Deisinger, Marko (2021), »›Schließlich waren alle Genies der Kunst immerhin doch Männer …‹. Zum Geniebegriff bei Heinrich Schenker« ["All the geniuses in art were men ...": Heinrich Schenker's Concept of Genius], Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 18/1, 9–33. https://doi.org/10.31751/1104
eingereicht / submitted: 12/08/2020
angenommen / accepted: 29/10/2020
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 28/06/2021
zuletzt geändert / last updated: 12/07/2021

»Schließlich waren alle Genies der Kunst immerhin doch Männer …«

Zum Geniebegriff bei Heinrich Schenker

Marko Deisinger

In seiner 1995 publizierten Dissertation zur ideengeschichtlichen Entwicklung von Schenkers Musiktheorie konnte Martin Eybl demonstrieren, dass das Konzept der Urlinie in enger Verbindung mit politischen Ideen entstand und im Kontext der politischen Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg eine paradigmatische Funktion einnahm. Für Schenker repräsentierte die durch Analyse offengelegte hierarchische Struktur des Tonsatzes ein Ordnungsgefüge, das ganz dem Ideal des von ihm in mehreren Schriften propagierten Herrschaftsmodells entsprach. Schenkers Weltbild war hierarchisch strukturiert, zugleich aber auch streng patriarchalisch. Angesichts der Tatsache, dass Schenker seine Theorie zu einer Zeit entwickelte, in der die alte bürgerliche Geschlechterordnung durch sich wandelnde Rollenbilder von Mann und Frau in Frage gestellt wurde, erscheint es plausibel, nicht nur einen Zusammenhang zwischen Urlinie und politischer Überzeugung, sondern auch einen Einfluss von Schenkers Geschlechterverständnis auf seine Theorie anzunehmen. Diese Annahme wird durch den ausschließlich männlich konnotierten Geniebegriff, der in Schenkers Theorie eine zentrale Rolle spielt, bekräftigt. Unter Heranziehung von diversen Quellen wie Schenkers Schriften oder Dokumenten aus seinem Nachlass möchte der Artikel dieser Annahme nachgehen und dabei die Frage behandeln, ob und inwieweit Schenker in seiner Lehre Strategien zur Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit verfolgte.

In his 1995 dissertation on the development on Heinrich Schenker’s music theory in relation to the history of ideas, Martin Eybl demonstrated that the concept of Urlinie developed in relation to political ideas and assumed a paradigmatic function in the context of political upheaval after World War I. In Schenker’s view, the hierarchical structure of tonal music revealed through analysis represents a structural order in perfect agreement with the ideals of the model of governance he had promoted in several of his writings. Schenker’s worldview was hierarchically structured, and at the same time also strictly patriarchic. Given that Schenker developed his theory at a time when the traditional bourgeois hierarchy of gender was being called into question by shifting roles for men and women, it seems reasonable to assume not only a relationship between his Urlinie and his political convictions, but rather also the influence of Schenker’s understanding of gender roles on his theory. This assumption is strengthened by the concept of the male genius, which plays a central role in Schenker’s theory. Drawing on various sources such as Schenker’s writings and documents from his literary estate, this article investigates this assumption, addressing the overall question whether and to what degree Schenker employed strategies to construct hegemonic masculinity in his theoretical discourse.

Schlagworte/Keywords: chauvinism; Chauvinismus; concept of genius; Fin de Siècle; Geniebegriff; hegemoniale Männlichkeit; hegemonic masculinity; Heinrich Schenker; Urlinie

Heinrich Schenker (1868–1935) ging als Theoretiker in die Geschichte der Musik ein. Seine Ambitionen lagen aber zunächst auf einem anderen Gebiet als dem der Musiktheorie. Kurz nach seinem Studium an der Wiener Universität trat Schenker als Pianist und Dirigent öffentlich in Erscheinung und versuchte, sich nicht zuletzt als Komponist einen Namen zu machen. In den 1890er Jahren erschienen mehrere seiner Kompositionen im Druck. Zudem schrieb er Rezensionen, Essays und kleinere Berichte für österreichische und deutsche Musik- und Kulturzeitschriften.

Unter dem Eindruck des gesellschaftlichen und kulturellen Wandels seiner Zeit wandte sich Schenker bald nach 1900 von seiner Tätigkeit als Komponist und Musiker ab und begann, als Herausgeber, Theoretiker und Privatlehrer zu wirken. Der konservativ und antimodernistisch eingestellte Schenker diagnostizierte einen allgemeinen Verfall der Musikkultur, dem er mit publizistischen und pädagogischen Mitteln entgegenwirken wollte. Er entwickelte ein außerordentlich starkes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den klassischen Meisterwerken und fühlte sich dazu berufen, jene Genialität, die er in diesen Werken wahrnahm, zu verkünden, um sie so vor dem Untergang zu retten.[1]

Am 24. November 1914 notierte Schenker in sein Tagebuch Folgendes über seinen Schüler Hans Weisse, der zugleich an der Wiener Universität bei Guido Adler studierte:

Weisse erzählt mir Dinge aus dem Seminar Adlers, speziell über dessen Analyse der 3. Leonoren-Ouvertüre, die ihm, wie er sagt, tiefe Schmerzen verursachen, beinahe mehr als die Verwüstungen des Krieges. Der Junge beginnt also am eigenen Körper dasjenige zu spüren, was mich s. Z. von der Kompositionstätigkeit abberief und in den Dienst der Rettungsmission gestellt hat.[2]

Im Laufe seiner ›Rettungsmission‹ publizierte Schenker eine Reihe von Urtext- und Erläuterungsausgaben musikalischer Werke des 18. und 19. Jahrhunderts, darunter vor allem Klavierwerke Beethovens. 1927 gründete der Schenker-Schüler Anthony van Hoboken auf Anregung seines Lehrers das Archiv für Photogramme musikalischer Meisterhandschriften in Wien, dessen Anliegen es war, die über die ganze Welt verstreuten Musikautographe namhafter Komponisten zwischen Bach und Brahms fotografisch zu erfassen, um sie so für Studien- und Editionszwecke der Allgemeinheit bequem an einem Ort zugänglich zu machen. Schenker erblickte in dem Archiv, in dessen Kuratorium er saß, ein Rettungswerk musikalischer Kultur und ein Bollwerk gegen die Moderne.[3]

Ebenso erschienen ihm seine musiktheoretischen Arbeiten als Teil der ›Rettungsmission‹, die er nach dem Ersten Weltkrieg forcierte:

War meinen Theorien (wie allen übrigen Arbeiten) zwar schon von vornherein der Stempel gleichsam eines Rettungswerkes aufgedrückt, sofern es galt, die Tonkunst gegen jahrhundertealte Irrtümer der Theorie und des Historismus zu schützen, so hat sich seither der Zwang umso mehr gesteigert, als der dazwischen liegende Weltkrieg alle Kräfte der Zerstörung entfesselt hat, die die Tonkunst im Abendlande gänzlich auslöschten. Es geht heute mehr darum, das Wesen der Musik späteren Zeiten zu überliefern, da nicht zu erwarten ist, daß schon die allernächsten sie wieder aufbauen könnten.[4]

Schenker entwickelte zu jener Zeit seine bis heute einflussreiche Theorie von der Struktur tonaler Musik, die er in seinem 1935 posthum erschienenen Freien Satz, dem letzten Teil seines mehrbändigen Hauptwerkes Neue musikalische Theorien und Phantasien (1906–1935), weit gereift darlegte.[5] Seine Theorie beruht auf der Annahme, dass sämtliche Klänge eines tonalen Musikstücks durch Unter- und Überordnung hierarchisch aufeinander bezogen sind und dass in diesen Stücken mehrere Schichten existieren, für die Schenker die Termini ›Vorder‹-, ›Mittel‹- und ›Hintergrund‹ wählte. Mit Hilfe einer von ihm begründeten Analysemethode sei es möglich, in der Tiefenstruktur organische Zusammenhänge offenzulegen, die nach Schenkers Ansicht das innere Wesen der Komposition ausmachen. Schenker prägte dafür die Begriffe ›Urlinie‹ und ›Ursatz‹. Während die Urlinie eine fallende Linie in der Oberstimme darstellt, besteht der Ursatz aus der Urlinie und dem dazugehörigen Bass, bei dem es sich um eine auf- und absteigende Bassbrechung handelt. Der Ursatz wirke im Hintergrund und könne in verschiedenster Weise ausgearbeitet sein.

In Schenkers Musikauffassung spielte der Geniegedanke eine zentrale Rolle. In der Literatur wurde darauf wiederholt hingewiesen; Autoren, die sich mit dieser Thematik bereits eingehend beschäftigt haben, sind Hellmut Federhofer und Matthew Arndt.[6] Der Glaube an das Genie durchdrang bei Schenker aber nicht nur dessen Auffassung von Musik. Er prägte auch entscheidend das politische Weltbild des stark an Politik interessierten Musiktheoretikers. Schenker zelebrierte zeitlebens einen prononcierten Geniekult, den er nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt mit seiner deutschnationalen Gesinnung verband und zudem öffentlich propagierte. Nicht zuletzt war der traditionell maskulin konnotierte Geniebegriff auch bei Schenker rein männlich konzipiert. Dies geht klar aus diversen Quellen hervor. Schenker war überzeugt, dass dem weiblichen Geschlecht Genies stets fehlen würden. Dieser chauvinistischen Einstellung geht der vorliegende Beitrag unter Berücksichtigung des sozialgeschichtlichen Kontextes auf den Grund. Dabei werden Schenkers Ansichten sowohl in den Geniediskurs als auch in die Geschlechterdebatte jener Zeit eingebettet und in ideengeschichtlicher Hinsicht kommentiert.

Um sich Schenkers ausschließlich männlich konzipiertem Geniebegriff nähern zu können, ist es notwendig, seine Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu beleuchten. Welchen Standpunkt nahm Schenker in dem damals öffentlich geführten Geschlechterdiskurs ein? Wie inszenierte er seine eigene geschlechtliche Identität? Wie verhielt er sich gegenüber dem anderen Geschlecht? Zur Klärung dieser Fragen stehen verschiedene Quellen wie Schenkers Schriften oder Dokumente aus seinem Nachlass zur Verfügung, die in der vorliegenden Studie gleichermaßen herangezogen werden. Zudem werden in die Diskussion rund um die Frage nach Schenkers Geschlechterbegriff bereits publizierte Beobachtungen und Erkenntnisse einbezogen, die sowohl aus der einschlägigen Schenker-Forschung als auch aus den musikbezogenen Gender Studies stammen.

