Sprick, Jan Philipp (2017), »Form und Dramaturgie in Beethovens Violinkonzert. Zur Interpretation des Kopfsatzes durch Rudolf Kolisch und René Leibowitz«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 14/1, 53–66. https://doi.org/10.31751/898
eingereicht / submitted: 25/04/2017
angenommen / accepted: 21/05/2017
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 30/06/2017
zuletzt geändert / last updated: 23/08/2018

Form und Dramaturgie in Beethovens Violinkonzert

Zur Interpretation des Kopfsatzes durch Rudolf Kolisch und René Leibowitz

Jan Philipp Sprick

Ein Schwerpunkt der Aufführungstheorie von Rudolf Kolisch liegt auf der Realisierung der ›richtigen‹ Tempi für Beethovens Musik. In diesem Beitrag wird eine Diskussion über »Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven« von René Leibowitz und Rudolf Kolisch aus dem Jahr 1964 mit der Studioaufnahme des Violinkonzerts durch die beiden Künstler aus demselben Jahr in Zusammenhang gebracht. Voran gestellt ist ein kursorischer Überblick über aktuelle Forschungsliteratur zu diesem Werk, insbesondere im Hinblick auf dessen unkonventionelle Form. Meine eigenen Überlegungen zur formalen Gestaltung des Violinkonzerts widmen sich vor diesem Hintergrund der Frage nach dem Verhältnis von ritornellartiger Wiederkehr und zyklischer Sonatenform. Die sehr langen Tutti-Abschnitte des Werks werfen im Hinblick auf die Aufführung viele Fragen auf, sodass es kein Zufall zu sein scheint, dass gerade Aspekte von Interpretation und Aufführungspraxis in der wissenschaftlichen Literatur zu Beethovens Violinkonzert eine erstaunlich große Rolle spielen. Ein zentrales Ergebnis der vorgenommenen Analyse der Aufnahme Kolischs und Leibowitz’ ist, dass die beiden Künstler in Hinblick auf die Tempogestaltung stärker zwischen Solo- und Tutti-Abschnitten variieren als es die gemeinsame theoretische Diskussion nahelegt. Vermutet werden kann, dass durch diese Tempodisposition die ungewöhnliche Blockhaftigkeit von Beethovens Formgestaltung affirmativ herausgehoben werden sollte.

In Rudolf Kolisch’s theory of performance there is an emphasis on the realization of the ›right‹ tempo in Beethoven’s music. In this article, a discussion between René Leibowitz and Rudolf Kolisch from 1964 about “Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven” (“Problems of Performance in Beethoven’s Violin Concerto”) is contextualized with the studio recording of the violin concerto by the two artists from the same year. This comparison is preceded by an overview of recent analytical literature on the work with an emphasis on its unconventional form. Against this background, my own reflections on the formal concept of the violin concerto focus on the relation of ritornello-like recurrence and cyclic sonata form. Since the long tutti passages in the orchestra pose a challenge to performers, it is no surprise that questions of performance play an important role in analytical studies on the concerto. An important result of the analysis of Kolischʼs and Leibowitzʼs recording is that their tempi in the solo and tutti passages vary more than their theoretical discussion suggests. It may be assumed that this disposition of tempo is used to highlight and to affirm the unusual bloc structure of Beethoven’s formal design.

Schlagworte/Keywords: Analyse und Aufführung; analysis and performance; musical form; musikalische Form

Rudolf Kolisch widerspricht seinen Kritikern in der Neuausgabe von Tempo und Charakter in Beethovens Musik energisch, wenn er sagt, dass das Missverständnis der ›Metronomgegner‹ darin zu liegen scheine, »daß sie meinen, die Verwendung des Metronoms bedeute die Forderung, ein Musikstück von A bis Z nach einem Metronomschlag zu spielen«.[1] Laut Kolisch wäre das jedoch »nicht nur unkünstlerisch, sondern würde den Sinn der Musik zerstören«. Dabei bedeutet die Verwendung des Metronoms zur Tempobestimmung nicht »seine Verwendung zum Vergleich der Länge der Taktteile […], sondern bloß zur Bestimmung der allgemeinen Geschwindigkeit«. Dadurch lässt es dem Interpreten volle rhythmische Freiheit – in Kolischs Worten »volle ›künstlerische Freiheit‹ der Darstellung überhaupt«. Kolischs Einwände gegen die Verwendung subjektiver Kategorien als Grundlage einer Aufführung führen also nicht zu der Auffassung, dass jeder subjektive Aspekt in der Aufführung ausgeschlossen werden sollte. Kolisch folgt damit der Dialektik Theodor W. Adornos, für den die »Schrift in der Musik […] immer gegen das Subjekt wahr und unwahr« ist und damit den »philosophischen Schlüssel der gesamten Theorie [der musikalischen Reproduktion]« darstellt.[2] Objektivität und Subjektivität stellen im Hinblick auf die »volle ›künstlerische Freiheit‹ der Darstellung«[3] für Kolisch also keine Alternativen dar, sondern sind untrennbar aufeinander bezogen. Wie sich dieses Plädoyer für eine Interpretation im Geiste einer »vollen ›künstlerischen Freiheit‹ der Darstellung« in der Aufnahme von Beethovens Violinkonzert materialisiert, die der Geiger im Jahr 1964 mit René Leibowitz einspielte, soll Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen sein.[4]

