Edler, Florian (2006), »Der Dur-Moll-Kontrast in der italienischen Triosonate«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 3/3, 307–326. https://doi.org/10.31751/237
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 01/07/2006
zuletzt geändert / last updated: 01/12/2008

Der Dur-Moll-Kontrast in der italienischen Triosonate

Florian Edler

Im Zuge der Ausbildung der harmonischen Tonalität im Verlaufe des 17. Jahrhunderts gewinnt die Beziehung zwischen einer Grundtonart und ihrer ›Paralleltonart‹ zunehmend an Bedeutung. Dieser Prozeß wird am Beispiel der Entwicklung der italienischen Triosonate in der zweiten Jahrhunderthälfte untersucht. Im Hinblick auf Moll-Ausweichungen in Durtonarten und den Moll-Dur-Kontrast als Eröffnungstopos in langsamen Moll-Sätzen werden Werke verschiedener Komponistengenerationen miteinander verglichen. Dabei ergeben sich folgende Resultate: In Dur-Stücken läßt sich die Tonart der VI. Stufe nicht auf entsprechende Kadenzstufen der duralen Modi zurückführen, ist aber dennoch häufiges Ziel von Ausweichungen. Die Wendung zur Tonart der III. Stufe kommt erst gegen Ende des Jahrhunderts in Mode, obwohl es sich um eine Kadenzstufe im modalen System handelt. In Moll-Stücken löst die Dur-Transposition einer Anfangsphrase (in Moll) allmählich die entsprechende Wiederholung in der Molltonart der V. Stufe ab. Die bereits im 16. Jahrhundert u.a. bei bestimmten Skalenmodellen (Folia, Romanesca) signifikante Klangfolge ›Moll-Dur‹ repräsentiert erst im späteren 17. Jahrhundert einen Ausdrucksgegensatz der neuen ›Tongeschlechter‹. Einige kompositionsgeschichtliche Konsequenzen dieser Entwicklungen werden mit einem knappen Ausblick auf die Modulationsordnung im Suiten- und Sonatensatz bis zur Epoche der ›Wiener Klassik‹ skizziert.

Schlagworte/Keywords: 17. Jahrhundert; 17th century; harmonische Tonalität; italian Trio Sonata; italienische Triosonate; tonal relationships; tonality; Tonartenverwandtschaft

Ausweichungen von einer Tonart in eine andere lassen sich grundsätzlich unter zwei Aspekten betrachten. Zum einen bilden sie einen wichtigen formbildenden Faktor. Mit dem Wechsel in eine neue Tonart beginnt häufig, wenn auch nicht zwangsläufig, ein neuer Abschnitt. Kadenzen verdeutlichen die Ausweichungen und dienen zugleich der musikalischen Interpunktion. Zum anderen implizieren Übergänge in andere Tonarten semantische Momente. Unter der Voraussetzung eines Systems der Tonartenverwandtschaft drücken sie Nähe und Ferne, Normkonformität und Abweichung aus. Neben dem höheren oder geringeren Verwandtschaftsgrad von Ausgangs- und Zieltonart als solchem wird die Art des Übergangs zum Ausdrucksmoment. Hinzu kommt, als weiterer semantischer Aspekt, die Charakteristik von Tonarten. In der Dur-Moll-tonalen Musik ist die Polarität der beiden Modi – bzw. ›Tongeschlechter‹ – Dur und Moll grundlegend. Diesem Gegensatz untergeordnet sind spezifische Konnotationen einer jeden der zwölf jeweils möglichen Transpositionen.

Die Polarität von Dur und Moll entwickelt sich im Zuge der Entstehung der harmonischen Tonalität im 17. Jahrhundert. Im Zusammenhang damit verändert sich das System der Tonartenverwandtschaft.[1] Wie sich dieser Prozeß kompositionsgeschichtlich bemerkbar macht, wird im folgenden anhand eines zeitlich, lokal und gattungsspezifisch eingegrenzten Repertoires untersucht: der italienischen Triosonate zwischen 1650 und 1694, dem Erscheinungsjahr von Arcangelo Corellis op. 4. Erst in dieser seiner letzten Triosonaten-Sammlung entspricht die Behandlung der Tonartenverwandtschaft grundsätzlich den Verhältnissen in großformatigen Instrumentalwerken des Spätbarocks wie den Suiten und Concerti Händels und Bachs. Dagegen sind die ausgewählten Werke der Komponistengeneration vor Corelli geprägt vom Denken einerseits in den Kategorien Dur und Moll, andererseits in denen der alten Modi. Insofern als es um eine Art Vorgeschichte der Triosonate Corellis geht, kommen neben einigen Vertretern Norditaliens (Maurizio Cazzati, Biagio Marini, Giovanni Maria Bononcini) auch die in Rom wirkenden Komponisten Lelio Colista, Alessandro Stradella und Carlo Ambrogio Lonati ins Blickfeld.[2]

Die Verwandtschaft zwischen ›Paralleltonarten‹ besteht unter den Bedingungen der harmonischen Tonalität in Dur und Moll auf durchaus unterschiedliche Weise. Daher werden zunächst die Verhältnisse in Dur, in einem zweiten Abschnitt dann Besonderheiten der Molltonarten untersucht.

I. Verwandte Mollstufen in Durtonarten

Welche Möglichkeiten der Moll-Ausweichung kommen in den noch von der modalen Tradition geprägten Durtonarten des mittleren 17. Jahrhunderts grundsätzlich in Betracht? In keinem der duralen Modi (Ionisch, Lydisch und Mixolydisch) erscheint die VI. Stufe in Dur als reguläre Kadenzstufe. Im Mixolydischen bietet sich die V. als einzige verwandte Mollstufe an. Deren Verwendung als Ziel einer Kadenz steht freilich in Konflikt mit der Entwicklung zum modernen Dur. Im Ionischen und Lydischen ist neben der duralen V. auch die mollare III. Stufe regulär. Auf ihr wird im System der alten Tonarten – auf E in einem C-Modus, auf A in einem F-Modus (mit b-Vorzeichnung) – eine Mi-Kadenz gebildet. Im mehrstimmigen Satz schließt eine solche Kadenz mit dem Terz-Quintklang (mit großer Terz) oder alternativ mit dem Quint-Oktavklang. Unter den Voraussetzungen der Dur-Moll-Tonalität erscheint aber eine phrygische Kadenz zur III. Stufe (beispielsweise ›E-Dur‹ in einem C-Dur-Stück) als ein Halbschluß in der Paralleltonart (a-Moll). Gleichwohl läßt sich ein solcher Schlußklang insbesondere dann, wenn die vermeintlich implizierte VI. Stufe ausbleibt, im Sinne des modalen Denkens als Ziel der Ausweichung verstehen. Eine zweite Möglichkeit, die Wendung zur III. Stufe den Verhältnissen der harmonischen Tonalität anzupassen, besteht in deren Behandlung als eine Moll-Tonika. Innerhalb eines C-Dur-Stücks wäre also ein e-Moll-Ganzschluß denkbar.

Welche allgemeinen Tendenzen zeigen sich nun in den untersuchten Werken? In der italienischen Triosonate des mittleren 17. Jahrhunderts sind Moll-Ausweichungen in Dur-Stücken insgesamt seltener und auch weniger fest an bestimmten formalen Positionen verankert, als das später bei Corelli der Fall ist. Die Häufigkeit der einzelnen Moll-Stufen läßt sich wie folgt für beide Epochen zusammenfassen.

 

II. Stufe

III. Stufe

V. Stufe (Moll)

VI. Stufe

G-/A-Dur

gelegentlich

selten

relativ häufig

selten

C-/D-/F-/B-/Es-Dur

selten

selten

relativ häufig

Tabelle 1: Mollausweichungen in Dur-Tonarten (italienische Triosonate vor Corelli).

 

II. Stufe

III. Stufe

V. Stufe (Moll)

VI. Stufe

C-/D-/Es-/E-/F-/G-/A-/B-Dur

selten

häufig

häufig

Tabelle 2: Mollausweichungen beim späteren Corelli (ab op. 4).