Überdies stellt sich die spannende Frage, ob und inwieweit Schenkers Geschlechterbegriff in das Konzept der Urlinie einfloss. Martin Eybl konnte in seiner Arbeit zur geistesgeschichtlichen Entwicklung von Schenkers Theorie[7] veranschaulichen, dass das Konzept der Urlinie in Verbindung und Wechselwirkung mit politischen Überlegungen entstand und im Kontext des Politischen eine paradigmatische Funktion einnahm. In Anbetracht dessen, dass Schenkers Geschlechterverständnis zur Zeit der Entstehung seiner Theorie durch gesellschaftliche Umbrüche tief erschüttert wurde, erscheint es nicht abwegig, auch einen Zusammenhang zwischen Urlinie und Schenkers Geschlechterbegriff anzunehmen. Dieser Hypothese gilt es hier nachzugehen.

Grundlegendes zu Schenkers Geniebegriff

Schenkers Beschäftigung mit der Frage nach Genius und Genialität fiel in eine Epoche, in der der Begriff des Genies im allgemeinen Bildungsbewusstsein stark an Bedeutung gewann. Ausschlaggebend dafür war eine kurz vor 1900 in Literatur und Kunst aufkommende Renaissance des vom ›Sturm und Drang‹ geprägten Geniegedankens, dem die Anschauung von der Autonomie des schöpferischen Subjekts gegenüber der Realität zugrunde liegt. Diese aus dem 18. Jahrhundert stammende Vorstellung vom Genie hatte in der Geschichte des Geniediskurses lange Zeit eine vorherrschende Stellung inne. In der Weimarer Klassik und Romantik war ihr Einfluss gleichermaßen groß. Erst mit dem Aufkommen des Naturalismus blickte sie einem Niedergang entgegen. Die vom Naturalismus aufgestellte Forderung nach einer realistischen Darstellung der Welt ohne romantische Illusion oder Idealisierung war mit dem aus dem 18. Jahrhundert tradierten Geniegedanken unvereinbar. Die starke Realitätsorientierung der Naturalisten führte in vielen ihrer Werke zur Abbildung des Lebens in all seiner alltäglichen Durchschnittlichkeit, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts Gegenstand heftiger Kritik wurde und ein neues Bedürfnis nach dem von der Realität abgelösten Genie weckte. Die Folge war eine reaktionäre Wiederbelebung des Geniekults, der sich in einer immer mehr von der Masse bestimmten Zeit mit einem zunehmend autoritären Individualismus paarte. Damit einher ging eine romantisch-nostalgische Verklärung großer Einzelpersönlichkeiten aus der Vergangenheit. Wie sehr diese Verklärung damals in Mode war, zeigt beispielsweise die gewaltige Anzahl von Carl Bleibtreus Publikationen, in denen sich der ursprünglich im Naturalismus verhaftete Autor nun dem Individualitätskult verschreibt und historische Gestalten der jüngeren Geschichte besingt. Dazu zählen Bücher wie Byron der Übermensch (1897) oder Der Genie-Kaiser und die Welt (1905), das Napoleon I. gewidmet ist.[8]

Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund ist auch Schenkers Geniebegriff zu sehen, dessen Ausformung ganz im Zeichen des damals populären Übermenschenkults und der Verherrlichung vergangener Persönlichkeiten stand. Dem Naturalismus erteilte Schenker eine Absage, wenn er seine Hoffnung auf eine neue Generation von Dichtern setzte, mit denen

wir vielleicht wieder jenen ekligen Realismus unserer Tage überwinden, der unter Wahrheit nur diejenige von Durchschnittsmenschen verstand, nicht aber auch die größerer Naturen! Dieser Realismus war einseitig und verleugnete Helden der Menschheit, […]. Um dem Volke zu dienen, das zur Mitregierung berufen wurde und aus dessen Händen sie reiche Tantiemen erhielten, haben die Naturalisten Gestalten als unwahr verleumdet, die das Volk noch mehr lieben, weil sie ihm nicht schmeicheln.[9]

Die Zeit der großen Musikergenies verortete Schenker im Zeitalter der harmonischen Tonalität, das seiner Überzeugung nach den bisherigen Höhepunkt in der Entwicklung der Musik darstellte und das mit der Musiksprache Wagners, spätestens aber mit dem Tod Brahms’ zu Ende ging. Um diesen Entwicklungsstand wiederzuerlangen, forderte er zum Wohle der gesamten Gesellschaft die absolute Hingabe an das Genie, in dem er zwar ein nachzueiferndes Vorbild sah, das aber ähnlich wie Gott[10] für den Durchschnittsmenschen letztendlich doch unerreichbar sei. In der Geschichte, so Schenker, »gedieh dann allmählich die Kunst der Musik in den Leistungen der Genies so hoch, daß, zeitgemäß gesprochen, eine Überschreitung des von ihnen erzielten Rekordes nicht erhofft werden darf.«[11]

Den Grund für den gegenwärtigen Niedergang der Musik sah Schenker vor allem in der Missachtung der Genies und in der Verkennung ihrer Werke. Nur eine neuerliche Orientierung am genialen Individuum könne die Menschheit aus der Kulturkrise führen. Da Schenker nach dem Tod von Brahms kein Genie mehr fand, das durch kompositorische Schöpfungen dem Verfall der Musik hätte entgegenwirken können, blieb seine Rettungsmission auf die Beschwörung einer idealisierten Vergangenheit beschränkt.[12]

Schenker selbst empfand sich als Sprachrohr längst verstorbener Komponisten wie Bach, Mozart oder Beethoven. Testamentarisch legte er folgende Inschrift für seinen Grabstein fest: »Hier ruht, der die Seele der Musik vernommen, ihre Gesetze im Sinne der Grossen verkündet wie Keiner vor ihm.«[13] Damit nahm Schenker für sich in Anspruch, als bisher einziger die Werke seiner Idole gründlich durchschaut und richtig ausgelegt zu haben. Seinen Kollegen im Fach der Musikpädagogik gab er die Mitschuld an dem im Volk herrschenden »Mangel an wahrer Einsicht in die Kunst«:

Hätten zumindest aber die Erzieher und Lehrer die Genie-Kunst begriffen! Sie hätten dann zwar den Zusammenhang, richtiger die Zusammenhanglosigkeit von breiter Masse und der wahren Kunst einsehen, dennoch aber den Schluß ziehen müssen, daß auch dem Volk nur dann wirklich gedient würde, wenn das im Genie-Werk Erreichte als der einzige wahre Inhalt und die einzige wahre Schule der Musik für alle Zeiten unangetastet bliebe und der steile Weg zu dieser Höhe versucht würde, auch wenn die Ergebnisse hinter den Erwartungen immer zurückbleiben müßten! Statt dessen haben die Erzieher die Kunst von vornherein billigst einem Mindestmaß anbequemt, gerade dadurch aber verhindert, daß sich ein Begriff davon verbreite, was in der Musik Inhalt sei, was Form, was Satz, was Schreibart und Ausführung, welche Rolle insbesondere dem Genie als dem Schöpfer der Kunst zukommt usw.[14]

Schenkers Definition des Genies stimmt im Grunde mit jener von Immanuel Kant überein, der in seiner erstmals 1790 erschienenen Kritik der Urteilskraft das Genie als »angeborne Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt«, begreift.[15] Schenker zitierte diese Definition in seiner Erläuterungsausgabe von Beethovens Klaviersonate op. 101.[16] Neben Kant beeinflussten auch Goethe und Schopenhauer Schenkers Auffassung vom Genie.[17] Kants Einfluss reichte jedoch weit über Schenkers Geniebegriff hinaus. Wie von Kevin Korsyn in seiner Studie »Schenker and Kantian Epistemology«[18] überzeugend nachgewiesen, finden sich in Schenkers musiktheoretischen Gedankengängen zahlreiche Analogien zu Kants Erkenntnistheorie.

Mit seiner Definition des Genies wandte sich Kant von der aristotelischen Tradition ab, welche die Kunst als Nachahmung der Natur verstand.[19] Ähnlich wie Kant sieht auch Schenker im Genie des Künstlers die Natur selbst am Werk, um sich im Kunstwerk zu manifestieren.[20] So meint er, dass nur das mit einer Naturgabe ausgestattete Genie dazu fähig sei, einen organischen Zusammenhang zwischen den Teilen der Sonatenform herzustellen. Dabei lasse sich das Genie vom naturgegebenen Ursatz leiten. Als Beispiel nennt Schenker Joseph Haydn, der in der Entwicklungsgeschichte der Sonatenform bekanntlich in deren Anfangsphase wirkte:

Haydn kannte ja noch keine Formenlehren, wie wir sie kennen; das neue Leben, das er zeugte, schöpfte er aus dem Leben seines Geistes. Ihn beherrschte die Urlinie und die Baßbrechung mit der Macht eines Naturtriebes und von ihnen bezog er auch die geniale Spannkraft zur Bewältigung des Ganzen als einer Einheit.[21]

Jean Paul und das vergeschlechtlichte Genie

In seiner 1906 erschienenen Harmonielehre vergleicht Schenker das Genie mit einem Nachtwandler, der sich unbeirrt und instinktiv seinen Weg bahnt:

Genies […] ist es oft eigen, Nachtwandlern gleich den rechten Weg zu gehen, auch wenn sie durch dieses oder jenes […] verhindert sind, auf ihren Instinkt zu horchen. Es ist, als komponierte geheimnisvoll hinter ihrem Bewußtsein und in ihrem Namen die weit höhere Macht einer Wahrheit, einer Natur, der es gar nichts verschlägt, ob der glückliche Künstler selbst das Richtige wollte oder auch nicht. Denn ginge es ganz nach Bewußtsein der Künstler und nach ihrer Absicht, wie oft würden ihre Werke schlecht ausfallen – wenn nicht glücklicherweise jene geheimnisvolle Macht alles selbst aufs beste ordnen würde.[22]

Die Vorstellung vom Genie als einem unbewusst agierenden Nachtwandler findet sich erstmals bei Jean Paul,[23] den Schenker zu den großen deutschen Denkern und Dichtern wie Goethe, Schiller, Kant und Hölderlin rechnete. In der Literatur wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass Schenkers Geniebegriff vermutlich auf Jean Pauls Geniekonzept zurückgeht, das dieser in seiner erstmals 1804 publizierten Vorschule der Aesthetik formulierte.[24] Ein Vergleich der Gedanken von Jean Paul mit Schenkers Verständnis vom Genie offenbart unverkennbare Parallelen zwischen den beiden Genie-Konzeptionen. Aus seinen Tagebüchern wissen wir, dass Schenker Jean Pauls Schriften gut kannte.[25] Nicht zuletzt belegt ein längeres Zitat aus der Vorschule der Aesthetik in Schenkers unveröffentlicht gebliebenem Aufsatz »Das deutsche Genie in Kampf und Sieg« von 1914,[26] dass sich Schenker mit Jean Pauls Geniekonzept gründlich auseinandergesetzt hat.