In der jüngeren Forschungsliteratur zu Beethovens Violinkonzert op. 61 (1806) fällt auf, dass fast alle Beiträge stets auch die Aufführungsgeschichte diskutieren und ausdrücklich auf bestimmte Probleme der Aufführung eingehen, insbesondere auf die Frage der richtigen Tempowahl. Ein dabei immer wieder aufgeworfener Aspekt ist der nicht sehr virtuose Charakter der Solostimme, die einer Anfang des 19. Jahrhunderts sich etablierenden Gattungstradition des virtuosen Violinkonzerts entgegen zu stehen scheint. Hinzu kommt der unkonventionelle Beginn des Konzerts mit der Solo-Pauke, der gesangliche Charakter des Hauptthemas und die Tempobezeichnung des ersten Satzes mit Allegro ma non troppo. All diese Aspekte führen in vielen der vorliegenden Aufnahmen zu sehr unterschiedlichen Tempi im ersten Satz. Die Tempospanne reicht von = 44–48 bei Wolfgang Schneiderhahn und Wilhelm Furtwängler (1953) bis zu = 63 bei Christian Tetzlaff und Michael Gielen (1989). Neuere Aufnahmen wie diejenigen von Isabelle Faust und Claudio Abbado (2012) oder Thomas Zehetmair und Franz Brüggen (2012) bewegen sich in einem ähnlichen Tempo wie Tetzlaff/Gielen. Über dieses Tempo hinaus geht teilweise die Aufnahme von Nigel Kennedy (2008) mit dem Polish Chamber Orchestra, deren Interpretation sich aber auch auf der Ebene der Artikulation etc. durch eine große Extravaganz auszeichnet.[5]

Die Diskussion der aufführungspraktischen Dimension in der Forschungsliteratur steht in engem Zusammenhang mit der formal-strukturellen Anlage des Violinkonzerts. Dies zeigt auch der kollegiale Austausch zwischen Kolisch und Leibowitz, auch wenn sich die beiden Musiker in dem dokumentierten Radiogespräch »Aufführungsprobleme im Violinkonzert von Beethoven«[6] stärker mit detaillierten Interpretationsfragen hinsichtlich einzelner Passagen und Abschnitte beschäftigen als mit formalen Aspekten des Violinkonzerts. Gerade Überlegungen zur Form können aber auch eine Grundlage für Tempoentscheidungen sein, da die ungewöhnliche Länge und Dramaturgie des Kopfsatzes alle Interpret*innen vor eine große Herausforderung stellen. Dass sich die meisten Äußerungen von Kolisch und Leibowitz auf Tempofragen und Aspekte der Aufführungspraxis im Hinblick auf Bogenstriche und Artikulation beziehen, zeigt auch das überlieferte Notenmaterial der Aufführung.[7] Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, was Kolisch und Leibowitz unter einer ›strukturellen Analyse‹ von Musik genau verstanden haben und welche Aspekte des musikalischen Satzes sie überhaupt einer näheren analytischen Betrachtung unterziehen. Diese Frage lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Texte der beiden Musiker nicht abschließend beantworten, es ist jedoch ein klares Übergewicht motivisch-thematischer Analysen zu beobachten. Analysen von Form und Harmonik spielen eine untergeordnete Rolle.[8]

Ich möchte vor diesem Hintergrund Überlegungen zum Verhältnis von der in der Sekundärliteratur breit diskutierten formalen Anlage des Kopfsatzes und der vorliegenden Aufnahme des Violinkonzerts von Kolisch und Leibowitz anstellen. Dabei stehen weniger die verbalen Äußerungen der beiden Musiker im Mittelpunkt, die sich kaum zu formalen und dramaturgischen Fragen äußern, als vielmehr das musikalische Ergebnis der Zusammenarbeit.

I. Beethovens Violinkonzert aus zeitgenössischer Perspektive

Warum die formale Anlage des Kopfsatzes offenbar ein immer wieder diskutierter Aspekt ist, zeigt sich in einem von Johann Nepomuk Möser verfassten umfangreichen Bericht von der Uraufführung des Violinkonzerts am 23. Dezember 1806, der Anfang 1807 in der Wiener Theater-Zeitung erschien. Der Text wird aufgrund seiner vielen Perspektiven in der Forschungsliteratur zu Beethovens Violinkonzert immer wieder erwähnt und diskutiert.