Anders als bei Corelli bestehen in der älteren italienischen Kammermusik noch erhebliche Unterschiede zwischen den Ausweichungen in den Tonarten G- und A-Dur, die bestimmte Eigenschaften des Mixolydischen bewahren, und den übrigen, aus dem Lydischen und Ionischen hervorgehenden Durtonarten. Entsprechend spielt im ›post-mixolydischen‹ Kontext noch des öfteren die IV. Stufe eine – in der Regel der V. Stufe nachgeordnete – Rolle. Letztere wird als eine Art Moll-Dur-Doppelstufe behandelt. Gegenüber solchen Traditionalismen fällt außerhalb der mixolydischen Einflußsphäre die deutliche Präsenz der Paralleltonart auf. Freilich beschränken sich nicht wenige Stücke in lydisch-ionisch geprägten Tonarten weitgehend auf die Standard-Ausweichung in die V. Stufe. In die III. Stufe (mit großer Terz) wird im Rahmen von phrygischen Kadenzen kadenziert; dagegen sind Wendungen in die Moll-Tonart der III. Stufe in Dur noch in Corellis frühen Opera ausgesprochen selten.

Einige Stadien der Behandlung von Mollausweichungen in Dur, die für die Vorgeschichte der Triosonate Corellis relevant sind, werden im folgenden anhand von repräsentativen Fällen aufgezeigt.

Kadenzstufe:

II

IV

V

VI

Bononcini:

op. 6,8 [G]

 

11f.

4f. (Moll); 22/23 (Moll); 40f. (Moll); 62f. (Moll); 75f. (Moll); 82 (Moll); 93f. (Moll)

 

Bononcini:

op. 1,1 [G]

54f.;

76f.

27f.; 40f.; 72f.

10f.; 20f.; 36f.; 63f. (Moll); 96f. (Moll?)

 

Stradella:

McC 19 [G]

IV: 20f.

I-14f.; II: 2f.;

II: 8f.; III: 6; IV: 9f.

III: 11f.; IV: 26f. (Moll)

III: 20f.

Colista:

Sonata A

 

III: 12ff.; III: 17ff.; III: 21f.; V: 17f.

I-6; II: 10f.; II: 26ff.; IV: 9f.; V: 7f.

I-16

Lonati:

A 3 [A]

 

 

5f.; 16f.; 49f.; 68f.; 72f.; 79f.; 101f.; 115f.; 127f.; 133f.; 145f.

 

Corelli:

op. 1,9 [G]

 

 

I-15f.; I-28ff.; II: 7f.; II: 10f.; II: 16ff.; II: 27f.; II: 30f.; III: 15f.; IV: 15f.

II: 20f.; II: 23f.; III: 1f./3f. (Ganz- und Halbschluß); III: 23f.; IV: 34f.

Tabelle 3: Triosonaten des ›da-chiesa‹-Typus: wesentliche Ausweichungen in G- und A-Dur.

Diese und die folgende Tabelle berücksichtigen Ausweichungen, die durch eine deutliche Kadenz befestigt werden und formbildende Bedeutung haben. Bei einer unmittelbaren Folge von Kadenzen auf gleicher Stufe sind nur die jeweils letzten aufgeführt. Die Taktangaben folgen den verwendeten Ausgaben (siehe Anmerkungen im folgenden Text). Sofern dort Einzelsätze separat gezählt werden, sind diese mit römischen Ziffern gekennzeichnet.

Kadenzstufe:

II

III

IV

V

VI

Bononcini: op. 1,9 [B]

57f.

 

 

6f.; 11f.; 21f.; 43f.; 62f.

24f.; 38f.; 52f.

Stradella: McC 17 [F] (ohne III)

IV: 29f.

 

 

II: 4ff.; II: 17f.; IV: 4f.; IV: 33f.

II: 27f.; IV: 22

Colista: Son. terza [D]

 

 

 

I-8f.; II: 6f.; II: 14f.; III: 7f.; III: 13ff. ›Corelli-Clash‹; IV: 20f.

II: 41f.; IV: 26f.

Lonati:

A9 [C]

110f.

53; 55f.; 117f.

 

3f.; 11f.; 13f.; 17f.; 25f.; 28; 40f.; 45; 65f.; 68f.; 94f.; 107f.; 111f.; 122f.

74f.; 114f.

Corelli:

op. 1,1 [F]

 

 

 

I-5f.; II: 4f.; II: 12f.; II: 18f.; II: 27f.; II: 31f.; III: 18ff. (Moll); IV: 7f.; IV: 36;IV: 52f.

I-8f.; II: 22f.; III: 12f.; III: 25f.; IV: 18f.; IV: 71f.

Tabelle 4: Triosonaten des ›da-chiesa‹-Typus: wesentliche Ausweichungen in B-, F-, C- und D-Dur.

Der in Modena wirkende Komponist und Theoretiker Giovanni Maria Bononcini (1642-1678) erweist sich in seinem explizit an den Modi orientierten op. 6 als ausgesprochener Traditionalist. So beschränkt sich in der Sonate op. 6,8 Dell’ottavo Tuono sue corde naturale[3] die musikalische Interpunktion nahezu ausschließlich auf den Wechsel zwischen Kadenzen auf der Finalis und solchen auf der für das Mixolydische bezeichnenden mollaren V. Stufe.[4] Als melodische VII. Stufe wählt Bononcini stets f, sofern nicht die – allerdings häufige – Kadenzbildung ein künstliches Mi (fis) erzwingt. Die ebenfalls in G stehende Eröffnungssonate seines op. 1[5], einer Sammlung, bei der die Tonarten der einzelnen Stücke nicht wie in op. 6 ausdrücklich angegeben sind, zeigt nicht zuletzt mit dem im ersten Takt exponierten Ton f ebenfalls ein mixolydisches Gepräge. Dementsprechend spielt in dieser Sonate – ebenso wie op. 6,8 ein dreisätziger Zyklus (schnell – langsam – schnell) – die Kadenz zur IV. Stufe (C) eine durchaus gewichtige Rolle. Während bei Ausweichungen in die V. Stufe häufiger die Dur- als die Mollstufe gewählt wird, stellen immerhin zwei Wendungen zur II. Stufe ein Gegengewicht an Mollkadenzen her.

Die Wahl der Kadenzstufen in Bononcinis Sonate op. 1,9 in B[6] (Tabelle 4) zeigt, daß ein anderer Modus vorliegt als bei den soeben behandelten Beispielen. Es gibt weder Kadenzen zur IV. noch zur mollaren V. Stufe. Statt dessen spielt die ›Paralleltonart‹ eine erhebliche Rolle. Sie wird dreimal durch Kadenzen deutlich exponiert; darüber hinaus beginnt der langsame Mittelsatz des Werkes in g-Moll, um in B-Dur zu schließen. In den Tonarten G- und A-Dur wäre bei Bononcini eine entsprechende harmonische Anlage eines Binnensatzes kaum vorstellbar.

Genau solche Fälle repräsentieren hingegen die in den Tonarten G- und A-Dur stehenden Sonaten aus Corellis op. 1, Nr. 9 (siehe Tabelle 3) und Nr. 3. Beide im ungeraden Takt stehenden Adagio-Mittelsätze beginnen mit einer diskantierenden Kadenz in der Tonart der VI. Stufe, um über einen Lamento-Baß einen phrygischen Halbschluß (jeweils in Takt 3 und 4) zu erreichen. Schon in seiner ersten Sonatenpublikation (op. 1, 1681) behandelt Corelli diese Tonarten im Hinblick auf die Ausweichungen nicht anders als andere Durtonarten auch. Dies läßt sich beim Vergleich der Kadenzstatistiken für op. 1,9 (G-Dur) und op. 1,1 (F-Dur) ersehen. Neben der V. wird allein die VI. Stufe als essentielle Kadenzstufe in Dur eingesetzt.