Ausgangspunkt von Jean Pauls genieästhetischen Überlegungen sind die »poetischen Kräfte«: Um deren Wirkungsgrade zu verdeutlichen, trifft er eine Rang- und Zuordnung, in deren Rahmen die Vergeschlechtlichung des Genies und die Geschlechterhierarchie der damaligen Zeit eine maßgebende Rolle spielen. Insgesamt unterscheidet Jean Paul drei dieser Kräfte: die »schaffende Phantasie«, die dem aktiven Genie eigen sei, die »nachschaffende Phantasie«, die er dem sogenannten passiven Genie zuordnet, und die »Einbildungskraft«, mit der jedes wahrnehmende Lebewesen und somit auch das Talent ausgestattet sei. Im Unterschied zum vielkräftigen Genie, in dem laut Jean Paul alle Kräfte auf einmal in Blüte stehen, könne das einseitige Talent nur Teile der Wirklichkeit darstellen.[27] Das in seiner Stufenfolge der poetischen Kräfte in der Mitte liegende »passive Genie« bezeichnet Jean Paul auch als das »weibliche«, das »reicher an empfangender als schaffender Phantasie« sei.[28] Es könne zwar den Weltgeist in großen Werken und im Leben aufnehmen und an diesem »wie das zarte Weib am starken Manne«[29] hängen bleiben, ist aber zur Darstellung einer eigenen Weltanschauung unfähig. Allerdings besitze es die Fähigkeit zur Nachahmung, die es ihm erlaube, die Weltanschauung des Genies fortzusetzen und fortzubilden.[30]

Analog dazu spricht Schenker in seinem frühen mehrteiligen Aufsatz »Der Geist der musikalischen Technik« im Musikalischen Wochenblatt von 1895 dem nachahmenden Komponisten das Verdienst zu, Inhalte, die ursprünglich der originale Künstler mit Hilfe der »musikalischen Phantasie« schuf, durch Übernahme zu pflegen und sie somit der Nachwelt weiterzureichen:

Ein jeder Inhalt, der in einer gewissen Zeit neu gewesen, war selbstverständlich mit einem eigenen Ausdruck begabt. Nachdem dieser Inhalt durch die Köpfe vieler Nacherfindenden und Nachempfindenden gegangen, verblasste er zu einer bekannten Redensart, weil man ihm weder eine neue Aufmerksamkeit, noch ein dauerndes Interesse mehr zu widmen brauchte. […] Gegenüber solchen Redensarten […] regt sich das Vorurtheil, es gehe dem Inhalt mit der Zeit der Ausdruck von selbst ganz verloren, und man pflegt poetisch zu sagen, es sterben und vergehen die Inhalte. Ich aber denke anders. Es behält ein jeder Inhalt die Kraft, die er einst hatte, […]. Mit der Frage der musikalischen Redensarten hängt auch die Schätzung der nicht originalen Componisten zusammen, […]. Wenn es auch wahr ist, dass der originale Künstler seinen neu geschaffenen Inhalt immer einfacher und typischer darstellt, als seine Nachahmer, so müsste es eigentlich immer noch unerklärlich bleiben, warum wir unsere Empfindungen einem Inhalt nicht gerne erschliessen mögen, der dem als original und sympathisch uns bekannten Inhalt doch verwandt ist? Es ist nun klar, dass wir hier augenblicklich die persönliche Schätzung des nachahmenden Componisten mit der Empfindung des Inhaltes selbst vermengen, und der Inhalt, den wir sonst, wenn wir die originale Quelle nicht wüssten, mit Vergnügen begrüssen könnten, lässt uns kalt, sobald wir wissen, dass sein Schöpfer eine blos derivative Kraft hat. Dieselbe Frage erfährt heute eine interessante Beleuchtung durch die Schätzung der auf uns gekommenen […] griechischen Musikreste. Wer sagt uns, dass wir in diesen Resten wohl die originellste griechische Musik haben? Und doch sehen wir, froh der alten Kunst, mit Recht davon ab, denn die Reste sind immerhin griechische Musik und geben über sie Auskunft, gleichviel ob sie einst typisch und originell sich gebärdeten oder nicht.[31]

Auch wenn Schenker bei der Einordung des nachahmenden Künstlers den von Jean Paul geprägten Begriff vom »passiven« oder »weiblichen Genie« hier nicht verwendet, so ist doch klar, dass er das Wesen des in der Stufenfolge ganz oben stehenden Genies für männlich befindet. Dies geht etwa aus einem 1929 erschienenen Aufsatz hervor, in dem Schenker zunächst auf die menschliche Sprache eingeht und hier zwischen der »Muttersprache«, die den Grundbedürfnissen des Menschen diene, und der über die Grenzen der »Muttersprache« hinausreichenden »Schriftsprache« unterscheidet. Letztere bezeichnet er als »Vatersprache«, deren Wortschatz sich ständig durch neue Auffassungen und Vorstellungen erweitere. In der Musik, so Schenker, sei es anders:

Wohl ist auch sie [die Musik] eine Sprache, doch frei von allem Gegenständlichen, kennt sie sozusagen nur eine Schriftsprache, nur die Tonsprache der Genies als Vatersprache. Schon sich selbst Gesetz, Inhalt und Form der Musik zugleich, schafft die Tonsprache der Genies von Schöpfung zu Schöpfung immer neue Tonworte, lehrt die Kunst des Satzes, der Synthese, der Schreibart und der Ausführung – neben ihr besteht in der Musik nichts, was der Muttersprache in der Wortsprache ähnelte. Auch die Werke der Talente entbehren noch jeder kunstbindenden und fortbildenden Kraft; sie stellen nur ein Verdünnen von durch das Genie längst besser Gedachtem und Ausgeführtem vor. Daher: wer die Tonsprache der Genies nicht hört, kennt die Musik überhaupt noch nicht. Und darin ist auch der Grund gelegen, weshalb die breiten Massen sich die Werke der Genies bisher nicht aneignen konnten.[32]

Im Unterschied zu Jean Paul, dessen »weibliches Genie« stets auf Konzeptebene gedacht blieb, was sich beispielsweise in Jean Pauls Zuordnung von Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot zu den »weiblichen Gränzgenies« zeigt,[33] begriff Schenker nicht nur die typischen Eigenschaften eines Genies als männlich, sondern ordnete auch das Genie selbst – also in seiner physischen Gestalt – dem maskulinen Geschlecht zu. Ein Beispiel für diese Biologisierung kann Schenkers Tagebüchern entnommen werden, in denen Schenker am 10. November 1906 im Zusammenhang mit Überlegungen über »[Anton] Bruckner und das Volk in der Kunst« schreibt, dass »alle Genies der Kunst immerhin doch Männer aus dem ›Volk‹« waren.[34] Die Betonung liegt hier auf dem Wort »Volk«. Dass die Genies alles Männer waren, verstand sich für Schenker von selbst. Dies bezeugt schon die Beiläufigkeit, mit der diese Ansicht hier auftaucht.

Ebenso beiläufig und ebenfalls in den Tagebüchern gab Schenker seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass »der Frau Genietum nicht gegeben« sei.[35] In einem Eintrag vom 12. Juni 1913 heißt es:

Abends in einer Frauenversammlung, die das Stimmrecht zum Programm hat. Am interessantesten war mir zu beobachten, daß auch in bezug auf einen solchen Punkt die Frauen dasselbe wie die Männer treffen! Das Arrangement der Versammlung, sowie die oratorischen Leistungen zeigen gute Nachahmung der Männer an; der Unterschied mag nun also, – von genialen männlichen Politikern abgesehen, die wie Genies überhaupt dem weiblichen Geschlecht, meiner bestimmten Ueberzeugung nach, stets fehlen werden – einzig darin bestehen, daß das Treiben der Frauen durch stärkere Grade von Eitelkeit belebt, bezw. verunstaltet wird. Gewiß ist Eitelkeit auch dem männlichen Geschlecht nicht fremd, ich möchte sogar meinen, es sei eitler, als das weibliche; nur besteht zwischen den Eitelkeiten beider Geschlechter der beträchtliche Unterschied, daß die Frauen allen Schein lediglich durch Kleidung ausdrücken, die Männer dagegen mehr durch Worte und Taten.[36]

Auffallend ist, dass Schenker in diesem Tagebucheintrag dem weiblichen Geschlecht die Fähigkeit zu einer guten Nachahmung der Männerwelt bescheinigt. Damit findet sich hier einmal mehr eine Analogie zur Gedankenwelt Jean Pauls, der, wie oben skizziert, die Nachahmungsfähigkeit als eine typisch weibliche Stärke erachtet.

Schließlich findet sich in seinen Tagebüchern ein Eintrag, in dem Schenker ein weiteres Mal auf die weiblich assoziierte Nachahmungsgabe im Kontext der damaligen Frauenbewegung zu sprechen kommt. Diesmal äußert er sich über die Nachahmung allerdings in einem durchweg spöttisch-abwertenden Tonfall, was offenbar auch mit der hier thematisierten Sonate des von Schenker nicht geschätzten Komponisten Franz Liszt zusammenhängt: »27. [Januar 1907] […] das böse Schicksal hat endlich die Liszt Son. Hm. erreicht! Nun spielen auch Kinder dieses Werk! (Angeblich Emanzipation der Kinder, wie des Frauengeschlechtes; die Kunst der leeren Nachahmung ist aufs höchste gestiegen.)«[37]

Frauen im persönlichen Umfeld Schenkers und sein Verhältnis zu ihnen

An dieser Stelle möchte der vorliegende Beitrag Einblicke in Schenkers Beziehungen zu Frauen aus seinem unmittelbaren Umfeld liefern. Damit soll gezeigt werden, dass Frauenfeindlichkeit als möglicher Beweggrund für Schenkers Ausgrenzung der Frauen aus seinem Geniekonzept nicht in Frage kommt. Schenker war keineswegs ein Frauenhasser. Jedoch spiegelt er den Prototyp eines patriarchalisch geprägten Mannes um 1900 wider. In seinem Verhalten entsprach er ganz der in der damaligen Gesellschaft vorherrschenden Sichtweise, die eine Überlegenheit von Männlichkeit unhinterfragt ins Zentrum der Welt rückte. Auf dieses Geschlechterverständnis wird im übernächsten Kapitel noch näher eingegangen werden.

Zu den Frauen, mit denen Schenker fortwährend zu tun hatte, gehörten seine Schülerinnen, die allesamt aus wohlhabenden Familien stammten und in der gehobenen Gesellschaft verkehrten. In finanzieller Hinsicht war Schenker stark von seiner Schülerschaft abhängig, da er seinen Lebensunterhalt vorwiegend als Privatlehrer bestritt. Eine akademische Position, die ihm ein geregeltes Einkommen gewährleistet hätte, blieb ihm zeitlebens verwehrt. Bei der Drucklegung seiner Werke war Schenker weitgehend auf Mäzene angewiesen, unter denen sich auch Frauen wie z. B. seine Schülerinnen Sofie Deutsch[38] und Angelika Elias[39] befanden. In seinem Selbstwertgefühl bedroht, wollte Schenker das Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Schüler- und Gönnerschaft keinesfalls als ein einseitiges verstanden wissen, in dem er bloß auf die Rolle eines Schuldners oder gar eines Bittstellers reduziert wird. Vielmehr empfand er das Gegenteil. Aus seiner Sicht lagen die ihm ausgezahlten Gelder weit unter dem Wert jener Arbeit, die er im Rahmen seiner Mission als Vermittler und Retter der wahren Kunst für seine Mitmenschen leistete. Wie aus zahlreichen Tagebuchnotizen ersichtlich, fühlte er sich hinsichtlich des Nutzens, den seine Leistungen brächten, oft sogar ausgebeutet.