Ueber Beethhofens Concert ist das Urtheil von Kennern ungetheilt, es gesteht demselben manche Schönheit zu, bekennt aber, daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeinen Stellen leicht ermüden könnten. […] Die Musik könne sobald dahin kommen, daß jeder, der nicht genau mit den Regeln und Schwierigkeiten der Kunst vertraut ist, schlechterdings gar keinen Genuß bey ihr finde, sondern durch eine Menge zusammenhängender und überhäufter Ideen und einen fortwährenden Tumult einiger Instrumente, die den Eingang charakterisieren sollten, zu Boden gedrückt, nur mit einem unangenehmen Gefühl der Ermattung das Koncert verlasse.[9]

Insbesondere das Eröffnungsritornell wird von Möser als satztechnisch zu kompliziert erachtet. Darüber hinaus wird kritisiert, dass die Violine zu wenig am motivisch-thematischen Geschehen beteiligt sei und dass auf diese Weise nicht genug zwischen reduzierter Begleitung des Soloinstruments und davon getrennten Tutti-Abschnitten differenziert werde.[10] Und in der Tat sind die vielen Wiederholungen ein auffälliger Aspekt des ersten Satzes, wodurch auch dessen ungewöhnliche Länge erklärt werden kann. Die Wiederholungen ereignen sich aber nicht nur auf der Ebene einfacher melodischer Abschnitte, sondern insbesondere im Hinblick auf die konstruktionsbedingte Wiederholung ganzer Formabschnitte. Es ist jedoch nicht so, dass die vielen Wiederholungen immer nur Kritik hervorgerufen hätten. Für Hans-Joachim Moser beispielsweise sind sie positiv konnotiert, da der Satz gerade aufgrund der vielen Wiederholungen und der »unzweifelhaften Verwandtschaft [der Themen] untereinander« von einer »beglückende[n] substantielle[n] Einheitlichkeit« geprägt ist.[11]

Bezugnehmend auf zeitgenössische Zeugnisse hat Michael Walter den Versuch einer Analyse von Beethovens Violinkonzert aus der Perspektive seiner ersten Zuhörer*innen vorgelegt. Methodisch grenzt Walter dieses Vorgehen von herkömmlichen Analysen ab, die in erster Linie vom musikalischen Text ausgehen. Walter möchte vielmehr einen »Erfahrungsraum« rekonstruieren, in dem ein Violinkonzert um 1800 vor dem Hintergrund zeitgenössischer Konventionen rezipiert worden ist. Dabei kann es durchaus einen »kreativen Umgang mit diesen [Konventionen] unter der Bedingung der [damals] zeitgenössischen Wahrnehmungsperspektive« geben.[12] Walter geht dabei sowohl auf Mösers Rezension als auch auf die Schriften Heinrich Christoph Kochs als wichtige zeitgenössische Quellen ein. Dabei betont er insbesondere den ungewöhnlichen Formverlauf und vermutet, dass dieser Formverlauf das zeitgenössische Publikum in jedem Fall überrascht haben dürfte.[13] Walter zitiert wesentliche Abschnitte aus Kochs Überlegungen zur Formgestaltung in Konzertsätzen. Koch zufolge geht »dem Vortrage der Solostimme ein Ritornell als Einleitung« voraus,

in welchem der Zuhörer auf den Inhalt der Solostimme aufmerksam gemacht wird, und in welchem die melodischen Haupttheile des ganzen Satzes, jedoch gemeiniglich in einer andern und enger zusammengeschobenen Verbindung, vorgetragen werden, als es hernach in der Concertstimme geschieht.[14]

Nach Koch ist das Orchesterritornell also nur als »Einleitung« zu betrachten. Legt man Kochs Auffassung als repräsentativ für den zeitgenössischen »common sense« zu Grunde, wäre ein/e zeitgenössische/r Hörer*in in jedem Fall von den schieren Dimensionen des Orchesterritornells in Beethovens Violinkonzert überrascht worden. Koch geht aber zudem auf einen weiteren Aspekt ein, der in Beethovens Violinkonzert eine wichtige Rolle spielt. Er erwähnt ergänzende Tutti-Abschnitte, die nur den Orchesterpassagen vorbehalten sind: »Mit diesen melodischen Haupttheilen sind gewöhnlich solche dazu passende Theile verbunden, die dem vollständigen Vortrage eines ganzen Orchesters entsprechen.«[15] Im Kopfsatz des Violinkonzerts gibt es mit dem dritten Gedanken der Orchesterexposition einen solchen Abschnitt, dem – wie unten weiter erläutert wird – eine wichtige gliedernde Funktion für die Gesamtdramaturgie des Satzes zukommt.

Durch die Länge der Abschnitte und die wenig interaktive Struktur des Violinkonzerts wird Walter zufolge ein für Koch wesentliches Moment der Konzertsatzform allerdings nicht erfüllt: Die »Unterhaltung« zwischen Soloinstrument und Orchester, in der dem Orchester die Rolle des »Gesprächspartners« des Soloinstruments zukommt. Koch spricht ausdrücklich davon, dass man in Solokonzerten eine »leidenschaftliche Unterhaltung des Concertspielers mit dem ihn begleitenden Orchester« vorfindet.[16] Für Walter ist das Orchester aber gerade kein »Gesprächspartner« des Soloinstruments, da Orchester und Solopart nicht als zwei getrennte Einheiten fungieren, sondern zu stark ineinander verwoben sind. Dies sehe man – so Walter – etwa daran, dass die Solovioline nach ihrem quasi-improvisatorischen Eingang das erste Thema sofort figuriert, sodass kein Gegenüber eigenständiger musikalischer Akteure entstehen könne.[17]

Diese kursorischen Überlegungen zur zeitgenössischen Musiktheorie und kritischen Rezeption zeigen, dass die ungewöhnliche formale Anlage und das damit zusammenhängende Verhältnis von Soloinstrument und Orchester offenbar bereits seit der Uraufführung diskutiert wurde und schon früh einen wesentlichen Topos der musikanalytischen Rezeption des Violinkonzerts etabliert hat. Dies bestätigt auch die folgende Zusammenfassung der neueren analytischen Literatur.