Von einer so klar festgelegten Disposition der Ausweichungen kann bei den Triosonaten jener Komponisten, die vor Corelli in Rom wirkten, keine Rede sein. Beim Vergleich der Sinfonien in G (McC 19) und F (McC 17)[7] von Alessandro Stradella (1644–1682) zeigt sich wieder der modale Gegensatz, daneben aber auch manche experimentell wirkende Eigentümlichkeit. In der Sinfonia in G ist die V. Stufe seltsam unter-, die IV. dagegen überrepräsentiert. So schließt der erste der beiden Wiederholungsteile im zweiten Satz (6/8-Takt) in C. Auch der Soggetto des im imitierenden Stil gehaltenen dritten Satzes exponiert die Tonfolge g-c. Trotz des mixolydischen Duktus findet sich in diesem Stück, in dem Kadenzen insgesamt gemieden werden, eine Ausweichung in die Mollparallele. Stradellas Sinfonia in F weist ein klares tonartliches Profil auf, freilich mit Ausnahme des ausgesprochen kühn disponierten dritten Satzes.[8]

Lelio Colista (1629–1680) behandelt die Tonart in der A-Dur-Sonate (Tabelle 3) ›modern‹, indem er gänzlich auf die mollare V. Stufe verzichtet und im zweiten Wiederholungsteil des ersten Satzes eine Ausweichung in die Paralleltonart fis-Moll bildet. Andererseits zeigt die besonders im langsamen dritten Satz mit drei aufeinanderfolgenden Kadenzen auffällig exponierte Wendung zur IV. Stufe durchaus noch die Auffassung der Tonart A-Dur im Sinne einer Transposition des Mixolydischen. Handelt es sich hier um einen Kompromiß zwischen altem und neuem Tonartenverständnis, so entspricht die Kadenzdisposition der D-Dur-Sonate (Tabelle 4) ganz der Regularität im modernen Dur.[9]

Die beiden ausgewählten Werke von Carlo Ambrogio Lonati (um 1640–1710) unterscheiden sich in ihrem tonartlichen Verlauf grundlegend. Die fünfsätzige Sonata A-Dur[10] (A 3, Tabelle 3) besticht, da sich die Ausweichungen auf den Wechsel von Grund- und Dominanttonart beschränken, durch satztechnische und kontrapunktische Variantenvielfalt. Diesem völligen Verzicht auf Moll-Ausweichungen steht bei der Sonata C-Dur (A 9, Tabelle 4) der Rückgriff auf sämtliche denkbaren Moll-Stufen gegenüber. Ungewöhnlich für eine vor 1680 entstandene Triosonate[11] ist die mehrfache Verwendung der Tonart der III. Stufe, deren erstes Auftreten in zweierlei Hinsicht auffällt. Die e-Moll-Kadenz (T. 53) wird deutlich bekräftigt (T. 55f.), und es erscheint, im Rahmen virtuoser Akkordbrechungen, der von der Lage her bemerkenswerte höchste Ton in diesem Satz e3.[12]

Abbildung

Beispiel 1: Carlo Ambrogio Lonati, Sonata a tre, C-Dur, A 9, T. 51–56.

Die im bisher untersuchten Repertoire – abgesehen von Lonati – gemiedene Ausweichung in die Tonart der III. Stufe in Dur kommt erst gegen Ende des Jahrhunderts als eine Alternative zur Ausweichung in die VI. Stufe in Mode. Bei Corelli begegnet diese neue Variante erstmals in einer Sonate aus op. 3.[13] Bereits in den ›da camera‹-Sonaten op. 4 wird sie zur Standardausweichung an einer bestimmten Position im formalen Gefüge von Tanzsätzen.

Der zweite Wiederholungsteil eines Suitensatzes in Dur enthält im Regelfall zwei formbildende Kadenzen: eine Ausweichung in eine Mollstufe und die abschließende Kadenz im Hauptton. In Corellis op. 2 wird erstere nahezu stets durch eine Wendung zur Paralleltonart realisiert.[14] Ab op. 4 dagegen wechselt Corelli zwischen der III. und der VI. Stufe ab. Das resultierende Moment von Offenheit und Flexibilität kommt der Tendenz zur zyklischen Verbindung von Tanzsätzen in doppelter Hinsicht entgegen. Einerseits können die zweiten Wiederholungsteile der einzelnen Suitensätze modulatorisch voneinander abweichen. Dies wirkt der Gefahr der Monotonie entgegen, die aufgrund der gemeinsamen Tonart sämtlicher Sätze besteht. Andererseits kann die Wiederholung des gleichen harmonischen Ablaufs in den Einzelsätzen nun als eine bewußte Verknüpfung im Sinne des zyklischen Gedankens verstanden werden. Erst unter der Voraussetzung der Wahlfreiheit läßt sich Ähnlichkeit als eine absichts- und bedeutungsvolle und nicht dem Diktat eines Schemas unterworfene Lösung auffassen.

Für den ersten Fall, die Verwendung der III. Stufe (cis-Moll) um der zyklischen Kontrastwirkung willen, wäre der Finalsatz (Tempo di Gavotta) der viersätzigen Sonata A-Dur op. 4,3 ein Beispiel. Diesem Satz, der gegenüber der vorausgehenden Corrente mit ihrer effektvollen Motorik bestehen muß, verleiht die in keinem der vorausgegangenen Sätze berührte Tonart in hoher Lage (T. 27f.) einen spezifischen Glanz.

Dagegen findet sich in der nur dreisätzigen Sonata G-Dur op. 4,10 an der entsprechenden Position im letzten Satz (Tempo di Gavotta) eine Kadenz zur III. Stufe (h-Moll, T. 31f.), die offenkundig in Beziehung zu den vorausgegangenen Sätzen steht. So führt auch die vorletzte Kadenz des Preludio (T. 23), das nicht wie die Tänze aus zwei Wiederholungsteilen besteht, sondern dreiteilig (A-B-A) aufgebaut ist, in die III. Stufe. Den h-Moll-Kadenzen in beiden Sätzen geht jeweils – über eine Quintfallsequenz vermittelt – eine Wendung von der VI. zur V. Stufe voraus. Ebenfalls scheint die erneut von e-Moll in hoher Quintlage ausgehende Ausweichung nach h-Moll im langsamen Binnensatz (Grave, T. 5f.) auf das zyklische Ganze bezogen zu sein.

Die in der Musik des ausgehenden 17. Jahrhunderts praktizierte Behandlung der Tonart der III. Stufe als essentielle Kadenzstufe wurde gestützt durch die vom Denken im System der alten Modi beeinflußte Kadenzlehre. Kompositionsgeschichtlich aber ist die Erweiterung des Kreises nahe ›verwandter‹ Stufen im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer und größerer Instrumentalformen und -gattungen zu sehen. In zahlreichen ausgedehnten Sätzen seiner mitunter deutlich über das Format der Triosonaten hinausgehenden Violinsonaten op. 5 wählt Corelli Ausweichungen sowohl in die VI. als auch in die III. Stufe. Gleiches gilt für die Concerti grossi op. 6, und zwar nicht minder für die ›da chiesa‹- (Nr. 1-8) wie für die ›da-camera‹-Werke (Nr. 9–12).[15] Aber auch der Ausbildung anderer großformatiger Gattungen des Hoch- und Spätbarocks wie der Concerto-Sätze in Ritornellform oder ausgedehnter Fugen kommt die Möglichkeit der Ausweichung in zwei Molltonarten zugute. Erst mit der stilistischen Wende zur Epoche der Wiener Klassik wird der am Beispiel der beiden Sonata-da-camera-Sammlungen Corellis (op. 2 und op. 4) aufgezeigte Wandel gleichsam rückgängig gemacht. Der tonartliche Verlauf eines Dur-Satzes in Sonatenform bei Joseph Haydn entspricht in aller Regel dem in Anmerkung 14 für Corellis op. 2 nachgewiesenen Schema.[16] Am Ende der Durchführung steht eine Wendung zur VI. Stufe, die allerdings nicht unbedingt durch eine ›förmliche‹ Kadenz, sondern oft nur per Halbschluß befestigt wird. Dagegen widerspricht aus der Sicht des späteren 18. Jahrhunderts die im Spätbarock übliche Ausweichung in die Tonart der III. Stufe einer auf die Verwandtschaft der Parallelen zugespitzten Auffassung der Dur-Moll-Tonalität und gilt zunehmend als antiquiert.[17]

II. Dur-Wendungen in Moll-Sonaten

Anders als in Dur-Stücken des 17. Jahrhunderts stimmen bei solchen in Moll Ausweichungen in die Paralleltonart mit den Vorgaben der an den alten Modi orientierten Kadenzlehre überein. Im Dorischen und Äolischen ist die III. eine essentielle Kadenzstufe, die in der Theorie und Kompositionspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts diesen Rang unangefochten behauptet. Ein kompositorisches Problem, das jeweils gattungsspezifisch gelöst werden muß, stellt die Gewichtung der beiden Kadenzstufen III und V dar. Steht in einem a-Moll-Stück die Korrespondenz des Haupttons mit der V. Stufe e-Moll im Vordergrund, so prädominiert eine einzige Farbe, die mit der Transposition allenfalls eine neue Beleuchtung, aber keine Kontrastierung erfährt. Ein Aufeinanderfolgen von a-Moll und C-Dur läßt sich dagegen als ein Vorgang der Aufhellung und zugleich als ein Ausdrucksgegensatz gestalten. Gleichwohl ist auch eine semantisch eher ›neutrale‹ Moll-Dur-Folge möglich.