In Schenkers Privatleben spielten zwei Frauen eine wesentliche Rolle. Eine davon war seine Lebensgefährtin Jeanette, die er liebevoll Lie-Liechen nannte. Diese war in erster Ehe mit dem Geschäftsmann Emil Kornfeld verheiratet, mit dem sie zwei Söhne hatte. Nachdem Jeanette Heinrich Schenker kennen und lieben gelernt hatte, verließ sie 1910 ihre Familie, um mit Schenker ein neues Leben aufzubauen. Es begann ein langjähriger Kampf um ihre Scheidung, die erst nach einer Gesetzesänderung im Jahre 1919 vollzogen werden konnte.[40] Während des langwierigen Scheidungsprozesses kritisierte Schenker wiederholt die an männlichen Interessen ausgerichtete »Ehegesetzgebung, in der die Männer ihren eigenen Charakterlosigkeiten die Würde gesetzlich erlaubter oder mindestens geduldeter Handlungen anzulegen wußten, während sie dieselben Handlungen, wenn sie von Frauen wider sie verübt worden, als Infamien und Verbrechen wider Sitte und dgl. ausschreien und bestrafen.«[41]

Noch im Jahr ihrer Scheidung heiratete Jeanette ihren neuen Partner. Wenn auch kinderlos, so verlief die Ehe doch sehr harmonisch. Jeanettes Rollenverhalten in der Ehe entsprach offenbar genau Schenkers konservativem Frauenbild. In einem Brief an seinen Kollegen August Halm lobte er ihre Kochkunst und betonte, dass sie ihm »noch überdies vollkommen gerüstet […] auch geistig zur Seite« stehe.[42] Jeanette führte nicht nur den Haushalt, sondern unterstützte ihren Mann tatkräftig bei seiner Arbeit, indem sie große Mengen an Schreibarbeiten übernahm. Darüber hinaus war sie ihm eine kluge und verständnisvolle Gesprächspartnerin, bei der er immer wieder Rat suchte. Seine letzte Schrift, den Freien Satz, widmete er ihr mit den Worten »Meiner geliebten Frau«[43] und in seinem Testament fordert er alle Freunde seines Lebenswerkes auf, stets eingedenk zu bleiben, dass sein Werk auch ihr Werk gewesen sei.[44]

Die zweite wichtige Frau in Schenkers Leben war seine Mutter Julia, die nach dem Tod ihres Ehemanns im Jahre 1887 ihre Heimat Galizien verließ und nach Wien ging, um in der Nähe ihres Sohnes zu sein, der schon 1884 wegen des Studiums dorthin gezogen war. Schenker hatte zu ihr ein sehr enges Verhältnis. Julia entstammte wie ihr Gatte, Schenkers Vater, einer jüdischen Familie. Im Unterschied zu ihrem Sohn war sie sehr fromm und praktizierte ihren jüdischen Glauben. Zweifelsohne trugen ihr Einfluss und seine Liebe zu ihr dazu bei, dass Schenker trotz seines tiefen Bedürfnisses nach vollständiger Assimilation an die deutsche Kultur nie aus der Israelitischen Kultusgemeinde austrat.[45] Dafür mitentscheidend war wohl auch das Glaubensbekenntnis von Jeanette, die ebenfalls aus einem jüdischen Elternhaus stammte und dem Judentum ihr Leben lang – wenn auch nicht als praktizierende Gläubige – treu blieb.

Aus Schenkers Tagebüchern erfahren wir, dass sich seine beiden Brüder Wilhelm und Moriz im Unterschied zu ihm und seiner Schwester Sophie, mit der sich Schenker zeitlebens gut verstand, taufen ließen. Obwohl er am 21. September 1914 beim ersten Treffen zwischen Jeanette und seiner Mutter, bei dem auch sein Schwager anwesend war,[46] Jeanettes jüdische Konfession bekannt gegeben hatte, erfuhr Sophie davon erst sechs Wochen später:

28. [Oktober 1914] Die Schwester ruft mich ins Nebenzimmer, um mich wegen der Konfession Lie-Liechens zu interpellieren und um mir mitzuteilen, daß ihr ältester Junge – wie sie orientalisch sagt – ›die ganze Nacht geweint hat‹, weil er über dem Bett Lie-Liechens ein Christusbild gesehen und daraus Schlüsse auf die Religion Lie-Liechens gezogen und den Schmerz empfand, daß nun auch ich, der dritte von den Brüdern mich würde taufen lassen müssen. Es gelang mir rasch über diese Sache Beruhigung zu schaffen, aber aus dem Sinn will es mir doch nicht, daß mein Schwager, der deutlich vernahm, was ich der Mutter in seiner Anwesenheit erklärte, weder Zeit noch Mühe aufbrachte, darüber auch nur ein Wort an seine Frau und Kinder zu verlieren. Das Tempo eines Durchschnittsmenschen.[47]

Die hier in diesem Zusammenhang abschätzig gemeinte Bemerkung »orientalisch« zählt zu jenen antisemitischen Äußerungen, zu denen sich Schenker gelegentlich gegenüber Juden und Jüdinnen hinreißen ließ, die sich nicht vollständig an die deutsche Kultur assimilierten, sondern an jüdischen Traditionen festhielten und ihren Glauben offen praktizierten. Kulturell fühlte sich Schenker der deutschen Nation zugehörig, deren kulturelle Leistungen ganz seinem Kulturideal entsprachen.[48]

Chauvinistischer Geniekult

Schenker war überzeugt, dass die deutsche Kultur jeder anderen überlegen sei. Aus dieser Überzeugung heraus bezog er eine stark deutschnationale Position, wobei er seine Konfession unter den Eindrücken des zunehmenden Antisemitismus weitgehend verheimlichte. In seiner politischen Haltung als Deutschnationaler radikalisierte sich Schenker nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf er sich zunehmend zum deutschen Militarismus bekannte, wobei er die Kämpfe an der Front nie selbst miterlebte, weil er wegen Blähhalses und Fettleibigkeit für wehrdienstuntauglich erklärt wurde.[49] Zu einer weiteren Radikalisierung seiner Weltanschauung kam es mit dem für die Mittelmächte ungünstigen Kriegsende, dem Zusammenbruch der deutschen und österreichisch-ungarischen Monarchie und dem Versailler Vertrag.

Unter den Eindrücken der weltpolitischen Umbrüche begann Schenker, seinen Deutschnationalismus offensiv in der Öffentlichkeit zu vertreten, und verknüpfte diesen mit seinem Geniekult. Bereits zu Kriegsbeginn verfasste er den oben schon erwähnten, mit einem Jean Paul-Zitat versehenen Aufsatz »Das deutsche Genie in Kampf und Sieg (Betrachtungen sub specie aeternitatis)«, den er in der Frankfurter Zeitung veröffentlichen wollte, wozu es aber aus redaktionellen Gründen nicht kam. Darin präsentiert Schenker seinen Geniebegriff in Verbindung mit dem Krieg, der damals als reine Männersache galt. Die Vorstellung vom männlichen Genie kommt dabei in einer äußerst martialischen Sprache zum Ausdruck, in welcher der Begriff ›Genie‹ von maskulin konnotierten Attributen und Umschreibungen beherrscht wird.

In seinen Ausführungen meint Schenker, dass nur die deutsche Nation dazu fähig sei, Geniales zu schaffen, da ihr von Natur aus eine »geniale Potenz« gegeben sei. Als Beweis führt er die deutsche Musik an, die »allein eine wirklich gute, rechtschaffene und wahre Musik« sei. Den gegenwärtigen Weltkrieg sieht er als »Kampf französischen und englischen Talentes, sowie sonstiger Halbtalente gegen das deutsche Genie«, dem der Sieg naturgemäß gehören werde. Dass Schenker die Überlegenheit des deutschen Genies nicht nur auf die geistige Ebene beschränkt wissen wollte, zeigt sich in seinem Schwärmen für die deutsche Armee, der er ebenso »wirkliches Genie« attestiert und die er als »Vollzugsorgan des genialen Deutschland wider dessen äußere Feinde« betrachtet.[50]

Mit einer derartigen Genie-Ideologie stand Schenker nicht alleine da. Er reihte sich damit in eine Riege von deutschsprachigen Autoren ein, die schon vor dem Ersten Weltkrieg einem autoritären Geniekult frönten und dem Genie das Recht auf Gewalt einräumten. So sprach Carl Bleibtreu in seinem 1905 erschienenen Napoleon-Buch Der Genie-Kaiser und die Welt vom »Herrscherrecht des Genies«, das der Welt »mit der Rute« eingebläut werden müsse.[51] Die Verherrlichung von Herrschaft und Gewalt findet sich auch in Julius Langbehns Bestseller Rembrandt als Erzieher, das nach seinem Erscheinen im Jahre 1890 zahlreiche Neuauflagen erfuhr und bis in die Weimarer Republik hinein verbreitet war. Darin prophezeit Langbehn dem deutschen Kaiser Wilhelm II. eine glorreiche Zukunft als genialer »Geisteskaiser« und meint, dass »nach den Triumphen der Kriegskunst noch die Triumphe des Kunstkrieges für Deutschland kommen« werden, denn »Krieg und Kunst gehören zusammen – auch in der Unendlichkeit.«[52]

Wie Schenkers Aufsatz fußt auch Langbehns Buch auf einer extrem deutschnationalen Haltung, die sich in beiden Schriften vor allem in der Überzeugung von der deutschen Vorherrschaft in Politik und Kunst äußert. Ein anderer Autor, der bereits vor dem Ersten Weltkrieg Genie-Ideologie mit deutschnationalem Gedankengut verquickte, war Michael Georg Conrad. Der anfangs dem Naturalismus verpflichtete Schriftsteller wandte sich in seiner 1902 erschienenen Autobiografie Von Emile Zola bis Gerhart Hauptmann ganz dem Kult des Individualismus zu. Darin ersehnt sich Conrad ein »unbezweifelbares Genie des Idealismus, ein reines, göttliches Kraftwunder in der Philosophie«, das, sobald es erscheine, »um die Herrschaft kämpfen und die Gewalt über die Köpfe und Herzen an sich reißen« werde. Nicht zuletzt nimmt Conrad in seinen Ausführungen die nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie vorweg, wenn er meint, dass »im Geheimnis des Blutes und des Bodens« das »Geheimnis der Kunst« ruhe.[53]

