausführlich mit Fragen des musikalischen Affekts in der Instrumentalmusik auseinandersetzt. Obwohl Kuhnau jeder Sonate eine zweiseitige Inhaltsbeschreibung vorausstellt und auch im Notetext spezifische Bedeutungsmomente durch Anmerkungen identifiziert, will er nicht, dass das Publikum nach exakten Übereinstimmungen zwischen Programm und Musik sucht, sondern er betrachtet den Text hauptsächlich als Hilfestellung zum Verständnis von »verdächtig vorkommenden Sätzen«, wobei »die Worte [das Publikum] auf die Spur seiner Raison« bringen soll. Kuhnau unterscheidet zwischen Musik, die einen bestimmten Affekt ausdrückt, und Musik, die die Zuhörer zu einem bestimmten Affekt bewegen soll. Bei der ersten handelt es sich z.B. um einen musikalischen Ausdruck durch Wortmalerei oder klangliche Imitation, bei der letzten geht es jedoch um musikalische Umsetzungen, die sich in der Struktur eines Werkes quasi als musikalische Analogie oder Konzeption niederschlagen. Zudem spricht Kuhnau über die Rolle des musikalischen Affekts in Bezug auf die Wahrnehmung und musikalische Komposition in seinem Roman Der musicalische Quacksalber. Ausgehend von Kuhnaus Schriften demonstriere ich, wie der musikalisch dramatische Verlauf der Sonaten beide Aspekte des Affekts beinhaltet und wie rhetorische Figuren nicht isoliert stehen, sondern in die musikalischen Strukturen eingebettet sind.

Between 1689 and 1700, Johann Kuhnau (1660–1722) published four collections of keyboard music containing 14 suites and 14 sonatas. In the preface to the last collection, Musicalische Vorstellung einiger Biblischer Historien, which consists of six sonatas that programmatically deal with biblical themes, Kuhnau extensively addresses the role of musical affect in the context of instrumental music. Although Kuhnau precedes each individual sonata with a lengthy description of its biblical content and identifies specific programmatic moments through annotations in the music, he worries in the preface that his audience might misunderstand his intentions. Kuhnau distinguishes between music that expresses a specific affect and music that moves the audience to experience a specific affect. The former is linked to musical expression by means of word painting and imitation of real-life sound (for example, bird songs), while the latter is concerned with musical realizations of an affect, quasi as a musical analogy that is embedded into the structure of a work. Moreover, Kuhnau further discusses the role of musical affect in relation to sense perception and musical composition in his novel Der musicalische Quacksalber (The Musical Charlatan). Based on Kuhnau’s writings, I demonstrate how the musical dramatic unfolding of the sonatas contains both aspects of the affect, and how they are embedded into musical structures.

Schlagworte/Keywords: affect; Affekt; Der musicalische Quacksalber; Kuhnau; Musicalische Vorstellung einiger Biblischer Historien; rhetorical figures; rhetorische Figuren

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