II. Beethovens Violinkonzert in der analytischen Literatur

Ein immer wiederkehrender Aspekt in den Formanalysen des ersten Satzes von Beethovens Violinkonzert ist eine konstatierte Spannung aus Ritornell- und Sonatensatzform.[18] Hans-Joachim Moser bemerkt, dass der »Bau des Kopfsatzes […] merkwürdig genug« und »weder mit den Begriffen des Sonatensatzes noch denen der herkömmlichen Konzertform einfach zu fassen« sei.[19] Die Werkbesprechung von Christoph-Hellmuth Mahling geht, unter Bezugnahme auf die zeitgenössische Rezension Mösers, von fünf thematischen Gedanken in der Orchesterexposition aus. Das Paukenmotiv, das in den ersten beiden Takten des Satzes dem »ersten Hauptgedanken« vorangestellt ist, spiele dabei eine entscheidende Rolle für die motivisch-thematische Arbeit des Satzes.[20] Hinsichtlich der formalen Grobgliederung verbleibt Mahling komplett im Modus der Sonatensatzform und geht kaum auf mögliche Bezugnahmen auf eine Ritornellform ein. In einem Abschnitt zur Aufführungspraxis des Violinkonzerts betont Mahling die Vorteile eines schnellen Tempos und nimmt dabei positiv Bezug auf Kolischs und Leibowitz’ Überlegungen zur Tempogestaltung bei Beethoven.[21]

Anders argumentiert Andreas Krause. »Lediglich die bis heute außergewöhnliche Monumentalität des Kopfsatzes […] verschleiert«, so Krause, »dass Beethoven hier zunächst nichts anderes als die Kleinteiligkeit des traditionellen Ritornellkonzerts übersteigert«.[22] Auch Krause erwähnt die fünf »themenfähige[n] Gedanken« in der Exposition und fragt nach dem Eindruck, den die Tatsache macht, dass »der Solist ca. 5 Minuten bis zu seinem ersten Einsatz wartet«.[23] Erst mit dem Einsatz der Solo-Exposition beginne ein die »Themenfähigkeit dieser ›Gedanken‹ ordnender Prozess der Bewertung«, der typisch für eine »sonatenhafte Dialektik« sei.[24] Das Verharren des Kopfsatzes in der Tonika wiederum sei typisch für das Ritornellkonzert. Krause weist dann noch ausdrücklich auf die Besonderheit hin, dass der dritte der fünf Gedanken der Orchesterexposition, die B-Dur-Episode ab Takt 28, im gesamten Satz – mit Ausnahme der Kadenz – dem Orchester vorbehalten bleibt. Auch Krause äußert sich, wie bereits Mahling, zu möglichen aufführungspraktischen Konsequenzen dieser Aspekte und schlägt für den Anfang ein Alla-breve-Tempo vor.[25]

Frederik Knop erwähnt wie viele andere Autoren Mösers zeitgenössische Kritik und die Stellung von Beethovens Konzert zwischen französischer Konzertform und der »sinfonischen« Entwicklung der Konzertform seit Mozart, die sich auch in Beethovens Klavierkonzerten niedergeschlagen habe.[26] Ähnlich wie andere Autoren betont auch Knop die gattungsgeschichtliche Ausnahme, die Beethovens Violinkonzert darstelle.[27] Ausnahmen ereigneten sich jedoch nicht auf großformaler Ebene. Die eigentliche Neuorientierung liege vielmehr – so Knop – im »Bereich der Verteilung und Ausarbeitung thematischen Materials«, die im Sinne der sinfonischen Ausrichtung der Komposition dem Orchester eine tragende Rolle bei der thematischen Arbeit zuweise.[28] Knop beobachtet zudem eine »Ausweitung der Durchführung« auf den gesamten Satz, die durch die vielfältigen Varianten des initialen Paukenmotivs hergestellt werde. Knop geht auf die unterschiedlichen Möglichkeiten ein, den Durchführungsbeginn zu lokalisieren und entscheidet sich – wie die Mehrheit der Autoren – für einen Durchführungsbeginn in Takt 284, mit dem Beginn des zweiten Solos.[29] Die Durchführung ist in ihrer Kürze für Knop »zurückhaltend gestaltet« und zeige »wesentliche Expositionsphänomene« in einem anderen Licht.[30] Sie zeichne sich also durch »Kontinuität gegenüber der Exposition« aus. Die bruchlose Verwendung von Material aus der Exposition sorge für den »Eindruck weitgehender Stabilität« im ersten Satz des Konzerts.[31]