Schenker setzte seine genieästhetische Überzeugungsarbeit nach dem Ersten Weltkrieg beharrlich fort. Ihren Höhepunkt fand sie im Pamphlet »Von der Sendung des deutschen Genies«, das 1921 die von ihm gegründete Zeitschrift Der Tonwille programmatisch eröffnete.[54] Die Hefte dieser Zeitschrift, die den Untertitel Flugblätter zum Zeugnis unwandelbarer Gesetze der Tonkunst einer neuen Jugend dargebracht tragen und nur Texte aus der Feder ihres Gründers enthalten, widmete Schenker »einzig der Pflege des Genies«.[55]

In seinem mit Hasstiraden gegen die westlichen Siegermächte gespickten Eröffnungspamphlet spann Schenker seinen Gedanken von der Überlegenheit Deutschlands und von der Unfähigkeit der übrigen Nationen, Genies hervorzubringen, fort. Für den verlorenen Krieg machte er nicht die Truppen im Feld, sondern Zivilisten im Hinterland, die die unbesiegt gebliebene Armee verraten hätten, verantwortlich und deutete den politischen Niedergang als Folge der von ihm diagnostizierten Kulturkrise, deren Hauptursache die Abkehr vom Genie sei. Der Zusammenbruch der Monarchie, das Erstarken des Marxismus mit seiner Forderung nach einer klassenlosen Gesellschaft und die Einführung der Demokratie, in der alle Staatsbürger gleiche Rechte besitzen, hat das Weltbild Schenkers, der die Aristokratie für die beste Staatsform hielt, schwer erschüttert.[56]

Ein Jahr nach Erscheinen der politischen Streitschrift nutzte Schenker das Vorwort zum zweiten Halbband seiner Kontrapunktlehre, um speziell mit der Demokratie abzurechnen. Darin bekräftigt Schenker seine Überzeugung von der Unvereinbarkeit zwischen demokratischen Prinzipien und seiner Vorstellung von Kultur. Mit der Einführung der Demokratie in Deutschland sei »das letzte Bollwerk des Aristokratismus gefallen und die Kultur sieht sich an die Demokratie verraten, die ihr grundsätzlich und organisch feindlich gesinnt ist, denn Kultur ist Auslese, tiefsinnigste Synthese auf Grundlage der Genies.«[57]

Schenkers Weltanschauung lag ein strenges Ordnungssystem zugrunde, das sich in seiner Theorie von der hierarchischen Struktur tonaler Musik widerspiegelt und aus dem sich seine strikt ablehnende Haltung gegenüber der in der Moderne postulierten ›Emanzipation der Dissonanz‹ erklärt. Schenker verstand dieses Ordnungssystem als eine von der Natur gegebene Rangordnung, an deren Spitze eine immerwährende Autorität steht. Als Inbegriff dieser Autorität galt ihm das Genie.

In seinem Buch Ideologie und Methode. Zum ideengeschichtlichen Kontext von Schenkers Musiktheorie (1995) konnte Martin Eybl enge Zusammenhänge zwischen Schenkers politischen Vorstellungen und der Idee der Urlinie nachweisen. Es fällt auf, dass Schenker das Konzept der Urlinie unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte, zu einer Zeit, in der es in Politik und Gesellschaft zu großen Umbrüchen kam, gegen die er mit publizistischen Mitteln anzukämpfen versuchte. Die Idee der Urlinie präsentierte Schenker der Öffentlichkeit erstmals 1921 in seinem Aufsatz »Die Urlinie. Eine Vorbemerkung«, der unmittelbar seinem politischen Text »Von der Sendung des deutschen Genies« im ersten Heft des Tonwillen folgt. Darin gipfeln Schenkers Ausführungen »in einer kritischen Gegenüberstellung der gesellschaftlichen und der musikalischen Situation im Nachkriegsdeutschland, ein Vergleich, in dem Schenker einen deutlichen Konnex zwischen Sozialstruktur und Satzstruktur herstellt«[58]:

Mit dem Zerbrechen der Urlinie und dem Verwüsten der Musikwahrheit hat Wagner der Musik ein ähnliches Schicksal bereitet, wie Karl Marx der Gesellschaft mit dem Zertrümmern aller Überlieferung und der in ihr ruhenden, von ihm aber nicht begriffenen Wahrheiten. […] Und so wie man Karl Marx, um es recht kraß zu sagen, sehr wohl den Henker der deutschen Menschheit nennen könnte, […] so kann man auch von Wagner sagen, daß er zum Henker der deutschen Tonkunst geworden, […].[59]

Politikverständnis und Musikanschauung beruhen bei Schenker gleichermaßen auf dem Modell einer durchgängigen Hierarchie. Die Lehre von der Urlinie geht von der Annahme aus, dass im musikalischen Satz tonaler Meisterwerke eine zentrierte Rangordnung vorherrsche, in der sich alle musikalischen Teilelemente hierarchisch aufeinander beziehen und in der das Tonmaterial gänzlich auf die Urlinie als Zentrum der Komposition hin orientiert ist. Der Komponist, so Schenker, messe

jedem einzelnen Ton das ihm gebührende Maß von Gerechtigkeit zu: er stellt sie alle in den Dienst einer Idee, schafft die zur Ausführung nötige Über- und Unterordnung – ich sagte es schon und wiederhole es: wie viel könnten doch Staatsmänner von ihm lernen, wenn sie lernen könnten! – und erreicht so den Wohllaut eines organischen Ganzen.[60]

Ein solches System, in dem die einzelnen Elemente sich einer übergeordneten Idee unterwerfen und zum Wohl des Ganzen gefügig bestimmte Ränge einnehmen, entspricht genau jenem Herrschaftssystem, das Schenker in seinem politischen Aufsatz von 1921 guthieß und als Staatsform propagierte.[61] 1930 schrieb er an Hermann Rinn, den Herausgeber der bürgerlich-konservativ ausgerichteten deutschen Zeitschrift Der Kunstwart, in der einige seiner späten Aufsätze erschienen: »Geniemusik muß Ziel der deutschen Musik bleiben, würde sich auch als politisches Aktivum lohnen.«[62]

In Ideologie und Methode konnte Eybl nicht nur die engen Wechselbeziehungen zwischen Schenkers politischen und musiktheoretischen Gedanken, sondern auch dessen Verständnis vom Verhältnis zwischen Urlinie und Genie gut herausarbeiten. Wie in seinem totalitären Weltbild, so steht auch in Schenkers Musiktheorie das Genie im Mittelpunkt. »Die Urlinie ist Besitz der Genies allein, […] Kenntnis der Urlinie fördert am sichersten also auch die Kenntnis vom Genie«, schreibt Schenker in zwei Publikationen aus dem Jahre 1921.[63] Den umfassenden Anspruch seiner Musiktheorie leitet Schenker »aus der Autorität, die das Genie verkörpert, ab. Urlinie und Genie begründen einander gegenseitig.«[64]

Auf die grundlegende Bedeutung von Schenkers philosophischer Genie-Konzeption für seine Musiktheorie wies auch Robert P. Morgan in seinem Buch Becoming Heinrich Schenker hin:

Though such an idealist philosophical system, joining nature and mind, had no obvious effect on certain aspects of Schenker’s theory (above all, its […] notational system), it was essential for the theory’s overall development and conception of musical prolongation, providing these with both a unitary model and the necessary mental background to sustain them. Indeed, the fundamental Schenkerian aesthetic assumptions of musical logic, organicism, and teleology, the basis for such technical ideas as substitution, long-range hearing, and extended passing motion, were absolutely necessary for the theory’s gestation. And they depended upon this philosophical matrix, without which the theory would have been unthinkable.[65]

Hegemoniale Männlichkeit und das Konzept der Urlinie

Schenkers Weltbild war nicht nur hierarchisch strukturiert, sondern zugleich auch streng patriarchalisch. Im Vorwort zum ersten Halbband seiner Kontrapunktlehre von 1910 klagt Schenker über die sich abzeichnende Kulturkrise, in der »alle Werte in sämtlichen Beziehungen der Menschen untereinander geradezu auf den Kopf gestellt werden.« Dazu nennt er folgende Beispiele: »die zu Führenden übernehmen gar selbst die Führung«, »die Arbeiter, die bloß Werkzeug in Menschenform vorstellen, halten sich für die Erzeuger selbst« und »die Frau eignet sich Mannesrolle an.«[66] Schenker fährt fort:

Versteht man doch heute nicht mehr das einfachste: daß in der Welt wohl alles Bezug hat und notwendig sei, daß darum allein aber, d. i. bloß wegen dieser Notwendigkeit nicht gleich alles und jedes auch schon denselben Wert habe; daß […] der Mann gleichwohl größeren Wert hat als die Frau, der Erzeuger mehr als der Händler oder Arbeiter, der Kopf mehr als der Fuß, der Kutscher mehr als das Rad des Wagens, den er lenkt, daß das Genie mehr bedeutet als das Volk.[67]

Die hier im Rahmen eines propagierten Gesellschaftsbildes zutage tretende Vorstellung einer hierarchischen Geschlechterdifferenz passt genau in jenes Konzept von Männlichkeit, das im Geschlechterdiskurs des späten 19. Jahrhunderts vorherrschte und das bürgerliche Geschlechtersystem bestimmte. Dieses Konzept basierte auf der strikten Trennung von Berufs- und Familienwelt und damit auf der Aufteilung in als männlich und als weiblich verstandene Tätigkeiten. Dabei gingen die damaligen Geschlechtertheorien davon aus, dass ›die Natur‹ die Geschlechter polarisierend geschaffen habe. Während der Mann ›von Natur aus‹ als aktiv, stark, kühn, rational und frei galt und seine Aufgaben als Ernährer und Beschützer der Familie zu erfüllen hatte, bestand die ›natürliche‹ Pflicht der als passiv, emotional, schwach und abhängig angesehenen Frau darin, Kinder zu gebären, zu ernähren und zu erziehen.[68] Die Trennung von öffentlichen Tätigkeiten und Produktionen außerhalb des Haushalts und privaten innerhäuslichen Aufgaben betraf auch den Berufsstand des Komponisten, der im bürgerlichen Selbstverständnis wie alle anderen Berufsstände im Bürgertum ausschließlich Männern vorbehalten war.[69]

Das Konzept von Männlichkeit und Weiblichkeit im Sinne einer ›natürlichen‹ und hierarchisch strukturierten Geschlechterdualität bildete in der Sozialisation Schenkers den Bezugsrahmen für die Entwicklung seiner männlichen Identität und seines patriarchalischen Weltbildes, das wiederum stark in sein Geniekonzept hineinwirkte. Mit dem Aufkommen der Frauenbewegung, die das damals als hegemonial angesehene Konzept in Frage stellte, geriet Schenkers Weltsicht ins Wanken. Der Erste Weltkrieg trug das Seinige dazu bei. Um Männer, die an den Fronten kämpften, zu ersetzen, wurden Millionen von Frauen berufstätig. Nach 1918 waren Millionen von Männern kriegsversehrt und damit erwerbsunfähig. In der Folge mussten viele Frauen die Rolle des Familienernährers übernehmen. Dazu kam, dass mit der Errichtung der Demokratie in Deutschland und Österreich zahlreiche Forderungen der Frauenbewegung erfüllt wurden, darunter die Einführung des Frauenwahlrechts.