Italienische Sonaten aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beginnen häufig mit langsamen Sätzen. Eine mögliche Eröffnungsvariante solcher Stücke ist die unmittelbare Wiederholung einer ersten, kadenzierend abgeschlossenen Phrase auf einer verwandten Tonstufe. In Dur-Sonaten erfolgt diese Transposition meist im Oberquint-, viel seltener – im mixolydischen Kontext – im Unterquintabstand. In Moll-Sonaten kommt neben der Oberquint- die Oberterzversetzung und damit ein Wechsel des Tongeschlechts in Betracht.

Bei den folgenden Analysen von Sonaten-Anfängen wird zunächst das Verfahren der Phrasenwiederholung im Oberquintabstand vorgestellt, das sowohl in Dur- als auch in Moll-Stücken zu Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte (Marini) üblich ist. Einige dieser Fälle erinnern an eine reale Fugenimitation. Beispiele mit Eröffnungen von Moll-Werken aus den folgenden Jahrzehnten dokumentieren einen Prozeß, in dessen Verlauf die Dur-Transposition der Anfangsphrase allmählich deren Wiederholung in der Molltonart der V. Stufe ablöst. Im Hinblick auf den Aspekt einer Vorgeschichte des Corellischen Œuvres werden norditalienische (Bononcini, Cazzati) und römische Beispiele (Lonati, Colista, Stradella) ausgewählt. Mit der sozusagen ›klassischen‹ Formulierung in Corellis Spätwerk etabliert sich die im Sinne eines Ausdruckskontrasts gestaltete Moll-Dur-Eröffnung als Topos. Zugleich emanzipiert sich diese Art des Beginnens sowohl von der Technik als auch vom Duktus des fugierten Stils.

1655 erscheint in Venedig die letzte Sammlung (op. 22) von Instrumentalwerken Biagio Marinis (ca. 1587–1663). Bei diesem unter anderem in Venedig, der Hochburg der damaligen Avantgarde, wirkenden Vertreter des um die Jahrhundertmitte allmählich aus der Mode kommenden ›stil moderno‹ lassen sich die experimentellen Frühstadien des beschriebenen Eröffnungsverfahrens studieren. Die erste Sonatenkomposition innerhalb der Sammlung[18], die in C stehende Sonata per 2 violini o cornetti e basso, präsentiert gleich zu Beginn das Prinzip der Phrasentransposition in potenzierter Form. Die Takte 5–8 bilden eine variierte Wiederholung der Takte 1-4 im Oberquintabstand, wobei die G-Kadenz (T. 7f.) tenorisierend gebildet und damit gegenüber der C-Kadenz (T. 3f.) abgeschwächt wird. Mit dem Einsatz des zweiten Soloinstruments erfolgt eine Oberquinttransposition des gesamten Achttakters, so daß die Tonart der doppelten Oberquinte D (T. 15) – und zwar konsequent als Durstufe! – erreicht wird. Dieser Prozeß setzt sich weiter fort. Der Achttakter erklingt insgesamt viermal, so daß der Quintanstieg letztlich zur Tonart E-Dur führt. Der Gefahr von Monotonie wirkt die Überlappung der achttaktigen Abschnitte entgegen: jenes im ausgehenden 18. Jahrhundert von Heinrich Christoph Koch als »Tacterstickung« bezeichnete Verfahren.[19]

Abbildung

Beispiel 2: Biagio Marini, Sonata per 2 violini o cornetti e basso in C (aus op. 22): T. 1–16.

Der außergewöhnliche Anfang prägt die Struktur der gesamten Sonate. Dem Quintanstieg korrespondiert im folgenden schnellen Satz (ab T. 29) eine Quintfall-Harmonik (T. 29–34). Der dritte Satz im ungeraden Takt zeigt eine Umbildung des Sonatenbeginns zu einer Art Fugen-Soggetto. Indem das ›Kontrasubjekt‹ (Beispiel 3, T. 57f., Vl. 1) streng beibehalten wird, bilden die beiden Violinstimmen eine Kanonstruktur aus, die man mit Christoph Bernhard als ›fuga perpetua‹ (bzw. ›canon perpetuus‹) ›in hyperdiapente‹ bezeichnen kann.[20]

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Beispiel 3: Biagio Marini, Sonata per 2 violini o cornetti e basso in C (aus op. 22), T. 55–60.

Der letzte Satz (Dolcemente) basiert erneut auf einem Quintfall (von E bis C). Auch hier arbeitet Marini mit dem Prinzip der Transposition einer – diesmal dreitaktigen – Phrase (T. 78ff.). Diese schließt anfangs in A-, sodann in D- und in G-Dur. Die folgende Finalkadenz (auf C) wird mit virtuosen Figurationen ausgeschmückt.

Der einleitende Satz der Sonata seconda a 3 per due violini e basso (in C, Beispiel 4) entspricht vom Aufbau her bereits einem bestimmten Präludien-Typus bei Corelli. Ein kadenziell beschlossener erster Abschnitt im homophonen Satz (T. 1–7) wiederholt sich im Abstand der Oberquinte (T. 8–14). Im letzten Abschnitt (T. 15–24) wird das starre Wiederholungsprinzip aufgebrochen, und es erfolgt die Rückwendung zur Ausgangstonart.

Abbildung

Beispiel 4: Biagio Marini, Sonata Seconda a 3 per due Violini in C, T. 1–10.

Die beiden in mollaren Modi stehenden Sonaten aus op. 22, die entsprechend mit der Transposition einer ersten Phrase anheben, wirken mit ihrem einstimmigen Beginn zunächst fugenartig. Die vermeintlichen Fugen-Soggetti kehren jedoch im weiteren Verlauf nicht wieder, sondern geben den Anstoß zu dynamischen Entwicklungsprozessen, die erst mit der Schlußkadenz zur Ruhe kommen. So wird bei der Sonata Quarta a 4 (Beispiel 5) aus dem ›Soggetto‹[21] eine Achtelfiguration (Solo, T. 8–10) abgeleitet. Diese impliziert eine Quintfallstruktur, die ihrerseits die Richtung des ›harmonischen‹ Verlaufs vorgibt: Die Takte 8–18 leiten über einen (zwischenzeitlich unterbrochenen) Quintfall der Baß-Fundamente (E-A-D-G-C-F-B) von a-Moll nach F-Dur.

Die quantitative Relation zwischen einer Eröffnung und dem Gesamtumfang eines ersten Satzes differiert von Werk zu Werk. In der Sonata quarta folgt den acht Eröffnungstakten eine Fortsetzung von 21 Takten. Bei der Sonata a 2 per violino o cornetto e basso nimmt die Eröffnung ganze 24 von insgesamt 33 Takten des ersten Satzes in Anspruch. Hier bildet die Transposition des Anfangs die formale Grundlage für eine zunehmende Entfaltung von Figurationen und kontrapunktischer Arbeit.[22] Der wiederum soggettoartige einstimmige Beginn (Beispiel 5) verbindet formelhafte Elemente – die Diskantklausel zu Beginn, die phrygische Tenor-(Mi-)Klausel am Ende – mit dem ausdrucksstarken Gestus einer vermittels der Tredezimendistanz noch intensivierten ›Exclamatio‹.

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Beispiel 5: Biagio Marini, Sonata Quarta a 4 per due violini, viola o trombone e basso in a (aus op. 22), T. 1–10. Biagio Marini, Sonata a 2 per violino o cornetto e basso in d (aus op. 22), T. 1–14.

Maurizio Cazzati (um 1620–1677) wirkte von 1657 bis 1673 als Kapellmeister an San Petronio in Bologna und zählt als Komponist von Triosonaten – in Abgrenzung von spezifisch lokalen Richtungen – zu den Repräsentanten einer »zentralen Entwicklung«[23] und somit zu den Wegbereitern der Richtung Corellis. Bei ihm erscheint die Eröffnung präludienartiger langsamer Sätze mit der Transposition einer einleitenden Phrase bereits als ein standardisierter Topos. Klassisch schlicht ist der Beginn der Sonata a 4 La Malvasia[24] gehalten. Entsprechend routiniert erfolgt bei der in Moll stehenden einleitenden Sinfonia (a 3) der Messa op. 24[25] die Versetzung der Initial-Phrase in die Oberquinte.

