Eckert, Stefan (2022), »›… nur ein Weiberer liebt so einen weichherzigen Gesang‹. Gender-Metaphern in Joseph Riepels Anfangsgründen zur musicalischen Setzkunst« [Gender metaphors in Joseph Riepels Anfangsgründen zur musicalischen Setzkunst], in: Musiktheorie – »Begriff und Praxis«. 2. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Musiktheorie München 2002 (GMTH Proceedings 2002), hg. von Stefan Rohringer, 169‒181. https://doi.org/10.31751/p.223
eingereicht / submitted: 15/01/2018
angenommen / accepted: 15/04/2018
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/12/2022
zuletzt geändert / last updated: 03/12/2022

»… nur ein Weiberer liebt so einen weichherzigen Gesang«

Gender-Metaphern in Joseph Riepels Anfangsgründen zur musicalischen Setzkunst

Stefan Eckert

Die musiktheoretische Schriften Joseph Riepels (1709-1782) sind nicht nur für ihren Beitrag zur Satzlehre des 18. Jahrhunderts, sondern auch für ihre Dialogstruktur und Riepels eigenwilligen Sprachgebrauch bekannt. In der Tat, Riepels Traktate, die einem wirklichen Kompositionsunterricht ähneln und sich als lebhaftes Zwiegespräch zwischen einem Lehrer und Schüler entfalten, bestehen nicht aus einer Sammlung trockener Kompositionsregeln, sondern sie konfrontieren uns mit dem musikalischen Denken des 18. Jahrhunderts. Gender-Metaphern spielen eine große Rolle in Riepels Beschreibung von musikalischer Form. Während er, nicht unerwartetet, den Dur-Moll Tonartenkontrast dem männlichen und weiblichen Geschlechtsunterschied gleichsetzt, erstreckt sich sein Gebrauch von Gender zur Erklärung von Musik auch auf andere Gebiete. Beispielsweise vergleicht Riepel den Effekt einer Komposition in Moll, die mit einem Dur-Akkord endet, mit einem Mann, der, nachdem er für eine lange Zeit den Geschichten seiner Frau zugehört hat, ihr dann einfach sagt: »Halt den Mund Frau«. Er bezeichnet eine bestimmte melodische Fortführung als ›verkehrten Zwitter‹, beurteilt Melodien in Bezug auf Gender und erklärt, »nur ein Weiberer liebt so einen weichherzigen Gesang«, und er vergleicht nicht zuletzt die Hierarchie innerhalb einer Tonart mit der Rangordnung zwischen Männern und Frauen auf einem Bauernhof. Ausgehend von den Studien von Lakoff und Johnson betrachte ich Metaphern nicht einfach als unterhaltsame Art und Weise, um über Musik zu sprechen, sondern ich verstehe sie als Zeugnis dafür, wie soziale Strukturen in musikalische Strukturen eingebettet sind. Während stetige Strömungen der Zeit und ein größeres Verlangen für sprachliche Abstraktion, diese Verbindung zwischen musikalischen und sozialen Strukturen weggewaschen haben, bringen Riepels Schriften sie nachdrücklich zum Vorschein. In diesem Vortrag untersuche ich deshalb einen Moment in der Entstehung von Gender-Metaphern als Beitrag zur historischen Bewertung von musikalischen Konzeptionen.

The music theoretical writings of Joseph Riepel (1709-1782) are known not only for their contribution to eighteenth century compositional theory but also for their dialogue structure and Riepel’s idiosyncratic language usage. Indeed, Riepel’s treatises, which resemble actual lessons in composition and unfold as lively dialogues between a teacher and a student, render not stifled attempts in regulating musical composition but confront and engage us with mid-eighteenth century musical thought. Gender metaphors play a large role in Riepel’s account of musical structure. While not unexpectedly he equates the major-minor key difference with the masculine-feminine opposition, his use of gender as a means of explaining music extends to other areas as well. For example, within his discussion of form he compares the effect of a composition in minor that ends with a major chord to a husband who, after listening for a long time to his wife’s stories, simply says to her “Shut up woman,” and he identifies a particular continuation of a phrase as a “reversed hermaphrodite.” He judges melodies in terms of gender, stating, for example, that “… only a womanly man would love such a softhearted melody.” And, finally, he compare the relationships within a given key to the hierarchical relationship between the men and women working on a farm. Drawing on Lakoff and Johnson’s work I argue that these metaphors constitute not simply “entertaining” ways of talking about music, but that they tell us something about how underlying social structures reside in musical structure. While the steady currents of time and the desire for greater linguistic abstraction have washed away the association between musical and social structures, Riepel’s writings forcefully articulate these associations. This paper examines a moment in the formation of gender metaphors contributing to a historical appraisal of musical conceptions.

Schlagworte/Keywords: Anfangsgründe; dialogue; Gender metaphors; Gender-Metaphern; Generalbass; Johnson; Lakoff; Riepel; social structures; soziale Strukturen; thorough bass; Zwiegespräch

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