Diese sozialen Umwälzungen dürften zu den Beweggründen für einen Tagebucheintrag vom 23. Januar 1916 gezählt haben, in dem Schenker seinen Wunsch nach einer Bevormundung der Frau durch den Mann wie folgt begründet:

Wie ein Kind in die Schule geschickt wird, ähnlich müßte auch die Frau selbst noch dann geführt werden, nachdem sie die übliche Schulbildung längst hinter sich hat. Man müßte ihr zwangsweise eine Kritik auch im häuslichen Kreise angewöhnen, und sie stets daran erinnern, daß der Mann, wo und wie immer wirkte, allezeit der heftigsten Kritik ausgesetzt ist. Durch alle Eitelkeit, Empfindlichkeit, Wehleidigkeit hindurch müßte sich der Mann den Weg zu ihrer Seele bahnen, um sie aus dem unkritischen Zustand in einen kritisierten hineinzustoßen, damit sie endlich ihre ungeprüften, unkontrollierten und lediglich dem eigenen Egoismus zugewandten Nerven gewissermaßen als Waffe der Erkenntnis schärfe, wo es sich um Dinge handelt, die nicht nur ihre würzige Person allein betreffen. Erst durch Kritik müßte der Mann sie befähigen, den Wert der Wirkungskreise überhaupt zu unterscheiden […].[70]

Wie aus dem weiteren Verlauf des Eintrags ersichtlich, glaubte Schenker im sozialen Verhalten der Frau einen starken Einfluss des Kapitalismus zu erkennen. Frauenbild und Kapitalismuskritik verschmelzen hier zu einer Einheit, die Schenker just zu einem Zeitpunkt konstruierte, zu dem Frauen verstärkt tragende Funktionen in der Gesellschaft übernahmen und der von ihm verhasste Kaufmannsstand[71] durch wiederholt auftretende Fälle von Preistreiberei und Kriegsgewinne auf Kosten des Staats einen immensen Imageschaden erlitt. Der Frau und dem Kaufmann stellte er gleichermaßen den Kultur schaffenden Mann gegenüber. Nur durch eine männliche Führung

würde es gelingen, die Frau aus dem gegenwärtigen unwürdigen Zustand einer Wilden zu erlösen, einer Wilden, die von der durch große Männer erzeugten Kultur erst nur so wenig sich angeeignet hat, wie unter den Männern sonst die Krämer. So wie die Krämer den Staaten ihre Physiognomie aufzuprägen wußten, so haben sie all ihre niedrigste Gesinnung auch in das Frauengeschlecht hineinzutragen gewußt. Selbst auf den kurzfristigsten Nutzen eingerichtet, und nach ihm mit all den rapiden Mitteln strebend, die durch das Auge gehen und daher im Nu die Wirkung erzeugen, übertragen sie durch Ansteckung diese billige Effekthascherei auf die Frauen, die nun gewissermaßen zur Krämerin ihres Geschlechtes wurde. Mit nur raschesten Erfolg verbürgenden Mitteln sucht sie ihren Geschlechtsteil sofort rentabel zu machen, rentabel in physiologischer als auch materieller Hinsicht. Sie will für ihre Fraulichkeit sofort ihr Entgelt, und kann in der Schule der Krämer sich jene Hingabe an idealere Ziele nicht erwerben, die ein größeres Glück, allerdings in späterer Zeit erreichen helfen.[72]

In seiner Überzeugung, dass die Frau »die Kontinuität des Menschengeschlechtes im Körperlichen, der Mann die im geistigen Sinne (Bewußtsein, Erinnerung, Entwicklung, Tradition, Geschichte u.s.w.)« vorstelle, unterstellt Schenker der Frau, am Geistesleben lediglich über den Mann teilnehmen zu wollen:

Wie die Frau nach der Sitte der menschlichen Gesellschaft einfach nur durch Anheiratung schon z. B. Frau Doctor, d. i. Gattin eines Arztes, Advokaten wird, so glaubt sie auch allen Künsten und Wissenschaften auf eine ähnlich unpersönliche, billige Weise beikommen zu können. Sie begreift es nicht, da sie mühelos jenen Effekt erreicht hat, daß zu den letzteren ein anderer schwierigerer Weg begangen werden muß. Den allzubilligen Effekt des Weges zur Trauung will sie ungehindert auf sämmtliche anderen Beziehungen einfach nur transponieren, […].[73]

Das hier der Frau attestierte und auf Bequemlichkeit zurückgeführte Desinteresse am eigenständigen Schaffen von Kultur lässt Schenker zu folgendem Schluss kommen: »Noch immer tut das Gebot ›Ich bin dein Herr‹ seine Wunder, nicht nur von Gott zur Menschheit, sondern auch vom Mann zur Frau.«[74]

In seinem Buch Music, Masculinity and the Claims of History, das ein Kapitel mit dem Titel »Rage Against the Rabble: Gender Nostalgia and the Metropolitan Imagination in Heinrich Schenker’s Kontrapunkt (1910 and 1922)« enthält, verortet Ian Biddle in der Wiener Männerwelt zur Zeit des Fin de Siècle einen starken Drang nach sozialer Dominanz gegenüber Frauen. Die im öffentlichen Diskurs weit verbreitete Praxis der hegemonialen Männlichkeit war laut Biddle von einer »gender nostalgia« und einem Widerstand gegen das Neue geprägt. Biddle führt Schenker als Paradebeispiel für einen Protagonisten dieser Praxis an. Dabei macht er auf die Verwendung heftiger Invektiven in Schenkers Schriften aufmerksam, worin er ein strategisches Mittel sieht, das sich der Musiktheoretiker in mehrfacher Hinsicht zunutze machte:

Schenker’s invective works in several ways […] as a call for the return of the repressed past – a past now sullied by the mediocrity of the moronic crowd, a past that stands in striking contrast to the banality of contemporary urban (vernacular) culture – in which the patrilineal order of the male genius is to be reinstated; […] and (v) as a form of (gender and culture) nostalgia – wistful, despondent, despairing of the decedent Now.[75]

In seiner Studie, in der Schenkers musiktheoretische Ausführungen kaum Berücksichtigung finden, analysiert Biddle eine Reihe von Textpassagen aus Vorworten zu monografischen Werken des Musiktheoretikers. Dazu zählt auch die oben wiedergegebene Passage aus dem ersten Halbband der Kontrapunktlehre, die er aus einer genderkritischen Perspektive wie folgt beurteilt:

The somatic order (›the head prevails over the foot‹) stands in for the socio-political order (men are better then women, producers are better that labourers [sic]) and, at the end of the string of homologous comparisons, the genius emerges as if better than the people. […] What we have here is a hyperbolically orthodox operation of phallogocentric language in which a structure is imposed on disparate (and non-commensurate) elements in order to construct an out-point that seems predetermined, ›immanent‹. It is, in precisely this immanence, then, that Schenker seeks to enact his conservative gender regimen, in the rituals of saying, repeating, resonating and ordering the world into pathways to the genius.[76]

Wie vielen seiner Zeitgenossen, so war auch Schenker bereits vor dem Ersten Weltkrieg bewusst, dass eine vom Konzept der bürgerlichen Geschlechterdualität geprägte Epoche zu Ende ging. Mit der Erfüllung zahlreicher Forderungen der Frauenbewegung nach dem Krieg schien die hegemoniale Männlichkeit endgültig der Vergangenheit anzugehören. Am 11. August 1928 schrieb er in sein Tagebuch:

Ein ziemlich kritischer Abend: Gespräch über einen gewissen Rausch in jungen Jahren in einem Kreis von besser gearteten Männern; die beiden Frauen werfen ein, so ein Rausch könne auch im Beisein von Frauen oder von Frauen auch allein empfunden werden – was wir Männer bestreiten. Die Frauen werden heftig, aus Ungerechtigkeit und aus Mangel an richtigem Urteil, das mehr nach Frauenbewegung riecht.[77]

Es erscheint mehr als plausibel, anzunehmen, dass die Entwicklung von Schenkers Idee der Urlinie in einem engen Zusammenhang mit der nach dem Weltkrieg in vielen Lebensbereichen verloren gegangenen Dominanz der Männer stand. Wie oben ausgeführt, konnte Martin Eybl verdeutlichen, dass Schenkers Lehre vom musikalischen Zusammenhang stark von der strengen Hierarchie seiner politischen Weltanschauung durchdrungen war. Nach einer Reihe von Beobachtungen spricht nun vieles dafür, dass in das Konzept der Urlinie nicht nur Schenkers politische Überzeugung, sondern auch sein patriarchalisches Geschlechterverständnis eingeflossen ist. Wie bereits erwähnt, entwickelte Schenker sein musiktheoretisches Konzept in der Wendezeit nach dem Krieg, in einer Zeit, in der die alte bürgerliche Geschlechterordnung angesichts des sich wandelnden Rollenbildes von Mann und Frau im Untergang begriffen schien. In seinen Grundwerten tief erschüttert, setzte Schenker den neuen Verhältnissen das in zahlreichen Publikationen dargelegte Konzept der Urlinie entgegen, in dem das Konzept des ausschließlich als maskulin geltenden Genies eine grundlegende Rolle spielt.

Im Kontext des hegemonialen Männlichkeitskonzepts erhält die Urlinie eine modellhafte Funktion. Sie repräsentiert eine heile Ordnung, die im Verhältnis zwischen Mann und Frau verloren gegangen sei. In seinen Analysen deutet Schenker die Kompositionen als Werke männlich verstandener Genies und legt eine Organisationsform des Tonmaterials offen, die seinem Ideal einer hierarchisch strukturierten Geschlechterordnung gleicht. Wie im Meisterwerk, so sollte auch im Geschlechterverhältnis eine vom Mann bestimmte Rangordnung vorherrschen.