Abbildung

Beispiel 6: Maurizio Cazzati, La Malvasia, a 4: due Violini, Alto e Basso in A, op. 35, T. 1–6.
Maurizio Cazzati, Messa op. 24, Sinfonia in d, T. 1–4.

Ganz anders der Beginn der Sonata Settima, La Rossella aus op. 18 (Beispiel 7).[26] Ähnlich wie in op. 24 schließt die eröffnende Moll-Phrase (T. 1–3) mit dem phrygischen Halbschluß. Hingegen präsentiert die zweite, ebenfalls dreitaktige Phrase (T. 4–6) nicht die Oberquint-, sondern die Paralleltonart. Statt einer Transposition handelt es sich um eine sehr freie Variante des konventionellen Anfangs. Gleichwohl ist die Korrespondenz – schon mit dem Ansatz in der Quintlage – unmißverständlich. Die ungewöhnliche Expressivität der kontrastierenden Durphrase entsteht durch die Dehnung ihrer Subdominante in Takt 5. Die Führung der Violinstimmen in Terzparallelen trägt zur gesteigerten Wirkung der Nonen- und Septimendurchgänge ebenso bei wie die Wiederholung dieser Wendung. Die höhere Lage in allen drei Stimmen unterstützt den Eindruck einer Aufhellung. Dieser Dur-Stelle tritt mit der abschließenden Phrase (T. 7–10) erneut die Moll-Grundtonart kontrastierend gegenüber. Ausdrucksintensiv wird der Übergang zur Ausgangstonart durch einen ›Saltus duriusculus‹ im Baß (es-H) vermittelt. Nur der Espressivo-Takt erscheint transponiert (T. 8). Nicht zuletzt aufgrund der tiefen Lage des Basses wirkt er herb und düster.

Mit denselben Mitteln – Terzparallelen, Durchgangsbildung, Quartsextvorhalt, Lagendramaturgie – präsentiert Cazzati auch im zweiten langsamen Satz dieser Sonate (Grave) die parallele Durtonart merklich intensiviert gegenüber dem konventionellen Beginn mit der Moll-Kadenz. Antizipiert wird diese Es-Dur-Stelle des Grave(T. 68–70) bereits im vorausgegangenen schnellen Satz (3/8-Takt, T. 37–40). Und der Schluß des Werks (Presto, T. 81ff.) nimmt – gleichsam als Zitat – die Espressivo-Kadenz des Beginns (T. 8–10) wieder auf.

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Beispiel 7: Maurizio Cazzati, Sonata Settima, La Rossella in c, op. 18, T. 1–10.

Als weiteres Beispiel einer norditalienischen Moll-Triosonate, die mit einem auf besondere Weise gestalteten Kontrast zwischen Moll und Dur beginnt, sei Bononcinis Sonata op. 1, 6 (Beispiel 8)[27] genannt. Gegenüber der schlicht gehaltenen Initialphrase in d-Moll (T. 1–4) hebt sich auffällig deren F-Dur-Variante ab, die sich mit Nonen- und Septimenvorhalten sowie einem wiederum per Vorhalt erreichten kadenzierenden Quartsextakkord über sieben Takte (T. 5–11) erstreckt. Ein Kadenzabschluß wird bis zum Satzende (T. 28f.) umgangen. Ähnlich wie bei Cazzati begegnet die expressive Partie an anderer Stelle (variiert) wieder: zunächst noch im ersten Satz (T. 18–22), ferner im langsamen Binnensatz (Grave, T. 106ff.). Auch der Anfang dieses Grave ist dem Beginn der Sonate nachgebildet.

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Beispiel 8: Giovanni Maria Bononcini, Sonata in d, op. 1,6.

Die Hauptvertreter der römischen Triosonate verzichten bei den langsamen Eröffnungen von Moll-Werken weitgehend auf den ausdrucksstarken Dur-Moll-Kontrast, wie er sich bei zeitgenössischen norditalienischen Komponisten findet. In den Dur-›Sinfonien‹ Stradellas zählt die Oberquinttransposition einer Initialphrase zu den Standarderöffnungen.[28] Bei der einzigen seiner Moll-Triosonaten (Sinfonia a tre, McC 21, Beispiel 9), die mit dem Modell der Phrasenwiederholung beginnt, erfolgt die Versetzung allerdings in die Dur-Parallele. Die Phrasen schließen nicht kadenzierend, so daß eher von einer Sequenz – einem modifizierten steigenden Parallelismus – zu reden wäre. Im Unterschied zu den Beispielen von Cazzati und Bononcini fehlt die expressive Variantenbildung bei der Wendung nach Dur.

In den zwei Moll-Sonaten für eine Violine und B. c. (McC 5 und 11), die mit einer Phrasenwiederholung beginnen, erfolgt die Transposition – wie in den Dur-Stücken – in der Oberquinte. In beiden Fällen handelt es sich freilich nicht, wie üblich, um primär akkordisch konzipierte Incipes. Vielmehr erscheinen die ›Initialphrasen‹ als motivisch profilierte Soggetti, die eine kontrapunktische Bearbeitung erwarten lassen. Entfiele jeweils der Kontrapunkt des Continuo zu Beginn, stellte sich die Assoziation ›Fuge‹ noch zwingender ein. Das Auftreten der vermeintlichen Soggetti beschränkt sich jedoch in beiden Fällen strikt auf den Beginn, an den sich eine freie Entwicklung zum Satzende hin anschließt. Somit sind auch diese Stücke eindeutig dem hier beschriebenen Präludientypus zuzuordnen.

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Beispiel 9: Alessandro Stradella, Sinfonia für 2 Violinen und B.c. in a, McC 21, T. 1–5. Alessandro Stradella, Sinfonia für Violine und B.c. in a, McC 11, T. 1–5.

Carlo Ambrogio Lonati arbeitet in seinen Moll-Triosonaten A6 und A7 ebenfalls mit dem Verfahren der Oberquinttransposition. Beide Eröffnungssätze sind in der üblichen schlichten, akkordisch geprägten Satzart gehalten. Im weiteren Satzverlauf kommt es jeweils zu einer Ausweichung in die III. Stufe und damit zu einer Aufhellung, die für die kontrapunktisch ambitionierten Instrumentalwerke des eng mit Lonati befreundeten Stradella atypisch wäre. Zu Beginn der Simfonia a-Moll (A7) integriert Lonati die Paralleltonart, indem er die übliche Eröffnung mit der Phrasentransposition (T. 1–8) zu einer dreiteiligen (A-B-A) Binnenstruktur ergänzt: A: T. 1–4; B: T. 5–8; Rückmodulation: T. 9/10; A': T. 10–14.

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Beispiel 10: Carlo Ambrogio Lonati, Simfonia für 2 Violinen und B.c. in a, A7, T. 1–14.

Corelli folgt also einem Usus der römischen Sonate[29], wenn er drei der sechs Moll-Triosonaten in op. 1 mit einer Transposition in die Oberquinte beginnen läßt. Mit der schlichten Gestaltung der Anfangsphrasen, besonders bei op. 1,11, knüpft er an die ›zentrale‹, unter anderem durch Cazzati vertretene Entwicklung der Gattung an. Die wichtigste verwandte Tonart in Moll ist für den frühen Corelli offenkundig die der V. Stufe. In zahlreichen schnellen Sätzen der ›da-chiesa‹-Sonaten – vgl. Beispiel 12 – bildet der Wechsel beider Molltonarten (I. und V. Stufe) eine Grundkomponente des klanglichen Gesamteindrucks. Dies verstärkt den Fugencharakter der kontrapunktisch durchwirkten Stücke, auch wenn die Beantwortung oft inkorrekt real erfolgt. (Übrigens beachten die Triosonaten-Komponisten vor Corelli gewöhnlich die ›Consociatio modorum‹[30] recht genau.)

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Beispiel 11: Arcangelo Corelli, Sonata d-Moll, op. 1,11, Grave (1. Satz), T. 1–6.

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Beispiel 12: Arcangelo Corelli, Sonata e-Moll, op. 1,2, Allegro (4. Satz), T. 1–10.

