Fuss, Hans-Ulrich (2003/05), »Introduction to Schenkerian Analysis - TU Berlin, 3.–5. Juni 2005«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 1–2/2/2–3. https://doi.org/10.31751/203
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/04/2005
zuletzt geändert / last updated: 01/12/2008

Introduction to Schenkerian Analysis - TU Berlin, 3.–5. Juni 2005

Hans-Ulrich Fuss

Eine Schenker-Analyse stellt Anforderungen, die hierzulande nur selten gegeben sind: Sie verlangt gründliche Kenntnis der theoretischen Grundlagen und setzt ein gehöriges Maß an Erfahrung voraus, soll die komplizierte Verwandlung der Werktexte in Schenkergraphen wirklich einleuchten. So sind Schenkers Theorien bei uns in besonderem Maße auf direkte, mündliche Weitergabe und Darstellung angewiesen. Um so begrüßenswerter waren die (auf englisch gehaltenen) Einführungs-Workshops, die Allen Cadwallader, Professor für Musiktheorie am ›Oberlin Conservatory of Music‹, Ohio, im Sommer dieses Jahres in Wien, Berlin und Freiburg leitete. Der Workshop an der TU Berlin hatte zwischen 10 und 15 sehr interessierte Teilnehmer, Studierende von Komposition/Musiktheorie, Musikwissenschaft, einige Dozenten und Wissenschaftler. Cadwallader – zusammen mit David Gagné Autor des in der angelsächsischen Welt vielbeachteten Buches Analysis of tonal music: a Schenkerian approach[1] – stellte die Theorien Schenkers in ihrer Endfassung dar (wie sie in Der freie Satz von 1935 niedergelegt ist). Dabei wurde jedoch klar, daß die Theorie vorher bei Schenker ständig im Fluß war. Auch andere Vorurteile wurden abgebaut, vor allem in den ausführlichen ›analytischen Anwendungen‹, die Cadwallader der Vermittlung theoretischer Grundlagen folgen ließ. Hier zeigte sich, daß nicht die Urlinie selbst, sondern ihre ›Diminution‹ und damit das ästhetische Spiel ihrer ›Verzierung‹, Überlagerung, Umdeutung, Umgehung im Mittelpunkt des Interesses steht. Cadwallader sprach von ›detour‹, ›deceptions‹, ›frustrations‹; er demonstrierte, daß Baß und Diskant des Ursatzes ›außer Phase‹ sein können (Mozart, Kleine Nachtmusik, Trio); den Adagiobeginn aus Beethovens Klaviersonate Op. 32,1 faßte Cadwallader in die Formeln: ›Initial ascent‹, ›delayed Urlinie‹, »Beethoven wants to move up, the Urlinie down«; das Durchführungsende aus dem Andante der Haffner-Symphonie von Mozart ›schießt‹ seiner Analyse zufolge »über den Urlinienton der 2. Stufe hinaus«, der im strukturellen Gesamtplan seit dem 2. Thema ›ruht‹. – Die Einführung in die theoretischen Grundlagen ging behutsam vor, begann mit einfachsten Strukturen und erleichterte den Zuhörern durch Zwischenschaltung des ›imaginären Generalbasses‹ (›imaginary Continuo‹) die Transformierung der Werkausschnitte in jene Struktur harmonisch gestützter linearer Beziehungen, die Schenker so faszinierte.

Anmerkungen

1

New York: Oxford University Press 1998

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