Dass nach Schenkers Meinung die Struktur der von ihm analysierten Werke nicht nur im Politischen, sondern in sämtlichen Bereichen des Lebens als Vorbild dienen sollte, geht klar aus der Schlussbemerkung des Vorworts zum zweiten Halbband seiner Kontrapunktlehre hervor, in der er zunächst den letzten Band seiner Neuen musikalischen Theorien und Phantasien ankündigt. Dieser werde

die weiteren Entfaltungen darzustellen haben bis zu jener ungeheuren Weite, die ihnen die deutschen Musikgenies und durchaus nur diese allein gegeben haben. Zur Frage der Synthese liegen […] mehrere Arbeiten von mir bereits vor, […]. Aus der Summe der Arbeiten wird man das Bild der Kunst entnehmen, wie sie in sich selbst ruht, durch sich selbst wächst, gleichwohl aber, trotz aller Unendlichkeit der Erscheinungen, durch Auslese und Synthese wieder auch sich selbst Grenzen zieht. O, möge es der Menschheit endlich gegönnt sein, sich durch den Wohllaut der Kunst zum erhabenen Sinn von Auslese und Synthese führen zu lassen und alle Gebundenheiten ihres irdischen Lebens, wie Staat, Ehe, Liebe, Freundschaft nach Gesetzen künstlerischer Synthese zu wahren Kunstwerken zu gestalten![78]

Nicht zuletzt lässt die Art und Weise, in welcher Schenker seine Werkanalysen durchführt, zu, diese als Mittel zur Konstruktion hegemonialer Männlichkeit aufzufassen. In ihrem Buch Feminine Endings: Music, Gender, and Sexuality erkennt Susan McClary in Schenkers analytischer Methode ein Instrument, mit dem es wie im Falle von Frédéric Chopins Nocturnes möglich war, Kompositionen, deren Charakter Kritiker im 19. Jahrhundert als weiblich einstuften, in die männliche Domäne zurückzuführen. McClary hebt dabei vor allem die männlich konnotierte technische Seite von Schenkers Theorie hervor, die sich etwa in den graphischen Darstellungen der einzelnen kompositorischen Schichten widerspiegle:

His graphs are at their most obsessive when dealing with a moment in a beloved piece that seems to defy rational explanation, and he succeeds when he can reduce the offending passage back to diatonic normality or (in the case of his redemptive graphs of Chopin’s nocturnes) to structural virility.[79]

McClary spricht hier und an anderer Stelle[80] einen Aspekt in Schenkers Lehre an, der diese einmal mehr mit Männlichkeit assoziieren lässt. Die Rede ist vom starken Eindruck technischer Rationalität, den Schenkers komplexe Analysemethode hervorruft. Männlich konnotierte Eigenschaften wie Logik, Notwendigkeit und Folgerichtigkeit scheinen die analytischen Gedankengänge des Theoretikers zu durchdringen. Eine Werkbetrachtung auf Basis von Emotionen, deren Wahrnehmung, Reflexion und Kommunikation nach traditionellem Rollenverständnis eher mit Weiblichkeit verbunden werden, findet sich hier nicht.

Mutter Natur

Dieses abschließende Kapitel möchte noch eine Beobachtung zur Sprache bringen, die in der englischsprachigen Literatur bereits diskutiert wurde.[81] In Schenkers hierarchisch strukturiertem Weltbild findet sich neben der Autorität des Genies eine weitere Dimension, die das strenge Ordnungssystem des Weltbilds durchwirkt und diesem zugleich zugrunde liegt. Es handelt sich dabei um die Natur, zu der nach Schenkers Meinung die Urlinie und der Ursatz gehören und deren Wesen Schenker als weiblich begreift, wenn er etwa von »Mutter Natur«[82] oder dem »Mutterschoß der Urlinie«[83] spricht und die Melodie als »Tochterwesen« der Urlinie bezeichnet.[84]

Von dieser Naturanschauung ausgehend, scheint Schenker nun das Schaffen eines genialen Werks, also das Ausgestalten des naturgegebenen Ursatzes, als eine Art Geschlechtsakt zwischen dem Geist des männlichen Genies und dem Ursatz als Teil der weiblichen Natur aufzufassen. Dass er diese Auffassung tatsächlich hatte, belegt abgesehen vom Wort »zeugen«, das er in diesem Zusammenhang immer wieder verwendet, der von ihm vorgebrachte Vergleich des Komponierens von Genie-Musik mit einem »Fortpflanzungsakt unkörperlicher Art«.[85] So findet sich in Schenkers Geniekonzept also auch eine grundlegende weibliche Komponente, ohne deren Mitwirkung das Entstehen eines genialen Meisterwerkes nicht möglich wäre.

Der auf den ersten Blick progressiv erscheinende Gedanke eines weiblichen Anteils im Schöpfungsprozess des Genies erweist sich allerdings bei genauerer Betrachtung als nichts Neues und schon gar nicht als progressiv. Vielmehr handelt es sich hierbei um etwas, das die Geschlechterpolarität traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit bestätigt. Die Feminisierung jener Materie, die das Genie umgibt und aus der es schöpft, lässt sich in der Geschichte der Genie-Ideologie weit zurückverfolgen. Ihren Anfang nahm sie in der Aufklärung, als im Zuge der Säkularisierung der Gottesbegriff weitgehend vom Naturbegriff abgelöst wurde. In der Kunst äußerte sich die Absage an den überirdischen Gottvater insofern, als eine mütterlich-weibliche Natur dessen Rolle als Inspirationsquelle übernahm. Weiblichkeit fand also schon früh Eingang in die Genie-Ideologie, in deren Rahmen sie eine bedeutungsvolle Rolle als Legitimationsinstanz und Stoff künstlerischer Produktivität einnahm.[86]

Diese aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert stammende Konstruktion, in der das rein männlich gedachte Schöpfer-Genie in einem durchaus erotischen Spannungsverhältnis der weiblich konnotierten Muse gegenübersteht, schließt die Kunstproduktion von Frauen explizit aus.[87] Abgesehen davon, lässt sich die männliche Konnotation von Potenz und Schöpferkraft des Genies auch etymologisch erklären. Eine Wurzel des Wortes ›Genie‹ ist der lateinische Begriff ›Genius‹, womit man in der Dämonologie der Antike die personifizierte männliche Zeugungsmacht bezeichnete, die erstmals von Aristoteles in prominenter Weise als formgebende und damit überlegene Kraft der passiven, als weiblich definierten Materie gegenübergestellt wurde. Wie Christine Battersby in ihrem grundlegenden Buch Gender and Genius: Towards a Feminist Aesthetics[88] anschaulich demonstrieren konnte, verlor der Geniebegriff im Laufe seiner Geschichte und Entwicklung den ursprünglichen Beiklang männlicher Zeugungskraft nicht, so auch im Zeitalter der Aufklärung, als die Übertragung des Begriffs auf die Kunstproduktion erfolgte.[89] Vor diesem etymologischen und ideengeschichtlichen Hintergrund erweisen sich Schenkers Vorstellungen von Genie, Natur und Muse als ein Konzept, das einer weit zurückreichenden Tradition verpflichtet ist. Schenker setzt damit eine Traditionslinie fort, die von Beginn an Frauen aus dem Kreis der Genies ausschloss.

In seinem Aufsatz »Competing myths: The American Abandonment of Schenker’s Organicism« erkennt Robert Snarrenberg bei Schenker eine schon in dessen Harmonielehre von 1906 vorangetriebene Polarisierung der Geschlechter. Diese zeige sich in der Gegenüberstellung des laut Schenker von Natur aus gegebenen Dreiklangs in der Vertikalen und der horizontalen Ausarbeitung der Komposition durch den als männlich begriffenen Komponisten, wobei Schenker der horizontalen Dimension im Tonsatz einen höheren Stellenwert beimesse als der vertikalen.[90] In Hinblick auf die oben zitierte Stelle aus dem Vorwort zu Schenkers Kontrapunktlehre von 1910 kommt Snarrenberg zu folgendem Schluss: »Schenker thereby restores the order that he sorely missed in the world around him: at least man’s rightful place in the world of tone is assured: the husband is rightly valued more than the wife.«[91] Diese Erkenntnis, deren Einbettung in den ideen- und sozialgeschichtlichen Kontext Snarrenberg versäumt, zeigt, dass es in Schenkers musiktheoretischem Werk bereits vor der Entwicklung der Urlinie-Idee Überlegungen gab, die dem Erhalt und der Festigung von hegemonialer Männlichkeit dienten. Diese kamen schließlich im Konzept der Urlinie, das die Bedeutung linearer Denkweisen für die Komposition unterstreicht, verstärkt zur Geltung und scheinen dort ihre Bestätigung zu finden.

Fazit

In seiner Auseinandersetzung mit der Frage nach Genius und Genialität orientierte sich Schenker stark an Jean Paul, ließ aber im Unterschied zu diesem auch auf der abstrakt-konzeptionellen Ebene keine weiblichen Genies zu. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Schenker das Stereotyp des traditionell maskulin konnotierten Geniebegriffs bediente und zementierte, indem er sein Genieverständnis in den Kontext von Chauvinismus, Heroismus und Militarismus stellte und den von ihm intensiv betriebenen Geniekult nach Ende des Ersten Weltkriegs verstärkt in der Öffentlichkeit propagierte. Mit der in seinen Publikationen konsequent durchgeführten Zuschreibung von männlich assoziierten Charaktermerkmalen an das Genie verfolgte Schenker eine Strategie, die im Sinne des hegemonialen Männlichkeitskonzepts des späten 19. Jahrhunderts auf die Unterordnung der Frau abzielte und als Ausdruck jener Krise männlicher Identität zu verstehen ist, in die viele zur Zeit des Fin de Siècle insbesondere in Wien stürzten.

Die eingangs gestellte Frage, ob im Konzept der Urlinie, das eng mit Schenkers männlich gedachtem Geniebegriff verknüpft ist, nicht nur politische Überzeugung, sondern auch das patriarchalische Geschlechterverständnis des Musiktheoretikers eine Rolle spielte, kann angesichts der sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Schenkers Theorie entstand, bejaht werden. Im Kontext der hegemonialen Männlichkeit, deren Fortbestand nach dem Krieg durch sich wandelnde Geschlechterverhältnisse gefährdet schien, übernahm Schenkers Konzept der Urlinie eine mustergültige Funktion. Mit ihr war es möglich, einen hierarchischen Aufbau in jenen Werken offenzulegen, die Schenker als Werke männlich gedachter Genies und damit als vorbildhaft einstufte. Für Schenker repräsentierte die Hierarchie des Tonsatzes ein Ordnungsgefüge, das ganz seinem Ideal einer hierarchisch strukturierten Geschlechterordnung entsprach.

Zudem ist festzuhalten, dass sich in Schenkers musiktheoretischem Werk stark traditionelle Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Künstler und Natur bemerkbar machen, wonach die männlich konnotierte Figur des Künstlers im schöpferischen Prozess kreativ gestaltet, während der mit Weiblichkeit assoziierten Natur lediglich eine passive Rolle zukommt. Dazu tritt noch eine weitere Komponente in Schenkers Lehre, die es erlaubt, diese als ein Mittel zur Konstruktion hegemonialer Männlichkeit aufzufassen: gemeint ist die maskulin codierte technische Rationalität, mit der Schenker seine Werkanalysen konsequent durchzuführen scheint.

Nicht zuletzt lässt sich Schenkers starkes Streben nach hegemonialer Männlichkeit psychologisch begründen. Offenkundig gab es in seiner Lebensgeschichte immer wieder Momente, die mit diesem Konzept in Konflikt standen und sein männliches Selbstwertgefühl antasteten. Dazu zählten etwa der Abbruch seiner ursprünglich angestrebten Karriere als Komponist, seine Wehrunfähigkeit zur Zeit des Weltkriegs, die Machtlosigkeit, mit der er dem jahrelangen Kampf der begehrten Frau um ihre Scheidung gegenüberstehen musste, oder die finanzielle Abhängigkeit von seinen Schüler*innen und Mäzen*innen, unter denen sich viele Frauen befanden. Man kann davon ausgehen, dass all diese biografischen Momente dazu beitrugen, dass Schenker Musiktheorie zum Zwecke der Umsetzung hegemonialer Männlichkeit instrumentalisierte.