Fasst man die wesentlichen Punkte der dargestellten Analysen zusammen, so ergeben sich eine Reihe von Aspekten, die in nahezu allen Aufsätzen auftauchen: Alle Autoren betonen die ungewöhnliche motivisch-thematische Verschränkung von Solopart und Orchester und sie äußern sich vergleichsweise häufig zu aufführungspraktischen Fragen. Ein weiterer Topos ist die Diskussion des Violinkonzerts vor dem gemeinsamen Hintergrund von Sonaten- und Ritornellform und der gattungsgeschichtlichen Situation des Violinkonzerts um 1800. Damit repräsentieren diese Studien zwar den aktuellen Stand der jüngeren Formenlehre, gehen aber nicht explizit auf aktuelle Publikationen der »new Formenlehre« ein. Obwohl das Sonatenprinzip bei Mozarts und Beethovens Konzertsätzen eindeutig im Vordergrund steht, bleibt das Ritornellprinzip im Hintergrund immer noch erhalten. William Caplin betont in diesem Zusammenhang die historische Genese der Konzertsatzform und plädiert dafür, kompositorische Strategien der Ritornellform bei der Analyse von Konzertsätzen einzubeziehen, um auf diese Weise »compositional procedures« zu verstehen, »that clearly are vestiges of the older ritornello form.«[32] Auch in der Diskussion der Konzertsatzform in James Hepokoskis and Warren Darcys Elements of Sonata Theory steht das Sonatenprinzip im Vordergrund. Die Verbindung beider Formmodelle zeigt sich aber auch hier daran, dass Hepokoski und Darcy bei der Auswahl der Terminologie für ihre Beschreibung der »Type 5 Sonata« – ihrem Modell für die Konzertsatzform – zumindest mit der uneingeschränkten Verwendung des Ritornellbegriffs eindeutig auf die Terminologie des älteren Formprinzips zurückgreifen.[33]

Die Analysen der erwähnten Autoren kommen weitgehend zu vergleichbaren Ergebnissen. Neben einigen unwesentlichen Unterschieden, beispielsweise bei der Frage, wo genau die Soloexposition beginnt, zeigen sich u.a. bei der Lokalisierung des Durchführungsbeginns abweichende Interpretationen. Auch wenn von vielen Autoren immer wieder darauf hingewiesen wird, dass gerade die formale Struktur des Violinkonzerts eine klare Positionierung hinsichtlich der Tempogestaltung verlangt, bleiben Ausführungen zur kompositorischen Dramaturgie in dem auch in seinen zeitlichen Dimensionen weit ausgreifenden Satz meist unerwähnt.

III. Zum Verhältnis von Form und Dramaturgie

Mit der Verbindung von Sonaten- und Ritornellform setzt Beethoven sich produktiv mit zwei grundsätzlichen Problemen der beiden von ihm hier aufgerufenen Formtypen auseinander: einerseits mit der Frage, wie man die Monotonie der vielen Wiederholungen, die die Ritornellform mit sich bringt, vermeidet, andererseits mit der Frage, wie man das Reprisenproblem in der Sonatenform löst. Ein Ergebnis der ungewöhnlichen Formdisposition im Violinkonzert ist, dass Beethoven Wiederholungswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen erzeugt. Eine dieser Wiederholungswirkungen ist wie erwähnt, dass der dritte Gedanke aus der Exposition (T. 28–39) – mit Ausnahme der Kadenz – lediglich im Orchester erscheint und auf dieser Weise einen signalhaften Charakter bekommt, der Auswirkungen auf die Gesamtdramaturgie des sehr langen Satzes hat.

Bevor ich auf die angesprochenen Fragen näher eingehe möchte ich eine kurze Formübersicht des Satzes voranstellen (Tab. 1).

Abbildung

Tabelle 1: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert op. 61, erster Satz, Formverlauf

Hinsichtlich der Gesamtdramaturgie ist zu bemerken, dass das erste Ritornell mit seinen fünf Gedanken so lang und diversifiziert ist, dass Beethoven im weiteren Verlauf über das Material dieses Ritornells frei disponieren kann. Die gliedernde Funktion des dritten Gedankens materialisiert sich in erster Linie als Kontrast zwischen dem Fortissimo-Einsatz und dem vorangehenden Pianissimo-Abschnitt (z.B. T. 26–27/28–39). Die beiden weiteren Erscheinungen des dritten Gedankens, zu Beginn des zweiten Ritornells (T. 224–283) und kurz vor der Kadenz (T. 497–510), sind zwar jeweils Ergebnisse eines längeren Steigerungsprozesses in der Solovioline, sodass die überraschende Wirkung etwas weniger ausgeprägt ist. Dennoch stellt die Fortissimo-Dynamik hier ein gliederndes Wiederholungsmoment dar. Das hat weniger mit der Dynamikstufe an sich zu tun, als mit der Tatsache, dass die vorangehenden Enden der Solo-Exposition und der Solo-Reprise den Eindruck vermitteln, als ›fransten‹ sie ›aus‹. Diese improvisatorisch-suchenden Momente in der Solovioline werden durch die ›Einbrüche‹ des dritten Gedankens jeweils jäh unterbrochen. Beethoven versucht also das Überraschungsmoment, das diesem dritten Gedanken inhärent ist, trotz seiner mehrmaligen Wiederholung zu bewahren. Diese unterbrechende Funktion des dritten Gedankens wird im Hinblick auf den gesamten Satz gewissermaßen zu einem Prinzip erhoben, sodass Beethoven auch dem Fortissimo-Reprisenbeginn (T. 365) mit dem ins Tutti erweiterten Paukenmotiv des Anfangs einen abrupt-unterbrechenden Charakter verleiht.