Schon in op. 1 arbeitet Corelli auch mit dem Moll-Dur-Kontrast und sieht dafür einen bestimmten formalen Ort vor: langsame Binnensätze in Dur-Sonaten. Hier sind die wiederholten Phrasen insgesamt schlichter gehalten als bei den entsprechend gestalteten Anfängen von Moll-Sonaten. Eine eigentliche Moll-Dur-Transposition stellt allein der Beginn des Adagio aus op. 1,3 dar. In den drei anderen Fällen[31] bestehen eindeutige Korrespondenzen zwischen der Dur- und der vorausgehenden Moll-Phrase.

Die (mit einer Ausnahme) nach dem Schema eines Suitensatzes konstruierten Moll-Präludien der da-camera-Sonaten op. 2 weisen für den hier untersuchten Kontext kaum relevante Fälle auf.[32] Auch in op. 3 sind solche viel seltener als in op. 1. Lediglich ein Binnensatz einer Dur-Sonate (op. 3, 8, zweites Largo) beginnt mit der Moll-Dur-Transposition und ein Anfangssatz einer Moll-Sonate (op. 3,7) mit der Oberquintversetzung einer Phrase. Dieses Exordium (Beispiel 13) gelangt allerdings mit einer vierfachen (!) Exclamatio und kanonischer Führung der Violinstimmen zu einer bemerkenswerten Individualisierung des alten Eröffnungsmodells (Moll-Beginn, Wendung zum phrygischen Halbschluß). Zum letzten Mal wiederholt Corelli hier die Anfangsphrase eines Moll-Werks im Abstand der Oberquinte.

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Beispiel 13: Arcangelo Corelli, Sonata e-Moll op. 3,7, Preludio, T. 1–10.

In op. 3,4 setzt Corelli den Moll-Dur-Kontrast erstmals im langsamen Eröffnungssatz eines Moll-Werks ein. Bei drei der fünf Moll-Sonaten in op. 4 verfährt er ebenso, in op. 6 bei einem von zwei Moll-Concerti.[33] In all diesen Fällen endet die Moll-Phrase mit dem phrygischen Halbschluß. Bei op. 3,4 folgt eine getreue Übertragung in die Dur-Parallele, so daß die zweite Phrase (T. 3–6) auf der Dominante dieser Tonart schließt.[34] Dagegen endet bei den entsprechenden Fällen aus Op. 4 die Dur-Phrase jeweils ganzschlüssig in der Paralleltonart. Die Übertragung von Moll nach Dur bedarf somit einer Modifikation. Diese wird zumindest in zwei der drei Fälle so gestaltet, daß die Durvariante die Molleröffnung überbietet. Dabei bedient sich Corelli – wenn auch weniger augenfällig – im Prinzip ähnlicher Mittel wie etwa Cazzati bei La Rossella. So ergeben sich allein aufgrund der Oberterz-Versetzung ausgesprochen hohe Akkordlagen.[35] (Eine Moll-Dur-Transposition in die untere Sexte wäre dagegen semantisch abwegig, wiewohl satztechnisch möglich.) In op. 4,2 ersetzen bei der Dur-Variante (Preludio, T. 7–11) steigende Linien (T. 9f.) die Fortsetzung der abwärts verlaufenden Sequenzmechanik (2–3-Syncopatio-Kette). Dadurch wird nicht bloß ein Kadenzabschluß in höherer Lage erreicht, sondern auch eine merkliche Belebung des Rhythmus und der Motivbildung. Andere Mittel der Intensivierung der Dur-Phrase sind die Bildung zusätzlicher ausdrucksstarker Dissonanzen (so die Nonenvorhalte in op. 4,2, T. 9 und in op. 4,5, T. 8), die Einbeziehung des (noch) ›modernen‹ Quartsextvorhalts in die Kadenz (op. 4,5, T. 9) sowie die Ausdehnung der Dur-Phrase, die in op. 4,5 fünf statt (wie die Mollphrase) vier Takte umfaßt.

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Beispiel 14: Arcangelo Corelli, Sonata a-Moll, op. 4,5, Preludio, T. 1–10.

Die Verwendung der Moll-Dur-Transposition am Beginn einer Komposition ist ein spezieller Aspekt des konzeptionellen Wandels bei Corellis Behandlung der Moll-Tonart. Dieser geht einher mit der zunehmenden Verwendung nicht nur der gebräuchlichen fallenden, sondern auch steigender Sequenzen, insbesondere des ›Moll-Dur-Parallelismus‹.[36] So spielt in Corellis nach op. 4 publizierten ›da-chiesa‹-Werken – die Rede ist von den Concerti grossi Nr. 1–8[37] – Fugentechnik allgemein eine geringere Rolle als in den Triosonaten op. 1 und 3, dagegen das Auf- und Abwärts-Sequenzieren, neben und in Verbindung mit virtuosen Spielfiguren, eine deutlich größere. Namentlich die schnellen Sätze in Corellis berühmtester Mollkomposition, dem Concerto »fatto per la notte di natale«,op. 6,8, sind wesentlich durch das Sequenzprinzip geprägt. Zugleich ist der Moll-Dur-Gegensatz ein grundlegendes Kennzeichen der Harmonik dieses Werks, das nicht ein einziges Fugato enthält.

Auch wenn der spätere Corelli den Ausdrucksgegensatz von Moll und Dur schätzt, zieht er dennoch nicht die Konsequenz einer formalen Aufwertung der III. Stufe in Moll zur wichtigsten Kadenzstufe nach der Tonika. Dies zeigt sich bei suitenartigen Sätzen an der wichtigsten Binnenzäsur: dem Abschluß des ersten Wiederholungsteils. An dieser Position stehen Corelli in Moll-Sätzen die beiden Möglichkeiten der Ausweichung in die Tonart der V. Stufe und des (meist phrygischen) Halbschlusses zur Verfügung. Viel seltener als in Dur-Sätzen ist der tonikale Ganzschluß.[38] Nur in einem einzigen Fall, der Corrente op. 4,5, findet sich eine Wendung in die parallele Durtonart.

Die Aufwertung des Übergangs nach Dur zur eigentlichen Standard-Ausweichung in Mollstücken blieb der Ära der Wiener Klassik (Beethoven ausgenommen) vorbehalten, während im Spätbarock diese Ausweichung immerhin als eine Alternative gegenüber der Wendung in die Oberquinttonart in Betracht kommt.[39] Bezeichnend für Moll-Sätze in Sonatenform bei Haydn und Mozart ist die charakteristische Gestaltung des Moll-Dur-Gegensatzes[40], die nicht zuletzt auch Tendenzen zur Überwindung der strengen Einheitlichkeit des Affekts und zur Ausbildung eines ›Themendualismus‹ entgegenkommt. Dagegen dürften Protagonisten einer antiklassisch gestimmten Musikästhetik im 19. Jahrhundert kaum die dialektische Pointe – den Rückbezug auf historisch Früheres – im Blick gehabt haben, wenn sie – wie der ›Beethovener‹ Herrmann Hirschbach – anstelle des Moll-Dur-Kontrasts eine Beschränkung auf das tiefgründige Moll propagierten. »Ich denke, man schrieb ’mal endlich, wo es sein muß, einen ersten Satz ganz in Moll; ja ein ganzes Concert, ein ganzes Quartett in Moll, mit einem einigen Gefühle. Das ist Tondichtkunst zum Unterschiede von Composition – Zusammensetzung.«[41]

Anmerkungen

1

Grundzüge der theoretischen Diskussion über Kadenzstufen und Tonartenverwandtschaft im 17./18. Jahrhundert sind dargestellt bei Daniel 2000, 201–204.

2

Corelli lebte seit etwa 1670 in Bologna, dann (spätestens ab Anfang 1675) in Rom.

3

Giovanni Maria Bononcini: Sonate da Chiesa a due Violini op. 6, Venedig 1672, in: Klenz 1959/62, Supplement 176ff.

4

Daß bei Kadenzen zur V. Stufe der Schlußakkord oft in Dur gebildet wird, entspricht dem Usus der Zeit und ändert natürlich nichts an der Geltung als eine Mollkadenz. (Von einer Dur-Kadenz läßt sich nur reden, wenn auch der Abschnitt, den sie beschließt, in der entsprechenden Durtonart steht. Bei einer Moll-Kadenz mit sogenannter ›picardischer‹ Durterz [vgl. Beispiel 7, T. 10] ist der Kontext, insbesondere die Subdominantregion, in Moll gehalten.)