Abschließend ist noch anzumerken, dass Schenker vermutlich einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Festigung des heute noch weit verbreiteten Klischees vom als männlich geltenden Genie leistete. Dieser Vermutung müsste in einer gesonderten Studie auf den Grund gegangen werden. Der Einfluss, den Schenkers Genie-Ideologie auf die Gedankenwelt der Zeitgenossen ausübte, war jedenfalls nicht unbedeutend. Dies dokumentieren Quellen wie Tagebücher oder Briefe. Im Unterricht, in persönlichen Gesprächen und in zahlreichen Publikationen verbreitete Schenker seinen männlich konzipierten Geniebegriff, den viele seiner Schüler und Anhänger aufgriffen und nach Schenkers Tod weiterführten. Schließlich lässt die Tatsache, dass das mit Schenkers Geniebegriff eng verbundene Konzept der Urlinie seinen Weg in den Studienplan zahlreicher Musiklehranstalten rund um den Globus fand, auf eine sehr breite und vermutlich bis in die jüngste Vergangenheit reichende Einflussnahme von Schenkers Genieverständnis schließen.

Anmerkungen

1

Siehe Federhofer 1985, 11–21.

2

Die im vorliegenden Beitrag zitierten Passagen aus Schenkers Tagbüchern entstammen der Website Schenker Documents Online (= SDO, https://schenkerdocumentsonline.org/index.html, 27.6.2021) und wurden, wenn nicht anders angegeben, vom Verf. transkribiert. Korrekturvorgänge, die auf SDO dargestellt werden, sind hier nicht berücksichtigt. Die in den Tagebüchern stets verwendete Abkürzung ›u.‹ für ›und‹ erscheint hier aufgelöst.

3

Siehe Deisinger 2015, 221–243.

4

Schenker 1922, VII f.

5

Schenker 1935.

6

Vgl. Federhofer 1985, 300–306 und Arndt 2008, 131–253.

7

Eybl 1995.

8

Vgl. Schmidt 2004, 169–193.

9

SDO, Tagebucheintrag 25.1.1915, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-17_1915-01/r0031.html (10.6.2021).

10

Schenker erblickte im Genie sogar das »Ebenbild eines schöpferischen Gottes«. SDO, Tagebucheintrag 21.10.1914, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-16_1914-10/r0026.html (3.6.2021).

11

Schenker 1929, 359.

12

Siehe Eybl 1995, 26 f. In seiner Erläuterungsausgabe von Beethovens op. 101 meint Schenker: »Wie sich zur Stunde zeigt, lernt der Mensch eher im Äther fliegen, als sich zum Genie emporheben.« (Schenker 1921a, 22) Am 13.1.1924 schrieb Schenker dem Künstler Viktor Hammer einen Brief, dessen Inhalt er in seinem Tagebuch festhielt: »An Hammer (Br.): […] Vom traurigen Stand der Musiker: während ich ihm ein Urteil über [Jean-Baptiste-Siméon] Chardin zutraue, findet sich unter den schaffenden Musikern keiner, der von den Genies etwas wüßte; ich bin – ohne in ihrer Reihe zu stehen – ihr erster und letzter Ohrenzeuge – leide unter meiner eigenen Einmaligkeit, […]«. SDO, Tagebucheintrag 13.1.1924, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-03-06_1924-01/r0013.html (3.6.2021).

13

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Verlassenschaftsabhandlung »Schenker, Heinrich« (gest. am 14.1.1934 im Sanatorium Loew, Wien, IX. Mariannengasse 20; letzter Wohnort: Wien, III. Keilgasse 8) und SDO, Schenkers Testament, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/other/OJ-35-6_1.html (3.6.2021).

14

Schenker 1929, 361.

15

Kant 2001, 193.

16

Schenker 1921, 23.

17

Siehe Arndt 2018, 21–72.

18

Korsyn 1988, 1–58.

19

Siehe Ortland 2004, 267–272.

20

Vgl. Cook 2007, 73 f.

21

Schenker 1926b, 46–48.

22

Schenker 1906, 76 f. Vgl. Snarrenberg 1997, 84 f.

23

»Das Genie ist in mehr als einem Sinne ein Nachtwandler: in seinem hellen Traume vermag es mehr als der Wache und besteigt jede Höhe der Wirklichkeit im Dunkeln; aber raubt ihm die träumerische Welt, so stürzt es in der wirklichen.« (Jean Paul 2015, 70)

24

Siehe Solie 1980, 155; Snarrenberg 1997, 85 und Cook 2007, 72.

25

Siehe Deisinger/Bent o. J., 286. In seinen Tagebüchern zitiert Schenker gelegentlich aus Jean Pauls Werken. SDO, Tagebucheintrag 3.7.1913, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-12_1913-07/r0003.html (3.6.2021); Tagebucheintrag 10.7.1913, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-12_1913-07/r0016.html (3.6.2021) und Tagebucheintrag 5.5.1914, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-14_1914-05/r0006.html (3.6.2021).

26

SDO, »Das deutsche Genie in Kampf und Sieg«, transkribiert von Ian Bent, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/other/OJ-21-2_1.html (3.6.2021). Das Zitat lautet: »›Nur das einseitige Talent gibt wie eine Klaviersaite unter dem Hammerschlage Einen Ton; aber das Genie gleicht einer Windharfen-Saite; eine und dieselbe spielet sich selber zu mannigfachen Tönen vor dem mannigfachen Anwehen. Im Genius stehen alle Kräfte auf einmal in Blüte; und die Phantasie ist darin nicht die Blume, sondern die Blumengöttin, welche die zusammenstäubenden Blumenkelche für neue Mischungen ordnet, gleichsam die Kraft voll Kräfte.‹ (Jean Paul)« (vgl. Jean Paul 2015, 68)

27

Vgl. ebd., 52–68.

28

Ebd., 60.

29

Ebd.

30

Vgl. ebd., 60–66 sowie Wilkending 1968, 44–47.

31

Schenker 1990, 150 f.

32

Schenker 1929, 360.

33

Jean Paul 2015, 62.

34

SDO, Tagebucheintrag 10.11.1906, transkribiert von Ian Bent, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-05_1906-11/r0008.html (3.6.2021); auch zit. in Federhofer 1985, 300 f.

35

University of California, Riverside, Oswald Jonas Memorial Collection, 2/5, 506, Tagebucheintrag 13.11.1916.

36

SDO, Tagebucheintrag 12.6.1913, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-12_1913-06/r0014.html (3.6.2021).

37

SDO, Tagebucheintrag 27.1.1907, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-06_1907-01/r0018.html (3.6.2021).

38

Siehe Bent o. J.c.

39

Siehe Bent, o. J.a.

40

Siehe Bent o. J.b.

41

University of California, Riverside, Oswald Jonas Memorial Collection, 2/2, 209 f., Tagebucheintrag 28.4.1916 (Hervorhebung im Original).

42

SDO, Brief vom 2.11.1922, transkribiert von Ian Bent und Lee Rothfarb, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/correspondence/DLA-69.930-11.html (3.6.2021).

43

Schenker 1935, 5.

44

Wiener Stadt- und Landesarchiv, Verlassenschaftsabhandlung »Schenker, Heinrich« (gest. am 14.1.1934 im Sanatorium Loew, Wien, IX. Mariannengasse 20; letzter Wohnort: Wien, III. Keilgasse 8) und SDO, Schenkers Testament, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/other/OJ-35-6_1.html (3.6.2021).

45

Siehe Bent/Deisinger o. J.

46

SDO, Tagebucheintrag 21.9.1914, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-15_1914-09/r0032.html (3.6.2021).

47

SDO, Tagebucheintrag 28.10.1914, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-16_1914-10/r0034.html (3.6.2021).

48

Siehe Botstein 2003, 11–16 und Eybl 2018.

49

Zu Schenkers Befreiung vom Militärdienst siehe Federhofer 1985, 45.

50

SDO, »Das deutsche Genie in Kampf und Sieg (Betrachtungen sub specie aeternitatis)«, transkribiert von Ian Bent, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/other/OJ-21-2_1.html (3.6.2021); vgl. Cook 2007, 152 f.

51

Zit. nach Schmidt 2004, 182.

52

Ebd., 188–191.

53

Ebd., 187 f.

54

Vgl. Bent 1991, 3–34; Reiter 2003, 135–159 und Cook 2007, 143–155.

55

Schenker 1921c, 3.

56

Siehe Eybl 1995, 11–29.

57

Schenker 1922, VIII.

58

Eybl 1995, 107.

59

Schenker 1921b, 25. Ganz ähnliche Äußerungen finden sich in Schenker 1921a, 25.

60

Schenker 1921a, 59.

61

Siehe Eybl 1995, 108.

62

SDO, Tagebucheintrag 8.6.1930, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-04-03_1930-06/r0008.html (3.6.2021).

63

Schenker 1921a, 22 f. und 1921b, 23 f.

64

Eybl 1995, 111.

65

Morgan 2014, 203.

66

Schenker 1910, XI.

67

Ebd.

68

Siehe Gerards 2010, 30, 326 f.

69

Siehe Unseld 2013, 37 f.

70

SDO, Tagebucheintrag 23.1.1916, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-02-01_1916-01/r0026.html (10.6.2021).

71

Siehe dazu Federhofer 1985, 320–323.

72

SDO, Tagebucheintrag 23.1.1916, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-02-01_1916-01/r0026.html (10.6.2021).

73

SDO, Tagebucheintrag [28.8.]1911, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-01-10_1911-08/r0014.html (3.6.2021). Dieser von Ian Bent transkribierte Eintrag trägt den Titel »Von den beiden Geschlechtern« und erstreckt sich über mehrere Seiten.

74

Ebd.

75

Biddle 2011, 119.

76

Ebd., 148 f.

77

SDO, Tagebucheintrag 11.8.1928, https://schenkerdocumentsonline.org/documents/diaries/OJ-04-01_1928-08/r0011.html (3.6.2021).

78

Schenker 1922, XVI.

79

McClary 2002, 105.

80

Ebd., 13.

81

Siehe Snarrenberg 1994, 35–41 und Arndt 2008, 169 f.

82

Schenker 1906, 67.

83

Schenker 1926a, 41.

84

Schenker 1921b, 22.

85

Schenker 1930, 19.

86

Siehe Lindhoff 2002, 148.

87

Siehe Unseld 2013, 39.

88

Battersby 1989.

89

Siehe Lindhoff 2002, 147 f.

90

Vgl. Schenker 1906, 39–42, 214.

91

Snarrenberg 1994, 41.

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