Diesen deutlichen formdramaturgischen Brüchen steht die Verbindung des Eröffnungsritornells und der Solo-Exposition durch den quasi-improvisatorischen Eingang der Solo-Violine gegenüber.[34]

Durch die Fortissimo-Wiederholungen des gliedernden dritten Gedankens und anderer thematischer Elemente verliert das spezifische Wiederholungsmoment des Repriseneintritts seine besondere Bedeutung als double return.[35] Es wirkt vielmehr so, als passe Beethoven den Repriseneintritt an das bis dahin zweimalige Auftreten des dritten Gedankens an. Doch ist es nicht nur die Dynamik der Reprise, die Beethoven aus dem Umgang mit dem dritten Gedanken ableitet. Auch die Praxis, durch die Auslassung bestimmter Abschnitte deren gliedernde Wirkung zu erhöhen, übernimmt Beethoven aus dem dritten Gedanken. In der Soloexposition verzichtet Beethoven auf den dritten Gedanken ganz, sodass der Beginn des Mittelritornells mit dem dritten Gedanken (T. 224) umso überraschender wirkt.[36] Auch die Reprise spart den dritten Gedanken wieder aus und reserviert ihn so für den Beginn des Kadenztuttis (T. 497). Analog dazu wird auch das Hauptthema für den Fortissimo-Repriseneinsatz aufgespart, indem es im zweiten Ritornell nicht erklingt. Eine weitere Maßnahme Beethovens, um den Repriseneinsatz herauszuheben ist die unmittelbar davor eingebaute auratische g-Moll-Passage, die neues thematisches Material bringt[37], sowie der weitgehende Verzicht auf die Synkope in Takt 367, die den Repriseneintritt noch ›gerader‹ wirken lässt.[38]

IV. Kolischs und Leibowitz’ Realisierung

Wie gehen nun Leibowitz und Kolisch in ihrer Realisierung mit dem ersten Satz des Violinkonzerts um, der aufgrund seiner vielen Wiederholungen und der langen Orchesterpassagen jede Interpretation vor größere Herausforderungen stellt? Während Kolisch die Notwendigkeit eines flüssigen Tempos und ein Alla-breve-Metrum für den gesamten Satz vorschlägt, warnt Leibowitz davor, den »ganzen Satz starr metronomisch durch[zu]taktieren«. Zugleich aber kritisiert er die großen Temposchwankungen in vielen Aufnahmen, insbesondere in der Coda.[39]

Im Hinblick auf aufführungspraktische Implikationen ist es nun interessant zu sehen, wie Leibowitz und Kolisch in ihrer Aufnahme mit diesen gliedernden Einsätzen umgehen, die für den Ablauf des Satzes und auch für seinen musikalischen Charakter eine so zentrale Rolle spielen. Auch wenn sich die beiden Interpreten zu diesen Aspekten der Form im Kopfsatz des Violinkonzertes nicht explizit äußern, zeigen sie in ihrer Aufnahme die Kontrastwirkung der Fortissimo-Orchestereinbrüche sehr deutlich. Leibowitz wählt zu Beginn der Exposition ein relativ stabiles Tempo, das zu Beginn mit = 63 (T. 1–9) und = 61 (T. 43–50) allerdings deutlich unter dem von Kolisch in Tempo und Charakter in Beethovens Musik[40] für den Kopfsatz des Violinkonzerts avisierten Tempo = 72 liegt. Wie oben ausgeführt liegt Leibowitz damit aber im oberen Bereich von für den ersten Satz gewählten Tempi. Leibowitz hält das Tempo in der Orchesterexposition dann sehr stabil, während Kolisch den improvisatorischen Eingang zu Beginn der Solo-Exposition vom Tempo her sehr frei gestaltet. Interessanterweise ist die Solo-Exposition mit = 56–58 insgesamt langsamer als die Orchesterexposition angelegt. Kolisch realisiert zwar seine Auffassung, möglichst wenig Rubato zu machen, dennoch ist dieses konstant langsamere Tempo in der Solo-Exposition und -Reprise nicht schlüssig zu begründen. Man könnte freilich darüber spekulieren, ob es sich auch um technische Gründe handelt, da Kolisch selbst in diesem etwas langsameren Tempo durchaus Probleme bei der technischen Realisierung hat.