5

Giovanni Maria Bononcini: Primi frutti del giardino musicale a due Violini op. 1, Venedig 1666, in: Klenz 1959/62, Supplement 1ff.

6

Klenz 1959/62, Supplement 63ff.

7

Stradellas Werke werden nach folgender Ausgabe zitiert: Alessandro Stradella, Instrumental Music, hg. von Eleanor F. McCrickard (Concentus Musicus 5), Köln: Arno Volk Verlag – Hans Gerig KG 1980.

8

Während allgemein die Binnensätze der ›freien Sonaten‹ aus dieser Epoche den Bereich der Grundtonart nicht entscheidend verlassen, ist genau dies bei dem ersten (langsamen) Abschnitt des dritten Satzes aus Stradellas Sinfonia McC 17 der Fall. Zunächst werden die Quintregionen ober-, sodann diejenigen unterhalb des Haupttons konsequent ausgelotet, ohne daß es zur Befestigung einer bestimmten Tonart käme: g-Moll (Takt 1–4); c-Moll (T. 5–8); Es-Dur (T. 9 f.); B-Dur (T. 11f.); f-Moll (T. 13f.); c-Moll (T. 15-19). Da einzelne Ausweichungen stets nur vorübergehende Bedeutung haben und formbildende Kadenzen fehlen, findet dieses Stück keine Berücksichtigung in der Tabelle.

9

Lelio Colista: Triosonate A-Dur, hg. von Helene Wessely-Kropik, Kassel u.a.: Bärenreiter, 1960; Sonata terza, hg. von Helene Kropik, Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1952.

10

Lonatis Werke werden nach folgender Ausgabe zitiert: Carlo Ambrogio Lonati, Simfonie a tre, hg. von Peter Allsop, Crediton/Devon: New Orpheus Editions, Bd. 1, 1990, Bd. 3, 1988.

11

Die Hauptquelle für Lonatis Triosonaten datiert Peter Allsop um das Jahr 1680 (vgl. Allsop, Vorwort zu Carlo Ambrogio Lonati: Simfonie a tre).

12

Dieser Hochton wird im toccatenartigen letzten Satz durch g3 noch überboten. Allsop zählt dieses Werk zu den technisch anspruchsvollsten Triosonaten des 17. Jahrhunderts (1992, 204).

13

Arcangelo Corelli: Sonata C-Dur op. 3,8, erstes Allegro, T. 32f., zweites Allegro, T. 24f.

14

Der Modulationsverlauf eines Dur-Suitensatzes in op. 2 läßt sich also wie folgt skizzieren: ||: I      V :||:   VI   I :|| Abweichungen von dieser Norm betreffen deutlich öfter den Abschluß des ersten Wiederholungsteils als den Verlauf des zweiten Teils, womit sich einmal mehr die Bedeutung der Paralleltonart als essentielle Kadenzstufe erweist. In den beiden Fällen, wo die VI. Stufe im zweiten Teil ausbleibt, schließt der erste im Grundton. Die dort ›fehlende‹ Dominanttonart erscheint in der Corrente op. 2,10, gleichsam nachträglich im zweiten Teil (T. 24f.). Im Finalsatz aus op. 2,5 (Tempo di Gavotta) ersetzt eine Kadenz zur II. (T. 20) die Wendung zur VI. Stufe. Ferner wird in den beiden Tanzsätzen aus op. 2,11, wo der erste Teil ebenfalls jeweils in der Grundtonart endet, im zweiten zunächst die VI. und dann die V. Stufe ankadenziert. In der Allemanda op. 2,7 – auch hier schließt der erste Teil im Hauptton – wird die deutlich eingeleitete Kadenz zur Paralleltonart gemieden (T. 19f.).

15

Den Terminus ›da chiesa‹ hat Corelli selbst nie verwendet. Die geläufige Unterscheidung der beiden Sonatenkategorien geht auf Sébastian de Brossard (Dictionnaire de musique, Paris 1701) zurück, der sich freilich auf das Modell des Corellischen Œuvres beruft (vgl. Allsop 1998, 87). Problematisch ist der Terminus ›da chiesa‹ insofern, als er einen hauptsächlich kirchlichen Gebrauch der so bezeichneten Stücke suggeriert. Von einer primär kirchlichen Verwendung ist jedoch bei italienischer Instrumentalmusik des 17. Jahrhunderts in der Regel nur dann auszugehen, wenn sie in Sammlungen von geistlicher Vokalmusik enthalten ist. Die zahlreicheren Instrumentalwerke in speziellen Sammlungen sind dagegen gewöhnlich sowohl für die weltlich-aristokratische als auch für die kirchliche Sphäre bestimmt (vgl. Allsop 2002, 237–247).

16

Während in Corellis op. 2 die Vielfalt an möglichen Zieltonarten von Modulationen merklich eingeschränkt ist, bietet im Sonatensatz des späteren 18. Jahrhunderts der Beginn des zweiten Wiederholungsteils (die Durchführung) Raum für Ausweichungen auch in entfernte harmonische Regionen.

17

Riepel 1996, 199, beschreibt 1755 die Modulationsordnung mit einer Ausweichung zur III. Stufe (»C-G-E-C«) als »fugenmässig« und demgegenüber »C-G-A-C« als »concertmässig«. Die fugenmäßige Ordnung ist in anderen Gattungen offenbar nicht mehr in Gebrauch: »Allein unter 100 Simpfonien wirst du kaum eine so mit der Terz sehen. Auch wirst du eher 40 Concerten und Violin-Solo mit der Sext als eines mit der Terz hören.«

18

Marinis op. 22 (Diversi generi di Sonate, da Chiesa, e da Camera, A Due, Trè, & à quattro) beginnt mit Tanzsätzen: zwei suitenartigen und zwei einsätzigen Balletti sowie zweimal vier Tänzen gleichen Typs (Sarabanden, Correnten). Es folgen sechs kurze, nach Modi geordnete Sinfonien, sodann sechs mehrsätzige Sonaten (a 2, a 3, a 4). Den Abschluß bildet ein Passacaglio a 4.

19

Vgl. Koch 1787, 453ff.

20

Bernhard 31999, 121f. Ein anderer zeitgenössischer Terminus, der eine konsequent fortgesetzte Fugenimitation im Quint- bzw. Quartabstand bezeichnet, ist ›fuga per tonos‹ (vgl. Schäfertöns 1998, 117, Anm. 268).

21

Zunächst seltsam offen ist der Abschluß dieses Soggettos gehalten. Spätestens in Takt 8 wird deutlich, daß es sich um eine ›geflohene‹ Tenorklausel handelt, die also in Takt 9 auf a bzw. in Takt 5 auf d enden müßte.

22

Vgl. Biagio Marini, Per ogni sorte di strumento musicale. Libro Terzo – Opera XXII, hg. von Ottavio Beretta, Mailand 1996 (= »Monumenti musicali italiani« 19), 45ff. Der Satz zeigt folgenden Aufbau: A (a [Baß, T. 1–5] – b [T. 6–8] – a [Violino Primo, T. 8–12]); A' (a [Baß, T. 12–17] – b [T. 17–20] – a [20–24]); B (T. 24–33).

23

Vgl. Allsop 1992, 126.

24

Maurizio Cazzati: Suonate (12) a 2, 3, 4 e 5 con alcune per Tromba, op. 35, Antwerpen 1677, in: Klenz 1959/62, Supplement 285.

25

Maurizio Cazzati: Messa e salmi op. 24, Bologna 1660, in: Klenz: 1959/62, Supplement 272ff.
Die Instrumentalbesetzung dieser Messe ist auf zwei Violinen und B.c. beschränkt. Die Sinfonia wäre ebenso geeignet als Eröffnungssatz einer rein instrumentalen Sonate und kann deshalb hier berücksichtigt werden. Bei manchen der als ›Sinfonia‹ bezeichneten zeitgenössischen Kammermusikwerke, so bei einigen der in diesem Beitrag erwähnten Sinfonien Alessandro Stradellas, ist davon auszugehen, daß sie als Einleitungsmusik in Verbindung mit geistlichen Vokalwerken aufgeführt wurden.

26

Maurizio Cazzati: Suonate a 2 Violiniop. 18, Bologna 1651, in: Klenz 1959/62, Supplement 268ff.

27

Klenz 1959/62, Supplement 38ff.

28

Vgl. die Sinfonien a 2 (›Violinsonaten‹) McC 1, 6, 7, 9, die Sinfonien a 3 McC 13, 14, 16, 19 (variierte Transposition) und 18 (Oberquarttransposition).

29

Vgl. die Anfänge von op. 1,2; op. 1,8; op. 1,11.

30

Bernhard 31999, 98ff., versteht unter der »consociatio modorum« die Beantwortung von authentischen Soggetti durch plagale und umgekehrt von plagalen Soggetti durch authentische. Die daraus resultierenden Intervallabweichungen zwischen Guida und Conseguente entsprechen weitgehend, aber nicht vollständig den aus der spätbarocken Fugentechnik bekannten Beantwortungsregeln (Grundton-Quinttonaustausch).

31

Vgl. die Anfänge von op. 1,7, Grave (2. Satz); op. 1,9, Adagio (3. Satz); op. 1,12, Grave (3. Satz). Einen besonderen Fall stellt die Sonata g-Moll op. 1,10 dar. Hier beginnen beide langsamen Sätze mit einer eröffnenden Moll- und einer korrespondierenden Durphrase, die sich aber jeweils merklich voneinander unterscheiden. Im Grave (1. Satz) umfaßt die Mollphrase fünf, die in Dur nur drei Takte (T. 6–8). Corelli arbeitet mit dem dreifachen Kontrapunkt: Der Vl. 1 in T. 1 (Agens) entspricht in T. 6 der Baß; der Vl. 2 (Patiens) die Vl. 1; dem Baß (Untersexte zur Agensstimme) die Vl. 2 (Oberterz zur Agensstimme). Im Adagio (3. Satz) sind beide Phrasen je sechs Takte lang. Doch nur die jeweils vier letzten Takte stehen im analogen Verhältnis.

32

Im nicht suitensatzartig aufgebauten Preludio op. 2,8 liegt zwar keine Transposition, aber doch eine Korrespondenz der Anfangsphrasen vor: T. 1–4, h-Moll; T. 5–9, D-Dur.

33

Vgl. op. 4,2; op. 4,5; op. 4,11; op. 6,3.

34

Durch die Einschaltung einer Baßklausel entsteht eine Ausweichung in die Tonart der Zwischendominante anstatt einer halbschlüssigen Wendung zur Durparallele. Im Concerto grosso op. 6,3, wo ebenfalls eine getreue Moll-Dur-Transposition erfolgt, wird die entsprechende Kadenz (T. 4), analog zur Mi-Kadenz (T. 2), tenorisierend gebildet.

35

Vgl. op. 4,11, T. 6f. und op. 4,5, T. 6f.

36

Sequenzierende Skalenmodelle des 16. und 17. Jahrhunderts – besonders greifbar in den Lied- und Tanztypen der Romanesca, des Passamezzo antico und der Folia – faßt Dahlhaus 1968, 92ff., unter dem Terminus ›Dur-Moll-Parallelismus‹ zusammen. Dieser beschreibt einmal das Phänomen der Sequenz rhetorisch (als Parallelismus membrorum), zum anderen verweist er auf den mit diesem speziellen Sequenztyp verbundenen regelmäßigen Wechsel von Dur- und Molltonarten. Dahlhaus weist aber nach, daß diese Modelle im 16. und frühen 17. Jahrhundert noch als Intervall-, nicht als Akkordprogressionen und erst recht nicht im Sinne eines funktionalen Denkens aufgefaßt wurden. So ist – vgl. ebd., 93f. – anstatt des Moll-Dur-Parallelismus D-g – F-B bei Monteverdi eine Variante D-G – F-B möglich, die sich nicht im Sinne einer Folge von Paralleltonarten (G-Dur – B-Dur) deuten läßt. Erst im späteren 17. Jahrhundert verbinden sich diese Modelle fest mit der Auffassung einer Polarität von Dur und Moll. Die zunehmend häufigere Verwendung von Parallelismen in Corellis späteren Opera ist durchaus im Zusammenhang mit der Fixierung dieses Denkens zu sehen. Grundsätzlich zum Parallelismus vgl. Fladt 2005, 347ff.; zu Corellis Gebrauch des Modells vgl. Edler (in Vorbereitung), Abschnitt III. »Der steigende Parallelismus«.

37

Die Violinsonaten op. 5 enthalten, bedingt durch die Besetzung, einen verhältnismäßig geringen Anteil an Fugenelementen.

38

Vgl. op. 4,12, Allemanda.

39

So sind es in den Moll-Suiten J. S. Bachs am häufigsten die Sarabanden, deren erster Teil nach Dur ausweicht (BWV 807, 813, 814, 826, 827, 1008, 1011), ferner eingeschobene Sätze wie Menuett (BWV 813, 814), Bourrée (BWV 1002, 1067), Gavotte (BWV 808, 814, 830, 831), Scherzo (BWV 827), Air (BWV 813) und Polonaise (BWV 1067). Bei den gewichtigen Kernsätzen einer Bachschen Suite (Allemande, Courante, Gigue) ist in Moll die Oberquintmodulation die Norm. Ausnahmen mit Dur-Ausweichungen sind die Courante aus BWV 807 sowie die Giguen aus BWV 807 und BWV 1011.
Im Prinzip erscheinen hier dieselben tonartlichen Dispositionen in unterschiedlichem formalen Design, indem jeweils die am Ende des ersten Wiederholungsteils fehlende essentielle Kadenzstufe entweder im zweiten Teil nachgereicht oder (bei ausgedehnten Sätzen) im ersten Teil vorgeordnet wird.

40

Unter Joseph Haydns in Moll stehenden Symphonien, Streichquartetten, Klaviersonaten und -trios findet sich lediglich ein einziger Fall, wo die Exposition des Kopfsatzes (in Sonatenform) in die Oberquinttonart moduliert: die Sinfonie Hob 1: 45 (Abschiedssinfonie fis-Moll).

41

Hirschbach 1840, 120.

Literatur

Allsop, Peter (1992), The Italian ›Trio‹ Sonata. From its Origin until Corelli, Oxford: Clarendon Press.

Allsop, Peter (1998), »Da camera e da ballo – alla francese et all’italiana«, Early Music 26, 87–96.

Allsop, Peter (2002), »The Italian Trio Sonata and the Concept of the ›Churchly‹«, in: Barocco padano 1. Atti del IX Convegno internazionale sulla musica sacra nei secoli XVII-XVIII. Brescia, 13–15 Iuglio 1999, Como: A.M.I.S. (Antiquae Musicae Italicae Studiosi).

Bernhard, Christoph (31999), »Tractatus compositionis augmentatus«, in: Die Kompositionslehre Heinrich Schützens in der Fassung seines Schülers Christoph Bernhard, hg. von Joseph Müller-Blattau, Kassel u. a.: Bärenreiter.

Dahlhaus, Carl (1968), Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität, Kassel u.a.: Bärenreiter.

Daniel, Thomas (2000), Der Choralsatz bei Bach und seinen Zeitgenossen. Eine historische Satzlehre, Köln-Rheinkassel: Dohr.

Edler, Florian (in Vorbereitung), »Zur Entwicklung der Sequenztechnik bei Arcangelo Corelli«, in: Bericht über den 4. Kongress der Gesellschaft für Musiktheorie Köln 2004.

Fladt, Hartmut (2005), »Modell und Topos im musiktheoretischen Diskurs. Systematiken/Anregungen«, Musiktheorie 20, 343–369.

Hirschbach, Herrmann (1840), »Antiphiliströses«, in: Neue Zeitschrift für Musik 13, 119f.

Klenz, William (1959/62), Giovanni Maria Bononcini of Modena. A chapter in Baroque Instrumental Music, Duke University Press, 2. Aufl. Westport/Connecticut: Greenwood Press 1987.

Koch, Heinrich Christoph (1787), Versuch einer Anleitung zur Composition. Zweyter Theil, Leipzig: Adam Friedrich Böhme, Reprint Hildesheim: Olms 2000.

Riepel, Joseph (1996), Grundregeln zur Tonordnung insgemein (Gesammelte Schriften 1), Wien / Köln / Weimar: Böhlau.

Schäfertöns, Reinhard (1998), Die Fuge in der norddeutschen Orgelmusik. Beiträge zur Geschichte einer Satztechnik, Frankfurt a. M.: Peter Lang.

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