Interessant ist, dass Leibowitz in den Orchesterzwischenspielen das anfängliche Tempo wieder aufnimmt, teilweise sogar übersteigert[41], so als wollte er entweder den Tempoverlust der Solo-Abschnitte kompensieren oder einen bewussten Kontrast zwischen Orchester- und Soloabschnitten herstellen. Den Beginn der Durchführung gestaltet Kolisch wieder sehr frei, um die weiteren Soloabschnitte dann konstant in ›seinem‹ Tempo ( = 56–58) zu spielen. In der g-Moll-Passage kurz vor der Reprise hält Kolisch sich dann – anders als die meisten anderen Interpreten – an seine Absage an zu starke Ritardandi und spielt die Passage in einem sehr konstanten Tempo, was im Übrigen auch für die Coda gilt, für die Kolisch erneut das konstante Tempo seiner Soloabschnitte wählt. Ein interessanter Aspekt dieser leichten Temposchwankungen sind die oben beschriebenen Kontrastwirkungen der Fortissimo-Tutti nach der Exposition (T. 224–235; T. 365–382, T. 497–510; Audiobsp. 1–3), die in der Aufnahme umso stärker zur Geltung kommen, als sie sich nicht nur in der Dynamik, sondern auch in der Tempogestaltung äußern. Alle drei Einsätze des dritten Gedankens erscheinen in einem flüssigeren Tempo als der jeweils vorangehende Soloabschnitt. Diese Kontrastwirkung durch das schnellere Tempo wird zusätzlich durch die beschleunigende Agogik in allen drei Tutti-Einsätzen verstärkt. Dadurch wirken diese Einsätze weniger statisch und tempomäßig ›gesetzt‹, sondern beinahe hektisch und nach vorne fallend. Ob diese interpretatorische Entscheidung Leibowitzʼ auf den Wunsch zurückgeht, ›verlorenes‹ Tempo ›aufzuholen‹ oder ob er mit diesem dritten Gedanken grundsätzlich einen eher drängenden Charakter verbindet ist schwer zu sagen. Aus meiner Sicht verlieren diese Einsätze dadurch aber etwas von ihrem notwendigen Gewicht.

Audiobeispiel 1: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert op. 61, 1. Satz, T. 216–238
Rudolf Kolisch, Violine, Radio-Orchester Beromünster, Leitung: René Leibowitz;
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Archivnummer BS_MG_ROB_20944_K2, 7:15–7:54, ℗ SRF, mit freundlicher Genehmigung

Audiobeispiel 2: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert op. 61, 1. Satz, T. 357–373
Rudolf Kolisch, Violine, Radio-Orchester Beromünster, Leitung: René Leibowitz;
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Archivnummer BS_MG_ROB_20944_K2, 12:03–12:38, ℗ SRF, mit freundlicher Genehmigung

Audiobeispiel 3: Ludwig van Beethoven, Violinkonzert op. 61, 1. Satz, T. 490–504
Rudolf Kolisch, Violine, Radio-Orchester Beromünster, Leitung: René Leibowitz;
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Archivnummer BS_MG_ROB_20944_K2, 16:41–17:11, ℗ SRF, mit freundlicher Genehmigung

Vor dem Hintergrund der dargestellten Aspekte scheint es ein wesentliches Anliegen der Interpretation von Kolisch und Leibowitz zu sein, die blockhafte Anlage der Komposition weniger zu kaschieren als vielmehr bewusst hervorzuheben. Wenn Leibowitz in dem Radiogespräch konstatiert, dass »leider […] selbst ein Allegro-Stück wie der erste Satz des Konzerts in der konventionellen Aufführung infolge des Streichercredos in den schönen Ton weitgehend sentimentalisiert« werde, sodass »wenig Feuer übrig bleib[e]«[42], so weist er darauf hin, dass genau ein Bewahren dieses »Feuers« – wie es dem/der Hörer*in in den markant herausstechenden Orchestertuttis begegnet – und damit das Vermeiden von Sentimentalität ein zentrales Anliegen von Kolisch und Leibowitz gewesen zu sein scheint.[43] Kolischs und Leibowitz’ Realisierung des Kopfsatzes versucht also insgesamt, die ungewöhnliche Blockhaftigkeit von Beethovens Formgestaltung affirmativ zu betonen und damit die Individualität der formalen Dramaturgie explizit herauszustellen.

Anmerkungen

1

Dieses und die weiteren Zitate in Kolisch 1992, 10. Vgl. dazu auch Sprick 2009, 217.

2

Adorno 2001, 184.

3

Kolisch 1992, 10.

4

Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Aufnahme den Text von Thomas Glaser in dieser Ausgabe.

5

Vgl. dazu die Übersicht bei Mahling 1994, 469 und die noch differenziertere Darstellung bei Katz 2003, 42. Katz liefert nicht nur eine Metronomzahl für den gesamten Satz, sondern differenziert noch einmal in unterschiedliche Abschnitte (z.B. T. 1–9, T. 18–24, T. 28–37 usw.). Es ist auffällig, dass die ersten neun Takte in allen Aufnahmen langsamer gespielt werden als die folgenden und dass sich das Tempo über den zweiten (T. 18) bis zum dritten Gedanken (T. 28) in den meisten Aufnahmen sukzessive erhöht.

6

Kolisch / Leibowitz 1979.

7

Vgl. dazu den Aufsatz von Thomas Glaser in dieser Ausgabe.

8

Vgl. dazu auch ausführlich Sprick 2009.

9

Möser 1807. Mahling 1994 geht ausführlich auf Mösers Bericht ein (455f.) und bietet auch detaillierte Informationen zur Entstehungsgeschichte des Violinkonzerts.

10

Walter 2004, 385.

11

Moser 1960, 201.

12

Walter 2004, 386.

13

Walter liefert keine Nachweise für diese These. In der jüngeren Literatur gibt es eine breite Diskussion, die sich eher gegen Annahmen wie diejenige Walters wendet, denen zufolge das zeitgenössische Publikum um 1800 Abweichungen von einem etablierten Formverlauf ausdrücklich in eine Wertung einer Komposition einfließen ließ. Vgl. dazu etwa Diergarten 2012, 26f.

14

Koch 1802, 354f., zit. nach Walter 2004, 387.

15

Ebd.

16

Koch 1793, 332, zit. nach Walter 2004, 387.

17

Vgl. Walter 2004, 393.

18

Vgl. Plantinga 1999, 223.

19

Moser 1960, 199. Moser geht in seiner Analyse von historisch inadäquaten Prämissen aus, wenn er in der Orchesterexposition und dem ersten Solo-Abschnitt, also den Takten 1 bis 88 und 101 bis 186, »zwei Aufgesangsstollen eines Sonaten-Bars« sieht, die sich darin unterscheiden, dass der »zweite die normale Tonartendisposition der klassischen Themenaufstellung zeigt«. Im Gegensatz zur mittlerweile in der Formenlehre gängigen Auffassung, dass Haupt- und Seitensatz erst in der Solo-Exposition in unterschiedlichen Stufen erscheinen, moniert Moser, dass die Tonartendisposition während der Orchesterexposition insofern »regelwidrig« gestaltet sei, als dass sowohl Haupt- als auch Seitensatz in der Tonika auftreten (ebd., 201).

20

Mahling 1994, 459f.

21

Ebd., 467f.

22

Krause 2009, 156.

23

Ebd., 156.

24

Ebd.

25

Ebd. Mahling äußert sich nicht explizit zur Frage, ob das Tempo als Alla-breve aufgefasst werden soll. Sein Plädoyer für ein schnelles Tempo legt eine solche Entscheidung aber durchaus nahe (vgl. ebd., 467).

26

Knop 2013, 393.

27

Ebd., 395.

28

Ebd., 396.

29

Ebd., 399. Anders als viele Autoren nimmt Robin Stowell den Durchführungsbeginn in Takt 224 und damit mit Beginn des zweiten Orchesterritornells an (1998, 62).

30

Knop 2013, 399.

31

Ebd., 400f.

32

Caplin 1998, 243.

33

Hepokoski / Darcy 2006, vgl. dazu insbesondere das Unterkapitel »Historical Overview and Initial Questions of Terminology« (433f.) und die terminologische Reflexion zu der Frage, ob man den Begriff »ritornello« oder »tutti« verwenden sollte (445–447). Die Tatsache, dass Hepokoski und Darcy dem Begriff »ritornello« eine wichtige Rolle zukommen lassen, demonstriert ihren Versuch, die historische Genese der Konzertform auch auf terminologischer Ebene angemessen zu reflektieren (vgl. dazu auch die Kapitel 20 bis 22 in den Elements).

34

William Caplin weist darauf hin, dass sich der Abschluss des Orchesterritornells und der Eintritt der Solovioline in Solokonzerten nicht selten überschneiden: »the solo appears to be overanxious and enters while the orchestra is still in the process of closing the ritornello« (Caplin 1998, 245, Anm. 14).

35

Vgl. Neuwirth 2013 und Utz 2016 für die Diskussion zur Synthese von Ritornell- und Sonatenform bei Joseph Haydn. Ein wesentlicher Aspekt dieser Diskussion ist die Relativierung von »etablierte[n], an einer harmonisch gedachten dramatischen Sonatenkonzeption orientierte[n] Modelle[n]« wie ›large-scale dissonance‹, ›sonata principle‹ oder ›double return‹ (Utz 2016, 205).

36

Hepokoski und Darcy bezeichnen die große Ausdehnung dieses zweiten Ritornells im Rahmen ihrer Diskussion der »Alternative or Quasi-Deformational R2 Spaces« als »astonishing« (2006, 558). Die Besonderheit liegt für die Autoren darin, dass dieses zweite Ritornell nicht nur den Abschluss der Exposition bildet, sondern dass es »with regard to its sense of expanse […] provide[s] a separately interpolated rotation into the first movement.« (ebd.)

37

Vgl. Churgin 1998, 340.

38

Lediglich in der Flöte bleibt die Synkope des Hauptthemas in Takt 367 erhalten.

39

Kolisch / Leibowitz 1979, 152f.

40

Ebd., 152. Vgl. dazu auch Kolisch 1992, 95.

41

Das Mitteltutti ab Takt 224 setzt beispielsweise mit = ca. 64 ein und bei der Steigerung ab Takt 264 wird sogar kurzzeitig ein Tempo von = 65 erreicht.

42

Kolisch / Leibowitz 1979, 152.

43

Ebd., 153: »Wenn z.B. einige davon uns aus der Region des Andante, oder der Coda beinahe in die des Adagio führen, müssen wir sie radikal ablehnen. Es handelt sich nicht um eine Ablehnung des Rubato an sich, welches für uns als notwendiges Vortragsmittel durchaus erhalten bleibt, sondern um die Verdammung der exzessiven Dimension dieses Rubato, welches im Dienste eines Beethoven-fremden, sentimentalen Ausdrucks das Tempo wesentlich verändert.«

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